Geschichtete Geschichte auf Schloss Fürstenstein in Schlesien: von der Grenzburg zu Hitlers Hauptquartier

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DSC_1.JPGFuerstensteinHarald Schmidt

Wie fünf Finger ragen die Türme des Schlosses Fürstenstein, polnisch Ksiaż, gen Himmel als wollten sie Unheil abwenden. Die einst genannte „Perle Schlesiens“ wurde auf und in den Felsen gebaut. Fürstenstein erhebt sich mächtig gewaltig 395 m über der Stadt Waldenburg (poln. Wałbrzych), die grünen Berge, Täler und Schluchten des Waldenburger Landes in Niederschlesien (poln. Dolny Slask) südwestlich von Breslau (poln. Wroclaw). Hier gab es Märchen und die Hölle.

Foto und Text: Harald Schmidt

Wie ein Riese sitzt diese alte Residenz des Hochadels derer von Hochberg-Pless auf einem vor Millionen von Jahren entstandenen Vulkanfelsen.

Der Wunschstein

Das harte, schwarze Vulkangestein Obsidian – aus dem unsere Vorfahren in der Steinzeit Faustkeile, Waffen und Werkzeuge herstellten – wird im Inneren des Schlosses als Korridorwand anfassbar. „Wer den Fels berührt, der kann sich Wünsche erfüllen“, erklärt schmunzelnd Magdalena Woch, die sich im Schloss wissenschaftlich mit dessen Vergangenheit beschäftigt. „Mit der rechten Hand kann sich der Gast Auto, Haus, Geld etc. wünschen, mit der linken Erfolg in der Liebe oder im Beruf und mit beiden Händen den Wunsch auf Rückkehr verbinden“, ergänzt die Mittdreißigerin. Der Gast versucht es. Es brummt. Licht flackert. „Nicht erschrecken!“, beruhigt sie. Das sei etwas Geheimnisvolles für Kinder.

Für Erwachsene steckt allerdings das ganze Schloss voller Rätsel. Fürstenstein, das größte Schloss in Schlesien, das drittgrößte Polens und eines der größten Europas, steht für geschichtete Geschichte gespickt mit vielen Mythen, aber auch Wahrheiten über Liebe, Leid, Glück und Verderben sowie mit Rätseln, die allmählich gelöst werden – oder auch nie. Da reichen ein paar Stunden für den Besuch nicht.

Hochadel wird enteignet

1288 wurde Fürstenstein erstmals in einer Urkunde als Verteidigungsburg vom Fürsten Bolko dem Strengen erwähnt. Im 14. Jahrhundert übernehmen es die Piasten, ein polnisches Herrschergeschlecht, und später kommt der Herrschaftssitz durch ein Thronfolgeabkommen zur böhmischen Krone. Nach mehrmaligem Wechsel der Eigentümer gelangt Fürstenstein 1509 in den Besitz der Familie von Hochberg und bleibt es bis zu deren schrittweisen Enteignung durch die Nazis 1941.

Zuvor baute die Fürsten-Familie über Generationen am Schloss. Es wurde größer, farbiger, vielfältiger im Baustil innen wie außen. Die letzte Generation modernisierte das Haus mit der vor hundert Jahren modernsten Technik. „Schau hier ist der Anschluss für eine zentrale Staubsauge-Einrichtung“. Magdalena zeigt auf einen aus der Wand ragenden Rohranschluss. „Alle Öfen waren z. B. an einer Zentralheizung angeschlossen. Es gab Lifte, vier allein für den Speisentransport, sowie modernste Küchentechnik.“ Kein Wunder – die Familie gehörte bis zur Weltwirtschaftkrise in den zwanziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts nach dem deutschen Kaiser und einer anderen Adelsfamilie zur reichsten in Deutschland. Drei Städte, sechs Dörfer und der Kurort Bad Salzbrunn (poln. Szczawno Zdrój), aber auch Bergbau und Industrieanlagen im Waldenburger Kohlerevier gehörten dem Fürsten von Hochberg und Pless. Die Familie waren die ‚Krupps von Schlesien‘. Mehr als 9tausend Arbeiter und Angestellte arbeiteten im Unternehmen ‚Fürstenstein‘, darunter 300 Schloss-Bedienstete für eine Fünf-Personen-Familie.

