Boulets im Lequet, Schokolade im Le Carré Noir, Peket im La Maison du Peket, Sterneküche ohne Stern im L´Air de Rien, Bio-Wein und Schokolade in Chaudfontaine, prähistorisches Essen in Flémalle, prämierter Whisky aus Fexhe-le-Haut-Clocher, also alles belgische Spezialitäten. Und da ist noch mehr!
Text und Fotos © Wolfgang Grüner
Von Köln bis Lüttich ist es mit dem formidablen Thalys-Zug nur eine Stunde, leider. Man hat kaum Zeit das ansprechende Frühstück im Zug in aller Ruhe zu genießen, da muss man schon wieder raus. Allerdings entschädigt dann der herrliche Calatrava-Bahnhof Liége-Guillemins mit seinem kühnen Anblick. Von hier bis in die Stadtmitte kann man im Auto im Stau stehen, oder den sehr rumpeligen Bus nehmen, nicht immer sind die Straßen in gutem Zustand. Oder man wählt die weitaus schönere Variante, man fährt mit dem Schiff. Ein kurzer Weg zu Fuß zum Ufer der Maas und da wartet schon eines der beiden Schiffe. Die „Vauban“ und „Atlas V“ bedienen täglich von April bis Oktober von 10-18 Uhr abwechselnd sechs Haltepunkte an beiden Maasufern. Die befinden sich an stark frequentierten Plätzen und Tourismusattraktionen: die wichtigen Museen wie das Aquarium-Museum, die Museen La Boverie, Grand Curtius, das Wallonische Museum für Volkskunde, natürlich das Stadtzentrum und den volkstümlicheren Stadtteil Outremeuse. Die Abfahrtzeiten sind stündlich und die Tarife demokratisch: 1 € pro Haltepunkt und 8 € Tagespauschale. Entspannter kann man in Lüttich nicht einfallen.
„Seulement pour les vacances!“ Mit diesem Satz belügen sich gegenseitig im Film „Tod auf dem Nil“ aus 1978 David Niven als Colonel Race und Peter Ustinov als der belgische Detektiv Hercule Poirot über den Zweck einer Nil-Kreuzfahrt. Und was hat das mit Schokolade zu tun? Ganz einfach, den markanten Bart von Poirot kann man kaufen, in Schokolade gegossen, dazu noch die Versionen von Chuck Norris und Albert Einstein. Als sei das nicht genug, auch noch „Münder“ und „Einhorn-Furze“, dazu viele andere prämierte Kreationen belgischer Pralinen, gefertigt mit Kakaosorten aus aller Welt, bevorzugt aus Vietnam. Hochwertige Schokoladenprodukte auf der Basis außergewöhnlicher Zutaten und besonderer Ideen.
Hergestellt wird das im „Carré Noir“, En Neuvice 29, von Mélanie Lemmens. Das alles kann man sich im kleinen Laden ansehen, oder dort gleich einen Kurs zur Schokoladenherstellung machen und dabei die ganze positive Ideologie die dahinter steckt, kennen lernen. Ein Traum für Liebhaber außergewöhnlicher Schoko-Variationen, auch Designer kommen ins Schwärmen. Wie es, gefühlt an jeder dritten Ecke, in Lüttich überall Schokoladengeschäfte gibt, der süßen Versuchung kann man kaum entrinnen.
