Mächtiger meerumtoster roter Fels mit grünem Land und weißem Sand
Von Elke Backert
Weil sie zu nahe am Wasser spazieren, ruft ein Mann die beiden ins Gespräch vertieften Damen zur Ordnung. Denn die zu Hunderten am Sandstrand der Düne liegenden Kegelrobben nehmen schon Reißaus in die schützenden Fluten. Oder sie „winken“ mit der Flosse, was soviel bedeutet: Bitte nicht näher kommen! Im Grunde aber haben sie sich an die Touristen gewöhnt und heben nur neugierig den Kopf, wenn die ihnen mit Kamera und Fernglas zu Leibe rücken. Es soll sogar vorkommen, dass eine schwimmende Robbe einen Badenden freundlich mit der Nase stupst. Wer nichtsahnend mit dem Börteboot die Helgoland vorgelagerte Düne ansteuert und die drollig dreinschauenden Tiere so zahlreich und so nah vorfindet, ist wirklich überrascht.
Nicht nur sie, auch der seichte Südstrand mit dem rot-weiß geringelten Leuchtturm, den Bungalows, dem sonnigen Restaurant und dem schönen Naturschutzgebiet laden Urlauber zum Bleiben. Da wo auf der flachen Düne mit den weitläufigen breiten Naturstränden die kleinen Flugzeuge landen – Vorsicht! -, findet man Feuersteine, die mit Millionen Jahre alten fossilen Muschelschalen besetzt sind.
Im Dezember und Januar kommen an den weißen Stränden der Düne die Robbenbabys zur Welt. Sie wiegen nicht mehr als zehn bis 14 Kilogramm und werden von einem sehr dichten Fell vor Kälte und Wind geschützt. Genährt durch die extrem fetthaltige Muttermilch wächst den Jungtieren eine dicke Speckschicht, die nach drei bis vier Wochen die isolierende Funktion übernimmt. So können sie nach drei Wochen bereits etwa 50 Kilogramm wiegen. Im Dezember und Januar lädt Deutschlands einzige Hochsee-Insel zum Robbenbaby-Watching. Bei diesem einmaligen Naturerlebnis erleben Besucher unter sachkundiger Führung eines Naturschutzbeauftragten Geburt und Aufzucht der knopfäugigen Tiere so nah wie wohl nirgendwo sonst in Deutschland. Während dieser Zeit können sich Besucher am Strand der Helgoländer Badedüne den Tieren bis auf 30 Meter nähern.
Eine Sturmflut riss Anno 1720 die Insel in zwei Teile. Mächtig ragt der rote Fels mit dem fast 50 Meter hohen Wahrzeichen, der „Langen Anna“, aus der Nordsee. Tagestouristen kommen oft nur des zollfreien Einkaufs wegen, und es lohnt sich in der Tat! Um die Insel mit Unter- und Oberland wirklich kennen zu lernen, braucht man Zeit. Verweilen möchte man an der Westklippe mit ihren leuchtenden Buntsandstein-Schichten. Diesen schönsten Teil des Felsens haben sich Trottellumme, Dreizehenmöwe, Basstölpel, Austernfischer und der Eissturmvogel als ihr Brutrevier angeeignet. Vom Rundweg auf dem grünen Oberland mit den grasenden Heidschnucken sind die Seevögel mit dem Fernglas gut zu beobachten. Besonders lustig im Juni der „Lummen-Sprung“, wenn die noch flugunfähigen Vögel wie Gummibälle 40 Meter tief aufs Wasser plumpsen.
Schön ist auch der Blick auf die majestätisch vor der Insel dümpelnden weißen Seebäder-Schiffe“, die am frühen Abend mit den Tagesgästen wieder zum Festland fahren. Weder Motorenlärm noch Fahrräder stören die Idylle, die wenigen Autos im Unterland fahren elektrisch leise, und die staubfreie und pollenarme Luft tut ein Übriges. Die einzigen „öffentlichen Verkehrsmittel“ sind der Fahrstuhl zum Oberland – sportliche Leute bevorzugen natürlich die 182 bis 260 Stufen der Treppen – und das Boot zur Düne.
Zur maritimen Flanier-Meile mauserten sich die denkmalgeschützten Hummerbuden, ehemalige Fischerhäuser. Hier kann man rumstöbern und in “Rickmer`s Insulaner” die Delikatesse „Knieper“ (Kneifer) essen. Das sind die Scheren des weltberühmten echten Helgoländer Hummers, der vor der Insel auf Felssockeln und nicht im Schlick lebt, weshalb er besonders fein schmeckt. In einem der bunten Holzhäuschen kann man sich sogar trauen lassen. Das finden jedes Jahr rund 100 Paare schick.
Schick fanden auch Dichter und Denker früherer Zeiten die Hochsee-Insel, das „Capri des Nordens“. Um 1830 war jeder hier, der einen Namen hatte: Heinrich Heine 1829, Adelbert von Chamisso und Hoffmann von Fallersleben 1841, den das Ambiente zum „Lied der Deutschen“ anregte, unserer Nationalhymne. Man wohnte in Fischerhütten, und selbst Könige lebten ihre Sommerfrische fern höfischer Kultur. Bekannt wurde die Insel in der Deutschen Bucht durch den Physiker Georg Christoph Lichtenberg, der Ende des 18. Jahrhunderts fragte, warum Deutschland noch kein Seebad habe. Bis 1814 war Helgoland dänisch, dann britisch, 1826 wurde es Seebad. Lichtenberg entdeckte die Insel als Südsee-Atoll – das Designhotel atoll übernahm den Namen -, auf dem man „schöne, verführerische, willige Frauen“ finde. Kaiser Wilhelm II. tauschte Helgoland am 10. August 1890 gegen das afrikanische Sansibar ein und baute es zum stark befestigten Marinestützpunkt aus. Die 1919 zerstörten Anlagen ließ Hitler erneuern. Er hätte lieber ein germanisches „Atlantis“ gehabt. Himmler ließ sogar mit U-Booten nach der sagenhaften Insel suchen.
Die Bombardierung durch England im Zweiten Weltkrieg hinterließ den Trichter einer 5.000-Kilo-Bombe, heute ein grün bewachsenes Loch. Das bis zu 20 Meter tiefe und etwa 20 Kilometer lange Bunkersystem, das die Bewohner rettete, kann bei Führungen besichtigt werden.
In eine Gehweg-Platte auf der Landungsbrücke eingegraben ist ein Ausspruch von Heinrich Heine: „Das Meer ist mein wahlverwandtes Element und schon sein Anblick ist mir heilsam.“
Dank des futuristischen Katamarans „Halunder Jet“ ab Hamburg-Landungsbrücken, Wedel und Cuxhaven ist das Seebad gut und superschnell zu erreichen.
Info:
Tipp: Am 12. Juli wird jedes Jahr der Tag des Seebäderdienstes als Inselfest gefeiert mit Buden, Musik, Tanz, zollfreiem Einkauf und Mitternachtsfeuerwerk.
www.helgoland.de und www.helgoline.de
Fotos Elke Backert