Selten genug bekommt man die Gelegenheit, die wirklich wilden Gegenden der Erde kennen zu lernen. Als ich die Anfrage bekam in die Südheide zu reisen, beauftragte ich die Experten meines Beraterstabs mir ein Dossier zu erstellen. Über das Ergebnis war ich zutiefst erschrocken. Da war von unbekannter Gegend und großen lila Flecken auf der Landkarte die Rede, von Frauen die Bäume ausreißen, von unendlich großen, meist baumlosen Landschaftsflächen, auf die die Sonne unbarmherzig brennt. Weiter von undurchdringlichen Wäldern mit Wegen, die allenfalls mit Pferd und Wagen passierbar wären. Tückische Durchströmungsmoore, Flüsse ähnlich dem Amazonas oder Kongo und hohen Bergen auf denen der Sauerstoff knapp wird, erlaubten kaum ein Fortkommen. Dazu bewohnt von wilden bewaffneten Völkern mit verborgenen Königinnen, durchstreift von unüberschaubar großen Herden kleiner mit spitzen Hörnern ausgerüsteten Wildlebewesen und riesigen bis zu 1000 kg schweren Paarhufern mit starken Hörnern. Dazu noch allerhand anderes gefährliches Getier. In den verstreut liegenden kleinen Ansiedlungen soll es Eingeborene mit seltsamen Ernährungsgewohnheiten geben, die merkwürdige Feste feiern. All das impliziert immense Lebensgefahr, nicht zuletzt auch aus diesen Gründen hätte man in der Gegend schon seit langer Zeit große internationale Militärstützpunkte eingerichtet. Man riet mir zu Expeditionskleidung, sehr vorsichtigem Verhalten, Mitnahme von überlebenswichtigen Medikamenten und ganz Allgemein eigentlich gänzlich davon ab. Ich aber fasste meinen ganzen Mut zusammen und sagte zu, also auf in die Lüneburger Heide.
Text und Fotos © Wolfgang Grüner
Treffpunkt meiner wenigen mutigen Expeditionsmitreisenden war in Hannover „unterm Schwanz“ von Ernst-August. Ich dachte sofort an den aus diversen Gazetten bekannten, etwas komplizierten Ernst August Albert Paul Otto Rupprecht Oskar Berthold Friedrich-Ferdinand Christian-Ludwig Prinz von Hannover, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, Königlicher Prinz von Großbritannien und Irland, was in mir sehr erschreckende Bilder auslöste. Tatsächlich gemeint aber war der beliebte Treffpunkt vor dem Hauptbahnhof der Stadt, das Ernst-August-Denkmal, ein Reiterstandbild zu Ehren des Landesherrn des ehemaligen Königreichs Hannover, König Ernst August. Der reitet dort seit 150 Jahren Richtung Süd-West. Etwas verwirrt war ich dann über unser Fahrzeug, ganz normales Auto, kein Expeditionsfahrzeug, kein Vierradantrieb, keine Waffen im Wagen und mit Renate Rebmann eine Frau (!) als Fahrerin. Wahrscheinlich wird sich das vor Ort noch ändern. Hat sich aber nicht und über meine Bedenken wurde nur müde gelächelt, fängt ja gut an. Nach einiger Zeit bleibt die Stadt Hannover zurück, war sowieso nicht so aufregend, mehr Natur zeigt sich Fahrtrichtung Nordpol, hier in der Gegend hat viel früher mal der germanische Stamm der Langobarden gewohnt. Noch sind die Straßen passabel und wir nähern uns dem ersten Höhepunkt, dem Zusammenfluss der Ströme Wietze und Örtze in Müden, nur vergleichbar mit dem „Encontro das Aguas“ zehn Kilometer vor Manaus in Brasilien, wo Rio Negro und Rio Solimoes erst dann den richtigen Amazonas bilden. Es öffnet sich aber leider keine grandiose Wasserlandschaft, unter ein paar Bäumen plätschern zwei kleine Flüsschen zusammen, recht enttäuschend. Mein Beraterstab muss sich da irgendwie vertan haben.