Es sei denn, man will etwas Deftiges essen und betritt eines der vielen Restaurants wie z.B. am Quai sur Meuse 17, das „Chez Stockis – Lequet“. Irgendwann hat man das mal nett eingerichtet, das ist aber schon sehr lange her, bestimmt macht gerade das den speziellen Reiz aus. Der Chef (?) ist groß, omnipräsent und hat eine sehr laute Stimme der man wohl besser nicht widerspricht. Man bestellt natürlich „Boulets-Frites“. Auch „Boulet sauce Lapin“ oder „Boulet sauce Chasseur“ genannt, ist die Bulette nach Lütticher Art wohl das typischste Gericht der Provinz Lüttich. Es handelt sich konkret um eine oder zwei große Buletten, welche mit Hackfleisch vom Schwein und Kalb oder vom Schwein und Rind, Brotkrümeln, Schalotten und Petersilie zubereitet werden, denen während des Kochens Lütticher Sirup und Lorbeer beigegeben werden. Die Sauce heißt Lapin, aber enthält kein Kaninchen. Sie wird nach ihrer Erfinderin Frau Géraldine Lapin benannt.
Eine richtige Institution in Lütticher Gaststätten und Imbissen, in ganz Belgien bekannt, wird dieses Gericht traditionellerweise mit Fritten, Mayonnaise, schwach gewürztem Gemüse oder Apfelkompott serviert. Wie für alle traditionellen Gerichte gibt es etwa gleich viele Rezepte wie Personen die es zubereiten, jeder ergänzt es noch auf individuelle Weise. Das gilt auch für die Pommes, handgeschnitten müssen sie sein und zwei Mal frittiert, dann sind sie richtig, dazu ein Bier. Der rundliche Kellner notiert die Bestellung ganz einfach: „Wer will keine Boulets, oder nur eine?“ Das Bier kommt schnell und bis die Boulets da sind, kann man sich die mit allerlei Krimskram dekorierten Wände ansehen. Undefinierbare Musik hört man erst dann, wenn die fabelhaften Fleischkugeln verzehrt werden und mancher ärgert sich jetzt vielleicht, nur eine davon bestellt zu haben, obwohl sie recht mächtig sind, noch ein Bier hilft.
Es ist später Mittag, da geht auch schon ein Schnaps, also her mit dem Stadtgetränk Lüttichs, dem mit Vol. 30% eher milden Peket. Pur trinkt man ihn kaum, gemischt aber in eigentlich allem was irgendwie flüssig ist. Dafür gibt es sogar eine eigene Abfüllstation, eine Mischung aus Hotel, Restaurant, Bar und Lokal, das „Maison Peket“, Rue de L´Epée 4, neben dem Rathaus mitten im Zentrum von Lüttich. Draußen sitzt man sehr schön, schon früh am Tag ist kaum ein Platz frei. Wir bestellen „Pekets Fruites“ -Obst soll ja auch sehr gesund sein-, also Schnaps mit Saft von Zitrone, Erdbeere, Kiwi, Cassis, Schokolade, Orange, Feige usw., insgesamt 9 schön bunte Gläser, so kann jeder alles probieren. Verwegene bestellen auch schon mal die große Runde, 27 Versionen, für sich alleine. Wem das nicht reicht, die Auswahl an raffinierten Versionen oder gar flambiert, ist noch erheblich größer, die Schwierigkeiten danach sicher auch.
Das Wort Pèkèt bedeutet in der alten wallonischen Sprache „pikant“, nach anderen Quellen stammt dieses Wort aus der Sprache der Houilleux (Bergleute). Zweifelsfrei kommt es vom wallonischen Wort „pèke“, was in gewissen Regionen der Wallonie „Wacholderbeere“ bedeutet, der Name ging dann auf den Branntwein über. Pèkèt ist ein Getreidedestillat aus der Maasregion, mit eben diesen Beeren gewürzt, die ihm den bei Kennern, die ihn ohne Zusatz trinken, den sehr geschätzten charakteristischen, aber eigentlich unaufdringlichen, Geschmack gibt. Das Maison du Pèkèt ist einer der Lieblingsorte der Lütticher – und der Touristen.
Etwas Süßes darf bei der notwendigen Bewegung nicht fehlen und es geht sich tatsächlich besser mit einer leckeren Waffel in der Hand. Die berühmte dicke Lütticher Waffel mit tiefem Muster wird aus einem fermentierten Hefeteig hergestellt, darauf Hagelzucker und immer buttertriefend. Traditionellerweise hat sie keine Ecken und wird an den mobilen Ständen warm gegessen. Lütticher Waffeln streiten sich mit den Brüsseler Waffeln darum, typisch belgisch zu sein.