Einige Generationen der Hochbergs gaben sich sozial. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts richteten sie Schulen ein. Freiwillige Sozialleistungen gab es für alle Angestellten und Arbeiter zu einer Zeit, als das noch nicht üblich war. Wie Krankheits-, Unfall- und Altersversorgung funktionieren schaute sich Bismarck an, der auf dem Schloss wie Preußenkönig Friedrich II., Zar Nikolaus I. oder der spätere USA-Präsident Quincy zu Gast war. „Die Idee stammt von hier – vom Waldenburger Fürstenstein. Bismarck wurde angeregt und übernahm die Idee für Deutschland.“, erzählt Magdalena lächelnd mit etwas Stolz.

Die sechs Meter lange Perlenkette

Die letzte Fürstin des Schlosses, Maria Theresa Olivia Corwallis West aus England – kurz Prinzessin Daisy genannt – war eine der interessantesten und mit vielen Geheimnissen umrankten Personen in Schlesien – eine wahre Gold-Quelle für die heutige Boulevard-Presse: eine wunderschöne Frau, die den Schlossherren Heinrich XV. so betörte, dass er mit einer 6,70 m langen Perlenkette für  damals 3 Millionen Reichsmark um ihre Liebe warb. Die Lebenslustige Frau erkrankte später an Multiple Sklerose und war für den Fürsten nicht mehr interessant. Ein offenes Geheimnis: ein Sohn war schwul. Gleichgeschlechtlicher Sex war damals skandalös und kriminell. Mit Teilen ihres privaten Vermögens korrumpierte Fürstin Daisy den Schutz ihrer Söhne. Die Zeit des Dritten Reiches war für sie wohl nicht die ihre. Der Betrieb ‚Schloss Fürstenstein‘ war für die Familie allerdings nicht zu retten. Dazu trugen die familiären Bindungen und die Nähe zum Kriegsfeind England bei, aber auch die Insolvenz durch Bauvorhaben und die Weltwirtschaftskrise. Da griff 1941 der faschistische Staat zu und enteignete.

Vom Schloss zu Hitlers Hauptquartier

„Ende 1943 wurde das Schloss zu einem Bauplatz der faschistisch-paramilitärischen Organisation ‚Todt‘ und Bestandteil eines topgeheimen Bau-Projektes genannt ‚Riese‘ – mit noch heute vielen Rätseln. Nazi-Rüstungsminister Speer wollte den Wunsch Hitlers umsetzen und das Schloss mit aller Macht zu einem sicheren Führer-Hauptquartier, dem größten außerhalb Berlins, umgestalten“, weiß Magdalena Woch.

Der Diktator soll in Berlin das Schloss auf einem Bild gesehen haben und war begeistert. „Ein Dokument dazu fanden wir erst vor ein paar Jahren in einem Archiv. Dazu passt auch der Transport von Möbeln aus dem Berliner Schloss Bellevue.“ Hitler und seine Gefolgsleute, das Außenministerium, das Oberkommando der Wehrmacht und der SS sollten hier ab Sommer 1945 (!) ober- und unterirdisch geschützt, aber auch repräsentativ unterkommen. Magdalena zeigt Fotos: „Innerhalb des Schlosses wurden durch den Umbau 90 % der wertvollen und historischen Innenarchitektur aus verschiedenen Zeiten zerstört und dem neoklassizistischen Geschmack des faschistischen Diktators angepasst. Fluchtwege und -tunnel, Aufzüge wurden geplant, blieben aber unvollendet.“ Von der ursprünglichen historischen Pracht ließen die Architekten von Hitlers letztem Hauptquartier nur einen Bruchteil übrig: den prachtvollen barocken Empfangssaal und fünf Salons des Schlosses. Dazu gehört auch der Gobelin-Salon, den ein Geheimgang mit einem Lift verbindet und der mit einem Bad ergänzt wurde. Der Salon war als Schlafzimmer für Hitler vorgesehen, der das Schloss allerdings nie besuchte. Es war zu spät.

Fuerstenstein_Bunker1_HaraldSchmidtWahnsinn kurz vor Zwölf

Noch kurz vor Kriegsende wurden gewaltige Mittel und Menschen für das Traum-Hauptquartier bereitgestellt. Magdalena Woch nennt einige Fakten der faschistischen Großmannssucht: „130 Millionen Reichsmark waren vorgesehen. Aber bereits im September 1944 waren 150 Millionen verbaut. Ressourcen aus dem vom Krieg gebeutelten Europa wurden für das Projekt ‚Riese‘ bereitgestellt. 6 Millionen Arbeitstage veranschlagten die Nazi-Bauherren. 35 deutsche Architekten und einige hundert zivile Fachleute versuchten die Idee zu realisieren. 13tausend Häftlinge verschiedener Nationalität aus dem Konzentrationslager Groß-Rosen mussten in lebensvernichtender Sklavenarbeit die Gänge in den Fels mit dem harten Stein hauen und bohren.“ Es wird gesagt, dass mit dem Bauprojekt ‚Riese‘ etwa 4.700 Menschen in dieser Unterwelt an Krankheit, Entkräftung, durch Unfälle oder Hinrichtungen wegen kleinster Fehler starben.

