Gstaad im Berner Oberland hat sich trotz nobler Boutiquen und Gourmet-Restaurants seinen dörflichen Charakter bewahrt. Abseits der Promenade liefern die Kühe Milch für köstlichen Käse, und die Pisten bieten eine große Gaudi.
Von Dominique Schroller
Die Gipfel der Schönrieder Alm liegen noch im Morgendunst, als wir ihnen mit dem Sessellift entgegen fahren. Über Nacht ist Schnee gefallen und hat die Tannen märchenhaft eingestäubt. Wie Puderzucker wirbelt der Schnee bei den ersten Schwüngen unter den Ski auf und zischt verheißungsvoll unter den Kanten hinweg.
In kurzen, rasanten Bögen nehmen wir Fahrt auf und stürzen uns dem Tal entgegen. Das fängt uns mit einer flachen Senke weich auf. In großen, lang gezogenen Kurven gleiten wir nun über die Piste – ein Gefühl wie zu fliegen. Es kribbelt im Bauch und zeichnet uns ein breites Grinsen ins Gesicht.
Am Hang verstreut ducken sich hölzerne Almhütten mit verwitterten Fassaden in den Schnee. Einige locken mit Tischen und Stühlen zur Einkehr, andere wirken verschlossen und verlassen, wie die ehemalige Bergstation. Von den Seilzügen, die einst zwei große Schlitten mit Platz für bis zu 40 Personen zogen, sind nur noch die Rollen übrig. „Damals gab es unten bis zu anderthalb Stunden Wartezeit. Doch das hat sich gelohnt, denn die anschließende Abfahrt hat für alles entschädigt“, berichtet Skilehrer Christian von Siebenthal. Er kennt diese Art der Pistengaudi aber auch nur noch aus Erzählungen.
Der Hof seiner Eltern liegt einen Schneeballwurf von der modernen Gondelbahn entfernt. „Dort drüben weiden im Sommer unsere Kühe. Sie sind dann oft monatelang hier oben“, sagt er und deutet auf eine Alm unterhalb der Liftstation, auf der sich gerade eine Familie im Skifahren übt.
Es fällt nicht schwer, sich die Hänge im Sommer vorzustellen. Sattgrüne Wiesen oberhalb eines gurgelnden Gebirgsbaches, friedlich grasende Tiere und ab und zu ein paar Wanderer, die mit Rucksack und festem Schuhwerk zu einer der Hütten hinaufsteigen. „Die Kühe finden auf 1800 Metern Höhe ganz spezielle Alpenkräuter. Aus der Milch stellen wir hier unseren typischen Hobelkäse her“, berichtet von Siebenthal mit hörbarem Heimatstolz in der Stimme.
Die herzhaften Röllchen der drei Jahre gereiften Spezialität schmecken wunderbar würzig, und auch die übrigen Käsesorten in der Auslage der kleinen Molkerei in Schönried haben ihren eigenen Charakter, den zu erkunden ein Genuss ist.
Die „Chesery“ im nahe gelegenen Gstaad war die erste Käserei im Ort. Von dem einfachen Handwerk ist dem Holzhaus jedoch nichts mehr anzusehen. Küchenchef Robert Speth kocht auf dem Spitzenniveau von 18 Gault-Millau-Punkten und einem Michelin-Stern. Spontan einen Sitzplatz zu bekommen – aussichtslos. Seine Küche ist zu exquisit.
So wie sich auch der Ort rundherum zum exklusiven Urlaubs-Domizil entwickelt hat. „Viele Prominente und Diplomaten schicken ihre Kinder hier auf die Internationale Schule und kommen im Winter zum Skifahren“, berichtet Fremdenführerin Karin Bach während einer Führung durch die Gassen mit den teuren Boutiquen. Beim Tennisturnier im Herzen des Städtchens hat schon Roger Federer aufgeschlagen. Das Palace Hotel thront wie ein kleines Neuschwanstein auf einem Felsen hoch über den Häusern im Chalet-Stil.
Heimelig wirken die Holzbauten, die sich harmonisch in das Alpenpanorama einfügen. Warme Dielen und Balken machen auch den Wellness-Bereich im Hotel Ermitage zur einer gemütlichen Wohlfühloase. Es duftet würzig nach Kräutern und süß nach Honig. Die warmen Stempel gefüllt mit Melisse, Hopfen, Rosmarin und mehr als 20 weiteren Alpengewächsen lockern bei der Massage unsere skimüden Muskeln und lassen uns entspannt eindösen.
Erfrischt und ausgeschlafen schultern wir nach einem ausgiebigen Frühstück am nächsten Morgen erneut die Ski und stiefeln zur Sesselliftstation. Weiße Flocken tanzen vor unseren Augen, ein kalter Wind prickelt auf der Haut. Fest entschlossen fahren wir dennoch dem Gipfel entgegen.
Wolken und Schnee erschweren uns die Sicht und bremsen unseren Schwung. Der nimmt jedoch schnell wieder Fahrt auf, als sich die graue Decke nach kurzer Zeit verzieht und der Sonne Platz macht. Sie lässt die Spuren unserer Ski im Schnee glänzen wie geschliffenes Glas und das Alpenpanorama rund um die Schönrieder Alm erstrahlen.