Die Weintrauben sind reif, Hottenträger stehen bereit, die Lese muss beginnen. Aber die Genehmigung ist noch nicht da und ohne die geht gar nichts im Jahr 1775. Wo bleibt das obwaltende Edikt seiner Gnaden des Fürstbischofs in Fulda?
Text und Fotos © Wolfgang Grüner
Wer zu spät kommt, den belohnt der Genuss.
Die Weintrauben sind reif, Hottenträger stehen bereit, die Lese muss beginnen. Aber die Genehmigung ist noch nicht da und ohne die geht gar nichts im Jahr 1775. Wo bleibt das obwaltende Edikt des Fürstbischofs in Fulda? Aus unbekannten Gründen verspätet sich der reitende Bote ganz erheblich, inzwischen faulen schon die Trauben am Stock. Den ganzen überreifen Jahrgang wegwerfen? Nein, sagte sich der Verwalter Johann Michael Engert, ließ getrennt lesen und keltern. Vom Ergebnis sind 1776 die mutig Probierenden überaus angetan, die Spätlese war erfunden.
Ein Denkmal des Spätlesereiters steht heute im Hof vor der Vinothek vom „Schloss Johannisberg“, dem ersten Riesling-Weingut mit dem ersten geschlossenen Rieslingweinberg weltweit. Das schlicht anmutende Schloss mit sichtbar zurückhaltendem Stolz ohne Prunk thront über den alles beherrschenden Reben oberhalb von Geisenheim und Winkel im Rheingau. Diesem schmalen Stück Hessen, das sich mutig von Bacharach bis kurz vor Wiesbaden zum Fluss drängt. Hier an den Mittelrhein, dem deutschesten aller Flüsse, zum viel besungenen und -beschriebenen urdeutschen Sehnsuchtsort, über Generationen verklärter Inbegriff romantischer Rheinidylle. Klingt kitschig, ist es auch, aber wenn man mal dort ist, stellt man verblüfft fest, da ist doch was dran, das spürt man irgendwie. Und das tun auch die Trauben im weiten Tal, der Rhein wird fast zum See, hier ist mehr Licht als anderswo. Nicht ohne Grund stand ein paar Kilometer rheinabwärts das erste Kloster der Hildegard von Bingen, die wusste warum gerade hier. Auch andere erkannten früh die Besonderheit der Lage, zwischen Eberbach und Marienhausen liegen noch einige Klöster und idyllische Ruhepunkte, die man gute 30 km wunderschön auf dem Rheingauer Klostersteig erwandern kann. Das ist gut für das Seelenheil und für den profanen Körper bieten diverse Schänken und Gastronomie Einkehr und Labsal.
Schon der Ausblick von der Terrasse des Schlosses Johannisberg ist eine Reise wert. Will man aber die wahren inneren Werte sehen, muss es in die Tiefe gehen, da liegt der Wein im historischen Holzfasskeller. Rund 1200 Jahre Weinbaugeschichte sind mit dem Johannisberg verbunden, hier entstanden auch die hohen Qualitätsstufen wie Auslese, Beerenauslese und Trockenbeerenauslese. Kostbarkeiten, die man in der Vinothek natürlich auch kaufen und, will man sich noch mehr belohnen, dann da auch probierend genießen kann. Das kann man trinkend noch veredeln bei feiner Speise in der Schlossschänke mit dem schönen Blick über den Rhein und bei erträglichen Preisen.
Absolut unverkäuflich dagegen sind die Schätze im tiefen Keller, gut 22.000 Flaschen sagt man. Im Herzen der Anlage befindet sich die „Bibliotheca subterranea“, die berühmte Schatzkammer des Schlosses mit ihren kostbaren Wein-Raritäten aus mehreren Jahrhunderten. Der älteste noch genießbare Wein ist von 1821, es gibt auch noch eine gefüllte Flasche von 1748, das älteste Stück im Bestand. Fasziniert stehe ich vor den staubbedeckten Flaschen, wie gerne würde ich das Abenteuer wagen, davon zu probieren. Aber man lässt mich nicht und verweist auf die gut 300.000 Liter Wein in den rund 140 Holzfässern in den restlichen Kellern ringsum. Na gut, trinke ich eben die schnell mal aus. Ein Kellerrundgang ohne Probe geht gar nicht und zur Einstimmung gibt es einen Fürst von Metternich Riesling Sekt. Danach stehen einige Flaschen bereit, fachmännisch wird man in die delikaten Genussebenen des Rieslings eingeführt. So ein Unterricht gefällt mir. Der wird im nächsten Weingut fortgesetzt, in Oestrich-Winkel.
