Peru: Der nackte Mann in der Pyramide

Caral Pyramiden

 

Text und Fotos von Dr. Harald Schmidt

 

Peru hat viele Stätten uralter Hochzivilisationen, darunter die ältesten von ganz Amerika. Wohl alle Landschaftsformen gibt es – Wüste und Steppe, Hochgebirge und Gletscher, tropischen  Dschungel. Eine multikulturelle Gesellschaft mit amerikanischen, asiatischen, afrikanischen und europäischen Wurzeln, mit sehr freundlichen Menschen empfängt den Gast aus Europa. Rätselhaftes, Geheimnisvolles und Sensationelles erwarten ihn.

Caral – älteste Stadt des amerikanischen Kontinents

Der Wagen rollt auf der Panamericana, der legendären und zum Teil abenteuerlichen Schnellstraße, die Alaska mit der chilenischen Südspitze Feuerland verbindet, gen Norden aus der Hauptstadt Lima heraus. Vorbei fährt der Jeep an ehemaligen Slums, die sich zu Vorstadtsiedlungen mit Wasser- und Stromanschluss, angestrichenen oder sogar verputzten kleinen Häusern, entwickelt haben. Leticia, die Begleiterin des Autors erklärt die Wandlung: „Zielgerichtet wurde mal Geld in die Infrastruktur dieser wilden Slums gesteckt. Und siehe da, es entstand aus wilden Slums eine menschengerechtere Wohnanlage mit Arbeitsplätzen, Handwerk und Gewerbe. Sogar Ärzte und Rechtsanwälte zog es hierher – zu ihren potentiellen Kunden.“

Doch bald verändert sich der Straßenrand: nach den Siedlungen kommt die Wüste. Riesige gelbe Sanddünen wetteifern mit den dunkelgrauen Bergen, den Ausläufern der Anden, in der Ferne. Links braust irgendwo der Pazifik. „Die Pazifik-Küste Perus ist seit einigen tausend Jahren Wüste“, erklärt der Kunsthistoriker Napoleon Cava, der seine chinesischen Vorfahren nicht verleugnen kann und in der Küstenregion lebt. „Es sind die Auswirkungen des kalten Humboldt-Stromes im Pazifik. Der Wind bläst die Wolken weg. Es bleibt trocken.“

 

Pyramiden, Sensationen, Rätsel

Pyramiden
Die Pyramiden sind die Fortsetzung der geologischen Berge …

Ziel ist die heilige Stadt Caral, 182 km nördlich von Lima im Tal des Flusses Supe. Seit etwa 20 Jahren graben hier Archäologen.

Aus dem Wüstensand sind ans Licht die Ruinen der ältesten Zivilisation von ganz Amerika gekommen. Erst seit knapp zehn Jahren kann der Ort am Rio Supe diesen Superlativ führen. Eine Sensation, denn zuvor wurde das 3tausend Jahre alte Chavin de Huántar nahe der heutigen Stadt Huaraz  in den nördlichen Anden Perus als älteste Zivilisation ganz Amerikas bezeichnet. Die Geschichte musste neu geschrieben werden …

Archäologen fanden in Caral Knochen, Trompeten aus Muscheln, Flöten aus Pelikanknochen und Stricke, mit denen kleinere Steine für die Bauten zu Paketen zusammengebunden wurden. Diesem Prinzip ähneln heute die Gitternetzkuben mit Schotter zur Stabilisierung von Hängen, zum Beispiel auch zur Sicherung der schmalen Gebirgsstraßen in den Anden nach den sintflutartigen Regenfälle. Eine uralte Idee ist immer noch weltweit modern.

