Besuch am Ende der Welt in der Antarktis
Nur die Nasenspitze ist zu sehen: Dunkle Sonnenbrille, Wollmütze und roter Schal verdecken Victors Gesicht. Mit dem rechten Fausthandschuh schiebt der junge Philippino den Gashebel zügig nach vorn. Das an der Tender Plattform der MS Fram liegende Polar-Circle-Boot rauscht mit bald 25 Knoten davon. Eisig der Fahrtwind. Ab und zu ein Ruckeln – kleine Treibeisscholle gerammt. Wir sind auf dem Weg zur ersten Anlandung in der Antarktis.
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alle Fotos Norbert Linz
Half Moon Island, klein und sichelförmig mitten in den Südshetlandinseln gelegen, empfängt uns spröde, trüb das Wetter. Keine Pinguine am Kiesstrand, dafür Karin Strand, die norwegische Expeditionsleiterin. Mit strahlendem Lächeln gibt sie auf Deutsch Erkundungstipps: Durch den tiefen Schnee den Hügel hinaufstapfen zu den bizarren vulkanischen Felsformationen. Auf den schneefreien Stellen davor nisten die relativ kleinen Zügelpinguine zu Tausenden.
Zuvor auf dem Schiff hatte Petra Glardon, eine Schweizer Zoologin, in ihrer Einführung betont: „Zu den Pinguinen mindestens fünf Meter Abstand halten!“ Und für die von ihnen in den Schnee getrampelten Highways gilt: „Pinguine haben Vorfahrt!“ Dies ist im Sinne der für umweltverträgliches Reisen eintretenden IAATO, der internationalen Vereinigung der Antarktis-Reiseveranstalter. Ihre Mitglieder haben sich auch verpflichtet, nicht mehr als hundert Personen gleichzeitig an Land zu schicken.
In begrenzter Zahl und mit den guten Vorsätzen im Kopf geht es los. An zwei Weddellrobben vorbei hinauf zu den Felsen. Der Schnee knirscht, der Wind pfeift. Oben in der Kolonie der Zügelpinguine herrscht Trubel. Die Frackträger gehen wenig zimperlich miteinander um. Steinchenklauen ist nur ein Kavaliersdelikt. Da stehen doch drei Herren um das aus vielen Steinchen aufgebaute Nest einer brütenden Kollegin. Mit Schnabelhieben verteidigt sie ihren Untersatz. Dann hat es wieder einer geschafft. Mit dem erbeuteten Stein im Schnabel watschelt er zu seiner Angebeteten und legt ihr den Nestbaustein zu Füßen. Wenn das kein mutiger Liebesbeweis ist …
Hochgereckt rudern einige mit ihren Flügelstummeln, krächzen und trompeten aus vollem Hals. Der dabeistehende bärtige Polarbiologe Axel Krack erklärt: „Mit ihrem exzellenten Gehör und ihrem Lautgedächtnis können Pinguine ihren letztjährigen Partner unter Tausenden herausfinden.“ Überall balzende Paare: Ausdauernd mit ihren Hälsen in rhythmischen Synchronbewegungen schwingend schreien sich die beiden Hochzeiter an. Axels Kommentar: „So trainieren sie die Merkfähigkeit ihres individuellen Ruf-Repertoires.“
Am nächsten Tag Bilderbuchwetter – stahlblauer Himmel, grelle Sonne, windstill, plus 3 Grad. „Gar nicht so häufig“, freut sich der renommierte kanadische Ornithologe und Fotograf John Cardine. Er muss es wissen, schließlich war er über sechzig Mal in der Antarktis … Wir stehen mit ihm an Deck. Kapsturmvögel und Albatrosse umkreisen die MS Fram. Es hat sich über die Gerlachstraße der Antarktischen Halbinsel genähert und ist nun eingebogen in den engen Errerakanal. Ganz nah markante Bergprofile, die Hänge blendend weiß, dazwischen bläulich schimmernde Eisfronten. Eine grandiose Landschaft. In einer kleinen Seitenbucht kalbt donnernd ein Gletscher.
Endlich vor uns die weite Bucht von Cuverville Island. Die winzige Insel führt die Liste der „Top Five“ an, der meistbesuchten Touristenziele in der Antarktis. Im Gegenlicht zeigen die im flachen Wasser gestrandeten Eisberge ihre beeindruckend blauen Schattenprofile. Zu beiden Seiten der Anlandungsstelle riesige Kolonien von Eselspinguinen – etwa fünftausend Paare. Die bis zu 80 cm großen Tiere sind erstaunlich zutraulich. Unbekümmert unterschreiten sie die von uns eingehaltene Fünfmeterdistanz, trippeln heran und schauen fragend schräg nach oben, mal von links, dann von rechts. Wehe, sie entdecken Schuhe oder einen am Boden abgelegten Rucksack in gelblicher Farbe. Ohne Scheu kommen sie und haken mit Ihren Schnäbeln darauf herum.