Inzwischen hat die Bummelei auch ein Ziel gefunden, links neben den 1881 erbauten 374 Stufen der riesigen Treppe „Montagne De Bueren“, liegen etwas oberhalb die Terrassen des „Impasse des Ursulines“ samt üppigen Park, die einen fantastischen Blick über die Stadt bieten. Auf dem Hügel lädt die Mikrobrauerei Curtius ein in die „Brasserie C“ zur Bierprobe.
Der schöne Biergarten im lauschigen Innenhof eines ehemaligen Klostergebäude aus dem 17. Jahrhundert, am Fuße des Berges Buchen, ist dafür ein idealer Ort. Der Kellner bringt gleich 8 verschiedene Biere, als Erstes das schon nach kurzer Zeit zum „Stadtbier“ von Lüttich gewordene „Curtius“, das mir auch am Besten schmeckte. Die anderen Biere bieten eine Auswahl ziemlich differierender Geschmacksvariationen, jede Sorte findet seinen Liebhaber, wie auch ein Blick auf die anderen Tische zeigt. Ich bin da ehe puritanisch, ein dunkles „Leffe bruin“ oder ein „Bière Trappiste “ wären mir lieber.
Es geht zurück ins Zentrum, ein wenig ausruhen im Hotel „Neuvice“, En Neuvice 45. Es befindet sich in der ältesten Fußgängerzone aus dem 12. Jahrhundert, nur ein paar Schritte vom Place du Marché und dem Rathaus entfernt, näher zum Zentrum der Stadt kann man kaum wohnen. Trotz der belebten Umgebung ist es verblüffend ruhig im Zimmer, man kann auch ganz entspannt im kleinen Innenhof bei einem Gläschen sitzen. Das Hotel, das sich in drei historischen Gebäuden um einen begrünten Innenhof befindet, war zu Beginn des 18. Jahrhunderts der Wohn- und Arbeitsort von Jean-François Bassompierre (geb. 1709), Meister-Drucker des Fürstbischöflichen Lüttichs und Buchhändler, bekannt aus Diderot, Voltaire und Marmontel.
Inzwischen hat man die Häuser natürlich vorsichtig renoviert, sie auf den heutigen Stand von Komfort und Technik gebracht, dabei aber die typische Holzarchitektur aus dem frühen 18. Jahrhundert erhalten. Was allerdings auch bedeutet, das alles sehr verwinkelt ist und jedes der 10 Zimmer anders aussieht, es viele Treppen gibt und keinen Aufzug. Im ehemaligen Atelier, wo auch so merkwürdige Titel gedruckt wurden wie: „Der führende Engel in der christlichen Hingabe, in der Praxis zugunsten frommer Seelen reduziert“ oder „Das Huhn hat meine Tante“, gibt es heute ansprechendes und variationsreiches Frühstück. Ein wirklich schönes Hotel, weil doch etwas anders als üblich.
Zum Abendessen soll es etwas Besonderes sein, dazu fahren wir gut 20km hinaus aus der Stadt, unterwegs gibt es nichts zu sehen was sich lohnen würde und nach einer halben Stunde hat das Nichts auch einen Namen: Fontin. Zu der kleinen Ortschaft gibt es tatsächlich auch gar nichts zu sagen, außer zu einem kleinen unscheinbaren Bruchsteinhaus. In dem hat es gerade mal ca. 20 Sitzplätze im kaum wohnzimmergroßen Raum und rund um die paar Tische ist das Restaurant „L´Air de Rien“, Chemin de la Xhavée 23. Gewagt könnte man den Namen mit „Viel Wind um Nichts“ übersetzen, oder „als wäre nichts gewesen“. Nach dem Essen weiß man, genau das Gegenteil ist der Fall. Das schließt demnächst auch schon wieder, wird aber im gleichen Ort, nur größer, neu eröffnet.