Der langgezogene Ort direkt am Rhein ist mir bekannt, habe ich doch hier vorzüglich die Nacht vorher im „Näglers Fine Lounge Hotel“ verbracht. Das liegt ein paar Meter über dem Rhein und -wie sollte es hier anders sein- inmitten von Reben. Es hat 41 heimelige Zimmer, jedes ein Unikat, aber immer State of the Art, eine großzügige Lounge mit gemütlichen Sitzecken, eine wirklich schöne Rheinterrasse mit herrlichem Blick auf einem Gesamt-Areal von über 3000 qm. Gastronomie gibt es zwar keine, aber die ist für unterschiedliche Ansprüche ganz in der Nähe. Natürlich gibt es Frühstück, sehr angenehm und auswahlreich mit viel Genuss, im Cabinet Zimmer oder auf der Terrasse. Leider war ich im Hotel nur eine Nacht, keine Zeit das einladende Ambiente länger zu genießen, wie z.B. den Spa mit Finnischer Sauna, Bio Sauna, Dampfbad, Tauchbecken, Infrarot-Kabine, Fitnessbereich und Relax-Area, dazu Wellness-Tee und Wasser, sowie Wellness-Tasche mit Bademantel, Badeschuhe und Handtücher. Aber die Arbeit wartet.
Es geht zum Weingut „Wein.Erlebnis.Welt Allendorf“ hier im Ort. Im gut sortierten Laden des Familienbetriebes Georgshof gibt es zur Einstimmung einen Riesling, angebaut auf den ca. 70 ha rund um Oestrich-Winkel, Assmanshausen und Rüdesheim, auf denen auch Rotwein wächst. Beim Wein gilt: Probieren, probieren und immer wieder probieren. Und genau das tun wir in einem unauffälligen Raum, eigentlich ungewöhnlich, jeder hat ein ganz volles Glas von Uli Allendorf bekommen und davon einen Schluck im Mund behalten. Jetzt wechselt plötzlich das Licht und wir sollen den Geschmack spüren. Das geht so weiter, immer wieder wechselt die Lichtfarbe und viele stellen fest, auch der Geschmack ändert sich. Besonders spannend und in dieser Art einzigartig ist diese Weinprobe mit der Lichtinstallation, die vor Augen führt, wie leicht unser Gaumen von äußeren Einflüssen zu beeindrucken ist.
Ein echtes Highlight führt so zu spielerisch erweiterten Weinwissen. Die Vorführung ist übrigens ein von Allendorf entwickeltes und 2003 mit dem Innovationspreis des Bundes ausgezeichnetes Konzept. Das Farbenspiel setzt sich auch in den Kellern fort, von wegen dunkle Orte! Ich bin mir für mich nicht ganz sicher, ob ich tatsächlich die Unterschiede so geschmeckt habe weil sich die Farben änderten, oder weil das vorher gesagt wurde, das muss jeder selbst für sich entscheiden. Tatsache ist aber, das ein Cocktail an einem warmen Sommerabend am kubanischen Strand ganz anders mundet, wie das selbe Getränk mit exakt den selben Zutaten abends in einer Hotelbar in Dortmund. Fest steht, Geschmack ist Kopfsache. Übrigens: Bei Allendorfs gibt es auch den ersten alkoholfreien Riesling.
Kleines Gasthaus in Oestrich-Winkel
Im „Kleinen Gasthaus“ von Sania & Christopher Jahn in Oestrich-Winkel gibt es Mittagessen, war auch notwendig, vom Wein allein kann man ja nicht leben, obwohl einige das behaupten. Man kann drinnen und draußen sitzen, überall ist es bequem und gemütlich. Freude bringt ein Blick in die Speisekarte mit den ländlich-mediterranen Köstlichkeiten. Auch wenn wir da mit mehreren Personen eingefallen sind, kam das Essen rasch und warm zum Tisch. Eigentlich haben wir die nicht sehr große Karte (was ja immer auf Qualität schließen lässt) rauf und runter gegessen, jedem hat es gut gemundet. Die Allergiker bestens bedient, da wurde auch schnell mal etwas gezaubert. Eine uneingeschränkte Empfehlung für gutes Essen und das zu erstaunlich niedrigen Preisen. Am Abend vorher bin ich da noch vorbei gelaufen, wäre besser rein gegangen.
