Leipzig, Versuche am Monument Bach

Seit Jahren ein Publikumsmagnet BachStage am Markt

Eigentlich ist es wie immer. Eine Stadt und ihre Besucher versammeln sich unter freiem Himmel auf dem Markt und alle lauschen den Klängen eines Orchesters, das ohne Geld zu verlangen spielt, Bach spielt. Die Stadt heißt Leipzig, und es sind die Bachfestspiele. Es ist so schön, so friedlich, der Himmel spielt mit und auch die Häuser, die den Markt umkränzen, das Alte Rathaus, die Arkaden. Eine Stadt hört Bach zu.
Das nennt sich “BachStage auf dem Leipziger Markt”, ist ein Treffpunkt für Musikliebhabende und bietet ein Open-Air-Programm vom Feinsten bis hin zu Jazzimprovisationen.
Braucht es da eine politische Aussage, um akzeptabel zu sein? Ich meine nicht. Jedenfalls eröffnet wurde die BachStage am Freitag, 13. Juni 2025 um 18.30 Uhr mit einem Protestzug lokaler Künstler mit der Botschaft: “Transformation und Klimawandel”. Ab 19 Uhr verlieh das Bridges Kammerorchester “transkulturellen Welthits eine neue Stimme”. Den Abschluss des Abends bildete um 21 Uhr “Die arabische Passion”. Das Ensemble Sarband “verbindet Bachs Werke mit der heutigen politischen Realität im Nahen Osten”. Helmut Mauó lästerte dazu in der SZ vom 16. Juni: “Arabische Töne im deutschen Barock, gendergerechtes Holpern im Rezitativ: Das Bachfest Leipzig sucht die politische Gegenwart.”
Am Finaltag der BachStage am Sonntag, 15. Juni, das Bachfest dauert noch bis zum 22. Juni 2025, erklang Bachs Kantate “Es ist ein trotzig und verzagt Ding”. Ja, ist es wohl. Was immer das “Es” ist.
Abends dann in der Thomaskirche. Die Sonne malt Muster auf die Sandsteinfassaden, während in ihrem Inneren Musik erklingt, die die Zeiten überdauert hat – und sich doch in diesem Jahr neu erfinden soll. Das Motto der diesjährigen Bachfestspiele lautet: „Transformation“ – ein Wort, das schwer schwebt wie ein Fugenthema. Transformation – das meint mehr als eine bloße Veränderung. Es ist, wenn man sich um eine positive Deutung bemüht, ein Versprechen, ein Prozess, ein Werden. Johann Sebastian Bach, der große Thomaskantor, war selbst ein Meister der Transformation: weltliche Musik verwandelte er in sakrale Kunst, französische Tänze in deutsche Kantaten, mathematische Strenge in emotionale Tiefe. Wenn jedoch Transformation “grundlegende Veränderung” bedeutet. Wohin und wozu im Heute? Eine kontinuierliche Anpassung wäre vielleicht das bessere Motto gewesen. Die Johannespassion in eine “Queer Passion” umzuschreiben, wie es Thomas Höft gemacht hat, ist ein untauglicher Versuch, sich zeitgenäß zu geben, was Bach nicht nötig hat. “Warum sollte man dieses musikalische Monument des Leidens und Lebens, der Folter und des Todes auf eine Leidensgruppe herunterbrechen und es damit kleiner machen?” fragt Helmut Maurò, und die Frage ist berechtigt.
Und auch die Stadt Leipzig hat diese Anbiederung an einen angeblichen Zeitgeist nicht nötig. Denn vielleicht mehr noch als die Musik wandelt sich heute Leipzig, aber organisch, stetig. Einst Handelsmetropole, dann Ort bürgerlicher Aufklärung, Industriestandort, sozialistische Planstadt, Wiege der Friedlichen Revolution, wird es seit Jahren zu einer europäische Kulturmetropole neuen Typs. Nicht laut, aber bestimmt. Und das Bachfest soll dabei ihr geistiger Kompass sein, nicht ein Fähnlein im Wind.

