Es gibt mehr zu sehen, als Fjorde, die Lofoten und das Nordkap! Auf Nebenstrecken unweit der Hauptstadt Oslo bieten die Regionen Telemark und Vestfold Interessantes zu sehen, von Industriedenkmälern, über historische Raddampfer, Wikingersiedlungen und das frühere Wohnhaus des Malers Edvard Munch.
„Sie hat sich doch gut gehalten. Dieses Jahr wird sie immerhin 90 Jahre alt!“ Fast liebevoll streicht Per über die roten Streben der Krossobanen während diese uns sicher nach oben bringt. Die erste Seilbahn Nord-Europas in Rjukan wurde 1928 gebaut und diente in erster Linie dazu Arbeiter aus dem zwischen Bergmassiven eingeschlossenen Ort in der Provinz Telemark während der dunklen Zeit ans Sonnenlicht zu befördern. Heute nutzen Wanderer und Mountain-Biker die in 886 Meter Höhe liegende Endstation als Ausgangspunkt zum Erkunden des Nationalparks Hardangervidda. Andere genießen einfach die großartige Aussicht, u. a. auf den 1.883 Meter hohen Gaustatoppen.
Während des zweiten Weltkrieges war Rjukan 180 Kilometer westlich von Oslo weit über die Grenzen Norwegens bekannt. Bereits vor dem Krieg gelang norwegischen Forschern die Produktion von „schwerem Wasser“, ein notwendiges Hilfsmittel zur nuklearen Kernspaltung und Kettenreaktion. Während der deutschen Besetzung entbrannte Streit um das wertvolle Erzeugnis, der blutig endete.
Das vom Rjukan-Wasserfall gespeiste Kraftwerk mit dem angeschlossenen Kunstdüngerwerk ermöglichten den Übergang vom bäuerlich geprägten Norwegen zur Industriegesellschaft. Den Geburtsort der norwegischen Elektrizitäts-Gesellschaft Norsk Hydro finden Besucher auch auf der Liste des UNESCO Weltkulturerbes.
Die lichtarme Zeit wird heutzutage von drei riesigen Spiegeln erhellt, welche Sonnenstrahlen vom Berg ins Tal reflektieren.
Geisterfahrt und Blues
Es ist stockdunkel. Schwaches Licht wird von den Felswänden zurückgeworfen, während wir gemütlich mit der Gaustabanen durch den 6 Kilometer langen Tunnel im Berg rattern. Anschließend geht es mit einer Zahnradbahn steil nach oben. Von den Felsen tropft es, auch über die Gleise schießt Wasser nach unten. „Stellt euch vor, bei einer Reparatur geht es hier zu Fuß rauf und runter“, erklärt Seilbahn-Führer Olaf. Keine angenehme Vorstellung. Die Anlage samt Wohnungen wurde während des Kalten Krieges eingerichtet. Oben empfängt uns eine dicke Wolkendecke. Der von hier oben mögliche Blick über große Teile Norwegens bleibt uns verwehrt. Kein Geheimdienst quartiert sich hier mehr ein, vielleicht Mechaniker die dafür sorgen, dass die Bahn einwandfrei funktioniert.
Auf der Fahrt nach Notodden, das im Osten der Provinz Telemark, liegt kommen wir an der größten Stabskirche Norwegens in Heddal vorbei. Das wuchtige mit Schindeln bedeckte, mit heidnischen und christlichen Symbolen geschmückte Gebäude, um das ein Laubengang führt, wird auch als „gotische Kathedrale aus Holz“ bezeichnet. Zwölf tragende Balken, sogenannte „Stäbe“ bilden die dreischiffige Langkirche, die 20 Meter lang und 26 Meter hoch ist. Balken aus der Grundkonstruktion konnten mit Hilfe der Radiokarbonmethode auf die Zeit zwischen 875 und 925 zurückdatiert werden. Ob sie schon damals beim Kirchenbau eingesetzt wurden, ließ sich nicht feststellen. Der „Bischofsstuhl“ stammt aus dem 12. Jahrhundert, die Wandmalereien fertigte ein unbekannter Künstler um das Jahr 1667. Die im Inneren düstere wirkende Kirche erweckt Erinnerungen an Szenen aus Trygve Gulbranssens Geschichten: Und ewig singen die Wälder. Eingepackt in dicken Bärenfellen ging es zu der Zeit mit der Pferdekutsche stundenlang bei winterlichen Temperaturen zur Kirche. Im benachbarten Küsterhaus wärmten sich die Besucher auf um den wieder mehrere Stunden dauernden Gottesdienst zu überstehen. Der großzügig angelegte Parkplatz vor dem Gebäude zeigt, dass sich die Zeiten geändert haben.
Alle Jahre Anfang August treffen sie sich in Notodden: die Freunde des Blues. Aus ganz Europa reisen sie an um mit Gleichgesinnten das Festival zu feiern. Im Blues-Museum erfährt der Besucher zudem während einer Multimedia-Show viel über Musik und ihre Vertreter aber auch den Werdegang dieser Musikrichtung, vom Baumwollfeld in Mississippi bis nach Norwegen.
Der Begriff Telemark wird in Deutschland eher mit einem besonderen Skiabfahrts-Stil in Verbindung gebracht. Vielleicht aber auch mit dem gleichnamigen 105 Kilometer langen Kanal zwischen der Schärenküste am Skagerrak und der Hardangervidda. Über 18 Schleusen bewältigt er einen Höhenunterschied von 72 Metern. Er wurde 1892 eingeweiht, um notleidenden Bürgern die Auswanderung nach Nordamerika zu erleichtern. Hunger und Tod bestimmten zur damaligen Zeit den Alltag der Norweger. Bei dem heutigen Wohlstand kaum noch vorstellbar.