Das Brentano-Haus in Oestrich-Winkel
Das 1751 erbaute „Brentano-Haus“ im Ortskern von Winkel gilt als das Zentrum der Rheinromantik und diente der Familie Brentano und ihren Freunden u.a. Johann Wolfgang von Goethe, den Brüdern Grimm und dem Freiherrn vom Stein als Sommerresidenz – Goethes Schlafzimmer von 1814 ist noch original erhalten. Jetzt gerade ist Goethe nicht da, kommt aber gleich wieder, heißt es. Die jüngere Bettine von Arnim atmet etwas schwer, hat sich doch der angehimmelte alternde Literatur-Star ihren Hunger nach Liebesbeteuerungen entzogen.
So hatten doch wohl alle Protagonisten ihre speziellen Eigenarten in diesem geselligen Anlaufpunkt und Begegnungsort mit dem offenen Charakter des Hauses, den die Familie Brentano pflegte. Hier wurde weniger Geschichte gemacht, dafür mehr Geschichten erzählt, viel davon muss in diverse Werke der Künstler eingeflossen sein. Angela Baronin von Brentano höchstselbst führt durch das Haus und weiß klug, treffend und mit Humor das kulturhistorische Denkmal ersten Ranges zu erklären. Das ist spannend, lehrreich und man kann es kaum glauben, das sich das Ganze fast unverändert innen und außen so lange so gut erhalten hat. Auch den Allendorfs begegnen wir hier wieder, das Weingut konnte Räumlichkeiten des Gebäudes sowie den Garten und den anschließenden ummauerten Weinberg der sich bis zum Rhein erstreckt, pachten. Dort wird im Weinlokal Allendorf-Wein ausgeschenkt und eine regionale und mediterrane Küche angeboten.
Oberhalb von Hattenheim und Eltville liegt in romantisch-schöner Lage das knapp 900 Jahre alte ehemalige „Kloster Eberbach“, ein magischer Ort. Geprägt von eindrucksvoller Schlichtheit romanischer und frühgotischer Architektur, noch rein erhalten in einigen zentralen Gebäuden. Das erkannte auch 1986 der französische Regisseur Jean-Jacques Annaud, denn die meisten Innenaufnahmen für seinen überaus erfolgreichen Film „Der Name der Rose“, nach dem Buch von Umberto Eco, fanden im Kloster Eberbach statt. Das war zwischenzeitlich mal eines der größten Klöster Deutschlands und ist heute mit rund 250 ha nach eigenen Angaben das größte Weingut Deutschlands, seit 1998 Eigentum der gemeinnützigen Stiftung Kloster Eberbach. Angebaut wird fast nur Riesling, daneben auch etwas Spätburgunder. Eine interessante Gelegenheit das Kloster, seine Geschichte, sowie seine Weine kennen zu lernen, bietet sich im Rahmen einer Schlender-Weinprobe.
Also ab zum Wandern in die riesigen Kellergewölbe, Hallen und Räume. Alle Zisterzienserabteien verfügten über Hospitalgebäude, einzig jedoch in Eberbach hat sich ein solches Bauwerk aus dem Hochmittelalter bis heute erhalten. Weiter geht es in den historischen Cabinetkeller, ins Dormitorium mit seiner wunderschönen Kreuzgewölbedecke, in die romanische Klosterkirche, ins Mönchsrefektorium, zum Bibliothekssaal und zu anderen Sehenswürdigkeiten. Sehr interessant ist die Sammlung historischer Weinpressen, gewaltige Dinger, da waren mehrere Personen gut beschäftigt, die zu drehen.