Ein Dichterwort dazu: “Aber was begreift man überhaupt? Der Mensch und die Natur kommen nie überein. Wir legen immer unseren Maßstab an sie, und der ist so klein“, sagt der für die Lüneburger Heide zuständige Heimatdichter Hermann Löns, geboren 1866 in Polen, gestorben 1914 in Frankreich.
Während die gestärkte Örtze weiter träge der Aller zu fließt, bereiten wir uns auf die Ankunft bei den Kampftruppen der verborgenen Königinnen vor, dazu sollen wir den beherrschenden Kaiser über alles in Müden treffen. Dieser Ort entspricht so gar nicht meinen mir vorhergesagten Vorstellungen. Keine Frontatmosphäre am Rande der Zivilisation, sondern ein ganz normaler, sogar recht schöner Fleck mit Bauernhöfen und hübschen Häusern, deutsche Ordnung und Gemütlichkeit, dazu passend stehen mächtige Eichen herum. Vor einem dieser Häuser halten wir, der Kaiser über gut 100 Königinnen mit etwa 2- bis 5 Millionen bewaffneter Untertanen, erwartet uns. Aber nicht auf einem Thron und mit Hermelinmantel, sondern in ganz normaler Kleidung und stellt sich als Klaus Ahrens vor.
Er sei Imker, den Betrieb gäbe es seit mehr als 100 Jahren, er hätte gut 100 Bienenvölker, die zur Zeit irgendwo in Kästen in der Heidelandschaft stehen. Das erklärt mir Einiges, mein Beraterstab ist telefonisch nicht zu erreichen. Berufsimker wie ihn gibt es in der Heide nur noch zwei, dazu noch einige Hobbyimker. Interessant was Herr Ahrens zu erzählen hat. Seine Bienenkästen stehen da, wo es Blüten gibt, Trachten anwandern sagt man dazu, d.h. man fährt die Bienenkästen quer durchs ganze Land. In der Lüneburger Heide gibt es seit dem Mittelalter die spezielle Form der Schwarmbienenzucht. Das Ziel ist, möglichst viele Völker zur Heideblüte zu haben. Setzt die normale Imkerei auf sanfte Bienen, so findet man in der Heide eher wilde (also doch!), früh schwärmende Völker und einen umfangreichen Genpool. Als Erste kommen Raps-, Frühtracht und Akazienhonig, bei Fernwanderungen im gesamten Bundesgebiet wird Tannen-, Buchweizen- und Edelkastanienhonig geerntet. Im regionalen Bereich wird Wald-, Blüten- und Lindenhonig produziert. Als besondere Spezialität gelten Kornblumen-, Heide- und Scheibenhonig. Für 500 g Blütenhonig fliegen die Bienen rund 2 Millionen Blüten an. Das macht sich in Qualität und Preis bemerkbar. So darf ein Glas Honig niemals weniger als 5 Euro kosten, bei Sortenreinen- oder Heidehonig über 10 Euro. Ist der Preis wesentlich geringer, ist der Honig gestreckt, gepanscht oder verfälscht.
Der echte Heidehonig ist ein Blütenhonig der Besenheide, man erkennt ihn natürlich am feinen Geschmack und an der Schreibweise, nur wenn der Name zusammengeschrieben wird, ist zu 60% Nektar der Besenheide drin. Dazu bietet die Imkerei noch andere Honigprodukte an wie Seife, Hautcreme, Propolis (harzartige Masse mit antibiotischer, antiviraler und antimykotischer Wirkung), Met, Bonbons und eine reiche Auswahl an Bienenwachskerzen. Wir schauen uns im Betrieb um, Klaus Ahrens erklärt uns die diversen Maschinen, dabei seien die ältesten Geräte immer noch die Besten sagt er, neuere hätte er schon wieder abgeschafft. Spannend zu erfahren was alles gemacht werden muss, um ein Glas Honig herzustellen, den wir schließlich dann auch probieren können. Die regionalen Honigspezialitäten Rapshonig, Heidehonig und Waldhonig unterscheiden sich stark im Geschmack, sind aber allesamt lecker. Beim künftigen Honigkauf weiß ich jetzt, worauf ich zu achten habe. Ein paar uns beobachtende Bienen umkreisen uns draußen und wir verlassen die Imkerei, ich bin froh -trotz der Vorhersagen- das unbeschadet überstanden zu haben.
