Nur eine Flugstunde von Frankfurt entfernt liegt Genf, Hauptstadt des Schweizer Kantons gleichen Namens und Ort internationaler Organisationen und Kongresse. „Schüttle ich meine Perücke, so pudere ich die ganze Republik.“ So soll sich der französische Philosoph Voltaire einmal über den kleinen Kanton Genf ausgelassen haben. Auch die Stadt zählt mit knapp 200.000 Einwohnern zu den kleinsten Großstädten, dafür aber auch mit zu den schönsten und teuersten. In der Rue du Rhône reihen sich die Luxusgeschäfte wie anderswo die Fast-food-Läden. Alle Designer mit Rang und Namen findet man hier, wie man auch nur hier, im Paradies der Gastronomie, das behaupten jedenfalls die Ansässigen, exquisit speisen kann – selbst in der preiswerten Kategorie.
Von Elke Backert
Foto oben: Blick vom tausend Meter hoch gelegenen „Mirador Kempinski“, der Aussichtsterrasse des gleichnamigen Hotels, über Vevey, den Genfer See und die Savoyer Alpen.
Als Wahrzeichen gilt die 145 Meter hoch aufschießende Fontäne am Schiffsanleger, die der Stadt an der Grenze zu Frankreich ein mondänes Flair gibt. Für den Globetrotter kann die weltoffene Metropole, der Japaner bei ihrer blitzschnellen Sightseeingtour durch Europa bis zu vier Tage widmen, Ausgangspunkt für Exkursionen per Schiff sein oder in die nahen Berge. Der Montblanc liegt zum Greifen nah, doch um das Alpenpanorama zu genießen, genügt es schon, den Hausberg Mont Salève zu besteigen.
Genf könnte genauso den Anfang einer Weinreise bilden. Noch immer relativ unbekannt ist bei uns nämlich die Tatsache, dass die helvetische Republik jährlich über eine Million Hektoliter des edlen Rebensaftes erzeugt. Die romantische Landschaft um Genève und den Lac Léman, wie die Bewohner der Suisse Romande, der Französischen Schweiz, Stadt und See nennen, ist von Klima und Bodenbeschaffenheit prädestiniert für den Weinbau und von ihm geprägt. Mit „Route du Vignoble“ und einer stilisierten Rebe markierte Wege und Straßen führen Wanderer und Autofahrer mitten in die Weinberge, deren Dörfer oft nur aus einer Handvoll Häuser bestehen.
Braungebrannte Bikinimädchen und Jungen in knappen Shorts, meist Gastarbeiter, kultivieren die Reben in Handarbeit. Denn bei einer Steigung von bis zu 70 Prozent können Maschinen den Menschen nicht ersetzen. Das wiederum garantiert dem Besucher Ruhe und Beschaulichkeit. Im Mittelpunkt eines jeden Dorfes steht die Kirche, die, wenn sie als so typisch gilt wie die von Féchy im Kanton Waadt, gar eine Briefmarke schmücken darf. Überall erfrischt kühles Brunnenwasser den Durstigen. Auf diese dörfliche Idylle trifft der Besucher zuerst im Mandement, der Weinregion oberhalb Genfs, mit Marktflecken, die alle auf y enden, etwa Satigny, Bourdigny, Peissy, Lully. Auf der Landkarte ist das da, wo die Rhône aus dem See herausfließt.
Fährt man über Genf zurück, erreicht man bald das sonnige Nordufer des Sees. Die Weinbaugebiete heißen La Côte, Lavaux und Chablais: Von den hier bis zu 450 Meter hoch gelegenen stillen Rebfeldern schweift der Blick hinunter auf die glitzernde Wasserfläche, deren Uferstrich einer einzigen Kurpromenade gleicht und der deshalb auch Schweizer Riviera genannt wird. Hier entdeckt man die alte römische Kolonie Nyon und ihr Schloss, Rolle und seinen Jachthafen, Morges und seine Blumengärten am See. Die Kathedrale Notre-Dame in Lausanne, wichtigster gotischer Bau der Schweiz, war wegen ihres Marien-Gnadenbilds bis zur Reformation häufiges Pilgerziel. Der Pilgerweg führte damals direkt durch die Kirche hindurch. Weil das Grabmal des Otto von Grandson (1240-1328) Jakobsmuscheln zieren, ist das Gotteshaus eine Etappe auf dem Jakobsweg, der inzwischen auch in die Schweiz führt.