Definiv liegt das am Küchenchef Stéphane Diffels, ein stiller, zurückhaltenden Mann von fünfundvierzig Jahren, der irgendwie, nach diversen anderen beruflichen Tätigkeiten, dann Koch geworden ist, ein Spätberufener also. Im „Nichts“ lebt er seine Kochideen aus die von der Auffassung geprägt sind, radikal regional zu sein, puristisch, ohne viele Gewürze, also aus den Produkten den reinen Geschmack heraus zu holen und zu erhalten. Dabei kombiniert er, manchmal überraschend und fast seltsam, ganz banale Produkte miteinander und erreicht so neue und ungewöhnliche Geschmacksvariationen. Dabei arbeitet er viel mit Kräutern und alten Techniken wie Fermentieren, Beizen, Räuchern und Einlegen. Natürlich gibt es nicht alles im 50 km Umkreis, diverse Fische und einige Öle haben schon einen längeren Weg. Gäbe es sie da, würde er sie verwenden.
Stéphane Diffels sagt dazu: „Manchmal stehe ich vor einem Produkt wie z.B. Gartengemüse und Wildpflanzen und warte darauf, was es mir jetzt sagt, hoffe auf eine Inspiration. Dabei überlege ich aber auch schon was ich damit machen kann, um es in der Zeit in der es dieses Produkt nicht gibt, es auch noch so servieren zu können“. Dieser etwas archaische Gedanke einer Vorratshaltung -in den Zeiten einer eigentlich unbegrenzt ständigen Verfügbarkeit von fast allem-, die sparsame Verwendung würzender Elemente, die man früher meist nicht hatte, oder auch gar nicht kannte, läuft bei mir einfacher formuliert auf die schlichte Aussage „Bei Oma hat es immer am Besten geschmeckt“ hinaus. Diffels würde dem bestimmt zustimmen.
Die Gerichte sind immer recht klein, hier findet man tatsächlich mal die einzelne Bohne auf dem Teller oder Löffel. Das aber ist richtig gut, so kann man die beabsichtigte Intensivierung des immanenten Geschmacks besser erleben. Dafür erschlägt dann einen fast die Vielzahl der servierten Variationen, ein schöner Tod immerhin. Es gibt aber auch Menüvariationen mit weniger Gerichten, ein Erlebnis allemal ist natürlich die öfters wechselnde große Tour. Die beginnt mit gekochtem jungem (kleinen) Kohl auf Brot mit diversen frischen Kräutern und etwas geräucherter Forelle. Gefolgt von flachen Stücken geräucherter Kartoffel mit Kohlrüben und Linsen, Schellfisch mit Kerbel und Gänseleber mit Schalotten. Weiter mit auf einem Löffel aufgehäufter kalter Reismeldesamen, besser bekannt als Quinoa, darunter versteckt sich warme Chorizo-Wurst, dem folgen ein Sauerteigbrötchen mit grünem Spargel.
Mit Grün geht es weiter, Dillstängel passen gut zur rosa Oberfläche aus Radieschen, darunter ein Ricottatörtchen. Zu einem Kreis gerollter weißer Spargel schützt milde gegarten Rettich, dekoriert mit Kräutern und einer Art kleiner Beeren, oder Rosenknospen? Man erfährt nicht immer alles. Definitiv ist das Folgende ein glasiges Stück vom Dorsch mit Rhabarberstreifen in milder Brühe, die gibt es auch frisch und heiß dazu am Tisch über kleine Tintenfische und Liebstöckel. Kleist war nicht nur um das Jahr 1800 ein außergewöhnlich begabter Literat, sondern ist auch ein anderer Name für den Fisch Glattbutt, der hier eine innige Verbindung mit Fenchel, Dill, Blüten und Brühe eingeht. Helle Creme und gelbe Blätter verbergen danach ein Stück Hummer, es gibt also immer etwas zu entdecken. Rote Beete färbt einen dezenten Molkeschaum um ein knuspriges Stück Kalbsbries, auf dem nächsten Stein kommen gerollte Zucchinistreifen, daneben weißes Hähnchen mit Estragon, grünem Spargel, diversem anderen Gemüse an hellem Schaum, überstreut mit knusprig gerösteten, ja was eigentlich? Hätte besser danach noch mal gefragt.
