Was ist das bloß für eine Gegend, von der schon Maler und Poeten früherer Jahrhunderte schwärmten. „Bayern ist schöner als ein Traum“, urteilte der englische Schriftsteller D. H. Lawrence (1885-1930) während seines Aufenthaltes in Oberbayern. Ludwig Ganghofer potenzierte alle positiven Eindrücke mit dem Ausspruch: „Wen Gott lieb hat, den lässt er fallen in dies gelobte Land.“ Oberammergau ist nur eines der Dörfer in diesem „gelobten Land“, wo laut eines Tagebucheintrags Richard Wagners „alles über alle Beschreibung schön“ ist. Ein Dorf, heute durch die alle zehn Jahre stattfindenden „Passionsspiele“ weltbekannt, wurde auch durch einen König berühmt.
Ludwig II., der „Märchenkönig“, ließ ganz in der Nähe Schloss Linderhof bauen. Als einziges wurde es zu seinen Lebzeiten (1876) fertig gestellt und lässt Besucher staunen. Nein, soviel Prunk darf es nicht geben. Klein in den Ausmaßen – gerade ausreichend für einen zurückgezogen lebenden Menschen! -, erzeugen zwei gegenüber liegende Spiegel die Illusion eines nie enden wollenden Ganges. Kein Fleckchen Wand oder Decke ist frei von Stuckornamenten, goldbestickten Seidentapeten, kostbarsten Vasen, dem Machtsymbol Pfau in Lebensgröße. Alles nur so zur Dekoration. Fünf Kilogramm Gold wurden verarbeitet. Der Tisch im Speisezimmer ist versenkbar, so dass die Dienerschaft ihn unten in der Küche decken konnte, ohne dass sie dem Gottgleichen unter die Augen kam.
Der Sonnenkönig Ludwig XIV. und Versailles waren Vorbild für Linderhof. Sein Standbild schmückt die Eingangshalle, über ihm eine goldene Sonne und der Spruch „Nec pluribus impar“, in etwa: Ich bin allen überlegen. Allein zur Reinigung eines Kronleuchters mit Hunderten von Kristallelementen benötigen heute fünf Mitarbeiter zwei Tage.
Eine halbe Million Neugierige kommen jedes Jahr, um den Traum aus Spiegeln und Gold zu sehen. Es lohnt, im Winter vorbei zu gucken, wenn die Besuchergruppen überschaubar sind und man selbst alles inspizieren kann. Die Statuen des großzügig angelegten Gartens sind dann allerdings verpackt, Venusgrotte geschlossen.
Wenn Frau Holle mitspielt, beschenkt der Winter den Gast mit Traumlandschaften, ausgedehnten, gut gespurten Langlaufloipen, Wanderwegen, im Tiefschnee mit Schneeschuhen zu begehen, gemütlichen Skiabfahrten, aber auch schwarzen Alpin-Pisten und urigen Almhütten.
Wettkampf Erprobte können am 31. Januar und 1. Februar 2015 am 43. König-Ludwig-Lauf teilnehmen, einem internationalen Wettbewerb in der Skating-Technik über 23 und 55 Kilometer Langlauf. Der „Mini-Kini“ ist für Kinder mit fünf Kilometern gut zu bewältigen. Die Zuschauer feuern die Tausende Läufer kräftig an mit „Hopp-hopp“-Rufen, Kuhglockengebimmel und Fahnen-Schwenken.
Im Sommer, am 24. August, am Vorabend seines Geburtstags, huldigt man dem König mit dem „König-Ludwig-Feuer“. Auf den Bergen rings um Oberammergau tauchen lodernde Holzhaufen, ein Kreuz und eine Krone die Landschaft in goldenes Licht.
Ein Märchen in Gold für den König, gemalte Märchen für die Oberammergauer. Die für Bayern und den Alpenraum berühmte Lüftlmalerei findet man in Oberammergau beinahe an jeder Fassade. Ein Haus ist reicher bemalt als das andere, mal ornamental, mal figürlich, oft mit religiösen Motiven, aber auch das Märchen vom Rotkäppchen wird in Bildern erzählt. Das „Pilatushaus“ hinterließ der Lüftlmaler eindrucksvoll mit Balkonen und Säulen, einer Scheinarchitektur. In dieser lebenden Werkstatt kann man Holzschnitzern über die Schulter gucken und selbst Kurse belegen.
Pfarrkirche St. Peter und Paul in reinem bayerischen Rokoko (1736-42), die „Marmor“-Säulen sind aus Holz. Was golden glänzt, ist nur Farbe.
Ganz Oberammergau scheint eine einzige Ausstellung, betrachtet man die Auslagen in den Schaufenstern: Schnitzwerk vom lustigen „Sauhaufen“ bis zu aufwendigen Weihnachtskrippen und Pietàs. Man möchte meinen, in dem 5300-Seelen-Ort sei jeder Bewohner ein Schnitzler. In der Tat gibt es eine Schnitzschule, wo jeder das Handwerk erlernen kann. Denn „handgeschnitzt“ bringt etwa dreimal soviel wie „holzgeschnitzt“. Um Nachwuchs brauchen sich die Holzbildhauer nicht zu sorgen, die Jugend ist genauso enthusiastisch dabei wie die Alten.
„Unser Christus ist sehr sportlich. Er läuft in 19 Minuten auf den Kofel hinauf.“ Und der ist immerhin 1432 Meter hoch. Maria führt mit der ihr eigenen Begeisterung durch das 4720 Sitzplätze bietende überdachte Passionstheater. Da die Passionsspiele noch fünf Jahre auf sich warten lassen, führt es vom 3. Juli bis zum 8. August 2015 Verdis berühmte Oper „Nabucco“ und Shakespeares Weltklassiker „Romeo & Julia“ auf. Christian Stückl, Leiter der Passionsspiele, inszeniert mit Dirigent Ainars Rubikis die Geschichte des Babylonierkönigs Nebukadnezar, genannt „Nabucco“. Der „Gefangenenchor“ zählt heute zu den bekanntesten Musikstücken der Operngeschichte. Vor jeder Aufführung lädt er zu einer 30-minütigen „Einführung zu Nabucco“ ein.
Im großen Theaterzelt inszeniert Regisseur Abdullah Kenan Karaca mit Oberammergauer Darstellern Shakespeares „Romeo und Julia“. Es ist das vielleicht bekannteste Theaterstück der Welt: Auch diejenigen, die es nie gesehen haben, kennen die leidenschaftliche und traurige Geschichte der jungen Liebenden. Dertour live bietet zu beiden Aufführungen Reisepakete an.
Doch bis dahin steht das Passionstheater nicht ungenutzt da. Jeder Gast darf bei Führungen einen Blick hinter die Kulissen tun, in die Garderoben von Hirten, Römern, dem Hofstaat des Herodes, den zwölf Aposteln und in die Jesusgarderobe mit Latschen und Dornenkrone, und er darf erfahren, wie Christus ans Kreuz genagelt wird, damit es echt aussieht, wie das Blut auf die Leiber spritzt, von wo und wie die Esel auf die Bühne geführt werden und was einen noch interessieren könnte. Alles in allem eine kurzweilige Geschichte.
Info:
schlosslinderhof.de