Es gibt viele unterschiedliche Kloster- und Weinführungen, auch -auf Nachfrage- spezielle Themenführungen, mit Wein und ohne Wein, da ist man ganz flexibel. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Sorten Wein ich in den diversen Räumen probiert habe, immer mit entsprechenden Kenntnisvermittlungen. Dazu gab es im Hospitalkeller zwischen den alten Weinfässern und bei Kerzenschein noch einen kleinen Imbiss. Was aber da genau im Dunklen vorbereitet war bleibt etwas ungewiss, war manchmal auch am Geschmack nicht zu erkennen. Da besteht noch deutlicher Verbesserungsbedarf. Der besteht auch im Gästehaus, wo ich für die nächsten zwei Nächte, endlich in meinem Zimmer, für eine Weile die Füße hoch legen kann. Soll noch jemand sagen, Weinproben wären nicht anstrengend. Laut Angaben auf der Webseite wären die insgesamt 28 Zimmer behutsam modernisiert. Mag sein, in meinem Raum muss man da sehr zaghaft vorgegangen sein, diverse Einrichtungsgegenstände sahen doch arg abgewohnt aus. Zum einfachen Frühstück sollte man sehr früh erscheinen, denn -auch auf Nachfrage- wird nichts nachgelegt, was weg ist, ist weg. Immerhin geht es einem da schon besser als früher den Klosterbrüdern, die bekamen gar kein Frühstück, Wein gab es dagegen immer. Aber Wein hilft nicht immer, so gut er auch sein mag, besonders nicht zum Frühstück. Satt wird man natürlich, aber die nicht passenden Kleinigkeiten zusammen stören das Gesamtbild und wären doch so leicht zu beheben. Sollte man auch tun, das erwarte ich von einem ***(plus) Sterne (Superior) Hotel. Der Abend gehört der Musik.
Ein treffliches Bindeglied zwischen Landschaft, Kultur und Lebensfreude ist nicht nur der Genuss von gutem Wein, sondern auch die Musik, begleitend oder im Vordergrund. Deshalb ist der Rheingau seit 1988 Schauplatz des „Rheingau Musik Festivals“. Im Mittel mehr als 120.000 Zuschauer, rund 150 Konzerte, 37 Spielorte, wie viele Gläser Wein wurde allerdings nie gezählt. Das Festival gehört inzwischen zu den führenden Musikereignissen in Europa, man sollte sich früh um Eintrittskarten bemühen.
Der Schwerpunkt liegt bei der klassischen Musik, daneben ist die Variationsbreite enorm, große Sinfoniekonzerte in Wiesbaden, Kammermusik auf Schloss Johannisberg, chorsinfonische- und Kammerorchesterkonzerte im Kloster Eberbach, Jazz-, Populärmusik- und Kabarettveranstaltungen in den Weingütern, dazu Weltmusik, Kinderkonzerte und vieles Übergreifende mehr. Bewährtes steht dabei neben musikalischen Grenzgängern, die sich jeder Kategorie entsagen und zwischen den Genres schweben, dargeboten von Weltstars, Nachwuchskünstlern, Amateuren, Profis. Und zu so einem Profi geht es am frühen Abend.
Dazu geht es in die „Lutherkirche“ nach Wiesbaden, wer diesen wunderschön-farbigen Bau von 1908 nicht kennt, hat sicher etwas verpasst. In der Vorhalle an der Seite gibt es eine kleine beeindruckende Taufkapelle mit einem mächtigen Taufstein. Dann öffnen sich die Türen zum traumhaften fast orientalisch anmutenden Innenraum, die große Halle mit gut 1200 Sitzplätzen. 18 m weit und 17 m hoch spannt sich das Kreuzrippengewölbe zwischen vier Pfeilern. Faszinierend die harmonische farbliche Gestaltung, umhüllt von einer Ahnung der Transzendenz, ein vom Jugendstil geprägtes Ensemble mit großartiger architektonischer Wirkung. Die besonderen Raumakustik der Lutherkirche hat sie zur besonderen Pflegestätte der Kirchenmusik prädestiniert, natürlich auch für andere Arten der Musik. Also der ideale Platz für den Auftritt eines großen Künstlers.