Schön tiefgrün kommt eine Mischung aus Sauerampfer mit Dill und eine Art Cracker, bevor auf einem Karamellgitter eine Nocke aus Eis den Abschluss bildet. Kaffee, Liköre, Pralinen folgen noch für den, der noch etwas hineinbekommt. Sicher habe ich beim umfangreichen Menü einzelne Komponente vergessen oder falsch zugeordnet, der ausgezeichnete Geschmack hat einfach die Chronistenpflicht überwogen, Genuss kommt eben vor Genauigkeit, Zeit für eine Bewertung.
Das Spiel der Texturen, präzises Kochen, das Offenlegen des Eigengeschmacks, eine vorsichtige Verfeinerung der Aromen und eine konzentrierte Präsentation, dazu ein verlockender Duft, ergeben im Zusammenspiel eine stimmige Harmonie, die Einfachheit wird zur Sensation. Wer die Freude an Entdeckungen, an einem sich langsam entwickelnden Menü noch nicht verlernt hat, kann sich bei Diffels und seinem Team nur wohl fühlen. Da ist alles hausgemacht im wirklichen Sinne, die kulinarische Geschichte einer Region öffnet sich dem Gast, woanders als hier in der Gegend würde das vielleicht auch gar nicht so funktionieren. Ein leiser Kritikpunkt sei doch noch angemerkt, an der Weinbegleitung sollte noch etwas gearbeitet werden, es gibt sicher einige besser passende Möglichkeiten. Nach einem Michelin-Stern für „L´Air de Rien“ sucht man vergebens, das Restaurant hat leider keinen. Für mich unverständlich, wo sind die Sterndeuter, wenn man sie mal wirklich braucht?
Noch etwas muss erwähnt und gelobt werden, es gibt eigentlich keine Teller im Restaurant, fast alles wird auf oder im Stein serviert. Chef Diffels sagt dazu: „Die Steinplatten die wir im Restaurant haben sind nur für uns gemacht. Wir haben sie in Zusammenarbeit mit Sandrine Bauer,Chefin und Designerin der Firma „Rolling Stone“ (pierrequiroule-design) entworfen“. Genauer gesagt ist das Material „Belgischer Blaustein“, ein blaugrauer bis anthrazitfarbener Kalkstein. Er zeigt granitähnliche Muster, weshalb er oft -fälschlicherweise- als Belgischer Granit bezeichnet wird. Im Stein selber findet man viele Fossilien. Der Blaustein lässt sich gut verarbeiten und sowohl im Innenbereich als auch außen einsetzen. Und das lässt sich, in vielen schönen und sehr praktischen Formen, im Restaurant erleben. Allein schon ein Grund dahin zu gehen, wenn man sich denn recht- und frühzeitig angemeldet hat. Das ganz dicke Portemonnaie muss man für das Restaurant übrigens nicht mitnehmen.
Der nächste Morgen treibt mich wieder hinaus aus der Stadt in Richtung des Ortes Chaudfontaine. Auf dem Weg dahin, oft an den Ufern der Maas, finden sich riesige Industrieanlagen, mal noch in Funktion, mal schon stillgelegt. Quellen der früheren Bedeutung der Wallonie und Lüttichs als Zentrum von Kohle- und Stahlindustrie. Hier bieten sich ungeheuer gute Möglichkeiten für Planer und Architekten die unschöne Gegend aufzuräumen, zu entkernen, den Müll weg zu bringen und hübsche Wohn- und Parkanlagen neu zu schaffen. Nebenan in Luxemburg gibt es dafür sehr schön gelungene Beispiele, gut, die haben auch mehr Geld.
