Kunst wächst mit der Zeit

Ungewöhnliche Architektur in Wemding im östlichen Schwabenländle

von Udo Haafke (Text und Fotos)

Im Jahr 1993 beging das schwäbische Städtchen Wemding im Donau-Ries-Kreis seinen 1200. Geburtstag. Gegründet als »Uemodinga« genießt der malerische Ort heute einen besonderen Ruf unter Wallfahrern, die zur 1782 geweihten Kirche Maria Brünnlein pilgern, und unter Botanikern. In Wemding erblickte 1501 Leonhart Fuchs das Licht der Welt, Namensgeber der Fuchsie. Zu seinen und zu ihren Ehren findet alljährlich Ende Mai ein Fuchsien- und Kräutermarkt statt. Jener wird dann auch stets misstrauisch beäugt vom Wemdinger Storchenpaar, dass sich häuslich zur Aufzucht des klappernden Nachwuchses auf dem Dach des hübschen historischen Rathauses eingerichtet hat, den zauberhaften, von wunderbar herausgeputzten Barockfassaden umrahmten Marktplatz mit Marienbrunnen und der darauf befindlichen goldenen Marienstatue fest im Blick.

Der Storch auf dem Rathausdach

Zahlreiche sportliche und kulturelle Veranstaltungen machten die damalige Geburtstagsfeier zu einem schillernden Ereignis und zum Anlass manch beachtlichen Projektes. Eines davon wird Wemding anno 3183, also zehn Jahre vor dem 2400. Wiegenfest, mit Sicherheit auf die Titelseiten der Gazetten bringen: in jenem Jahr weit in der Zukunft wird die Zeitpyramide vollendet, der letzte Betonblock aufgesetzt werden und das beachtliche, dann sieben Meter hohe Bauwerk auf der Robertshöhe im Norden der Stadt als neues Wahrzeichen fertiggestellt sein.

Die ersten drei Quader der Zeitpyramide bekommen im September 2023 Zuwachs

Das Konzept der Zeitpyramide entstammt der kreativen Idee des gebürtigen Wemdinger Künstlers Manfred Laber (1932-2018), der damit ein bemerkenswertes Werk der Prozesskunst schuf. Demnach ist nicht das fertige Objekt das Kunstwerk an sich, sondern dessen langwierige Entstehung, die einer kleinen Ewigkeit in nichts nachsteht. Der Weg könnte also auch in der Kunst zum eigentlichen Ziel werden, wobei dessen tatsächliche Umsetzung von unglaublich vielen, zudem unkalkulierbaren Faktoren abhängt. Wie sich Natur, Zeit und jegliche weiteren äußeren Einflüsse über die Jahre und Jahrhunderte verhalten bleibt völlig offen. Das 1:20 Modell des Bauwerks, das im Wemdinger Haus des Gastes zu sehen ist, gibt also lediglich eine nicht garantierte Vorstellung vom Aussehen der fertigen Pyramide. Von deren Fundament schweift heute, wie möglicherweise auch in knapp 1200 Jahren, der Blick weit über eine sanft gewölbte Hügellandschaft, in der sich Wälder und Felder abwechseln, aus der kleine Dörfer und insbesondere deren markante Kirchtürme herausragen. Maria Brünnlein jedenfalls, 1998 in den ehrenvollen Status einer »Basilika minor« durch Papst Johannes Paul II. erhoben, nimmt dabei eine Ausnahmestellung ein.

