Es war die James Bond Experience, das Flair von waghalsigen Stunts auf Sprungschanzen, in Rodelbahnen, durch Wälder und über Hüttendächer. Es lag zwar bei den Dreharbeiten 1981 kein Schnee in Cortina d`Ampezzo, der musste in die Stadt in der italienischen Provinz Belluno gebracht werden. Aber das Flair, das der Film „For your eyes only“ über die Stadt legte, lockte jahrzehntelang die Reichen und Schönen in die Straßen und Geschäfte. Doch bereits 25 Jahre früher markierte die Winterolympiade 1956 den Gipfel einer glücklichen Zeit, es waren die Spiele des Toni Sailer, Deutschland gewann eine Goldmedaille, Italien auch eine. Und jetzt, nach 65 Jahren, kehrt ein Ski-Alpin-Event zurück, keine Olympiade, aber immerhin eine Weltmeisterschaft. Viermal hatte man sich bemüht, immer vergeblich. Doch jetzt stimmten alle Nationen in Cancún dafür: „Das Olympische Komitee Italiens CONI, der Italienische Wintersportverband FISI, das Organisationskomitee Fondazione 2021 mit Unterstützung der Italienischen Regierung, der Region Venetien und der Provinz Belluno haben sich zusammen dafür eingesetzt, die italienische Exzellenz, Seriosität und Italiens internationale Bedeutung in der Welt des Sports weltweit zu promovieren“, so liest es sich in der abschließenden Presseerklärung. Es gab keinen Gegenkandidaten. Und wenn schon.
Den Pisten waren die vergeigten Bewerbungen egal, allen voran die Olimpia delle Tofane, auf der schon Toni Sailer seine drei Goldmedaillen einfuhr, und die jedes Jahr beim Weltcup der Damen zum Zuge kommt. Die Männer werden 2021 bei der Labirinthi an den Start gehen. Die Slalom-Strecken des Col Druscié bekommen eine neue Führung, und im Gebiet der Faloria entsteht eine Abfahrt namens Scoiattolo neu (Eichhörnchen). Zwei Wochen lang werden mehr als 600 Athleten aus 70 Nationen versuchen, 13 Weltmeistertitel und weitere 26 Medaillen zu sammeln. Es wird sowohl einen Einzel-Parallelbewerb als auch eine alpine Kombination geben. Auch der Südtiroler Christof Innerhofer will dabei sein: „Meine Idee ist es, meine Karriere mit der Ski-WM von Cortina und den Olympischen Spielen ein Jahr später zu beenden“.
Es ist die Suche nach der verlorenen Zeit, mehr als hundert Filme haben die Landschaft und die mondäne Gesellschaft von Cortina d’Ampezzo aufgenommen und verewigt: Von Erich von Stroheims „Blinde Ehemänner“, Luis Trenkers „Berge in Flamme“, Leni Riefenstahl in „das blaue Licht“, Alberto Sordi in „Luftschlösser“ bis zum „Der rosarote Panther“ mit Peter Sellers und eben Roger Moore als James Bond. Es ist lange her. Der Geschmack des geschüttelten Martini wurde im Laufe der letzten Jahre immer schaler, wurde von russischem Wodka und arabischem Arak verdrängt. Elegante Pelze und ihre Trägerinnen machten Modellen und Damen Platz, deren einziger Zweck darin besteht, den Reichtum des Mannes auf die Straße zu bringen.
Dahin, in die Zeit von Eleganz und Leichtigkeit, würde Cortina d´Ampezzo gerne zurück. Aber wie? Die Stadt will ihre Plätze aufhübschen, ein neues Zielgelände ist geplant. Das ist nicht viel. Wo heute der Radfernwanderweg „Langer Weg der Dolomiten“ verläuft, auf der Trasse einer 65 Kilometer langen Schmalspurbahn, welche die Ortschaften Toblach und Calalzo di Cadore miteinander verband, hätte eine Bahnstrecke Platz und könnte vielen Besuchern die Anreise erleichtern. Aber ob die Belluneser das schaffen, wird bezweifelt. Ein Hubschrauberlande-Platz hat bessere Chancen.
Für Bürgermeister Andrea Franceschi „ist es nicht nur wichtig, dass sich Cortina d ´Ampezzo als Tourismuszentrum präsentiert“, er möchte auch „intern durch die verbesserte Infrastruktur von der SKI-WM profitieren“. Denn auch daran, am Management, mangelt es dem laut „World Ski Award“ besten Skiresort in Italien. Dabei hat die Natur alles bereitet: drei wunderschöne Skigebiete, Faloria-Cristallo-Mietres, Tofane-Pocol, Lagazuoi-Cinque Torri, die sich zwischen 1224 und 2950 Metern Höhe befinden und 72 Pisten mit 120 km Länge haben, darunter blaue, rote und einige anspruchsvolle schwarze. 95 Prozent der Pisten sind mit Beschneiungsanlagen ausgerüstet. Cortina d´Ampezzo hat genug, um den alpinen Skifahrer glücklich zu machen. Aber das Skifahren ist für seine neuen reichen Gäste nicht das Wichtigste. Wichtiger als Skifahren ist das Wissen, es zu können, wenn man wollte. Denn genau das verleiht das Gefühl des absoluten Luxus´, nicht wollen zu müssen, sich nicht mit Skipässen und in Aufstiegshilfen zu stressen. Der Urlaub der Ultra-Reichen folgt eigenen Gesetzen.