Glas, Gemälde und das Ende der Welt
„Vorsichtig, vorsichtig. Jetzt erst musst du kräftig blasen!“ Björn gibt genaue Anweisungen. Wir versuchen uns im Glasblasen. Gar nicht so einfach das weiche Material in die richtige Form zu bekommen. Was vom Zuschauen nach lässigen Handgriffen ausschaut, entpuppt sich in der Praxis als wesentlich komplizierter. Die Ausbildung zum Glasbläser-Meister dauert viele Jahre. Norwegen ist wie andere skandinavischen Länder bekannt für kreative Glasarbeiten. Im Hadeland Glassverk findet man nicht nur handwerklich kunstvoll geformtes Glas sondern alles was einen schön gedeckten Tisch ausmacht.
Der „Weiße Schwan“ ist am Ufer des Mjøsa -Sees vertäut. Der sonnige Tag wird von Einheimischen wie Besuchern gleichermaßen für eine Fahrt mit dem ältesten Raddampfer der Welt, der noch im Routendienst steht genutzt. Seit seiner Jungfern-Fahrt 1856 hat er schon zweimal Bekanntschaft mit dem Seegrund gemacht. Wurde jedes Mal gehoben und wieder in Dienst gestellt. Mit dem historischen Skibladner unterwegs zu sein auf Norwegens größtem See ist ein besonderes Naturerlebnis.
In dem monumentalen Holzgebäude einer einstigen Wikinger-Halle nachempfunden herrscht reges Leben und es riecht interessant. „Probiert mal, das hat auch den Wikingern geschmeckt!“ Mutig stecken wir das undefinierbare Mus in den Mund und stellen erstaunt fest, dass es wesentlich besser schmeckt als es aussieht. In alte Kostümen gekleidet kochen moderne Wikinger über offenem Feuer und führen alte Handwerkskunst vor. Hinter dem Gebäude breitet sich das einstige Gräberfeld der Nordmänner aus. Borre westlich am Oslo-Fjord in der Region Vestfold war einst Machtzentrum der Wikinger. Mindestens 9 große und etwa 26 kleine Grabhügel wurden hier entdeckt. Die Großen hatten 45 Meter Durchmesser und eine Höhe von 6 Metern. Auch stießen Bauarbeiter 1852 bei Gewinnung von Straßenbaumaterial auf ein 17 Meter langes Schiff mit wertvollen Grabbeigaben.
Über viele Jahrhunderte herrschte bittere Armut in Norwegen. Die vorwiegend felsige Landschaft konnte kaum landwirtschaftlich genutzt werde. Ein lebendiges Zeugnis dieser Zeit gibt Edvard Munch in seinen Bildern. Geboren 1863 in Hedmark , gestorben 1944 in Oslo musste er in der eigenen Familie viel Leid ertragen. Das kranke Kind und andere seiner über 1700 Gemälde weisen autobiographische Züge auf. In der einstigen Künstlerkolonie Åsgårdstrand am Oslo-Fjord besichtigen wir das Haus wo Munch einige Sommer verbrachte. Beim Gang durch den idyllischen Ort finden sich mehrere Motive seiner Gemälde wieder.
„Heute fahren wir ans Ende der Welt“, verkündet Per-Eivind geheimnisvoll. Noch sind wir in einer blühenden von Landwirtschaft geprägten Gegend unterwegs. Dann ändert sich das Bild. Es tauchen Schären auf. Wie graue Walbuckel willkürlich verteilt liegen sie an der Südspitze von Tjøme bei Tønsberg. Die von Gletschern glatt geschliffenen Felsen lassen sich leicht „besteigen“. Kinder flitzen hin und her.
Der Nationalpark Færder wurde eingerichtet, um in einem größeren Gebiet an der Küste des äußeren Oslofjords Landschaft, Naturtypen, hier vorkommende Arten, Geologie und Küstenökosysteme an Land und im Meer zu schützen. Gerade am Wochenende ist er gut besucht. Wanderer und Mountain-Biker erkunden ihn. Auch lässt sich hier gut fischen. Selbst für Rollstuhlfahrer wurde eine spezielle Stelle eingerichtet an der sie vom Rollstuhl aus ihr Glück versuchen. Viele bestaunen den Leuchtturm mit offenem Holzkorb, der 1932 aus den am Strand verstreuten Steinen errichtet wurde. Beim Blick auf das Meer und den weiten Horizont lässt den Betrachter glauben, er wäre am Ende der Welt.
Informationen:
www.visitnorway.de/reiseziele/ostnorwegen/telemark
www.visitoslo.com/de/osloregion/reise-planen/destinationen/vestfold
Reiseführer zur Vorbereitung gibt es z. B. bei MairDumont.
www.dumontreise.de/verlagsprogramm-und-updates
www.mairdumont.com
Im Sortiment sind u. a. der Baedeker, sowie diverse andere Reiseführer zu Norwegen und der Bildatlas Norwegens Süden.
Allgemeine Informationen zu Norwegen reisen findet man unter:
www.visitnorway.de
Text:
Monika Hamberger, Fotos Rainer Hamberger
Bild ganz oben:
Am sogenannten Ende der Welt, am Oslofjord