Unterirdische Welt für die deutsche Atombombe?

Zum Projekt ‚Riese‘ gehörte der Ausbau einer Unterwelt im Fels und in der Umgebung des Schlosses: Ein großer Bunker und unterirdische Gänge, die mehrere Kilometer lang ins nahe Eulen-Gebirge (poln. Góry Sowie) führten. Dort sollte eine unterirdische Stadt für 10tausend Menschen – vielleicht für die Produktion moderner „Wunderwaffen – vorbereitet werden. Vermutet wird, dass die nahen Uran-Lagerstätten vielleicht den Bau einer Atombombe in dieser Unterwelt ermöglichen sollten. Der Vormarsch der Roten Armee war allerdings schneller als die Fertigstellung des Projektes. Befreit wurde ein fast menschenleeres Schloss.

„Vom Uran und vom Bau ‚Riese‘ haben wir Waldenburger nichts gewusst. Überhaupt war für uns das Schloss eine andere Welt. Wir hatten unsere Welt, die Fürsten auf dem Schloss die ihre. Wir hatten kaum eine Beziehung“, erzählt die heute in Leipzig wohnende Gretel S., die damals als 19jährige und erst Anfang Mai vor der nahezu kampflosen Einnahme Waldenburgs (poln. Walbrzych) durch die Rote Armee floh. Die Russen belegten das Städtchen Waldenburg mit 10-tausend Soldaten. Nach den Gründen wird noch geforscht.

Der geheime Weg durch den Schrank

Im Flur des Schlosses weist Magdalena auf einen alten schweren Holzschrank: „Das war ein getarnter Fluchtweg für Hitler, ein Fahrstuhlschacht. Wir haben ihn erst vor einiger Zeit entdeckt. Ungefähr 400 Zimmer hat das Schloss“, schätzt Magdalena. „Wieso ungefähr? Das muss doch bekannt sein“, fragt der Gast „Ja das ist es eben nicht. Wir können nach gegenwärtigem Wissensstand nicht die Zahl der Zimmer nennen. Pläne wurden verändert oder sind verschollen. Mancher Raum verbirgt sich vielleicht heute noch hinter einer Wand“, entgegnet Magdalena. Es gibt viele Rätsel und Legenden.

Liquidierte Geheimnisträger

Magdalena: „Zeugen haben nach dem Krieg erzählt, dass kurz vor dem Eintreffen der Roten Armee ein SS-Wachkommando und KZ-Häftlinge nochmals in den Berg einmarschiert sind. Sie wurden allerdings nie wieder gesehen. Waren das Geheimnisträger und wurden sie deshalb komplett liquidiert? Vielleicht finden wir sie bei der Öffnung eines verschütteten Tunnels“, erzählt Magdalena und wird nachdenklich. Auch die legendäre unterirdische Stadt für 10tausend Menschen wurde noch nicht gefunden.

Wo ist Daisy?

Geheimnisumwittert ist auch der Verbleib der schönen Fürstin Daisy, der letzten auf Schloss Fürstenstein. Sie starb kurz vor Kriegsende und wurde zunächst in der Familiengruft beigesetzt. Ihre Getreuen betteten Daisy zur Sicherheit allerdings kurz vor dem Eintreffen der Russen um.  Eine dritte ‚Flucht‘ der Verstorbenen folgte. Wo und warum ist rätselhaft. Es wird vermutet, dass heute eine belebte Straße über ihre Gebeine führen könnte. „Wir konnten die Spur des Verbleibs der Fürstin Daisy bis heute nicht erkunden und vermuten das nur.“, erzählt Magdalena etwas enttäuscht.

