Lago Maggiore, Lago di Lugano und Lago di Como – die drei großen Seen am Südrand der Alpen zwischen Italien und der Schweiz sind nicht nur malerisch schön. Die Region der oberitalienischen Seen bietet auch eine Fülle an abwechslungsreichen Outdooraktivitäten – zu Fuß, per Schiff und mit dem E-Bike. Gut gegessen wird hier selbstverständlich auch. Also alles angerichtet für ein verlängertes Wochenende voller überraschender Erlebnisse.
Eine knappe Stunde dauert die Fahrt vom Flughafen Mailand Malpensa. Und schon steht man in Stresa am Ufer eines der malerischsten der Oberitalienischen Seen, bewundert das Panorama, die Pflanzenpracht und die vielen historischen Villen. Der Ort bietet nicht nur eine atemberaubende Aussicht auf den Lago Maggiore und die umliegenden schneebedeckten Gipfel der Alpen. Sondern er hat mehr zu bieten als den See: ein formidables Terrain für entspannte Spaziergänge und Erkundungstouren.
Der „Sentiero di Castagni“, der Kastanienweg beispielsweise, der in etwa drei Stunden über 260 Höhenmeter von Stresa nach Belgirate führt, ist so ein atmosphärisches Kleinod. Hoch über dem See verläuft er immer wieder unter Bögen majestätischer Kastanienbäume hindurch. Aber auch Ulmen, Birken, Buchen, Haselnusssträucher, Akazien, Mispeln, Palmen, Kakis, Azaleen, Walnuss, Magnolien und Rhododendren verleihen der Strecke ein mediterranes Flair. Das wird auch olfaktorisch unterstützt, durch den weiß blühenden Osmanthus, die Duftpflanze schlechthin, die sogar noch im September und Oktober ihren betörenden Duft verbreitet.
Die vielfältige Pflanzenwelt gedeiht aufgrund des besonderen Mikroklimas, wie Wanderführer Luca Mestrini erklärt: „Hier herrscht immer ein Mittelmeerraum-Klima, die Temperatur fällt auch im Winter sehr selten unter null Grad. Das liegt am See als Wärmespeicher: Im Sommer nimmt er die Hitze auf und gibt sie in den kälteren Monaten als Wärme wieder ab.“ Hier zu Wandern hat auch etwas Kontemplatives: Man geht komplett abseits der Zivilisation, aber erhascht immer wieder Blicke über den glitzernden See, den Borromäischen Golf bis zur Lombardei gegenüber.
Die Stille wird nur durch das Zwitschern der Vögel und das leise Rascheln der Blätter unterbrochen. Und hin und wieder lädt eine der unzähligen antiken Marienkapellen am Wegesrand zum Innehalten.
Abendessen beim 2-Sterne-Grandsigneur
Gegen Abend wartet dann ein kulinarisches Abenteuer an einem kleinen Juwel der Oberitalienischen Seen. Ruhig gleitet die hölzerne Motoryacht, die unsere kleine Gruppe am Steg in Stresa abgeholt hat, über den Lago Maggiore. An Deck hat der Kapitän einen kleinen italienischen Aperitivo auftischen lassen: Prosecco, Aperol und ein paar feine Häppchen. Derweil geht es im rosafarbenen Abendlicht durch die Borromäische Bucht, vorbei an der Isola Bella mit dem prächtigen Palazzo der Adelsfamilie Borromeo, der für seine barocke Architektur und seine kunstvollen Gärten bekannt ist. Gleich danach folgt die noch regelmäßig bewohnte Isola dei Pescatori, die Fischerinsel. In den kleinen Fischrestaurants leuchten bereits die Lampions und verströmen eine romantische Atmosphäre. Aber hier steigen wir nicht aus. Denn wir haben noch Besseres vor. Wir gehen in Baveno von Bord, für einen kurzen Transfer nach Verbania an den Lago di Mergozzo. Dort wartet im Ristorante „Piccolo Lago“, ausgezeichnet mit zwei Michelinsternen, ein Grandseigneur der Küche mit einem exklusiven Menü.
