Hannovers bunte Vielfalt

Grün und Blau, die wahren Schätze der niedersächsischen Hauptstadt

von Udo Haafke

Nicht weniger als 24 chromblitzende Zapfhähne ragen aus der Wand hinter dem Tresen der Craft Bier Bar am Burghof mitten in der malerischen Altstadt Hannovers. Die gemütliche Eckkneipe ist nur eine der zahlreichen gastronomischen Möglichkeiten, um einen anregenden Tag in der niedersächsischen Landeshauptstadt ausklingen zu lassen. „Etwa alle 14 Tage wechseln wir das komplette Sortiment durch, bieten unseren Gästen also ständig etwas Neues“, erzählt die blonde Gastwirtin lächelnd. Freunde der boomenden internationalen Craftbeerszene kommen voll auf ihre Kosten. Mit Kreide und flinker Hand auf Schiefertäfelchen geschrieben findet sich eine erstaunliche Auswahl edler Gerstensäfte, die von den USA über Schottland, Dänemark und Norwegen bis ins Biermekka Belgien oder auch ins deutsche Frankenland reicht. Genau das Richtige, wenn man erst wenige Stunden zuvor Kap Hoorn umsegelt hat.

Kap Hoorn nennen die Hannoveraner eine markante baumbestandene Landzunge, die in den Maschsee, den künstlichen Binnensee unweit des Neuen Rathauses, hineinragt. Die große Wasserfläche besitzt sogar einen eigenen, stets gut frequentierten Sandstrand, der das Glanzlicht des idyllischen innenstadtnahen Freizeitgebietes bildet. „Das Segeln um unser Kap Hoorn kann schon mal eine besondere Herausforderung sein, denn hier gibt es ein sehr eigenständiges Mikroklima und der Wind bringt unsere Jollen und Galleonen gerne einmal bedenklich ins Schwanken.“ Nur mit Segelschein darf hier entsprechend in See gestochen werden, berichtet Heidi Rehns von der örtlichen Yachtschule, während sie mit geschickten Handgriffen die leuchten gelborangen Segel des Bötchens rafft. „Der Maschsee ist nur gut zwei Meter tief und wurde erst in den 1930er Jahren mit einfachsten Werkzeugen von Menschenhand ausgegraben.“ Der Ausflug auf das Wasser erweist sich in jeden Fall als eine höchst genussvolle und entspannte Art und Weise dem Trubel der 500.000 Einwohner zählenden norddeutschen Metropole zu entfliehen.

Wenn man die drangvolle Enge und die gewöhnungsbedürftige Fahrt des einzigartigen Schrägaufzugs unter der grünen Kuppel des Neuen Rathauses überstanden und die Wendeltreppe bis hinauf in die Spitze des 1913 fertiggestellten Gebäudes erklommen hat, belohnt eine grandiose Rundumsicht. Bei klarem Wetter lässt sich sogar der Brocken, die höchste Erhebung des Harzes, am Horizont ausmachen. Der Maschsee stellt in südwestlicher Richtung eine große blaue, in der Sonne glitzernde Fläche dar, umringt von Alleen und Grünanlagen, während im Nordosten die immense Grünfläche der Eilenriede ihrem Ruf als grüne Lunge im Herzen der Stadt alle Ehre macht. „Die Eilenriede gehört europaweit mit gut 6,4 qkm zu den größten zusammenhängenden, städtischen  Waldgebieten.“ Elke Siebert, die gebürtige Amerikanerin mit noch immer leicht hörbarem Akzent, ist merklich stolz auf ihre Stadt und erzählt überschwänglich aus der Geschichte Hannovers, die mit einer nahezu 90-prozentigen Zerstörung im Jahr 1943 einen traurigen und tragischen Höhepunkt fand. „Aber es wurde wieder aufgebaut, zumeist Trümmerfrauen legten Hand an und schufen den Grundstein für das, was wir heute von hier oben sehen können. Die vielen Fachwerkhäuser in der Altstadt beispielsweise stehen meist nicht an ihrem ursprünglichen Standort, sondern wurden hierher verbracht, um ein ansprechendes Zentrum zu schaffen.“ Dies gilt auch für das Leibniz-Haus. Barocker Stuck in geradezu epischer Breite ziert die Fassade des Hauses, in welchem der visionäre Theologe und Wissenschaftler im 16. Jahrhundert eine Etage bewohnte und mit leidenschaftlicher Akribie Abhandlungen und Texte zu allen möglichen Themen und Inhalten verfasste.