Daniel Hope und ein kleines Barockensemble
Der britische Geiger „Daniel Hope“, geboren am 17. August 1973 in Südafrika, hatte zuerst Geigenunterricht bei Sheila Nelson, studierte dann am Royal College of Music Kensington/London bei Grigori Zhislin, weiter bei Zakhar Bron, eine enge künstlerische Partnerschaft verband ihn mit Yehudi Menuhin. Hope ist inzwischen einer der weltweit besten und gedankenvollsten Interpreten seiner Zunft, voller leidenschaftlicher künstlerischer Neugier, einer der individuellsten und faszinierendsten Virtuosen seiner Generation. Auch an diesem Abend spielt er seine (überaus wertvolle) “Ex-Lipiński” von Guarneri del Gesù aus dem Jahr 1742, die ihm von einer ungenannten Familie aus Deutschland zur Verfügung gestellt wurde. Um sich herum hatte er eine internationale Truppe brillianter Interpreten, ein kleines wunderbar kleines Barockorchester mit Simos Papanes, Violine, Nicola Mosca, Violoncello, Emanuele Fornie, Laute, Naoki Kitaya, Cembalo und Michael Metzler, Perkussion. Hopes launige Moderation führte durch das pralle Programm „Air“ voller Lebensfreude aus Barock und Renaissance, eine durchaus humorvolle, zwischenzeitlich sogar fast alberne Entdeckungsreise mit Werken von bekannten Schöpfern wie Händel, Vivaldi, Falconieri, Ortiz und unbekannteren Künstlern wie von Westhoff, Matteis, Leclair und Uccellini. Allen Beteiligten merkte man stupende Spielfreude und Spaß an, selbst bei schwierigsten Passagen. Natürlich brillierte Daniel Hope mit wirkungsvollem dynamisch-leichtem Spiel, wobei er selten dominierte, war dem Wohlklang der Gesamtheit verpflichtet. Zwischendurch tauschte man mal eben die Instrumente während des Spiel aus als sei das völlig normal, ohne das der gute Klang sonderlich litt, Multiinstrumentalisten seltener Güte eben. Das restlos begeisterte Publikum blieb den gebührenden Beifall nicht schuldig und wollte damit gar nicht mehr aufhören, was die Interpreten sichtlich freute. Ein wunderbarer Abend, schön, das man den in so stimmiger Umgebung so fein genießen durfte, zumal es in der Pause noch frische Salzbrezeln und kühlen Riesling gab.
Strahlender Sonnenschein am nächsten Morgen, es ist schon recht warm auf der Terrasse des „Steinbergkellers“, gute 300 m vor den Toren des Klosters Eberbach. Auf dem Tisch wartet ein Riesling Sekt, keiner will den so recht, eigentlich zu früh. Aber wir werden beruhigt -alkoholfrei- und trinken dann gerne den sehr intensiven Brut mit klarer Frucht und feinem Mousseaux, so lecker kann eigentlich jeder Tag beginnen.
Das Hessische Staatsweingut Steinbergkeller
Interessant wird es, denn in der Anlage des „Hessischen Staatsweinguts Steinbergkeller“ verbinden sich denkmalgeschützte Fachwerkgebäude, ein supermoderner Weinkeller, eine stylische Vinothek, das „Schwarze Häuschen“ mit Ausschank, Vesper, mit großartiger Aussicht und der gut 3 km langen historischen Bruchsteinmauer rund um den Lieblingsweinberg der Zisterzienzer-Mönche. Eben durch diese Mauer entstand -eigentlich ungewollt- ein besonderes Mikroklima, was die Trauben sehr aufwertete und den Wein besonders werden ließ, schützte zudem die Ernte gegen Diebe und Wildschweine.
Der gute Wein entsteht und reift in 300 verschieden großen Tanks, 1.8 Mio. Liter warten da auf die Gläser, 50 Holzfässer kommen noch dazu, 1.3 Mio. Flaschen können gelagert werden. Riesige Mengen in der Domäne, die schaffen wir, auch wenn wir uns sehr anstrengen, heute nicht mehr. Dann kämen wir auch nicht mehr raus aus dem ca. 14 m tiefen Keller, 80 Treppenstufen runter, in dem es durch schlaue architektonische Kniffe mit Lichtschleusen und Sichtachsen tatsächlich Tageslicht gibt. Wir schlendern in einem der modernsten Weinkeller Europas durch die eigentlich untypischen hellen Keller und diverse Produktionsanlagen, es gibt sehr viel moderne Technik zu bestaunen. Begleitet werden wir dabei mit genussvollen Proben von Assmannshäuser Höllenberg, Steinberg und Hochheimer Domdechaney (Erstes Gewächs), es gibt wahrlich unangenehmere Begleitungen. Wieder draußen warten heller Sonnenschein, eine kurze Busfahrt und die Besichtigung der „Perle des Rheingaus“.
