Glücksritter und singende Sägen – unterwegs in Kanadas Yukon Territorium
Berlin, Fort Lauderdale, Heidelberg: Nein, ein Ortsschild von Ulm an der Donau können wir unter den 90.000 Schildern aus aller Welt nicht entdecken. Wahrscheinlich steckt es irgendwo zwischen New York und Sydney. Der „Sign Post Forest“ in Watson Lake im Yukon war die Idee eines heimwehkranken Soldaten namens Carl Lindley, der während der Bauzeit des Alaska Highways 1942 mit mehreren tausenden Kameraden hier stationiert war. Nachahmer waren schnell gefunden. So mancher Bürgermeister würde sein verschwundenes Ortsschild im Schilderwald wiederentdecken. Heute ist es die Attraktion in diesem abgeschiedenen Ort.
Foto oben: Bisons auf dem Alaska Highway
Die „Boom-Zeiten“ sind spätestens seit Aufgabe der Bergwerkstätigkeit völlig vorbei. Heute leben noch etwa eineinhalbtausend Menschen in dem Ort. Die weitgehend ursprüngliche Natur kann man auf dem Wasser, mit dem Mountain-Bike oder einfach zu Fuß erkunden. Inmitten von Watson Lake liegt das Northern Lights Centre. Hier werden im Sommer auf Leinwänden die Spiele der Nordlichter gezeigt, da es wegen der hellen Nächte draußen kaum möglich ist, diese in Wirklichkeit zu beobachten. Im Winter dagegen wenn sie fast regelmäßig über das Firmament tanzen, finden im Gebäude Gemeindeveranstaltungen statt. „Es ist nur ein kleiner Ort “, erzählt uns Walter, ein ausgewanderter Schweizer während des Frühstücks. Er hat hier vor fast 20 Jahren zwei Hütten gebaut die er an Touristen vermietet. Zur Sicherung des Lebensunterhaltes arbeiten er und seine Frau noch Teilzeit in anderen Betrieben. Die Zahl der Besucher im Winterhalbjahr ist zu gering um von Feriengästen leben zu können.
Wir verlassen die drittgrößte Gemeinde des Yukons Richtung Westen. Das kanadische Yukon Territorium umfasst 483.450 Quadratkilometer auf dem sich ca. 34.000 Bewohner verteilen, von denen mehr als die Hälfte in der Hauptstadt Whitehorse leben. Unterwegs in dem dünn besiedelten Gebiet lässt man sich Zeit. Die meisten Autofahrer halten sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Oftmals sind minutenlang keine anderen Fahrzeuge zu sehen, bis wieder ein riesiger Lastwagen entgegenkommt. Diese bringen Grundversorgung in die entlegenen Gebiete des hohen Nordens. Plötzlich sind wir zum Anhalten gezwungen: Eine Herde Bisons überquert in aller Ruhe die Straße. Bullige Mütter blöken nach ihren herum tollenden Jungen. Sie begleiten uns noch eine Zeit lang bevor sie im Wald untertauchen. Einzelne alte Bullen liegen abgesondert von der Herde in Sandkuhlen und dösen vor sich hin.
Für die meisten Besucher ist der Begriff Yukon mit dem im Jahr 1898 ausbrechenden Goldrausch verbunden. Glücksritter bewältigten damals meist auf dem großen Fluss den mühsamen Weg in den Norden, wo angeblich märchenhafte Goldfunde auf sie warteten. Andere kamen mit unglaublichen Strapazen von der Hafenstadt Skagway am so genannten Pfannenstil Alaskas über den Chilkoot Pass durch den Tiefschnee mit Packpferden in den Yukon. Man nimmt an, dass etwa 100.000 Goldsucher auf diesem beschwerlichen Weg das Gebirge überquerten. Viele von denen, die sich großer Hoffnungen hingaben erreichten nie ihr Ziel. Gefährliche Flussfahrten und unmenschliche Temperaturen im Winter kosteten zahlreiche Menschenleben. Nur Wenige waren wirklich erfolgreich.
Schräge Töne von der Säge
Besucher strömen in den Theatersaal. Der Vorhang öffnet sich. Schräge Klaviertöne kündigen den Auftritt der Schauspieler an. Tänzer, vor allem keck gekleidete Tänzerinnen der „Frantic-Follies Vaudeville Revue“ begeistern die Zuschauer. Vielseitig ist die Gruppe, die nicht nur schauspielerisches Talent aufweist, sondern auch einer Säge eine Art Musik entlocken. Thema ist die Zeit des Gold-Rushs mit Texten bekannter Künstler von damals. Das Publikum wird in das Spiel mit einbezogen, es wird viel gelacht. Wir werden nach unserer Herkunft gefragt. Germany bzw. Bavaria als Antwort sorgt im Publikum für ein großes Hallo!