Noch ist der Tag lange nicht zu Ende, als nächsten Punkt sollen wir uns hinaus in die großen lila Flächen wagen, dort eine besonders starke Frau treffen die Bäume ausreißen kann. Später uns der Gefahr aussetzen, von riesigen Tierherden niedergetrampelt zu werden, ich bin besorgt. Aber dann auch etwas verwundert, da kommt eine eher zierliche Dame mit freundlichem Lächeln die Petra Kloß heißt, na gut, ich folge ihr in die Misselhorner Heide hier im im Naturpark Südheide. Dieses Herzstück in Niedersachsen bildet das 23.440 Ha große und fast autofreie „Naturschutzgebiet Lüneburger Heide“. Hier gibt es die größten zusammenhängenden Heideflächen Mitteleuropas, aber auch auch eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete sowie ausgedehnte Moore, Wiesen und Felder. Aber welche Pflanzen machen die Heide eigentlich aus? Calluna Vulgaris, auch Besenheide genannt, ist die in der Lüneburger Heide am weitesten verbreitete Heidepflanze und blüht für gewöhnlich von Anfang August bis Mitte September. Die weniger verbreitete Glockenheide, Erica Tetralix, blüht in der Regel deutlich früher als die Besenheide, meist bereits Mitte Juli. In diesem Jahr haben die meisten Heideflächen nur sehr kurz und ziemlich farblos geblüht, fast alles ist aufgrund des Regenmangels bereits vertrocknet.
Trotzdem zeigt uns die Natur- und Landschaftsführerin noch ein paar schön farbige Flecken und dann fordert sie uns zum „kusseln“ auf. Zum was? Ich bin sehr skeptisch, schaue mir die anderen ebenfalls Verwirrten an. Aber dann macht sie es vor und reißt Bäume aus, aber nicht die ganz großen, sondern die gerade gewachsenen kleinen Triebe. Das nennt man eben kusseln und es dient der Erhaltung der Heideflächen, ansonsten wäre bald alles Wald oder Buschwerk. Die Heideplanzen blühen erst ab dem 6. Jahr, volle Blüte ist wirtschaftlich wichtig für die Bienen, dann kümmern sich gut 40 Jahre die Schafe um die Niedrighaltung, erst danach muss der Mensch wieder mit rabiateren Methoden eingreifen. Heidelandschaft ist eben eine durch den Menschen geschaffene Kunstform der Natur, ohne diese Eingriffe würde sie ganz bald nicht mehr existieren. Ganz sicher auch, ohne die Heidschnucken gäbe es die Heide nicht mehr.
Die Sonne kommt endlich raus und einige Flächen leuchten noch schön lila, neben uns duften Wacholderbüsche mit den typischen Beeren. Wieso muss ich jetzt gerade an Gin denken? Wir wandern noch ein wenig herum oder sitzen auf einer Bank und schauen, dann geht es schon weiter. Ein gefährliches Abenteuer wartet, die Begegnung mit Hunderten von kleineren Wildlebewesen, riesige Herden ähnlich wie früher den Bisonherden in Nordamerika.