Mittelalter neben Hitler-Bunker

Die Mittdreißigerin führt den neugierigen Besucher von einer der Schloss-Terrassen zu einem geheimnisvollen Gang. Eine Holztür versperrt den Zutritt. Ein einfaches Vorhängeschloss sichert halbherzig. Ein Wachmann lässt uns freundlich in ein dunkles Loch. Ein Gang führt leicht abwärts. Es ist kalt und nass, die Luft etwas muffig. Deckenleuchten spenden spärliches Licht. Gespenstisch: im Halbdunkel empfängt uns nach 30 m ein Beton-Wachhäuschen, geschützt von einer 60 mm starken Panzerplatte aus verrostetem Stahl. Aus der Schießscharte ragt bedrohlich ein schweres Maschinengewehr. Aus halbfertigen Betonwänden und -decken ragen rostige Eisenstangen, gebogen oder gerade gestreckt, heraus. Alles wirkt wie von den Arbeitern gerade verlassen. Sie müssen es Hals über Kopf getan haben.

Der Besucher stößt auf einen Schacht, abgesperrt mit einem rot-weißen Sicherungsband. „Dieser Weg durch den Fels sollte einen Aufzug aufnehmen und war einer von vielen Fluchtwegen für Hitler in den sicheren Luftschutzbunker oder aus dem Schloss. In einem Tunnel der Umgebung hätte, jederzeit unter Dampf der Regierungszug versteckt gewartet. Soviel wissen die Forscher. Aus Sicherheitsgründen haben wir den Fahrstuhlschacht wieder verschlossen. Allzu neugierige Leichtsinnige hatten sich beim Herumstöbern verletzt. Es gab nämlich Gerüchte, dass das legendäre Bernsteinzimmer im Schloss versteckt sei, aber eben nur Gerüchte“, meint Forscherin Magdalena. Der Besucher gelangt zu einem unfertigen Wendeltreppenhaus aus Beton, das mit einem Durchmesser von drei Metern in den Fels nach oben führt. Der ehemalige Weinkeller des Schlosses wurde mit Beton zu einem geschützten Raum umgewandelt. „Komm, schau um die Ecke. Hier haben wir erst vor vier Jahren im alten Gemäuer einen kleinen Nebenraum mit Kreuzgewölbe und einer hölzernen Ritterbank aus dem Mittelalter entdeckt“, begeistert sich Magdalena. „Verstehst du jetzt, was ich meine mit der als ‚ungefähr‘ bezeichneten Zahl der Räume im Schloss. Immer wieder finden wir etwas. Erscheint eine Wand der Tarnung verdächtig, so haben wir aufgebohrt und mit einer Mikrokamera eventuelle Hohlräume untersucht.“

Es spukt                 

Selbstverständlich gibt es auf solch einem alten Schloss mit Geheimnissen auch Gespenster. Da geistert der ‚buckelige Hansel‘, ein ehemaliger Diener, der ermordet worden war. Seine Gebeine wurden in der Nähe eines Schlosskamins eingemauert. Eine ‚schwarz gekleidete Dame‘, die zumeist Unglück brachte, gehört zum Gespenster-Ensemble. Auch die letzte Fürstin Daisy soll als Geist ab und zu kommen, um auf dem Schloss nach dem Rechten zu sehen.

Epilog

Entdecken bringt Freude und macht auch Arbeit. Zudem kostet es viel Geld. Ergebnisse müssen gesichert, restauriert und bewahrt werden. Vielleicht ist das ein Grund für den hoffentlich nur befristeten Stopp weiterer Entdeckungstouren im, unter und in der Nähe des Schlosses.

Allerdings sind Geheimnisse mit einer Prise Mythos auch gut. Wer alles weiß, der ist nicht mehr neugierig und forscht nicht mehr. Die Rätsel von Ksiaż werden wohl noch von mehreren Generationen gelöst werden müssen. Das Schloss gibt seine Geheimnisse nur zögernd preis…

Schloss Fürstenstein ist heute in mehrfacher Hinsicht ein kulturelles Zentrum in Schlesien für Polen und andere Europäer. Von Galaempfängen und Konzerten bis zu verschiedenen Kunst-Events und wissenschaftlichen Veranstaltungen reicht die farbige Palette.

Tipps

Führungen durch das Schloss:
‚Das barocke Schloss‘, ‚Auf den Spuren der Hochbergs‘, ‚Von den Piasten bis zu den Geheimnissen des 2. Weltkrieges‘, ‚Route von Fürstin Daisy‘.

Hotels Ksiaż auf dem Schlossberg, ul. Piastów Śląskich 1, 58306 Wałbrzych
Tel. (+4874) 66 43 890, Tel/Fax (+4874) 66 43 892, e-mail: hotel@ksiaz.walbrzych.pl
de.zamek-ksiaz.com.pl

Autor:
dr.schmidt@gruppeleif.de

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Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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