Blick von der Pyramide zur Wallfahrtskirche Maria Brünnlein

Lediglich aus drei 1,80 Meter hohen Betonquadern besteht das sich entwickelnde architektonische Kunstwerk der Zeitpyramide aktuell. Sie stehen aufrecht wie graue, kubistische Drillinge in exakt 60 cm Abstand zueinander und wirken etwas hilflos, ja verloren, hart und kantig inmitten der wogenden Landschaft. Zumal Glasscherben am Boden darauf hindeuten, dass uninspirierte Zeitgenossen hier zuweilen ihren Übermut ablassen. Manfred Laber bewies auch mathematische Begabung. Er setzte die Zahl 1200 geschickt in den Maßen und der Ausrichtung seines Werkes um. Alle zehn Jahre kommt ein neuer, identischer Betonklotz dazu. Der nächste am 9. September 2023. Danach fehlen nur noch 116 bis zum fertigen Objekt, das nach und nach auf vier Ebenen seine pyramidale Form erhalten wird. Die Zwischenräume zwischen den Kuben ermöglichen es später sich hindurch zu bewegen und damit gedanklich durch Raum und Zeit zu wandeln und dem Werk eine imposante philosophische Tiefe zu vermitteln.

Ein Tiny Haus im Campingpark Wemding

Die Form eines, mithin liegenden Quaders besitzen auch die niedlichen, dem heutigen Zeitgeist durchaus entsprechenden »Tiny Houses« auf dem Campingplatz am idyllischen Waldsee im Nordosten Wemdings. Die kleinen Ferienhäuser bieten auf wenig Raum, gerade einmal 24m², einen geradezu erstaunlichen Komfort und eine Ausstattung, die nur wenige Wünsche offenlässt. Großzügiger als Wohnwagen oder Wohnmobil, mit Klimaanlage, Mikrowelle und Satelliten-TV könnte für sie die Unterkunftskategorie »Luxus-Glamping« in exquisiter Lage eingeführt werden. Ein dichtes Netz an Rad- und Wanderwegen machen die vom Ferienhausveranstalter NOVASOL vermarkteten Unterkünfte zum perfekten Standort für Ausflüge in die reizvolle Region rund um das Altmühltal, ins nahe Wemding oder in die mittelalterliche Märchenstadt Nördlingen.

Information:
Tourist-Information Wemding, Außenstelle Mangoldstraße 5, 86650 Wemding, Tel. 09092/969035, www.wemding.de

Malerisches Wemding

Zeitpyramide:
GPS Koordinaten: 48° 53′ 03,43″ N, 10° 43′ 17,05″ E. Baubeginn: Oktober 1993 im Rahmen des 1200. Stadtjubiläums, Bauende im Herbst 3183 nach Aufrichtung des 120. Betonquaders. www.zeitpyramide.de

Anreise:
Wemding liegt etwa auf halber Strecke zwischen Nürnberg und Augsburg und ist von der A6 oder A7 auf der B25 über Dinkelsbühl und Nördlingen sowie über die Straße 2213 zu erreichen.

Unterkunft:
Tiny Häuser im Campingpark Wemding mit Platz für zwei Erwachsene und zwei Kinder, Schlafzimmer mit Doppelbett, Wohn/Essbereich mit Schlafsofa, separates Bad mit Dusche und WC sowie Terrasse mit Gartenmöbeln und Grill, Wochenpreise je nach Saison ab EUR 678.
Vermietung über NOVASOL, www.novasol.de/urlaub/ferienparks/deutschland/wemding

Klein aber oho, das Innere eines Tiny Haus

Essen und Trinken:
Eine Vielzahl von kleinen Restaurants und Gasthöfen mit regionaler wie internationaler Küche und lauschigen Biergärten sorgen für ein abwechslungsreiches kulinarisches Angebot im romantischen Herzen Wemdings. Eine besondere Empfehlung gilt dem Café Schlecht (der Name ist definitiv nicht Programm) und seinen vorzüglichen Kuchen und Torten aus eigener Herstellung.

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Udo Haafke

Autor Kurzvorstellung:

freiberuflicher Foto-Designer und Bildjournalist, Autor diverser Bildbände, Kalender und Reiseführer, Ausstellungen im In-und Ausland, freie Mitarbeit bei verschiedenen Tageszeitungen im Bundesgebiet.

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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