ITB – Nachlese (3) Abgebookt

Von der ITB Berlin 2019 kommen froh stimmende Meldungen: Robust und widerstandsfähig präsentiere sich die Reiseindustrie. Der „globaler Wachstumsmotor“ laufe „weiterhin auf Hochtouren“.  Mit 113 500 Fachbesuchern unterstreiche die ITB Berlin „auch in Zeiten von zahlreichen geo- und wirtschaftspolitischen Unsicherheitsfaktoren“  ihre Position als Weltleitmesse der internationalen Tourismusindustrie. Ein moderner Treiber sind fraglos Buchungsplattformen. Aber diese haben ihre eigenen „Unsicherheitsfaktoren“. Und die sind so massiv, dass man gelegentlich die digitalen Buchungen verfluchen und zu den vertrauten Reisebüros zurückkehren möchte. Wer im Internet ein Hotel oder eine Reise bucht, muss bei jedem Schritt aufpassen – und kann trotzdem betrogen werden. So habe ich bei Booking.com für die ITB ein Hotel, das Centro, in Berlin gebucht. Und bekam plötzlich von Booking.com die Mitteilung, es gäbe eine Doppelbuchung, verbunden mit der Aufforderung, eine der Doppelbuchungen zu stornieren. Ich sagte, ok, aber Ihr habt die Doppelbuchung vorgenommen, wenn es denn eine gibt, nicht ich. Ich stornierte wie gewünscht und bekam zur Antwort: Nicht kostenlos  stornierbar! Da Booking.com von mir als „Genius“-Mitglied die Kontonummer hat, konnten sie sich in meiner Schatulle bedienen. Seitdem versuche ich an mein Geld zu kommen. Centro sagt, ja, es ist ein Buchungsfehler von Booking.com, aber nicht unser Bier. Booking.com sagt, mit uns kein Problem, aber das Hotel sträubt sich. Ich weiß bislang nicht einmal, ob das abgebookte Geld bei Booking.com oder bei Centro schlummert.

An einem dieser Tage erhielt ich von Booking.com eines der zahlreichen Werbeschreiben. „15 Euro für Ihre Freunde und nach deren nächster Reise 15 Euro für Sie!“. Dass diese „Geschenke“ Danaergeschenke sind, die man selbst bezahlen muss, ist klar. Aber auffallend: Dieser Brief nennt im Briefkopf kein Telefon, kein Internet, kein Fax, keine Mailadresse, keinen Verantwortlichen, nur eine dürre Adresse in den Niederlanden. Lediglich im Internet findet sich unter „Impressum“ ein Kontakt in Amsterdam. Dort anzurufen, erschöpft jedes Budget und bringt zudem nichts, weil keiner zuständig ist. Es gibt im Internet eine EU-Plattform http://ec.europa.eu/odr, auf die hingewiesen wird, und sogar eine eigene „Service“-Mailadresse. Beide führen im Regelfall in die Wüste, zu Frust und Misserfolg.

Früher ging man in sein Reisebüro, Betrug war da weitgehend ausgeschlossen.

Heute ist man den Internetportalen ausgeliefert, die eine Komfortwelt vorgaukeln, bis hin zur persönlichen Anrede, zahlreichen Zusatzangeboten und geschenkten Reiseführern, die sich aber weder zur Erreichbarkeit noch zur Rechtssicherheit im Konfliktfalle verpflichten. Das ausgewählte Hotel ist plötzlich ausgebucht, man wird ohne Hinweise auf das nächst freie Datum verschoben, oft wird die Kreditkarte abgefragt, natürlich nur zur „Sicherheit“ und mit dem Versprechen, keine Buchungen vorzunehmen.

Buchungsplattformen erleichtern die Reservierung schon sehr, aber die Probleme beginnen, wenn es Probleme gibt. Dann hängt man in endlosen Warteschleifen, Rückrufe werden versprochen, aber nicht eingehalten. Und: Im Ausland Rechts bekommen zu wollen, ist sinnlos, kein Anwalt macht das bei Beträgen unter 1000 Euro mit. Besser ist der dran, der keine Kontenangabe gemacht hat, aber bei Leihwagen und bei Hotelplattformen funktioniert das nicht. Dann ist man faktisch rechtlos, weil man selbst klagen müsste. Da verzichtet man in Zweifel lieber auf Rückforderung. Aber der Zorn bleibt.