Am Eingang begrüßt uns der 60-Jährige Marco Sacco persönlich, der Spitzenkoch, der schon seit dem Alter von neun Jahren an dem kleinen See lebt. Bereits sein Vater kochte in dem Lokal traditionelle, einheimische Gerichte. Doch Marco eröffnete mit 17 Jahren zunächst eine Surfschule. Erst Anfang der 90er Jahre, nach dem Tod des Vaters, übernahm er das Lokal und entwickelte ein eigenes Konzept. 2003 errang er den ersten Michelinstern, bereits vier Jahre später kam der Zweite hinzu.
„Im Unterschied zum Gardasee herrscht hier rund um den Lago Maggiore weniger Tourismus. Es gibt noch mehr Authentizität, Ruhe und ursprüngliche Dörfer und ein riesiges Wildnisgebiet“, erzählt Marco Sacco voller Stolz auf seine Heimat. „Diese Landschaft hat mich geprägt – ich koche alles, was ich hier sehe, rieche und schmecke. Meine fünf Köche und ich recherchieren ständig neue Ideen. Was es bei mir zu essen gibt, findet man woanders nicht. Hinter vielen Gedecken steckt eine individuelle Geschichte. Wir nennen das Avantgarde-Küche.“
Zum Beispiel die Brioche mit Wachholder-geräucherten Prosciutto aus dem Vigezzotal, mit Paste von getrocknetem Fisch aus dem See – eine traditionelle Art, wie der Fisch hier seit je her gelagert wird. Als Zwischengang folgen Heubrot und Grissini vom schwarzen Reis, serviert in einer warmen Steinschüssel mit frischer Bauernbutter. So richtig avantgardistisch wird es dann mit dem Gang „Invasion“: Klassischer piemontesischer Weißkäse mit weißer Schokolade und Kakaobutter, geschmolzen in einer Brühe aus blauen Krabben, Olivenöl, Petersilie, Tomaten, Zwiebeln und Brandy. Dazu blaue Krabben und Flusskrebse, gekocht und mit einem Dressing aus Muskatellerwein, Honig, Paprika, Friggitello (italienischer Paprika), Ingwer, Schalotten, Sojasauce und Mangoessig.
Mit der Vigezzina Centovalli Richtung Nationalpark
Nachhaltig mit der Bahn geht es am nächsten Tag zwischen den Oberitalienischen Seen weiter, in Richtung Val Grande Nationalpark. Auf der Strecke von Domodossola nach Locarno schlängelt sich die vor hundert Jahren eröffnete Bahnlinie Vigezzina Centovalli in unzähligen Kurven von 200 auf 800 Höhenmeter – über steinerne Viadukte, die über spektakuläre Schluchten führen, durch mehr oder weniger lange Tunnels wie die Galeria Marone, vorbei an abgelegenen Dörfern, Kastanien- und Buchenwäldern, Steinbrüchen und winzigen Bahnhöfen, die an Miniatur-Eisenbahnen erinnern.
Hin und wieder pfeift die Lok, wenn mal wieder ein Wanderweg die Strecke kreuzt. Am Scheitelpunkt, in Santa Maria Maggiore, im Valle Loana, wechseln wir in den Bus. Der bringt uns in kurzer Fahrt nach Scaredi, dem Eingangstor zum Val Grande Nationalpark. Er erstreckt sich über eine Fläche von etwa 145 Quadratkilometern mit tiefen Schluchten, zahlreichen Gipfel, felsigen Flüssen und türkisblauen Gumpen, die an die Landschaft Korsikas erinnern.