Nach den Wirtschaftswunderjahren erlebte Hannover speziell in der Peripherie einen wahrhaftigen Bauboom. Als recht durchdacht erwiesen sich dabei die Maßnahmen der Stadtväter breite Verkehrsachsen anzulegen, welche den ständig zunehmenden Autoverkehr erstaunlich gut zu lenken vermögen und zudem den Innenstadtkern weitgehend freihalten. In den frühen 1970er Jahren bemerkte man jedoch, dass dem öffentlichen Raum künstlerische Auflockerungen fehlten. So fiel der Entschluss nicht schwer etwas Besonderes anzuschaffen: die Wahl fiel auf bunte, üppig gestaltete Nanas der Französin Niki de St. Phalle. Doch die Hannoveraner zeigten sich wenig begeistert angesichts des Einsatzes von Steuergeldern zur Stadtverschönerung. Mittlerweile gehören die bunten Kunstobjekte wie selbstverständlich ans Leineufer gegenüber dem Landtagsgebäude, alle weiteren zwischenzeitlich aufgestellten Skulpturen und Installationen entstammten später jedoch privatem Sponsorentum.

Niki de St. Phalle bekam noch einmal Gelegenheit sich künstlerisch einzubringen, sie wurde engagiert, um zur EXPO 2000 die historische künstliche Grotte am Herrenhauser Schloss auszugestalten. Die dortigen drei Räume erscheinen wie ein winziges, von Innen verspiegeltes und mit unregelmäßigen Kacheln verkleidetes Fantasieschloss, das auf seine ganz eigene Weise mit den bunten Blumenbeeten und dem weitläufigen Landschaftspark der weltbekannten Barockgärten kontrastiert. Ein heller Raum für den Tag, ein Dunkler ganz in Blau für die Nacht und eine große Halle dazwischen. Allesamt über und über dekoriert mit grellfarbigen symbolbehafteten, mithin typischen Objekten der Künstlerin, die die etwas verspätete Einweihung im Jahr 2003 selbst jedoch nicht mehr erlebte. Bei genauerer Betrachtung fällt ein schwarz-weißes Fragezeichen an der Gewölbedecke auf und nicht weit davon in gleicher Anmutung die Buchstaben B, E, A und N. Eine Huldigung an den britischen TV-Komiker Rowan Atkinson alias Mr. Bean, den de St. Phalle glühend verehrte. Gleichzeitig schlägt sie damit einen historischen Bogen sollte doch Kurfürstin Sophie, Begründerin der Herrenhäuser Gärten, 1714 als einzige Protestantin der königlichen Erbfolge englische Königin werden. Leider verstarb sie einige Monate zu früh und ihr Sohn Georg I. übernahm das royale Engagement, das die damalige enge Verbundenheit Hannovers mit England besiegelte.

Weit weniger geordnet als der imposante Herrenhäuser Landschaftspark präsentiert sich das riesige Waldgebiet der Eilenriede, der grünen Lunge inmitten des Häusermeers. Von nur wenigen Wegen durchzogen vergisst man schnell die Nähe zur Stadt. Verkehrslärm weicht dem Zwitschern der Vögel, dem Klopfen der Spechte, die sich im gut 250 Jahre alten Waldgebiet pudelwohl fühlen. Die Hannoveraner nutzen den Forst lebhaft für Spaziergänge, Wanderungen und Fahrradtouren. Weite Teile des dichten, vornehmlich Laubbaumbestandes überlässt man sogar sich selbst und gibt der Natur damit den Raum und die Möglichkeit wieder sich selbst zu gestalten. An einigen Stellen finden sich noch die typischen traditionellen und noch immer bewirtschafteten Milchhäuschen im 1950er Jahre Stil für eine Einkehr zwischendurch. Wer mag, kann das »Rad« durchlaufen, ein esoterisch angehauchtes Rundweglabyrinth im speziell angelegten Rasengarten. Einen kleinen Teil des Waldgebietes nimmt zudem der Hannoveraner Tiergarten ein, der neben vielen Exoten auch die heimische Tierwelt im lauschigen Ambiente eines charakteristischen niedersächsischen Bauernhofensembles zeigt.