Die Buchungsplattform Booking.com gehört zur Priceline Group. Booking.com hat seinen Sitz in Amsterdam. Die Priceline Group befindet sich in Norwalk, Connecticut. Sie benutzt das Retailer Modell, das heißt, sie fungiert als Vermittler von Hotelbuchungen. Bezahlt wird direkt an die Unterkunft – eigentlich und theoretisch. Bei „Problemen“ kassiert  Booking.com gerne selbst. Ähnlich funktionieren auch die Portale Expedia, HRS und Hotels.com.

Erst als ich nach Booking.com-Hinweisen suchte, fand ich massenhaft den Warnhinweis: „Achtung auf keinen Fall hier buchen!“ Mit den unterschiedlichsten Gründen: getäuscht über den Standort der Ferienwohnung, Stornierung wegen eines Preisfehlers, ein Hotel, das es nicht gab, Hotelbeschreibung ist total geschönt. Die Liste ist lang.

Fehler gibt es im Einzelfall immer wieder, aber dafür gibt es Systeme zur Klärung und Schadensgutmachung. Das System bei Booking.com ist nach meinen Erfahrungen ein anderes: Man gaukelt transparenten Service vor, ist aber nicht erreichbar, man antwortet nicht, oder wenn doch komplett neben der Sache. Und so schreibt einer der vielen Klageführenden, Matthias Grehl: „Habe dann versucht, einen Anwalt in Holland zu finden. Sämtliche Kanzleien lehnten ab wegen Interessenskonflikten. Bei denen scheint das Methode zu haben. … Booking.com scheint nicht nur Urlauber hinters Licht zu führen, sondern ebenfalls die Anbieter der Unterkünfte.“

Auf der ITB beschäftigten sich zahlreiche Aussteller in mehreren Hallen mit internetgestützten Buchungssystemen. Für die Reiseindustrie ist die Berliner Leitmesse auch deswegen unverzichtbar. „Der ITB Berlin als führende Plattform der globalen Reiseindustrie kommt in Zeiten einer allgemeinen Verunsicherung besondere Bedeutung zu. Die persönliche Begegnung als vertrauensbildende Maßnahme und der direkte Austausch unter Geschäftspartnern zu Fragen, die die Branche rund um den Globus bewegen, sind auch in einer digitalisierten Welt über modernste Kommunikationswege nicht zu ersetzen. Davon lebt die ITB Berlin“, so Christian Göke, Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe Berlin.  Gut gesehen, aber die Geschäftsmodelle der Buchungsprotale funktionieren genau konträr, ohne persönlichen Kontakt, ohne eine Vertragsabwicklung im Streitfall durch ein Gespräch oder eine unabhängige Schiedsstelle.

Gemäß einer Befragung attestierten Aussteller und Besucher der Messe Bestnoten für Innovationen. So feierte die ITB Berlin unter anderem die gelungene Premiere des Segments Technology, Tours & Activities (TTA) und das Thema Future Mobility. Doch eine Messe ist ein Schaufenster, eine Show, auf der die Schattenseiten der digital gesteuerten Mobilität und der am eigenen Display gebuchten Reisen, Autos und Hotels nicht erkennbar werden.

Die Reaktion darauf kann nur sein, dass man deren Risiken konsequent vermeidet – zum Beispiel, indem man zum Reisebüro oder zur telefonischen Buchung zurückkehrt. Ist das eine moderne Maschinenstürmerei? Das mögen Karl Marx und Friedrich Engels damals so gesehen haben, als es um die Zerstörung von Webstühlen und anderen Produktionsgeräten ging.  Doch damals entsprang es nicht irrationaler Technikfeindlichkeit, sondern dem Bestreben, eine  Verschlechterung des sozialen Status` abzuwehren. Und heute geht es darum, Bedrohungen der rechtlichen Sicherheit im Reiseverkehr abzuwehren. Das meint nicht nur das Aussortieren schwarzer Schafe, zu dem sich Verbraucherschutz und Ministerien ohnehin weitestgehend außerstande sehen, sondern der Garantie eines Minimums an Rechtssicherheit, ohne das es eine Zulassung auf dem Markt nicht geben dürfte. Wäre ein Kongress-Thema für die ITB 2020.

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Hans-Herbert Holzamer

Autor Kurzvorstellung:

Freier Journalist und Autor

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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