Täglich gibt es zwei Anlandungen rund um die Westküste der Antarktischen Halbinsel. Dazwischen spektakuläre Fahrten, etwa durch die von steilen Felswänden und Hängegletschern eingerahmten Neumayer- und Lemaire-Kanäle. Ab und zu macht sich ein Zwergwal mit seiner Nebelfontäne bemerkbar.
Viel besucht ist auch Port Lockroy, die ehemalige britische Forschungsstation „Base A“ auf der Goudier-Insel. 1962 aufgegeben wurde sie fast vierzig Jahre später durch engagierte Briten in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt und ist seither als Museum zugänglich. Hier hausen die drei Betreuer in einem Zimmerchen, von November bis März. Studentin Alena aus London steht im Shop, verkauft Souvenirs und Briefmarken – die offizielle britische Poststelle verschickt jährlich über 70.000 Ansichtskarten. Die Engländerin will mithelfen, historische Stätten in der Antarktis mit diesen Einnahmen zu erhalten.
Wie Alena erzählt, untersucht man hier seit gut fünfzehn Jahren den Einfluss der Touristen auf die Eselspinguine. Dazu ist der hintere Teil der kleinen Insel für Besucher gesperrt. Die kontinuierliche Zählung der Nester und Eier in beiden Zonen ergab: Dort, wo die Menschen Zugang haben, brüten mehr Pinguine. Vermutlich vertreibt die Anwesenheit der Touristen die Skuas, jene Raubmöwen, die es auf die Eier und Küken der Pinguine abgesehen haben.
Port Lockroy hält Kontakt zu der nur 70 Kilometer südwestlich gelegenen ukrainischen Forschungsstation Vernadsky. Auch sie wurde von den Briten gegründet, aber 1996 symbolisch für ein Pfund an die Ukraine verkauft. Maßgabe war, die bisherigen Messreihen fortzusetzen. Schließlich hatte man hier das Ozonloch mit entdeckt. Schon von weitem sieht man die blaugelbe Ukraine-Flagge über dem riesigen Dieseltank, der mit Palmen bemalt ist. Vor dem Hauptgebäude, natürlich in Blaugelb, ein Städte-Wegweiser: ganz oben Kiew 15168 km. Am Hauseingang stehen die Koordinaten der Station: 65º 15´ S und 64º 16´ W. Der südlichste Punkt der Reise ist erreicht.
Gastfreundlich empfängt der Techniker Bohdan. In Socken geht es durch das zweistöckige Haus. Küche und Gemeinschaftsraum, enge Kojen, Labore und Messstationen – alles recht spartanisch. Und was machen die Ozonwerte? Bohdan wiegt den Kopf: „Schwankend – noch keine klare Tendenz.“ Der Geowissenschaftler Stanislav ist „Base-Commander“. Von seinen dreizehn Mann seien acht wissenschaftlich tätig, erklärt er. Keine Frauen? Schmunzelnd verneint er: „Auf so engem Raum schafft dies eine zu dramatische Atmosphäre!“
Unbestritten das Zentrum im Obergeschoss ist die bekannte „Pinguin-Bar“. Nicht nur, dass sie die südlichste der Welt ist, von den Vorgängern als original englisches Pub eingerichtet, mit Billardtisch und Dartboard. Hier wird auch selbst produzierter Horilka, ukrainischer Wodka, ausgeschenkt für zwei Dollar das Gläschen. Der Clou: Frauen, die ihren BH da lassen, bekommen einen Doppelten gratis. An der Barwand sehen wir die Trophäen hängen … Barkeeper Yaroslaw schmunzelt. Er hebt das Glas: „Na zdorov´ya“ – auf die Frauen! Warm rinnt der Horilka durch die Kehle. So lässt es sich auch in der unwirtlichen Antarktis aushalten.
Info
Eine Reihe von Reiseveranstaltern bieten Schiffsfahrten in die Antarktis an. Hurtigruten setzt die speziell für die Eismeere gebaute MS Fram (Eisklasse 1 B mit 136 Kabinen) auf verschiedenen Routen in der Antarktis ein. Die Fahrten dauern 14 bis 20 Tage und beginnen in Ushuaia, der südlichsten Stadt Argentiniens auf Feuerland. hurtigruten.de
Beste Reisezeit: November bis Februar (Südsommer!). Temperaturen zu dieser Zeit in den Küstenregionen meist einige Grad unter 0, teilweise auch kälter.
Ein von einem Arzt unterschriebenes Zeugnis über den Gesundheitszustand wird von den Reiseveranstaltern verlangt.