Die Sprache, die Gründe müssen an dieser Stelle nicht weiter aufgeführt werden, ist in den Strudel der Politik geraten. Entweder ist mir ihr Gebrauch verschlossen, weil ich sonst kultureller Aneignung geziehen werde, oder direkt kulturell gecancelt, oder woke Zeitgenossen drohen mit Verbannung oder Schlimmerem. Und in diesen unruhigen Zeiten muss ich mir den Serses auf Italienisch anhören. Oder darf ich? Gut, das geht noch, Georg-Friedrich Händel hat ihn auf Italienisch geschrieben, aber dann wird der Messias im Dom zu Halle auch auf Italienisch gegeben, als „il Messia“, dabei ist die Originalfassung doch auf Englisch geschrieben worden, die Original-Übersetzung ins Italienische befindet sich in Halle. War das der Grund?
Das Motto der diesjährigen Händel-Festspiele hat tatsächlich mit dem Streit um die Sprache zu tun. Erklärt wird das Thema jedoch schlecht, wenn sich auch eine „internationale wissenschaftliche Konferenz“ und der Festvortrag von Arnold Jacobshagen damit abmühten. Das Motto lautet: „Die Oper: Streit um Dideldum und Dideldi“. Mit dieser eher albernen Begrifflichkeit wurde dem Thema die Schärfe genommen, und der Streit ironisiert.
Diesem Bemühen um Vergnüglichkeit entsprach auch die Inszenierung des Serse. Xerxes als jetsettender Olmilliardär, die Bühne dominiert von einem Flugzeug. Angesichts der hervorragenden Besetzung mit Stars von der Mezzosopranistin Anna Bonitatibis, Händel-Preisträgerin dieses Jahres, bis Michael Zehe war dies vielleicht etwas platt. Das Motto ist ein Zitat aus einer Londoner Zeitschrift des Jahres 1725, das auf die Konkurrenz zwischen den Opernkomponisten Giovanni Bononcini und Georg Friedrich Händel abzielte.
Da traf die „Opera of the Nobility“ auf Händels italienische Opera, die zwar noch keine opera buffa war, aber doch leichter daherkam als die britische Adelskunst. Für die Nachwelt scheint der Sieger klar: Händel! Doch die Zeitgenossen stritten erbittert: „Manche sagen, verglichen mit Bononcini sei Herr Händel nur ein armer Tropf. Andere behaupten, Bononcini sei kaum würdig, für Händel eine Kerze zu halten. Merkwürdig, dass ein solcher Streit entsteht. Um Dideldum und Dideldi.“ Dieses Zitat stammt von John Byrom, einem Schriftsteller aus Manchester und Mitglied der Royal Society.
Händel passte sich an und schrieb – unter anderem den Messias. Was dieser Streit aus dem frühen 18. Jahrhundert mit der heutigen Situation im Umgang mit Kultur in fremden Sprachen zu tun hat, erschloss sich nicht jedem Besucher der Festspiele. Aber Halle setzte damit einen Akzent.
Intendant Clemens Birnbaum: „Wir möchten daran erinnern, dass der Komponist in London wiederholt Schwierigkeiten hatte und reagieren musste, damit seine italienischen Opern vom Publikum erfolgreich angenommen wurden.“
Dieser Händel war flüssig in vier Sprachen, in Italienisch, Latein, Englisch und Deutsch. Und letztes Idiom soll nicht sein liebstes gewesen sein. Bestimmt aber wird er die Sprache seiner Vaterstadt gesprochen haben. Und das ist Hallisch, der Lattcherschmus, wie Andrea Seidel, Germanistin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, dieses Gewächs aus verschiedenen Wurzeln nennt.
Und kommt der Reisende nach Halle, was er unbedingt mal tun sollte, und nicht nur in diesen Tagen, an denen Händel und seine Werke alles überstrahlen, dann sollte er „mal schlenkern jehn“, und wenn er jemanden zum „täwwern“ trifft oder mitgebracht hat, umso besser. Das will sagen, mit dem Programm der Festspiele mag man zeitlich voll ausgelastet sein. Dieses geht noch bis zum 11. Juni. Kommt man dagegen zu einer Zeit, in der der Meister des Barocks nur stumm vom Sockel auf dem Marktplatz grüßt, gibt es trotzdem viel zu sehen und zu tun. Die Spielzeit der Bühnen Halle dauern bis zum 31. Dezember. „Wenn Halle die Kulturhauptstadt Sachsen-Anhalts ist, dann sind die Bühnen Halle ihr kulturelles Zentrum, ihr Herzstück“, sagt Bürgermeister Egbert Geier.
Nimmt man die übrigen Sehenswürdigkeiten der Stadt und des Umlandes hinzu, vom Landesmuseum für Vorgeschichte, die Moritzburg, den Roten Turm und Hausmanns Türme bis zur Marktkirche „Unser Lieben Frauen“ und zum Beatle-Museum, dann muss man zusehen, wo man noch die Zeit für die Gastronomie herbekommt. An der Saale sollte man eingekehrt sein, im Krug zum Grünen Kranze, im Saalekahn. In der Altstadt lohnen viele Wirtschaften einen Besuch, etwa das Gasthaus Schad oder die Trattoria Da Mario. Und trotzdem, ein Bummeln von Geschäft zu Geschäft und reichlich Schwätzchen mitten drin müssen sein, wenn man ein Gefühl für die Stadt bekommen will, die sich den Titel Hauptstadt Sachsen-Anhalts mit Magdeburg teilt. Dann hört man und liest man, wie geradezu genüsslich hier Sprache gelebt und spielerisch entwickelt wird.
Die wohl schönste Wortschöpfung auf Hallisch wurde wohl im vorigen Jahr gefunden, es war ein Schrei der Erlösung nach den Zumutungen der Corona-Jahre. Es war ein Halleluja, ein Halle-Luja.
Womit wir wieder beim Dideldum und Dideldi sind. Dideldum hieß eine Sammlung von Wilhelm Busch. Beide sind Figuren aus Alice im Wunderland, oder Wonderland, so die englische Originalfassung. Und mit Orlando, einer „Zauberoper“, begannen vor 100 Jahren die ersten Händel-Festspiele. Und wir stellen fest: Die Sprache der Musik ist universal. Italienisch, englisch, deutsch oder hallisch sind nur die Übersetzungen. Und darum kann man auch niemandem vorwerfen, sich diese Kultur anzueignen, weil sie allen gehört. Und wer meint, woke zu sein, ist irgendwo aufgewacht, nur nicht im Wunderland der Musik. Und schon gar nicht in Halle (Saale).
BU: Umjubelt im Goethetheater von Bad Lauchstädt: Alessando Severo, von Georg Friedrich Händel und seine musikalische Leiterin Jana Semerádová. Copyright: hhh