An einigen Gebäuden mitten im Nichts halten wir, ich habe mich gut geschützt, stehe hinter gleich zwei starken Zäunen, wenn es zur Stampede (unvermittelte Fluchtbewegung einer Tierherde) kommt, bin ich hoffentlich sicher. Einige lebensmüde Zeitgenossen scheren sich darum nicht, stehen völlig ungeschützt mitten im Gelände und warten auf die Herde, die dann auch kommt. Voran eine Frau (schon wieder!), die Schäferin Barbara Braun, hinter ihr fast 500 Tiere die langsam näher kommen. Alles bleibt ruhig, nur der Hütehund rennt ständig aufgeregt herum.
Ich traue mich aus meinem Schutz und sogar hinein in die Herde, doch nicht gefährlich, ganz im Gegenteil. Die Schafe sind richtig lieb, wollen geknuddelt werden und ich entdecke jede Menge Charakterköpfe, faszinierend, jede Heidschnucke sieht anders aus. Den Namen hat diese besondere Schafsrasse, deren Ursprung wahrscheinlich in den auf Korsika und Sardinien lebenden Mufflons liegt, vom norddeutschen Ausdruck „schnuckern“ (evtl. blöken) oder von „schnikkern“ (evtl. naschen). Warum werden aber jeden Abend die Schnucken eingetrieben und in Ställe gesperrt? Wusste ich doch, supergefährliche Gegend, den Massenansturm der gehörnten Tiere habe ich ja gerade noch unverletzt überstanden.
Die Schäferin erklärt es uns und ich schaue mich sofort aufmerksam um, aber außer einem kläffenden Hundeverschnitt eines Besuchers sehe ich (noch) keine Gefahr. Tatsächlich liegt es am Wolf den es wieder in der Gegend gibt, früher blieben die Tiere auch nachts draußen. Wäre heute zu gefährlich und zu teuer, Tiere zu verlieren. Eigentlich ist die Schäferei schon fast ein Zusatzgeschäft erklärt uns Frau Braun, man verdient kaum noch etwas damit, nicht mal für das Fleisch gibt es vernünftige Preise. Deswegen ist es auch kaum zu bekommen, allerdings gilt das nicht für den heutigen Abend, den wir im Örtchen Faßberg/Müden verbringen werden.
Dazu fahren wir zurück und quartieren uns in „Niemeyers Romantik Posthotel“ ein. Romantik Hotel, hier? Tatsächlich sind Romantik Hotels eigentlich Oasen der Ruhe inmitten des hektischen Alltags, die dem Gast in einer schnelllebigen Zeit die Möglichkeit zur Besinnung, Entspannung und Regeneration bieten sollen. Meist untergebracht in historischen Häusern mit Tradition und stilvoller Lebensart, kraftvoller Ruhe, entspannter Aktivität und atmosphärischer Gemütlichkeit. Dabei setzt man – wie z.B. in den „Paradores Hotels“ in Spanien- ganz auf Gefühl.
Für mich gibt es dabei immer etwas zu viel Romantik, hart an der Grenze zum Postkartenkitsch oder Landlust in Überfluss, kommt aber bei den meisten Gästen unglaublich gut an. Das Posthotel mit Postagentur gibt es schon seit 1867, ständig wurde erweitert und umgebaut. Um 1890 kamen viele Künstler ins Dorf, u.a. Hermann Löns. Das kurbelte den Fremdenverkehr in der Region an, 1949 besetzten die Amerikaner die die Luftbrücke zwischen Faßberg und Berlin flogen, das Haus. Der Fliegerhorst Faßberg war einer der wichtigsten Pfeiler der Luftbrücke. So wurde von der damaligen Royal Air Force Station die Versorgung Berlins mit Kohle sichergestellt. Insgesamt 539 112 Tonnen davon flogen britische und amerikanische Flugzeuge in die blockierte Stadt und Statistiken zählten bis zu 450 Starts und Landungen pro Tag. Hierzu gibt es sogar ein kleines Museum.