Die in Caral gefundenen organischen Materialien ermöglichten eine exakte Altersbestimmung mit der Radiokarbon-Methode. Das Ergebnis: Vor etwa 4.970 Jahren bauten Menschen hier eine Hauptstadt für 4tausend Einwohner als Zentrum von 20 umliegenden Städten und Siedlungen. Dieser erste Staat auf amerikanischem Boden hatte keine äußeren Feinde und brauchte kein Militär. Ein Traum der Menschheit war damals vermutlich Realität. Die Religion hielt vielmehr die Gesellschaft zusammen. Das lassen die vielen heiligen Stätten sowie gefundene Opfergaben erkennen. Dazu gehören Tonfiguren für die Fruchtbarkeit oder das Skelett eines 23jährigen Mannes, der rituell geopfert worden war und in der freigelegten Hauptpyramide gefunden wurde. Er wurde mit drei Schlägen auf den Hinterkopf getötet. Die Arme und Beine des nackt Begrabenen waren gebunden.

„Religion konnte doch schon immer tödlich sein … bis in die Gegenwart“, denkt der Autor.

 Der Bauer als Guide

Es ist ein extrem heißer Tag. Die Sonne brennt auf das nahezu pflanzenlose Gelände. Nur ein paar Gräser und Pflänzchen, versteckt in einer Erdvertiefung oder hinter einem Erdklumpen, können sich in dieser trockenen Kargheit behaupten. Das grelle ungebremste Sonnenlicht färbt den Boden noch heller als real. Der Himmel ist hellblau und trübt kein Wölkchen. Doch das Fluidum und die Geschichten hier sind spannend und lassen den Hitzestress vergessen.

Der Gast steht mit seiner peruanischen Freundin Leticia, die als junge Frau in Bonn Archäologie studiert hatte und heute den peruanischen Spezialreiseveranstalter South-American-Destination führt, auf einer Freifläche im Zentrum der Anlage. Ringsherum stehen Stufenpyramiden, großflächig angelegt, einige mit Spitze, andere nach tausenden Jahren stark geschliffen. Das Pyramidenfeld muss majestätisch gewirkt haben in der Ferne ergänzt durch die Gipfel der Berge, den Ausläufern der Anden. Auch die Gipfel sind hier spitz. Von Menschenhand (Nach-)Gebautes ergänzt fließend die natürlichen Berge, die dadurch der Küste nah sind.

Bauer Dino
Dino ist Bauer, Assistent der Wissenschaftler und Guide.

An einer Ruine räumen an diesem heißen späten Vormittag junge Frauen und Männer an einer Pyramide auf. Sie schaffen Baufreiheit für weitere tiefgehende Grabungen und Rekonstruktion. Schwerer Steinschutt wird in Schubkarren geladen – Frauensache, und mit Schubkarren ein paar hundert Meter außerhalb von Caral transportiert – Männersache. Der Schweiß rinnt in Strömen. Da hilft nur Trinken. Doch neue Flüssigkeit nährt die Schweißströme. Als die Stadt vor knapp fünftausend Jahren lebte, war das möglich, weil unweit von hier eine Quelle plätscherte.

Bauer Dino aus dem Nachbardorf, der als Assistent der Wissenschaftler Caral bestens kennt, erklärt: „Die Bauern pflanzten damals Kürbis, Bohnen, Chili, Mais, Baumwolle, Mate oder Süßkartoffeln; so wie wir heute. Sie bauten Bewässerungskanäle.“

Zu dieser Zeit waren die Menschen von Caral anderen Kulturen auf dem amerikani-schen Kontinent um 1.500 Jahre voraus. Sie hatten eine ähnliche Stufe wie die damaligen Gesellschaften in Mesopotamien, Ägypten, Indien und China erreicht. Das Besondere – Caral hatte zu diesen anderen Hochzivilisationen auf den anderen Erdteilen, die untereinander durch Handel verbunden waren, keinerlei Kontakt. Caral war eine isolierte Gesellschaft und entwickelte trotzdem eine hohe Zivilisation, die die Arbeitsteilung praktizierte, Wissenschaft, Technologien und Kunst entwickelte. Kennt-nisse auf den Gebieten Astronomie, Geometrie, Arithmetik, Medizin, Kalender und Wetter, Verwaltung und Landwirtschaft waren auf hohem Niveau.