Die Wein-, Sekt- und Rosenstadt Eltville
Den wahren Globetrotter erkennt man daran, wie er den Namen der Stadt „Eltville am Rhein“ ausspricht. Nämlich mit „e“ wie „-ville-“ und nicht ohne „e“ wie „-vill-“, also nix mit französisch von Stadt, sondern lateinisch von Villa. Musste ja mal gesagt werden.
Die hübsche Altstadt ist ist geprägt durch ein harmonisches Nebeneinander von Fachwerkbauten, malerischen Patrizierhäusern, prunkvollen Adelshöfen und einem der schönsten Rheinufer des Rheingaus. Als Weinstadt verpflichtet bieten sich gute Möglichkeiten, den Riesling zu genießen, so z.B. an Weinprobierständen. Im wöchentlichen Wechsel schenken dort hiesige Winzer ihre feinen Tropfen aus, Weingenuss in lockerer Atmosphäre, sei es in der Stadt oder mitten auf der Rheinpromenade, da sitzt man fast mit den Füßen im Rhein. Unter freiem Himmel und in gemütlicher Atmosphäre lernt man hier nicht nur den Wein, sondern auch den Rheingauer kennen. Den Überblick über die Stadt gibt es nach einem Rundgang durch die kurfürstliche Burg mit Besichtigung des Grafensaals und anschließender individueller Turmbesichtigung bis hinauf zur Wehrplatte mit dem beeindruckenden Ausblick in den Rheingau. In dieser Burg empfing übrigens Gutenberg, der Erfinder der Druckkunst mit beweglichen Lettern, die einzige Ehrung seines Lebens. Mehrere Jahre seiner Kindheit und als alter Mann scheint er in Eltville verbracht zu haben, ganz sicher ist man da nicht. Thomas Mann ließ seinen Romanhelden, den Hochstapler Felix Krull, in Eltville als Sohn eines Sektfabrikanten das Licht der Welt erblicken.
Die Eltviller Sekte genießen Weltruf. Mitte der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts begann Matheus Müller als einer der ersten Fabrikanten am Rhein mit der Produktion schäumender Weine nach der „Méthode champenoise“. „MM Extra“ ist heute eine der bekanntesten Sektmarken Deutschlands. Auch die 1868 in Berlin gegründete Sektkellerei Schloss Vaux, die mittlerweile ihren Sitz in Eltville hat, ist dieser Tradition verpflichtet.
Kaum hat man das Rheintor zum Burggraben in Eltville durchschritten, strömt dem Besucher Rosenduft entgegen. Die Sorte heißt “Yves Piaget” und man findet sie fast nur noch hier im Burggraben in Eltville. Immerhin blühen rund um die Kurfürstliche Burg und am Rheinufer rund 22.000 Rosenstöcke in 350 Sorten, darunter viele Raritäten und historische Rosen. Eltville gehört zu den ersten Rosenstädten Deutschlands und trägt diesen Namen seit über 20 Jahren. Rosen kann man auch essen, die Spezialitäten reichen dabei von Rosensenf über Rosenaufstrich bis hin zu Rosensalz und -pfeffer. Einige der kleinen Lädchen in der Eltviller Altstadt bieten die Rosenprodukte an. Nach der Lauferei ist Essen eine gute Idee, dazu geht es in den Rosengarten.
Den lauschigen Garten gibt es im Innenhof vom „Weinrestaurant Koegler“, aufhalten kann man aber auch drinnen in den stimmungsvollen Räumlichkeiten des Gutsausschanks oder in urig-romantischen Gewölbekellern. Wir bleiben draußen, werden freundlich von der Sommelière Kseniya Koegler begrüßt, die uns auch kundig den Wein vom eigenen Gut vorstellt. Natürlich ist ein Rheingau 2018er Riesling dabei, ich fand den 2014er Rubeus Pinot Noir aber wesentlich interessanter.
Und der passte auch gut beim frischen Salat als Vorspeise und danach zum fein gebratenen Fisch mit Scampis, grünem Spargel und kleinen Kartoffeln. Ich schaue mir noch mal die Speisenkarte an, nicht weil ich noch Hunger habe, sondern um den Vorsatz zu fassen, hier nochmal her zu kommen. Der Nachmittag und frühe Abend gehören wieder der Musik des Rheingau Musik Festivals, dazu geht es ganz in die Nähe nach Kiedrich.
