Kanadas Provinz Ontario birgt viele Superlative wie Niagarafälle, längste Straße der Welt, höchstes Bauwerk und schönste Seen und Wälder zur Erholung
Von Elke Backert
Kolibris umschwirren die Futterschalen auf der Terrasse des Arowhon Pines Resort. Leise plätschert das Wasser unter dem Paddel des sanft über den See gleitenden Kanus. Eine Schildkröte schnappt nach Luft, um gleich darauf wieder unterzutauchen. Schwimmer sind nur noch als Punkte auszumachen im endlos scheinenden See. Unbekannte und unwirklich schöne Vogelstimmen dringen aus den Wäldern des Algonquin Naturparks in Ontarios Norden.
Zu Ontario, der zweitgrößten Provinz Kanadas im Osten des Landes, gehören die Kapitale Ottawa, die Großen Seen Huron, Ontario, Superior, Michigan und Erie, eine große Anzahl Naturparks und so spektakuläre Attraktionen wie die Niagarafälle.
Der Algonquin, einer der größten und ältesten Naturparke, lädt zu fantastischen Outdoor-Aktivitäten. Schön im Herbst, wenn die Wälder in allen Rot-, Gelb- und Orange-Tönen leuchten. Exklusiv etwa ist eine Fahrt mit dem Wassertaxi auf dem Lake Opeongo zum Hailstorm Creek, einem fjordähnlichen Arm des Sees. Hier übernimmt man Kanus und paddelt genüsslich durch weiß blühende Seerosen-Felder. Diese Tour soll eine sichere Art sein, die Elche zu sichten, vor denen auf dem Highway 60 mit großen Schildern gewarnt wird. Sorry, ich hatte nicht das Glück. Mir muss ein Elch aus dem Souvenir-Shop genügen. Aber ein Kameramann konnte aus der Luft sechs kapitale Tiere beim Baden ausmachen. Doch als er mit dem Wasserflugzeug landete, wichen die scheuen Riesen in die Wälder zurück.
Ein Abstecher auf dem Rückweg nach Toronto führt nach Midland an der Georgian Bay. Wo um das Jahr 1600 20.000 Irokesisch sprechende Wendat-Indianer lebten, auch Huronen geheißen – nach ihnen ist der Huron-See benannt -, gründeten 1639 französische Jesuiten den Ort Sainte-Marie among the Hurons. Sie wollten die Indianer missionieren, aber auch von ihrem Know-how profitieren, zum Beispiel im Pelzhandel. Nachdem ein Großteil gestorben war, brannten die Jesuiten 1648 das Dorf nieder. Wenige Reste stehen noch. Um sie herum erschuf man in der Neuzeit ein Museumsdorf mit den typischen Langhäusern, Palisaden-Zäunen, Wigwams und Feuerplätzen der Huronen. Christoph aus Bergisch-Gladbach lebt dort und führt deutsche Besuchergruppen.
Pretty freaky!
Hauptattraktion Ontarios bleiben wohl die gewaltigen Niagarafälle, 90 Autominuten von Toronto entfernt. Man offeriert drei Varianten, sich ihnen zu nähern. Die trockene besteht darin, das Gebiet mit dem Helikopter zu überfliegen. Sehr nett und teuer.
Feucht wird`s mit einem Schiff der „Hornblower Niagara Cruises“. Das Schiff wagt sich bis in die Gischt der aus 57 Meter Höhe herab brausenden Wasserfälle vor. Trotz eines Capes werden Gesicht und Arme pitschnass. „Pretty freaky“, meint ein kleiner Steppke neben mir. Der Lohn: man spürt die Gewalt des Wassers hautnah. Die wird ebenso deutlich beim Tunnelgang, der einem durch sichere Öffnungen Ausblicke auf das Donnern der Wassermassen gibt. So könnte man sich einen Tornado-Wirbel vorstellen. Die Schutzcapes sollte man anbehalten für die Plattform außerhalb. Da kann`s nämlich mehr als feucht werden. Aber Traumblicke auf den tosenden Gischt spritzenden Wasserfall in Form eines Hufeisens – mit 168.000 Kubikmeter Wasser pro Minute stürzen die „Horsshoe Falls“ in die Tiefe – und den ruhigeren breiten Wasservorhang sind einem gewiss. Man kann die Schönheit der Niagarafälle auch bei Nacht erleben. Jeden Abend, zu Beginn der Dämmerung, werden sie in allen Farben des Regenbogens angestrahlt.