Die Ausgrabungen werden noch viel Zeit brauchen. Bisher wurden in Caral einige Stufenpyramiden, die Grundmauern von Tempeln, Palästen, der Wohn- und Arbeitshäusern frei gelegt. Die Steine wurden beim Bau mit einem Lehm-Baumwollgemisch verbunden. Beeindruckend ist die Große Pyramide mit 171 Meter Breite, 150 Meter Länge und 30 Meter Höhe als ein Zentrum vergangener Macht.

Steinhart steht er in der Erde

„Schau mal auf diesen langen dunkelgrau-grüne Stein, der dort in der braunen lehmig-sandigen Erde steckt“, lenkt Leticia des Gastes Blicke. Rätselhaft ist dieser sogenannte „Stehende Stein“, der im Zentrum von den sechs Pyramiden von Caral-Stadt und 32 im gesamten Staatsgebiet steht. Der 2,15 m hohe und 1,5 Tonnen schwere Obelisk aus Granit ist von einem Ort aus mindestens 150 km Entfernung geholt worden. In den Bergen der Umgebung gibt es diese Steinart nicht. „Wie das möglich war ohne Wagen – das ist bis heute ein ungelöstes Rätsel. Es gibt Vermutungen, aber keine Beweise.  Auch über den Verwendungszweck kann spekuliert werden. Diente er als Zeit- oder als Entfernungsmesser, für religiöse oder astronomische Zwecke ist eine unbeantwortete Frage“, erklärt Bauer Dino.

Rätselhaft ist auch der Untergang dieser Hochkultur vor etwa 3.300 Jahren. Ist das politische System zusammengebrochen oder ist eine Dürreperiode die Ursache? Diese Frage kann noch nicht beantwortet werden. Als sicher gilt, dass die Einwohner von Caral beim Verlassen des Tales ihre Stadt selbst zerstörten. Übrigens – 2010 wurde die Pyramidenstadt Caral von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.

Grüner Obelisk
Der Grüne Obelisk:
Wie kam er?
Was bezweckte er?

 Die älteste Stadt von Amerika schafft Arbeitsplätze

„Diese Ausgrabungen in Caral sind auch in anderer Hinsicht etwas Besonderes.“, meint Leticia. „Es ist das erste Projekt in Peru, bei dem archäologische Forschung mit der einheimischen Bevölkerung und Tourismus verbunden wird.“

Die Archäologen stellen die Bauern der Umgebung nicht nur befristet als Hilfskräfte beim Ausbuddeln ein – so wie das bisher überall üblich ist. Sie schaffen ständige Arbeitsplätze als Touristenführer – so wie Bauer Dino, Aufsicht, Handwerker oder Verkäufer. Das weckt die Motivation, diesen Arbeitsplatz zu schützen. Es ist die beste Abwehr gegen Grabräuber. Aus dem eigenen Dorf kommen sie nicht. Von weit her werden potentielle Raubgräber durch hunderte von Augen beobachtet. Das kann keine Videokamera leisten.

„Diese Ausgrabungen sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Die Infrastruktur in diesem ländlichen Gebiet wird entwickelt. 200 Arbeitsplätze hat die alte Caral-Kultur bereits heute geschaffen“, versichert Leticia.