Die Hauptstadt des Yukons am gleichnamigen Fluss war und ist Ausgangspunkt für viele Nordlandtouren. Der Flugplatz von Whitehorse wird von Deutschland direkt angeflogen. Bevor man in die Wildnis aufbricht kann man sich in der Vielzahl der Geschäfte mit allem Notwendigen versorgen. Besonders sehenswert ist das Visitor Center. Hier gibt es vielseitige Informationen über Geschichte der Region. Freundliche Mitarbeiter kümmern sich um alle Fragen der angereisten Besucher. Obwohl es im Vergleich eher eine Kleinstadt ist, finden sich zahlreiche mit authentischen Souvenirs bestückte so genannte „Giftshops“ oder Galerien. Angeboten werden Kunstgegenständen der First Nations, wie man in Nordamerika Indianer jetzt nenn und der Inuit, deren alter Name Eskimos nicht mehr salonfähig ist. Das Wort kommt nämlich aus einer Sprache der First Nations und bedeutet Rohfleischfresser.
Vieles gibt es in Whitehorse zu sehen: Zum Beispiel den restaurierten historischen Schaufelraddampfer SS Klondike. Verschiedene Museen führen die Besucher entweder zurück in die Urzeit, wie dies im Yukon Beringia Interpretive Centre der Fall ist, oder sie versetzen im McBride Museum den Besucher in die Zeit des Goldrausches. Kaufhäuser bieten alles was man im Norden braucht. Ebenso Fachgeschäfte mit Spezialkleidung und Ausrüstung für den Winter bzw. zum Jagen und Fischen. Neben der speziellen Welt der Touristen und Abenteurer begegnet uns auch eine andere Wirklichkeit. Die First Nations die wir im Ort sehen leben leider weitgehend außerhalb der anerkannten Gesellschaft. Im Hotel erzählt uns eine ebenfalls aus Deutschland eingewanderte Mitarbeiterin an der Rezeption, dass im Winter, wenn der Tourismus fast eingeschlafen ist, Bewohner von einfachen Hütten weit außerhalb der Stadt in Hotels einquartiert werden, damit sie draußen nicht erfrieren; organisiert und bezahlt von den Behörden.
Auf dem legendären Alaska-Highway geht es Richtung Nordwesten. Die wenigen Passhöhen führen gerade mal bei etwa 1300 Meter Höhe bis an die Baumgrenze. Im Südwesten erkennen wir eine schroffe, vergletscherte Gebirgskette. Die Elias Mountains, mit dem höchsten Berg Kanadas, dem Mount Logan, der sich mit 5959 Metern über die Bergkette erhebt, zählen zu den eindrucksvollsten Gebirgsregionen.
„Seht mal wie weit die Gletscher schon geschrumpft sind.“ Die Park-Rangerin deutet auf die beiden Vergleichskarten. Im Visitor & Cultural Center des Kluane Nationalparks erhält man nicht nur Informationen über die Entstehung dieser Region sondern auch wie sie sich infolge des Klimawandels verändern wird. Interessant ist, dass dieses Zentrum von drei Organisationen unterhalten wird: dem Nationalparkservice, dem Yukon Territory und den First Nations.
Ein Abstecher über Tok in Alaska bringt uns noch am selben Tag zurück nach Kanada. Dabei passieren wir die originelle Goldgräbersiedlung Chicken. Tatsächlich stehen im Ortszentrum einige meterhohe Hühner quasi als Namenspatronen. In Wirklichkeit waren in der Region zahlreiche Waldhühner, auf Englisch Ptarmigans unterwegs. Weil dieses Wort aber so schwer auszusprechen ist, nannten sie die Handvoll Häuser kurzerhand Chicken, was dann so geblieben ist. Hier ist die letzte Station und Tankstelle vor der Staatsgrenze zurück nach Kanada.
Der Goldschatz in der Hosentasche
Ungeteerte Straße, Schlaglöcher, Ausweichstellen, Staub, aber am Wegesrand zwei mächtige Bagger und eine Goldwaschanlage. Wir parken in einer schmalen Bucht und staunen. Schon kommt jemand auf uns zu. „Can I help you?“ Eigentlich sind wir nur neugierig wie das hier funktioniert. Bereitwillig erklärt uns der Goldsucher dass er das Handwerk schon von seinem Vater gelernt habe und hier zusammen mit einem Teilhaber einen Claim betreibt. Der große Bagger alleine koste etwa 450.000 Dollar. Als er unser Stirnrunzeln bemerkt zieht er ein kleines, graues Filmdöschen aus der Hosentasche, öffnet den Plastikdeckel und schüttet die Nuggets in seine Handfläche. Eine Ausbeute von vielen Tausenden Dollar, der größte der Nuggets sei alleine 10.000 Dollar wert. Hier geht es nämlich nicht alleine um den Gewichtspreis. Die von der Natur als Unikate geformten Goldstücke haben einen höheren Wert. Inzwischen kommt ein großer völlig verdreckter Pickup herangefahren. Ein kräftig gebauter Kamerad mit Vollbart und großkalibrigem Revolver steigt aus. Er ist hier um Grizzlybären auf Abstand zu halten. Szenen wir im Kino.