Inzwischen ist Chaudfontaine, genauer die Rue des Anglais 30C, erreicht und dort auf einem der Abhänge von Vaux-sous-Chèvremont am “Haie du Loup” ist ein Weinberg und das Weingut „Septem Triones“ von Jean Galler, dem „Schokoladen-König“ von Belgien. Mit 21 Jahren gründet er sein Unternehmen. 35 Jahre später sind die Grundsteine immer noch die gleichen: Leidenschaft für Schokolade, Liebe zur Perfektion und immerwährende Kreativität. Mit einem Team von mehr als 100 Mitarbeitern entwirft, produziert und verkauft er Pralinen, Eis, Backwaren, gefüllte Schokoladenriegel, wie auch Tafeln, Katzenzungen, Streichpasten, Häppchen usw. Schokolade von Galler ist auf dem belgischen Markt und an vielen Stellen der Welt präsent und begehrt. Mit viel Leidenschaft präsentiert er seine Erzeugnisse, sehr zu Freude meiner Mitreisenden darf auch wieder reichlich probiert werden, mich interessiert aber etwas ganz Anderes.
Justine und Jean Galler, Vater und Tochter, haben das Abenteuer gewagt in Belgien Wein anzubauen, sie fanden, die ausgesuchte Gegend eignet sich wunderbar für Weinstöcke, denn die Region hat ein außergewöhnliches Klima, wie im Burgund vor 100 Jahren. Tatsächlich gibt es im übrigen Land auch noch einige andere Weinberge. Angebaut werden hier u.a. folgende Sorten: Chardonnay, Cabernet Franc, Pinot Blanc, Gamay und Pinot Noir. Die Philosophie von Vater und Tochter zur Erzeugung der Bio-Weine lässt sich kurz zusammenfassen: Respekt für die Natur und ihr Gleichgewicht. Dabei ist Biodiversität innerhalb und außerhalb des Anwesens essentiell für das Gleichgewicht der Reben. Die Anbaumethode ist anspruchsvoll, sie umfasst nicht nur die Praktiken des ökologischen Landbaus, sondern berücksichtigt auch die verschiedenen planetarischen und stellaren Rhythmen. Der Boden ihres Weinbergs besteht aus bröckeligem Schiefer, die Wurzeln haben es schwer, sich darin zu bewegen, jeder Zentimeter ist eine Herausforderung. Auf der anderen Seite können die Wurzeln im brüchigem Schiefer einige Meter tief gehen, wodurch die Rebe gut die ursprünglichen Mineralien ihres Terroirs verstoffwechseln kann. Die ganz besondere Bodenabdeckung besteht aus lebenden Holzspänen, die 3 Wochen fermentiert werden und 3 Monate ruhen, ein 7 cm dicker Teppich dieses “grünen Goldes” wird einmal im Jahr über den gesamten Weinberg verteilt und erzeugt so wertvolle Prozesse für die harmonische Entwicklung der Rebe.
Resultierend daraus besteht für den erzeugten Wein keine Notwendigkeit Hefen hinzuzufügen, weil der Wein selbst natürliche Hefen entwickelt und auch natürlichen Schwefel, der den Wein vor Oxidation schützt, so kommt der wahre Geschmack des Bodens in den Wein. Jean Galler: „Ein großer Wein gelingt im Weinberg, jede Behandlung im Bottichraum danach ist nur berechtigt, um kleine Fehlern zu berichtigen. In der Kellerei ist es unsere Philosophie, die Behandlung des Weines auf ein Minimum zu beschränken, also die Trauben auspressen, den Saft zu klären und dann den Wein loszulassen, er kommt von ganz allein“.