[mappress mapid=“null“]Grüne Ideen verwirklichen ambitionierte Start-Up Unternehmen auf einer ehemaligen Industriebrache im Stadtteil Linden. Ambitionierte Jungunternehmer bekommen hier für kleines Geld und mit einfachsten Mitteln die Chance neue Ideen auszuprobieren. Das etwas unaufgeräumt wirkende Gelände mit den ausrangierten Frachtcontainern dient als Werkstatt für Fahrradbauer, Studio für Künstler oder Versuchslabor einer kleinen Brauerei, die hier an neuen lukullischen Kreationen experimentiert. Einer davon, Tim Göbel, hat neben der Containergaststätte und dem Containertheater sein ökologisches Wohnkonzept “Trekkers Huus“ zur Serienreife gebracht. Der umgebaute Container dient auf wenigen Quadratmetern als gemütliche Ferienwohnung, die sich bester Buchungslage erfreut. „Die Wände des Hauses sind gut 25 cm dick und entsprechen allen Kriterien eines Nullenergiehauses“, berichtet der junge Mann. Doppelbett, Küchenzeile und Nasszelle sowie eine Dachterrasse markieren die erstaunlich komfortable Wohnanlage, die konzeptionell einer Wanderhütte entspricht und mittels App und Smartphone gebucht werden soll. „Nur die Standortfrage ist noch offen. Ich hoffe diese kleinen Hütten an Wanderwegen beispielsweise im Harz aufstellen zu können. Erste positive Gespräche hat es bereits gegeben.“ Selbstverständlich soll das kleine Haus energieautark werden, mit Solarzellen auf dem Dach, mit Pelletofen und eigenem Brunnen. Angedacht ist das Ganze letztlich sogar als zukunftsweisendes Hotelkonzept.

Information:

Niedersachsen allgemein: www.reiseland-niedersachsen.de
Hannover: www.hannover.de/Tourismus, Ernst-August-Platz 8, 30159 Hannover, Tel. 0511/12345111

Anreise:
Hannover ist über das deutsche Fernstraßennetz am Kreuzungspunkt von A2 und A7 leicht erreichbar, vom zentral gelegenen Hauptbahnhof sind es nur wenige Minuten zu Fuß bis zum Stadtkern. Über das Straßen- und U-Bahnnetz sind alle Stadtteile problemlos zu erreichen (www.uestra.de). Eine Alternative zum Taxi ist das Ridesharing-Angebot von MOIA, eine Art per App bestellbares und komfortables Sammeltaxi (www.moia.io/de/)

Unterkunft:
In bester Lage in der Nähe des Neuen Rathauses befindet sich das MERCURE Hotel Hannover City, im historischen Gewand präsentiert sich eine modern geführte und ausgestattete Unterkunft. Willy-Brandt-Allee 3, 30169 Hannover, www.mercure.com/1016, Tel. 0511/8008102.
Trekkers Huus, Ökologisch und funktional im Platzprojekt Hannover-Linden, Fössestraße 103, 30453 Hannover (https://bit.ly/2Ef7NHs)

Essen und Trinken:
Lauschig am Maschpark, mediterran angehaucht: Loretta´s Milchhäuschen, Culemannstr. 14, 30169 Hannover, www.lorettas-hannover.de, Tel. 0511/5905780.
Stilvoll und modern: Schlossküche Herrenhausen, Alte Herrenhäuser Str. 3, 30419 Hannover, www.schlosskueche-herrenhausen.de, Tel 0511/2794940.
Rustikal am Zoo: Gasthaus Meyers Hof, Adenauerallee 3, 30175 Hannover, www.zoo-hannover.de/de/ihr-besuch/gasthaus-meyer,Tel. 0511/28074203
Craft Bier Bar, Ballhofplatz 7, 30159 Hannover, www.craftbierbar.de, Tel. 0511/3571751

Sehens- und Erlebenswert:
Jeden Samstag toller, atmosphärischer Flohmarkt am Leineufer zwischen Leintor- und Goethebrücke; die Herrenhäuser Gärten bestehen aus dem Berggarten mit Treibhäusern und SeaLife Aquarium, Georgengarten, Welfengarten und dem Großen Barock-Garten mit der Kunstgrotte von Niki de St. Phalle (www.hannover.de/herrenhausen); der Stadtwald Eilenriede, Führungen durch den großen Park bietet u.a. Stattreisen Hannover an (www.stattreisen-hannover.de); Neues Rathaus von 1913 mit Schrägaufzug in die Turmspitze des Daches (https://bit.ly/2QztxPK);
Segeln lernen auf dem Maschsee in der Yachtschule Hannover, Rudolf-von-Bennigsen-Ufer 51, 30173 Hannover, (https://yachtschule-hannover-kapt-hannes-bondesen.business.site/) Tel. 0511/8060534.

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Udo Haafke

Autor Kurzvorstellung:

freiberuflicher Foto-Designer und Bildjournalist, Autor diverser Bildbände, Kalender und Reiseführer, Ausstellungen im In-und Ausland, freie Mitarbeit bei verschiedenen Tageszeitungen im Bundesgebiet.

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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