Die größte Pyramidenstadt der Welt

Deutlich größere, allerdings wesentlich jüngere Pyramiden zum Zelebrieren von religiösen Ritualen und als Symbole der Macht gibt es überall in Nord-Peru. 26  gigantische Pyramiden wurden z. B. vor etwa 1000 Jahren aus ungebrannten Lehm-ziegeln nahe dem Dorf Tucumé von Hochkulturen vor den Inkas und den Spaniern erbaut. Begonnen hatte den Bau Sicán-Volk, andere Zivilisationen setzten das Werk fort. Besonders beeindruckend ist die riesige Pyramide Huaca Largha, die 700 m lag, 270 m breit und 30 m hoch ist – sozusagen ein von Menschenhand gebauter Berg – ein Tempelberg. „Mit insgesamt 260 Pyramiden im Gebiet ist es die größte Pyramidenstadt der Welt.“, erzählt der Kulturhistoriker und Übersetzer Napoleon – wie sein berühmter Namensvetter von der Spitze eines dieser Großbauwerke. Die Gegend ist eigentlich trocken, aber wenn es regnet, dann regnet es kräftig. Tropische Regengüsse haben im Laufe der Jahrhunderte ihre Spuren hinterlassen. Die Pyramiden haben ‚Falten‘ bekommen …

Die Dame im Bunker

Die Tempelpyramiden El Brujo (der Hexer) 60 km nördlich der wunderbar erhaltenen alten Kolonialstadt Trujillo können besichtigt werden. Die Attraktion ist hier die Señora von Cao – wie eine 1.700 Jahre alte Mumie von den Wissenschaftlern genannt wird. Sie lag nahe der Spitze der Pyramide Huaca de Cao mit einem geopferten jungen Mädchen begraben. Goldschmuck und andere wertvolle Grabbeigaben lassen auf eine höher gestellte Person schließen. Geheimnisvolle Tätowierungen und Waffen im Grab der jungen Frau mit langem schwarzem Haar geben heute den Wissenschaftlern noch Rätsel auf. Die Mumie, deren Fund vor zehn Jahren für Schlagzeilen sorgte und jetzt neben dem Grab in einem Beton-Hochsicherheitstrakt mit ihren Schätzen besichtigt werden kann, gehörte zum Volk der Mochica.

Das Gebiet dieser Pyramiden wird von den Archäologen als „Ebene der Fossilien“ bezeichnet. Vor 70 Jahren begann man hier zu graben und zu forschen. Dieses Tal wird seit 5.000 Jahren von Menschen besiedelt – von den ersten Fischern Perus bis zu den Hochkulturen der Mochica, Lambayeque, Chimu und den Spaniern als Kolonialherren.

 Epilog: Es muss nicht Machu Pichu sein 

Caral grosse Flaeche
Schau – was für ein weites Pyramidenfeld.

Machu Pichu – die alte, geheimnisumwitterte Inka-Stadt im Süden von Peru – ist zweifellos das bisherige touristische Markenzeichen, die Nummer ‚1’ der Andenrepublik. Die Siedlungsfestung in den Anden ist Ziel touristischer Massen aus aller Welt, die immer massenhafter und durchaus auch schädigend über dieses Fleckchen mit meisterhafter Inka-Architektur herfallen. Die Nachfahren der Ureinwohner blockieren immer häufiger den Zufahrtsweg zu dieser Attraktion, weil sie sich belästigt fühlen.

Aber die Inkas sind eine relativ junge Zivilisation gewesen. Im Norden gibt es nicht nur mehr Geschichte und Geschichten. Hier lebten einige tausend Jahre ältere Zivilisationen. Doch warum denken viele europäische und nordamerikanische Touristen an Machu Pichu als ein Traumziel?

„Vor Jahrzehnten – als wir mit dem Tourismus in Peru starteten –  brauchten wir ein Markenzeichen wie Machu Picchu“, erklärt dem Autor der über 85jährige Dr. Frederico Kauffmann, ein bekannter Historiker, Schriftsteller und ein ehemaliger Botschafter seines Landes in Berlin. Nach lebenslanger archäologischer Forschungstätigkeit setzt er sich für das sanfte Einbeziehen dieser alten, relativ unbekannten, nord-peruanischen Stätten der Weltkultur in den Tourismus ein.

Information 

www.southamericandestination.com/

www.takeoffreisen.de

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