Top of the World
Es geht über Geröll weiter bergauf in Richtung Kanada. Die dazugehörige Grenzstation liegt auf 1250 Meter Höhe mitten im Geröll bei unbegrenzter Rundsicht von mehreren hundert Kilometern. Jeweils auf ihrer Seite wohnen hier die Grenzbeamten. Amerikaner in geschmackvollen Blockhäusern und gegenüber Kanadier in einem modernen Wohncontainer. Ab Oktober wenn der Winter voll zuschlägt wird die Station geschlossen. Von hier führt der sehr gut ausgebaute, wenn auch ungeteerte „Top of the World-Highway“ über mehr als 100 Kilometer nach Dawson City. Diese Streckenführung macht ihrem Namen Ehre. Grandios ist die Aussicht. An klaren Tagen zeigt sich sogar der über 6000 Meter hohe Mt. McKinley in Alaska im Süden. Im Norden reicht die Sicht bis zu den Tombstone Mountains. Feuer zerstörte leider große Teile des Waldbestandes. In ca. 1200 Meter Höhe keine leichte Aufgabe für die Natur sich von solchen Eingriffen zu erholen.
Eine Fähre bringt uns über den Yukon in die Goldgräbersiedlung Dawson City. Damen mit langen schwingenden Röcken eilen über Bretterstege zum Einkaufen. Heute nehmen sie Touristen mit in die Vergangenheit von Dawson City, der wohl geschichtsträchtigsten Stadt des Yukon. Hier trafen sich alle, die Glücklichen, die Betrogenen und die, die in Windeseile das gewonnene Gold in Saloons und Etablissements ausgaben. Die Museums-Stadt lebt. Doch spätesten wenn aus dem Down-Town Hotel die schrillen Töne des verstimmten Klaviers erklingen fühlt man sich wie zu Zeiten Jack Londons. Rund um den Ort suchen heute noch moderne Goldgräber nach dem großen Fund. Dabei erleichtern Maschinen ihre Arbeit.
Die Nacht ist lau und der Sternenhimmel lockt uns nach draußen. Dann erleben wir eines der wohl großartigsten Naturphänomene: das Nordlicht. Die grünlichen Schleier verändern sich ständig, neue entstehen. Die Farbe wechselt, ein rötlicher Schimmer mischt sich unter. Die Zeit vergeht fast unbemerkt. Morgen heißt es früh aufstehen. Die Rückreise nach Whitehorse beginnt.
Informationen:
allgemeine Auskünfte unter
www.travelyukon.de
sinnvoll ist eine Reise ab/bis Whitehorse mit Direktflug aus Deutschland.
Reisebeispiel: Angebote für Rundreisen gibt es z. B bei CRD: „Sommertraum im Yukon“; pro Person im Doppelzimmer ab € 2.099,- ab/bis Whitehorse; während dieser abwechslungsreichen Tour lernt man Vielfalt und Schönheit des Yukon kennen und entdeckt die Städte Whitehorse und Dawson City, den atemberaubenden Kluane Nationalpark mit seiner einmaligen Gletscherwelt sowie den Yukon River bei einer aufregenden Kanutour. Ein Highlight dieser Reise ist ein 3-tägiger Aufenthalt in der Tagish Wilderness Lodge, die nur per Wasserflugzeug oder Boot erreichbar ist.
www.crd.de/mietwagenreisen-und-pkw-rundreisen-durch-yukon-und-alaska/sommertraum-im-yukon/
Literaturhinweis: Im Kunth-Verlag sind einige prächtig bebilderte Bände über Kanada erschienen: „Unterwegs in Kanada“, ein Reiseführer mit Landkarten; „Die letzten Wildnisse – die schönsten Nationalparks und Naturreservate Kanada und USA“; sowie „Das Kanadabuch“. Die letztgenannten Bände dienen eher zum Träumen vor der Reise und zur Rückbesinnung danach. Näheres unter
www.kunth-verlag.de
Text: Monika Hamberger
Fotos: Rainer Hamberger