Der Chef des Hauses, Herr Niemeyer, empfängt uns in seinem Hobbyraum im historischen Kellergewölbe, dem ältesten Bereich des Hauses, also im Weinkeller mit seiner erlesene Auswahl von rund 350 Positionen aus aller Welt. Es gibt Sekt, Gespräche und schöne Aussichten auf die viele Flaschen, ein Platz zum Bleiben. Allein, das Abendessen wartet -passend- in der Schäferstube, wohlverdient nach dem strengen Tag voller Gefahren.
Es beginnt mit einem Carpaccio von der Heidschnucke, Wildkräutersalat, Kräuterseitlingen, Artischocken und altem Parmesan. Zum Hauptgericht suche ich einen Wein aus, einen trockenen 2016er Ahr-Spätburgunder vom Weingurt Burggarten aus Heppingen. Der passt kongenial zur geschmorten Heidschnuckenkeule mit grünen Speckbohnen, Pilzen und Kartoffelplätzchen, bestens zubereitet vom Küchenchef Thomas Dietz und seinem Team der Küche.
Eine hervorragende Zusammenstellung, vor allen beeindruckte der edle Geschmack des Heidschnuckenfleisches. Mich wundert sehr, warum das den Händlern nicht sofort aus der Händen gerissen wird. Wie schon gesagt, es gibt das Fleisch nicht überall, aber ist das ein Grund, aus Neuseeland eingeflogene Ware zu kaufen?
Zum Glück ist mein Zimmer eher nüchtern, kaum Romantik, deswegen schlafe ich auch gut. Doch noch ein wenig müde gehe ich am nächsten Morgen durch die Hotel-Romantik zum Frühstück, höre aus dem Saal laute Stimmen, da sitzen höhere Bundeswehrleute im Tarnanzug, die ganze Romantik ist sofort zum Teufel. Was macht die Bundeswehr in Romantk Hotels? Draußen stehen dicke Nobelmarkenautos mit laufenden Motoren, auch noch eine Viertelstunde später. Und ich habe doch Recht, die ganze Gegend ist brandgefährlich, Militär selbst im Hotel. Draußen laufende Motoren, bestens vorbereitet für den Ernstfall, um dann schnell fliehen zu können. Unser Fahrzeug dagegen steht etwas entfernt auf dem Parkplatz, wir fahren ganz ruhig los, die Fahrerin scheint Nerven aus Stahl zu haben. Hat sie nicht die getarnten Kämpfer gesehen? Wahrscheinlich war die Tarnung zu gut.
Sei´s drum, nächstes Ziel ist der „TraumzeitHof“ der Familie Reimer in Dalle. Mit einem besonderem Fahrzeug und zwei echten Pferden davor geht es zu einer Ausfahrt -wie im wilden Westen- durch den Naturpark Südheide. Die große Postkutsche bleibt aber stehen, mit der sind die Reimers mal 6000 km durch sechs europäische Länder gefahren, eine große Leistung. Wir sind nicht so viele, also rein in die kleinere Wagonette. Das ist ein Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelter offener gefederter Wagen, bei dem hinter der Fahrersitzbank auf den Seiten der Kutsche zwei gegenüberliegende Sitzbänke montiert sind. Aufenthaltsort für die nach einiger Zeit geplagten Pobacken und die nächsten drei Stunden.
Wieder völlig unbewaffnet geht es hinein in Heide und den dichten Wald, wer weiß schon, was und wer darin lauert? Aber wieder passiert nichts, außer der schönen leicht hügeligen Natur der facettenreiche Südheide mit den weitläufigen Nadel- und Mischwäldern und allerhand großen und kleinen Waldbewohnern. Über allem ein Hauch skandinavischer Atmosphäre. Die Böden, Geologie und das Relief im Naturpark Südheide sind eiszeitlichen Ursprungs. Heute durchflossen von kleine Bächen mit Fischottern, Bachforellen, Flussperlmuscheln, einem interessanten Durchströmungsmoor mit einer schier unglaublichen Pflanzenvielfalt, kleinen Seen mit Kranichen, Fischottern, Seeadler und Schwarzstörche.