In der Peterkirche

Im Zentrum des Festivals steht 2025 nicht allein das Werk Bachs, sondern seine Wirkung – und wie sie sich durch neue Perspektiven entfaltet. Alte Musik trifft auf Elektronik. Chöre aus Südafrika und Kolumbien interpretieren die Passionen. In einer Multimedia-Installation verschmelzen Videos aus Leipziger Straßenzügen mit Orgelimprovisationen. Das Publikum sitzt auf dem Boden, steht auf Balkonen, zieht durch Kirchen und Clubs.
Transformation ist kein modisches Label, sondern wird zu einem Bekenntnis: Die Musik Bachs ist nicht in Stein gemeißelt, sondern lebendig. Und mit ihr die Stadt. „Wir begreifen Transformation nicht nur als musikalische Bewegung, sondern als kulturellen Prozess“, sagte der Intendant des Bachfests Miachael Maul:. „Leipzig hat gelernt, Wandel nicht zu fürchten, sondern zu gestalten.“
Das Bachfest 2025 wurde so auch zur Reflexion über Identität. Was bedeutet es, eine Bach-Stadt zu sein im 21. Jahrhundert? Die Antwort sollte nicht in einem musealen Blick zurück liegen, sondern in der Offenheit, das Erbe weiterzudenken. Die Leipziger nahmen diese Herausforderung an. Schüler komponierten eigene Mini-Kantaten. Migrantische Initiativen gestalten Programmteile mit. Und in einem Café am Augustusplatz spricht ein junger syrischer Musiker über Bach als seine „kulturelle Heimat in Deutschland“.
So wird das Bachfest zu einem Spiegel: für die Musik, für die Stadt, für eine Gesellschaft im Wandel. Leipzig zeigt, dass Tradition keine Last sein muss, sondern ein lebendiger Dialog mit der Zukunft sein kann. „Transformation“ – das Wort klingt einfach falsch. Aber in Leipzig 2025 hat das Wort einen anderen Klang bekommen. “Transformation« ist ein Begriff, der wie kein anderer unsere Zeit prägt. In Kultur und Gesellschaft erleben wir derzeit einen tiefgreifenden Wandel – eine Metamorphose, die uns herausfordert und zugleich neue Möglichkeiten eröffnet”, sagt Burkhard Jung, der OB Leipzigs. “Gemeinsam gestalten wir die Zukunft, indem wir Vergangenes bewahren und Neues schaffen. Wie Johann Sebastian Bach, der sich stets den musikalischen Strömungen seiner Zeit öffnete, sollten auch wir uns den Veränderungen stellen und diese als Chance begreifen.”
Auch ohne “Transformation” – Leipzig entwickelt sich dynamisch und wird von einer lebendigen, vielfältigen Kunst- und Kulturszene geprägt. Die Stadt setzt dabei auf die Bewahrung ihrer traditionellen Stärken, wie die “Musikstadt Leipzig”, und fördert gleichzeitig die Kreativwirtschaft. Ein Ziel ist es, die kulturelle Infrastruktur gerade auch für Kinder und Jugendliche auszubauen und die vorhandenen soziokulturellen Strukturen zu erhalten. Leipzig soll zudem als Standort für die Kreativwirtschaft gestärkt werden, um Arbeitsplätze zu schaffen und zu erhalten. Leipzig ist ein historisches Zentrum des Buchdrucks und -handels und beherbergt eine der ältesten Universitäten Deutschlands. Das sind Trumpfe im Standort-Wettbewerb.

Die Nikolaikirche in Leipzig

Leipzig hat als Musikstadt eine große Tradition, lebendige Gegenwart und internationalen Ruf. Nicht nur Johann Sebastian Bach, Felix Mendelssohn Bartholdy, Edvard Grieg, Gustav Mahler, Clara und Robert Schumann sondern viele andere haben hier gewirkt, Hanns Eisler und Richard Wagner wurden hier geboren. Der geistige Reichtum und die kulturelle Vielfalt der Stadt spiegeln sich auch in den Museen mit ihren Sammlungen wider.
Das Bach-Archiv Leipzig feiert im Jahr 2025 den 75. Jahrestag seiner Gründung. Heute ist es das musikalische Kompetenzzentrum am Hauptwirkungsort Johann Sebastian Bachs. Zweck des Archivs ist es, Leben, Werk und Wirkungsgeschichte des Komponisten und der Musikerfamilie Bach zu erforschen, ihr Erbe zu bewahren und als Bildungsgut zu vermitteln. Das Bach-Archiv ist Mitglied der Konferenz Nationaler Kultureinrichtungen und gehört zu Deutschlands “Kulturellen Leuchttürmen”. Es wird auch diese “Transformation” überstehen. Und das BachStage wird es auch 2026 geben.

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Hans-Herbert Holzamer

Autor Kurzvorstellung:

Freier Journalist und Autor

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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