Die Erträge sind relativ klein, so um die 1000 Flaschen Weiß- und Rotwein. Einige Sorten habe ich probiert, die Geschmacksvarianten reichten dabei von „überraschend gut“ bis „na ja“. Bewusst verzichte ich auf die oft sehr blumigen -dabei meist recht wertlosen- Aussagen der tradierten Weinsprache. Es zählt eben stets der eigene Geschmack, das muss man herausfinden, immer eine schöne Aufgabe. Interessante Weine mit sehr eigenem Flair, man sollte wirklich vor Ort probieren und dann erst kaufen. Und bezahlt -wenn es überhaupt noch etwas gibt-, um 40-90 € pro Flasche, allemal wert für diese interessanten Erzeugnisse, die es seit 2014 gibt.
Nun muss etwas Essen her, daher geht es Richtung Flémale und dabei auch gleich zurück in prähistorische und nachfolgende Zeiten. Die findet man im „Archéobistro“ des Prehistomuseums in Ivoz-Ramet, Gemeine Flémale. Das ist ein pädagogisches Tourismuszentrum mit Schwerpunkt Urgeschichte, direkt vor der Höhle von Ramioul, eine reiche Fundstätte diverser Artefakte aus uralten Zeiten. Das Museum hat aber heute am Samstag zu, das Restaurant erfreulicherweise auf. Darin gibt es ganz besondere Spezialitäten, Gerichte aus verschiedenen Zeitaltern, man kann also essend auf eine kulinarische Zeitreise gehen. Die besteht aus einer Reihe kleiner Schälchen, in jedem Essen aus einer anderen Zeit. Es gibt auch eine vegane Variante, oder besser die mit Fleisch und Fisch. Diese beginnt in der Vorgeschichte mit weicher Knochenmarkpaste, rustikalem Brot und Grünzeug. Ein Schritt weiter führt in die Antike, die bietet gekochtes Schweinefleisch, gewürzt mit frischen Kräutern, Liebstöckel, Oregano, Koriander und Minze. Aus dem Mittelalter kommt süß-saueres Hähnchenfleisch mit Verjus (ein saurer Saft, der aus unreifen Trauben gepresst wird, dabei milder als Essig), verfeinert mit Ingwer und Mandelmilch. Mit dem nächsten Schälchen sind wir in der Renaissance angekommen, da haben wir Fischauflauf mit kandierter Zitrone, Safran und Koriander, um schließlich in der heutigen Zeit zu landen mit geschmortem Kaninchen, Rotwein, Mandelmilch, Majoran und frischer Minze. Als kongeniale Begleitung und sozusagen Sättigungsbeilage stehen Weizenkörner und Gemüsesprossen noch bereit. Das alles ist schon eine kleine Herausforderung die, dank der exquisiten Fähigkeiten der Museums-Küche, vollends gelungen ist. Da hat jedes Gericht wirklich seine eigenen, sehr differierenden Geschmacksnuancen, es macht Freude das zu erleben. Die Portionen sehen klein aus, machen aber in der Gesamtheit wirklich satt und vor allen Dingen sehr zufrieden, das Experiment sollte man nicht missen.
Was haben große Felder mit zweireihiger Gerste, eine Eule, ein 38m tiefer Brunnen, zwei alte Apparate, besondere Fässer, viel Handarbeit, Wissen und Begeisterung für eine Sache gemeinsam? Um diese Frage zu beantworten, geht es zu einigen fast unscheinbaren Gebäuden in der Nähe der Ortschaft Fexhe-le-Haut-Clocher, Hameau de Goreux Nr. 7. Kaum ist man da ausgestiegen liegt ein feiner Duft über dem Anwesen, das muss Whisky sein! Ist es auch, wir sind in der Destillerie von „Belgian Owl Single Malt Whisky“ angekommen und ich weiß, hier willst du nie wieder weg. Das liegt auch an der begeisternden Art von Etienne Bouillon, der leidenschaftliche Mastermind des Projekts, der füllte das erste Fass des Belgian Single Malt Whisky am 29. Oktober 2004.