Fahrende Musiker im Weingut Weil
Zum Glück ist für uns ein Tisch reserviert, es gibt mehr Gäste als Platz zum Sitzen, so lagert sich das Publikum im „Weingut Weil“ locker rings um die offene Halle auf dem Rasen. Auch die Musik ist locker, es treten nacheinander gleich vier Gruppen auf, „The Speedos“ mit handgemachten Rock´n´Roll, Pop- und Partyklassikern und allem dazwischen, „I Liguriani“ bringt aus der Gegend um Genua herum beschwingten Folk mit Gefühl, traditionelle Lieder voller Herz und Seele. Weiter mit „Monsieur Pompadour“, die haben es mit heiterem Swing, ambitionierter Wildheit, Melancholie und das gleich vierstimmig. „Hootin´ the Blues“ unterhält mit, ja natürlich Blues, aber auch Ragtime, Country, Bluegrass und Jazz. So ist für alle etwas dabei, man muss sich nicht dauernd konzentrieren, einfach nur genießen und ein leckeres Weinchen trinken.
Das tue ich auch gerne mit dem vorzüglichen Wein des Gutes, vielgerühmt, vielgelobt, vielgetrunken und vielbepreist, eben Spitzenprodukte, geliebt und geordert seit 1867 von illustren Häusern und Prominenz weltweit. Die ist heute nicht da, dafür wir und viele nette Leute, dazu ein trockener, eleganter, fruchtbetonter Riesling als Gutswein, Ortswein, Erste Lage und Große Lage. Oder als Leichtwein Kabinett mit sehr wenig Alkohol, dazu Charta Weine als Halbtrocken, Fruchtsüß oder Edelsüß, also alle Qualitätsstufen bis hin zur Trockenbeerenauslese, für die Juroren Traumnoten bis zu 100 Punkte vergeben. Das schon von der Musik sehr angetane Publikum weiß das auch und spricht dem Wein kräftig zu, auch ich habe genug damit zu tun, wann hat man schon mal solchen Genuss zur Auswahl.
Klosterbier im Klosterbiergarten
Aber irgendwann ist auch damit Schluss und es geht zurück zum Kloster Eberbach. Fürs Bett noch zu früh, bietet sich draußen unter Plantanen der Biergarten der Klosterschänke an und da entdecke ich eine weitere -und nach dem ganzen Wein- angenehme Spezialität, das hauseigene Klosterbier. In drei Variationen, als Kloster WEISBIER alkoholfrei, isotonischer Durstlöscher, reich an Mineralien, eine leckere Erfrischung, obergärig, frisch und hefetrüb, als Kloster Bier HELL, vollmundig & frisch, malzaromatisches, mild gehopftes Exportbier, Brauart: untergärig, Stammwürze: 12,7 %, Alkoholgehalt: 5,2 % vol. Absolute Spitze aber ist für mich das Kloster Bier DUNKEL, elegant & fein, süffiges, leicht gehopftes Bier mit dunklem Malz, Brauart: untergärig, Stammwürze: 12,9 %, Alkoholgehalt: 5,2 % vol. Bei dem bleibe ich sehr gerne und der Abend wird dann doch noch lang. Wie schon am Anfang gesagt, gibt es: Im Rheingau – Viel mehr als nur Riesling.
Die Recherche wurde ermöglicht mit freundlicher Unterstützung von Rheingau-Taunus Kultur und Tourismus GmbH und Partner.
Mehr Infos unter: www.rheingau.com
P.S. Aufsteiger des Jahres
Beeindruckend ist die Leistung von Carl Ehrhard, dem gerade frisch gekürten Aufsteiger für das Jahr 2020 aus dem Rheingau. Mit seinem gleichnamigen Weingut in Rüdesheim hat er eine Blitzkarriere hingelegt und ist zu einer festen Größe in der deutschen Winzerszene geworden. Dabei lässt er seine Rieslinge geduldig heranreifen, ohne Zeitdruck und im positiv traditionellen Stil. Mit seinen 14 Weinen, einer besser als der andere, verbinden sich Genuss und Tradition in höchster Riesling und Spätburgunder Qualität.