Der Po macht sich bemerkbar, zudem rumpelt es oft, man muss sich gut festhalten, es wird viel erklärt, Wissen vermittelt. Aber am schönsten ist es, einfach in Ruhe die wunderbare Natur in einem der am dünnsten besiedelten Regionen in Deutschland zu genießen. Zur Mittagszeit sind wir zurück im Traumzeithof, in dem man auch schön Urlaub machen kann, Kutsche fahren lernen geht hier auch. Zudem ist der Hof idealer Ausgangspunkt für viele naturbezogene Aktivitäten, zu Fuß, mit dem Rad oder auf dem Pferd, aber am besten mit der Kutsche.
Auch der Magen meldet sich so allmählich, idealer Halt ist das Café „Ole Müllern Schün“ in Faßberg. Dort wartet die Meisterbäckerin Ria Springhorn mit preisgekrönten Torten auf uns. Bei der 1. und 2. Norddeutschen Tortenmeisterschaft auf der Landesgartenschau in Winsen an der Luhe konnte sich vor einiger Zeit die kreative Frau mit einer Erdbeer-Schmand Torte und einer Sanddorn-Champagner-Charlotte-Torte jeweils an die Spitze setzen.
Aber erst mal gibt es etwas Herzhaftes, ein feiner strammer Max bzw. ein Moritz und leckeres Bier dazu bilden die Grundlage für etwas Besonderes: Buchweizentorte mit Preiselbeerkonfitüre. Buchweizen ist aber gar kein Weizen sondern ein Verwandter des Knöterichs, wird hier angebaut, typisch für die Heide und ihre nährstoffarmen Böden. Das Tortenstück ist riesig, reicht locker für zwei Genießer und ist richtig lecker, feiner Geschmack, nicht zu süß und etwas ganz Besonderes, weil man sie eben nicht in jedem Laden bekommt.
Wer sein Heim in ein Romantik Hotel umdekorieren möchte, findet in den Läden neben dem Café eine breite Auswahl dekorativer Sachen dazu. Aber von einer Firma aus Munster auch leckere Dinge aus Heidschnuckenfleisch als Salami, Rilettes, Pastete und Knipp „nach Heidjer-Art“. Das ist Heidschnucken-Fleisch gekocht, grob gewolft, mit Zwiebeln, schwarzem Pfeffer und Piment gewürzt. Gut als Begleitung von (Heide)Kartoffel-Gerichten.
Ein lockerer Spaziergang durch das Örtchen Müden unter knorrigen Eichen und entlang des Heidesees steht an und alles was hier wichtig und schön ist, erklärt der kundige Ortsführer Hans-Heinrich Euhus. Und das ist tatsächlich sehr viel, praktisch zu jedem Haus und zu jeder Ecke gibt es eine Geschichte, unmöglich, das alles wiederzugeben. Eigentlich ist der Ort so eine Art Freilichtmuseum, Romantik an jeder Ecke.
Von den Gefahren der Gegend erzählt der Mann aber auch nichts, z.B. von den wilden Bisons, denen wir am Abend begegnen sollen. Dazu fahren wir entlang einiger Militärstützpunkte nach Essel in das „Hotel Heide Kröpke“, dort warten die Bisons auf uns, ich bin etwas angespannt, schließlich sind das riesige Tiere. Es ist schon dunkel und die Wildrinder oder Wisente laufen draußen irgendwo herum und wir sehen sie nur in zubereiteter Form auf dem Teller im Restaurant, ich bin beruhigt. Das Haus gehört zur Gruppe der „Privathotels Dr. Lohbeck“ und es gibt es schon seit 1923. Im hochgelobten Restaurant verbindet sich traditionelle deutsche Küche mit der Leichtigkeit mediterraner Kochkunst, da wartet also ein besonderes kulinarisches Erlebnis auf mich.