Er nimmt uns mit auf einem kurzen Weg hinaus auf die riesigen Gerstenfelder des Hespengau, da wächst die Grundlage des edlen Getränks. Nach drei Jahren harter Arbeit war der erste Whisky trinkreif – und begeisterte. Seit 2010 wird die Qualitätsarbeit Belgian Owl regelmäßig mit prestigeträchtigen Preisen bewertet, wie z.B. „Bester Whisky Europas“, eigentlich kein Jahr ohne Auszeichnungen seither. Bereits damals würdigte der „Whisky-Papst“ Jim Murray in seiner „Whisky Bible“ (sehr empfehlenswertes Buch) mit einer Note von 95,5% die hohe Qualität der Produktion. 2013 ging es noch einen großen Schritt weiter in Richtung Qualität mit der Anschaffung von zwei 1898 hergestellten schottischen Brennblasen aus der ehemaligen Brennerei Caperdonich aus Speysides, Schottland. Gerste vom Feld nebenan, Wasser aus dem Brunnen auf dem Gelände, eine eigene Mühle, Fässer aus den USA in denen vorher auch schon Whisky war, kompetente Mitarbeiter und die immer treibende Kraft von Etienne Bouillon, all das verbindet sich glücklich miteinander in der Form eines edlen Getränkes.
Das muss natürlich probiert werden, engagiert und mit viel Leidenschaft präsentiert der Chef sein Produkt. Verkostet werden nur ganz geringe Mengen, wer hofft, dabei eine ordentliche Menge kostenloser Drinks zu bekommen, wird schwer enttäuscht. Der Whisky wird ohne jeglichen Zusatz -allenfalls ein Tropfen Wasser aus der Pipette darf dazu- erst ausgiebig gerochen, dann in ganz kleinen Schlucken lange im Mund gehalten, schließlich vorsichtig getrunken und der sich auftuende Geschmack lange nachgehalten. Ein Verfahren, wie es der ebenfalls häufig prämierte Liechtensteiner Brenner Marcel Telser bei Whisky auch praktiziert. Ich probiere mich durch die verschieden langen Lagerzeiten in unterschiedlichen Fässern, kein Produkt enttäuscht, jedes begeistert.
Das trifft auch auf ein weiteres Produkt „Belgian Owl Single Malt Spirit Drink“ zu, ein Destillat das keinem Reifungsverfahren unterworfen wurde, aber durch den Zusatz von Früchten und Kräutern einen ganz eigenen aromatisch-milden und samtweichen Charakter bekommt. Und was hat das mit einer Eule zu tun? Zu Beginn musste ein Name her, der auch international zieht und schließlich steht die Eule als Synonym für Wissen und Weisheit, über beides verfügt Etienne Bouillon. Und über beruhigende Mengen an Vorrat in vielen vollen Fässern, der Inhalt wird besser von Jahr zu Jahr. Unfassbar gemein, das ich nach einigen Stunden hier raus muss, zurück nach Lüttich. Aber gut gerüstet, ein erklecklicher Vorrat des edlen Getränks begleitet mich mit nach Hause. Denn da geht es leider wieder hin mit dem Thalys vom schönen Bahnhof Calatrava-Bahnhof Liége-Guillemins. Eine kurze, aber entspannende Fahrt mit einem kleinen Snack und einem leckeren Leffe-Bruin, sowie einem flüssigen Schatz in der Tasche. Ach ja, in Lüttich gibt es fantastische Käsegeschäfte, auch da muss eine gute Auswahl mit.
Die Recherche für diesen Beitrag wurde ermöglicht mit freundlicher Unterstützung von Belgien Tourismus Wallonie und Partnern.
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