Kann das weite Nichts der Höhepunkt unter den Attraktionen sein? Natürlich gibt es im klassischen Sinne touristische Höhepunkte an der deutschen Nordseeküste im Landkreis Nordfriesland. Jeder der bei Tripadvisor sucht, jeder der in den Auslagen der Tourismusämter, auf den einschlägigen Internetseiten stöbert, wird fündig. Er stößt auf das Husumer Schloss oder das Eidersperrwerk. Er wird den Leuchtturm von Westerheven besuchen, den Geschlechter-Friedhof von Sunden, den Roten Haubarg, das Herrenhaus Hoyerswort mit seinen Keramiken und Apfelweinen. Vom Deich in Nordstrand wird er auf die Halligen schauen, die wie Mützchen im Meer schwimmen, er wird bei Ebbe in den Schlick laufen, zu den Seehundsbänken fahren, mit der Kutsche ins Watt, mit dem Ausflugsboot durchs Weltnaturerbe Wattenmeer. Wir nahmen uns die Zeit. Denn es gibt so unendlich viel zu sehen, zu tun, und Menschen zu begegnen, etwa Theodor Storm, der die Halligen „schwimmende Träume“ nannte, Friedrich Hebbel aus Wesselburen. „Aus des Meeres dunklen Tiefen stieg die Venus still empor, als die Nachtigallen riefen in dem Hain, den sie erkor.“ Emil Nolde, der auf der Hallig Hooge seine Grotesken schuf, und Wilhelm Judith, der in Husum die Mythen des Landes auf seine Linolschnitte bannte. 14 Tage sind zu schnell vorüber.
Aber alles ist wenig im Vergleich zum realen Besuch in der unendlichen Weite, die von Meer und Land geschaffen wird, in einer Ebene, die überspannt wird von einem Himmel aus Wind, Licht, Wolken, Regen, Nebel und Sonne, die alle miteinander ständig neue Dramen aufführen. Diejenigen, die das Land mit Windrädern zugepflastert haben, hatten davon keine Ahnung, sonst hätten sie es nicht getan, jedenfalls haben sie nicht verstanden, dass grenzenlose Weite ein Weltwunder ist. Die hängenden Gärten der Semiramis sind ein zerstörtes Nichts dagegen, der Koloss von Rhodos ein Zwerg. Ein Spielzeug. Für die Wind-Anlagen, Parks sind im sprachlichen Verständnis der Menschheit etwas anderes, gibt es jetzt Ausbaupläne, Vorranggebiete, Moratorien, Abstandsregelungen, Gerichtsentscheide und Ausnahmegenehmigungen, tausende Stellungsnahmen, Anhörungen. Eine Welt voller Ordnungen ist entstanden, in die kein natürliches Licht fällt.
Zum Glück sind noch einige Flecken an der Küste erhalten geblieben. Und sage keiner, das andere, das geschändete Land, etwa das im Süden von Husum, das im Norden von Husum oder im Osten von Husum, nur die Halligen selbst sind sakrosankt, sei der Energieversorgung des Landes „geopfert“ worden. Wer opfert, hat vorher wenigstens versucht nachzudenken. Die Windradaufsteller nicht, sie haben nur ihre Abschreibungsmodelle im Kopf gehabt. Vorbei, vielleicht fegt eine zweite Große Sturmflut, eine Grote Mandrenke, die Windräder alle ins Meer. Bis dahin muss man ausweichen, um freien Blick zu haben. Etwa in Küstennähe zwischen die Reußenköge und Ockholm, bis zum Bottschlotter See. Und dann: Die Weite ist wahrhaft unendlich. Es könnte 1000 Kilometer so weiter gehen. Dieses Empfinden, das mehr ist als nur visuell, kann durch nichts intensiver beeinflusst, durch nichts gesteigert werden. Es ist absolut. Selbst die Farben des Himmels, des Landes und der Luft dazwischen treten zurück, machen dem Erleben Platz. Was ist das Gegenteil von Klaustrophobie? Rausch der Weite? Die Ausstellung „See Stücke“ im Museum „kunst der seeküste“ auf der Insel Föhr empfindet in diese Richtung. Das ist der wahre „Nordfriesenkick“, besser als auch der 8. Pharisäer. „Erlebe den Nordfriesenkick“ – Das könnte ein Vorschlag für die Tourismuswerbung sein. Kostenlos gegen das Versprechen, das künftige Aufstellen von Windrädern einer obligatorischen Umwelt- und Menschen-Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen und nicht nur Machbarkeits- und Finanzierungsstudien.
Die 16-teilige Serie findet Eingang in eine Foto-Text-Ausstellung „Gesichter Deutschlands“ im öffentlichen Raum in Gräfelfing und in einen Katalog mit gleichem Namen. Der Katalog „Gesichter Europas- eine Reiseliebe“ ist mit der ISBN 978-3-942138-67-3 über die Buchhandlungen oder direkt beim GRÄV-Verlag zum Preis von 15 Euro zu beziehen.
Nächste Folge: Amrum