Zur Einstimmung schmeckt ein Gin-Cocktail und dann am Tisch ein Gruß aus der Küche mit Frischkäse-Kräuter-Nocken auf einem Maracujabett, das geht ja gut los. Auch kommt der passende Wein für die folgenden Vorspeisen, ein trockener 2016er Grauburgunder vom Weingut Renner aus Offenburg-Fessenbach, begleitet von einem feinen Wildkräutersalat mit sautierten Streifen von der Rehleber an Balsamicojus. Wer lieber Feldsalat mit krosser Wachtelbrust an Portweinjus mit Blüten möchte, oder Weiderind-Carpaccio mit Parmesan sowie Rauke und feinem Olivenöl, kann wählen, schwere Entscheidung.
Eine sämige Cremesuppe vom Pfifferling mit knusprigem Baconchip sowie einer feinen Brotauswahl gibt es danach auf die Löffel. Kleine Pause, es kommt der Wein zum Hauptgang, ein 2011er Frühburgunder Signatur aus Rheinhessen vom Weingut Gustavshof aus Gau-Heppenheim. Das Highlight kommt mit dem Hauptgang gleich in zwei Variationen, Fleisch vom Bison. Es ist das gesündeste, nährstoffreichste, cholesterin- und fettärmste Fleisch, frei von Wachstumsförderern, Antibiotika, Hormonen, andere künstlichen Futterzusatzstoffen und absolut BSE-frei. Es hat nur einen geringen Wasseranteil, kürzere Fasern und daher bessere Gareigenschaften. Trotz eines intensiveren Geschmacks schmeckt es aber nicht wildähnlich. Dafür ungeheuer lecker in Form einer Roulade vom Bison an Rotwein-Schalottensauce mit frischem Möhrenbündchen und Brokkoli, begleitet von hausgemachten Buchweizennudel einerseits und in feinen leicht gebratenen Streifen kaum gewürztem puren Bisonfleischs mit Frühlingszwiebeln andererseits.
Gerade letztere Form ist eine sehr feine Idee, pures Fleisch, purer Geschmack, alle sind begeistert und sehr schnell war es dann weg. Ich wundere mich immer, das danach noch irgendwo im Magen ein Plätzchen zu finden ist für marinierte Blaubeeren mit Vanilleeis, Eierlikör und Sahne. Variationen von ausgewählten Käsesorten gäbe es auch noch, aber wohin damit? Nicht verschwiegen soll noch die vegetarische Variante des feinen Essens sein, als da wären ein Avocado-Fächer mit marinierten Tomaten-Concassée und Wachtelei, Cremesuppe vom Minarettkohl mit Kren-Sahne-Nocke, als Hauptgang ein Millefeuille von der Heidekartoffel und Pfifferlingen, umlegt mit Paprikagemüse, danach Blaubeeren.
Alle Zutaten sind sehr regional, manche der Köstlichkeiten legen dafür keine 100m zurück. Verantwortlich für das excellente Geschmacksergebnis war das Küchenteam unter der Leitung des hervorragenden Kochs Alexander Melicker, der Stationen wie die „Residenz Heinz Winkler“, das Restaurant „Tristan“ auf Mallorca sowie das Restaurant „Das Wolf“ in Alsdorf auf seiner persönlichen Speisekarte hat.
Am anderen Morgen lese ich auf dem Tagesprogramm was mich heute erwartet, da steht etwas von „Wanderung durch den Urwald der Südheide, Aufstieg auf den Lüßberg und in den Totholzbeständen sollen noch Otterbock und Waldgeist ihr Unwesen treiben. Klingt wieder gefährlich, ich hoffe ich überlebe das. Der zertifizierte Natur- und Landschaftsführer Heinrich Scheidler-Lütjen erwartet uns am kaum erkennbaren Basiscamp, das aber lediglich aus einem mageren Rucksack besteht. Ich frage ihn sofort nach den Hochlagern mit Versorgungspunkten unterwegs, Sauerstoffmasken für den Berggipfel, schließlich geht es ja hoch hinauf bis auf circa 130 m Höhe! Wer schon mal bei Ürzig von der Hochmoselbrücke in die Tiefe geschaut hat, weiß wie hoch das wirklich ist, da will man nicht runter fallen.