Seit seiner Gründung 1992 dient der Park als wichtiges Schutzgebiet für seltene und gefährdete Arten sowie als beliebtes Ziel für Naturbegeisterte, Wanderer und Abenteuerlustige. „Nur 50 Menschen leben noch hier“, erzählt Naturführer Andrea Mosini. „Inzwischen sind Gemsen die Könige des Parks.
Auch ein Bär lebt hier, einige Wölfe haben sich angesiedelt, aber auch Eulen, Falken und Adler und 80 verschiedene Schmetterlinge. Die Vielfalt der Tierwelt nimmt zu, seit die Region Naturpark ist.“ Auf unserer mehrstündigen Wanderung zu den aufgelassenen Behausungen der früher hier tätigen Köhler begegnet uns Attilio Menoggio.
Der eigentlich aus Cannobio am Lago Maggiore stammende 77-Jährige ist Ende des Herbstes der letzte verbliebene Bewohner im Weiler Finero, wo er das Haus eines Freundes hütet. Was heißt da Haus? Die einstige Osteria besteht aus zwei winzigen Räumen, Dusche, Toilette und einem offenen Kamin. „Der dichte Buchenwald hier oben ist sehr gut für Pilze“, schmunzelt er und führt uns die Ecke, wo er eine große Lage Steinpilze auf einem herabgezogenen Ziegeldach in der Sonne trocknen lässt.
Vom Ausflugsschiff aufs E-Bike
Am frühen Morgen fahren wir zwischen den Oberitalienischen Seen mit der Centovalli-Bahn weiter, hinunter nach Locarno und Lugano am Lago di Lugano. Nach einem Bummel durch die hübschen Tessiner Städtchen schippern wir mit dem Ausflugsschiff der Navigazione Lago di Lugano ins kleine Dorf Porto Ceresio. An Bord gibt es einen kleinen landestypischen Snack.
Im Fahrradladen des früheren Radprofis Luca Chirico steigen wir auf leistungsstarke E-Bikes um. Aus den 38 Touren der Region haben die Guides die Route auf der „Via Francisca del Lucomagno“ ausgewählt. Von Porto Ceresio radeln wir zunächst entlang des Ufers des Lago Ceresio bis Ponte Tresa. Weiter geht es Richtung Valganna zum Parco dell’Argentera – über eine ehemalige Eisenbahntrasse, auf der einst die Bahn von Ponte Tresa nach Varese verkehrte. Viele kleine Tunnel und stillgelegte Mühlen sind das Merkmal dieser romantischen Strecke.
Danach geht die Tour weiter zum Lago die Ghirla und dann über weite Serpentinen bis hoch hinauf in den Parcio delle Cinque Vette und nach Boarezzo, wo noch 26 Handwerker und Künstler mit ihren Familien hoch über den oberitalienischen Seen leben. Ab hier geht es in kleinen Kurven in wilder Fahrt zurück an den See. Zur Ruhe kommen wir dann im exklusiven Apartmenthotel Villa Lago Lugano mit eigenem Badesteg und herrlichen Terrassen. Hier lässt sich der Blick in die schöne Landschaft und über den See bei einem guten Glas Wein ausgiebig genießen.
Am nächsten Tag bleibt reichlich Zeit, die so typische Architektur der Region zu bewundern: Gemütlich, begleitet vom sanften Plätschern der Wellen, gleiten wir mit dem ersten Elektro-Ausflugsdampfer der Schweiz, der MNE Ceresio 1931, über den gesamten Lago di Lugano bis an die Nordspitze nach Porlezza. Der kleine italienische Ort ist allemal einen kurzen Bummel und einen Besuch im Eis-Café wert. Dann geht es mit dem Bus in das nur 13 Kilometer entfernte Menaggio am Comer See. Unmittelbar am Seeufer des kleinen Ortes befinden sich einige attraktive Kletterfelsen, die mit Seilen schon vorbereitet sind, damit Einheimische wie Touristen das pulstreibende Abenteuer einmal auszuprobieren können.