Wer komplett geduscht werden will, fährt ins nahe Blumen- und Bilderbuch-Städtchen Niagara-on-the-Lake. Vom Hafen starten „Whirlpool Jet Boats“ auf dem Niagara River. Kapuzen-Poncho, Rettungsweste und Wasserschuhe müssen angelegt werden. Dann schreit ein Girl ins Megafon: „Bleibt sitzen und haltet euch fest.“ Der Bootsführer weiß genau, wie die Abenteuersüchtigen zu begeistern sind. Immer wieder kurvt er so rasant auf dem Fluss, dass ein Wasserschwall nach dem andern über die Köpfe der Leute schwappt. Wasser rinnt durch den Poncho und nässt alles darunter. Umkleideräume an Land stehen nicht grundlos da. Doch jeder, nass von Kopf bis Fuß, strahlt vor Vergnügen.
Multikulti-Metropole mit der Welt höchstem Bauwerk, längster Straße und über 100 Biersorten
Zurück in Toronto gilt es, die Vier-Millionen-Metropole am Ufer des Ontario-Sees, größte Stadt Kanadas, zu erleben. Übersichtlich gegliedert sind die einzelnen Distrikte. Im „Entertainment District“ befinden sich die Theater. Bars und Restaurants aller Couleur – 80 Nationalitäten leben in Toronto – reihen sich aneinander und schenken auch den Wein aus, der nur in Niagaras Rebgärten wächst. Chinatown, das Alternativ-Viertel Kensington und die Künstlerszene um Queen Street West erwachen so richtig erst am Nachmittag. Beim Stöbern nach den besten Schnäppchen sollte man auch den Gebäuden der Multikulti-Stadt Aufmerksamkeit schenken, ob viktorianische Fassaden, Art déco, gläserne Wolkenkratzer oder dem für Nordamerika typischen Stil Richardsonian Romanesque, einer verspielten Art Neoromanik, den das Alte Rathaus von 1891 vorbildlich widerspiegelt. Damit sollte ein neues Europa jenseits des Großen Teichs erbaut werden. Der älteste Bau, die Osgoode Hall in von schniekem schmiedeeisernem Zaun eingegrenzten Park, datiert von 1829.
Täglich gibt`s Open-air-Markt vor dem Neuen Rathaus. In seinen Backsteinhallen im ehemaligen Fischerviertel bietet der St. Lawrence Market alle Genüsse dieser Welt. Ein „Peameal Bacon Sandwich“, eine in Erbspüree geschmorte Schinken-Spezialität, muss gekostet werden. Am Ende der Markthalle trifft man auf eine Mauer mit Ketten, Relikt eines martialischen Kerkers.
Einen Blick werfen sollte man in die Hockey Hall of Fame von 1885 mit der zarten Buntglas-Kuppel und in den modernen BCE Place, dessen Stahlträger-Konstruktion den brasilianischen Regenwald symbolisieren soll. Eine vor dem Abbruch gerettete Art-déco-Fassade einer Bank wurde mitten hinein verpflanzt. In der zum Hotel umgebauten Dominian Bank wurde aus dem Tresor mit der fetten Stahltür ein origineller Nachtclub.
Unzählige Biergärten überraschen Freunde des Gerstensafts, der „Esplanade Bier Markt“ preist sich Deutschen an mit über 100 Sorten aus 24 Ländern von Argentinien bis Sri Lanka.
Yonge Street, längste Straße der Welt (1.896 km), die sogar noch durch Midland läuft, beginnt am Ontarios—See, wo man die Kanadagänse leibhaftig antrifft, die man in der Shopping Mall Eaton Centre als Kunstwerk von Michael Snow an der Decke fliegen sieht. Mit der Fähre geht`s in sieben Minuten zu den Toronto Islands. Bei einer Hafenrundfahrt präsentiert sich Torontos Skyline in bestem Licht, überragt vom 553 Meter hohen CN Tower, dem welthöchsten freistehenden Bauwerk. Eine Auffahrt zur Aussichtsplattform mit Glasboden dauert keine Minute, schlägt aber mit knapp 15 Kanadischen Dollar zu Buche. Jedenfalls ist sie preiswerter als ein Dinner im „360“-Drehrestaurant. Dort allerdings kann man das Lichtermeer weit unten in einer Stunde gemütlich an sich vorbeiziehen lassen.
Info:
www.ontariotravel.net/de (deutsche Version)
www.torontotourism.com
Fotos Elke Backert
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