Militärisch knapp bescheidet mich der Fachmann das alles gäbe es nicht, dabei schaut er etwas verwundert. Ich bin sehr besorgt, gehe aber mit, auch auf die Gefahr hin, alleine den breiten Weg zurück zu gehen. Der Weg wird schmaler, die Bäume dichter, tatsächlich ist der 7500 ha große Lüßwald einer der größten zusammenhängenden Waldgebiete Deutschlands, uralte Waldstrukturen konnten hier die Jahrhunderte überdauern. Bereits in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurde das Gebiet des Lüßwaldes als königlicher Bannforst erwähnt. Solche alten ausgedehnten Wälder sind sehr strukturreich und wertvoll. Es gibt über 100jährige Douglasien, Buchen, Eichen, Fichten und andere Bäume und die dürfen wachsen wie sie wollen, keiner greift hier ein, eben richtiger Urwald.
Der Waldweg zieht sich und schließlich erreichen wir ambitionierten Bergsteiger mit Gipfelglück die höchste Erhebung in der Umgebung, den 130 m hohe Lüßberg, auf dem ein Gedenkstein an den großen Orkan vom 12. November 1972 erinnert. Die Luft ist hier oben spürbar dünn und tatsächlich, ein Versorgungspunkt konnte nur unter erschwerten Bedingungen vom Ranger aufgebaut werden. Völlig am Ende meiner Kräfte werde ich und die anderen Überlebenden mit Brot, diversen Wurstsorten, Schinken, Birkensaft und sogar Bier, sowie einem süffigen Heidekorn versorgt. Danach sieht die Welt gleich wieder besser aus und der Abstieg gelingt problemlos und leicht.
Etwas später fahren wir mit dem Auto auf den Wietzer Berg in 102 m Höhe. Dort steht zwischen heidetypischen Calluna Vulgaris und Wacholder nach einem kurzen Fußweg der Gedenkstein von Herman Löns. Ganz in der Nähe verbergen sich einige vorgeschichtliche ca. 2000 Jahre alte Hügelgräber. Pünktlich zum Hunger zur Mittagszeit finden wir uns ein zum Kartoffelfest auf dem Acker von Bauer Tewes. Der macht das jedes Jahr und verbindet so Kartoffelverkauf, eigenes Ausbuddeln und feiern mit gastronomischen Höhepunkten der eher einfacheren Art.
Es gibt fast alles was man aus Belana-, Cilena- und Laura-Kartoffeln zaubern kann, wie Reibekuchen, Bratkartoffeln, Pommes Frites, dazu diverse Eintöpfe, auch Waffeln, Kuchen, Kaffee, Bier, Marmeladen, den guten Heidehonig und einiges mehr. Das alles ist gediegen, gut und richtig lecker. Für Kinder gibt es diverse Spielmöglichkeiten und ganz Verwegene dürfen kleine Runden mit großen Treckern fahren.
Mutige drehen am Kartoffelglücksrad, da kann man Heidekartoffeln gewinnen, was auch sonst. Gut gestärkt treten wir die letzte Reise im Heide-Land an -also für heute- und sind bald wieder am Bahnhof in Hannover. Und da begegnen wir sofort wieder der realen Gefahr, die Bundesbahn droht mit stundenlangen Verspätungen. Und macht das wahr!
Trotzdem ist die Lüneburger Heide nichts für Feiglinge und ich bin stolz und glücklich, habe trotz der ernsthaften Bedenken meines Beraterstabes überlebt, bin nicht zu Schaden gekommen. Tatsächlich war das alles sogar richtig schön und auch nicht wirklich gefährlich.
P.S.: Meinen kompletten Beraterstab habe ich entlassen.
Mehr Informationen unter:
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