Dort, wo Ernest Hemingway, Frank Sinatra, Brigitte Bardot, Sophia Loren, James Bond, Silvester Stallone oder George Clooney ihre schönsten Tage des Winters verbrachten, wollen heute russische Oligarchen, arabische Ölmilliardäre und nur noch wenige europäische Film- und Politik-Notabeln ihren Lebensstil pflegen. Und dazu gehört etwa, abends nicht gesagt zu bekommen, dass leider kein Tisch frei ist. Wenn man schon im Hotel Cristallo 10 000 Euro für die Frank-Sinatra-Suite auf den Tisch gelegt hat, nicht um sie zu kaufen, sondern um dort zu schlafen – eine Nacht. Solche Probleme suchen nach Lösungen und schaffen Jobs. Paolo d’Amico und Luca Magro, zwei in Italien berühmte und beliebte Ski- bzw. Rodelathleten haben mit ihrem „Cortina White Team“ eine Marktlücke entdeckt und sogleich geschlossen. Auf einer Homepage in Italienisch, Englisch und Russisch bieten sie ihre Dienste an – vom Skiunterricht über Touren mit dem Helikopter bis hin zu der „bereits im Sommer“ arrangierten Restaurant-Reservierung für den Winterurlaub.
„Natürlich vollzieht sich das meiste am Telefon. Es ist nicht ungewöhnlich, dass uns Sekretärinnen aus Moskau, London und sonst wo im Minutenabstand anrufen, um für einen Gast, dessen Name nicht genannt wird, der mit dem Privatflugzeug nach Venedig kommt, die Anreise mit dem Hubschrauber von dort und dann dessen gemütlichen Aufenthalt in Cortina zu organisieren. Um seine Bewacher müssen wir uns natürlich auch kümmern.“ Luca erzählt mit Begeisterung. Das jedoch macht es für andere zur Kunst, in einem der Hotels ein Bett zu finden, das man bezahlen kann.
Wer sich nicht nur abends auf dem Corso D´Italia, Einkaufsmeile und Laufsteg der Nerzträgerinnen, bewegen, wer tagsüber sportlich sein will, kann die Angebote, geleitet durch Paolo d’Amico und Luca Magro, nutzen, etwa die Schneeschuhwanderung auf den Spuren des „Grande Guerra“, wie die Italiener den 1. Weltkrieg nennen. Oder die „Super8 Skitour“ über acht Berge – Tofana, Pelmo, Civetta, Marmolada, Fanes, Averau, 5 Torri, Conturines – und ebenso viele Berghütten. Für die abgearbeiteten Beine gibt es dann Spas und Wellness ohne Ende, etwa im Faloria Mountain Spa Resort mit einem 850 qm großen Hallenbad.
Da man – als Normaltourist – in den angesagten Restaurants und Bars ohnehin keinen Platz bekommt, investiere man seine Zeit des Nachmittags besser, Meisterwerke des 20. Jahrhunderts im Museo d’Arte Moderna zu bewundern. Im Museum sind nicht nur Exponate aus der permanenten Sammlung zu sehen: Jährlich organisiert das Museum Ausstellungen. Und nach dem Museumsbesuch lockt ein abendlicher Bummel auf dem Corso Italia, der Nobelmeile von Cortina d’Ampezzo. All dies gelingt ohne die Hilfe von Paolo und Luca, die genauso wie wir einen entspannten Abend im Kreise der „Normalen“ genießen wollen, und von ihren großen Tagen als Sportler und von der Olympiade 1956 erzählen.
Cortina d´Ampezzo hat stets versucht, von außen Geld, Glamour und Ruhm anzulocken. Selbst dazu getan hat eine stolze Bürgerschaft außer Versprechen und Nostalgie wenig. So gingen alle Bewerbungen daneben. 2013, 2015, die Ski-WM 2019 wurde ins schwedische Åre vergeben. Für die WM 2017 zog man sich sogar vor der Stimmangabe zurück, weil das Dossier unvollständig war. Nun also 2021. Da gab es keine Mitbewerber. Ob die James-Bond-Experience zurückkehrt oder eine zeitgemäße Version davon? Zu wünschen wär´s.