Im 20 Kilometer nördlich liegenden Ort Gravedona erwartet uns ein abendlicher Kulturgenuss. Begleitet von einer Auswahl regionaler Weine erleben wir eine Vernissage junger Künstler aus dem Ort. „Wir haben hier in den Gassen einige Werkstätten und Galerien eröffnet“, sagt Initiator Simone Pontiggia. „Wir möchten damit den Ort wiederbeleben, in dem wir etwas Neues schaffen, das auch wieder mehr Gäste anzieht.“
Die Region ist fast noch so etwas wie ein Geheimtipp in Bezug auf authentischen, aber ruhigen Italien-Urlaub. „Der nördliche Teil des Comer Sees ist mehr die Region für Familien und Wassersportler mit Kite, Surfing und Segeln, mit vielen Campingplätzen und kleinen Stränden am See“, sagt Monica Neroni von der Handelskammer Como-Lecco. Und in den zahlreichen Trattorien, viele davon direkt am Wasser, schmecken die regionalen Fischspezialitäten wie Saibling und Forelle entsprechend frisch und köstlich. Besonders empfehlenswert: Risotto bedeckt mit gebratenem Saibling oder Mezzalune (halbmondförmige Ravioli) gefüllt mit Saibling und Spinat an Salbeibutter.
Spektakuläre Schlucht und ein grandioser Weitblic
Am Seeufer schräg gegenüber, etwa 20 Minuten entfernt, liegt der wunderschöne Ort Bellano, den wir am folgenden Tag besuchen. Der kleine Hafen und die pittoreske Altstadt bieten typisch oberitalienisches Flair.
Doch der Ort hat noch mehr zu bieten: Nur etwa 120 Treppenstufen hinter der Kirche bergan verbirgt sich ein kleines Juwel: die spektakuläre „Orrido di Bellano”. Es handelt sich um eine natürliche Schlucht, die vor 15 Millionen Jahren durch die Erosion des Pioverna-Baches und des Adda-Gletschers entstanden ist. Im Laufe der Jahrhunderte formte das Wasser das Gestein zu riesigen Töpfen, dunklen Spalten und eindrucksvollen Höhlen. Das imposante Spiel des Lichts, das sich auf den Felswänden und auf dem Wasser spiegelt, die Vegetation, die an tropische Umgebungen erinnert, und das Rauschen der Wasserfälle, die auf den Stein prallen, sind auf jeden Fall das Eintrittsgeld wert. Zu sehen sind auch noch die Spuren der alten Tunnel und Kanäle sowie der später erbauten Druckrohrleitungen, mit denen das Wasser des Pioverna zuerst von den Eisenhütten, den Spinnereien und der Baumwollspinnerei, und später von einem moderneren Wasserkraftwerk genutzt wurde.
Für einen grandiosen Weitblick über den Comer See und bei klarer Sicht bis nach Mailand lohnt zum Abschluss des Seen-Hoppings die Weiterfahrt zu der Hochebene „Piani dei Resinelli“: Vom Parkplatz aus führt eine schöne Wanderung zur „passerella panoramica“, einer Infinity-Aussichtsplattform, die weit über den Hang ragt.
Wen auf dem Rückweg der Hunger plagt, sollte sich unbedingt eine Einkehr im Rifugio SEL gönnen. Hier ist die nur eine Seite umfassende Speisekarte noch mit der Hand geschrieben. Entsprechend köstlich schmecken die „a la nonna“-zubereiteten Pasta wie die Pizzoccheri (Buchweizennudeln) mit cremiger Gorgonzolasauce, die Spaghetti Carbonara und die Maccheroni mit Hirschragout. Und die Preise sind mit neun Euro für die Pasta und den Hauswein für drei Euro das Viertel ähnlich überschaubar wie kurz zuvor der Comer See.
Weitere Informationen:
www.lakelugano.ch
Fotos:
Heiner Sieger
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