Am See fühlen sich betuchte Badegäste in den Fünf-Sterne-Hotels, etwa in Lausanne, Hauptstadt des Kantons Waadt, oder in Montreux, berühmt durch seine Internationalen Musikfestspiele, ebenso wohl wie Camper und Wohnwagen-Freunde. Denn im See ist gut fischen, und speisen lässt sich genauso lukullisch in den einfachen Landgasthöfen: Probieren Sie einmal „Filets de perche“, Felchen, auch Egli genannt, in Butter, und trinken Sie dazu einen Chasselas, neben dem Fendant aus dem Wallis einer der bekanntesten Schweizer Weißweine, der zu fast allen Gerichten passt, besonders zu Fisch, aber auch gern als Aperitif serviert wird. Alle Wege durch die terrassierten Rebhänge – es gibt sieben neue beschilderte Lehrpfade -, in die eingebettet Weingüter und Châteaux liegen, enden zwangsläufig im Weinkeller, dem Caveau. Denn wer will nicht nach dem Studium des Rebstocks, ob in Blüte stehend oder vor der Lese, ob eines jungen oder eines hundertjährigen – so alt werden die „Korkenzieher“reben des Ermitage – Zungenfühlung nehmen mit dem Endprodukt. Auf dem Bahnhof von Vevey fühlte man sich noch vor Jahren in ein früheres Jahrhundert zurückversetzt, als man zusehen konnte, wie der Bahnbeamte per Hand den Zeiger der Uhr-Attrappe auf 10 Uhr 12 stellte und ein blaues Emailschild mit weißer Schrift aus einem Kasten fischte und mit Hilfe eines Stabes in die dafür vorgesehene Halterung über seinem Kopf schob: „Genève-Aéroport, kein Halt bis Lausanne“.
Zu allen Zeiten zog die Kleinstadt am See berühmte Persönlichkeiten an. Da flirtete der Philosoph Jean-Jacques Rousseau, der 1732 im heutigen „Café de la Clef“ residierte, mit Madame de Warens, die mit ihrem Ehemann in einem Palais um die Ecke logierte. Als Rousseau mit Madame verschwand, ließ der Ehemann seine Gattin für tot erklären. Nach Vevey zog es 1868 den russischen Romancier Dostojewski und 1942 die rumänische Pianistin Clara Haskil. Selbst Ernest Hemingway war da. Im Musee Jenisch ist die Kollektion Oskar Kokoschka untergebracht. Auch der Weltkonzern Nestle ist in Vevey beheimatet, der ein informatives Museum zum Thema Ernährung eingerichtet hat, das Alimentarium. Zur Wahlheimat hatte Charlie Chaplin die Stadt an der „Waadtländer Blumenriviera“ erkoren. Auf dem Friedhof des Nachbardorfs Corsier fand er seine letzte Ruhestätte. Sein großzügiges Anwesen wird derzeit restauriert und dann als Museum zugänglich sein. Ihm zu Ehren findet jedes zweite Jahr im Oktober das Internationale Komödienfilmfestival statt. Geschützt an der Uferpromenade, hat Charlot, wie die Franzosen den Komiker liebevoll nennen, für alle Zeit die Schneegipfel der Savoyer Alpen vor Augen. Zumindest seine Statue, die Verehrer oft mit einer Rose schmücken. Aufstöbern muss man auch die malerisch versteckten Winkel der Altstadt mit den hübschen Brunnen. 2019 findet vom 26. Juli bis 19. August das Winzerfestspiel La Fête des Vignerons statt, das 1851 als Belohnung für fleißige Weinbauern begründet ist und die Kleinstadt in ein tobendes Freilufttheater mit farbenfrohen und prachtvollen Kostümen verwandelt. Nur fünfmal pro Jahrhundert wird das Fest gefeiert, zuletzt im Jahre 1977.
Die Weinberge des zum Unesco-Kulturerbe ernannten Lavaux lernt man am besten in einem Rebbergzug kennen. Auf der acht Kilometer langen Trasse von Vevey nach Chexbres und Puidoux erlauben Stopps den Besuch von Winzerkellern mit Verkostung in malerischen Dörfern sowie einem Uhren-Museum. Wer sich dann noch von der Funiculaire, der Standseilbahn ohne Fahrer, über die Rebhänge auf den tausend Meter hohen Mont-Pélerin befördern lässt, dem liegen Vevey und der silbrig glänzende See in seinem ganzen Zauber zu Füßen. Das hoch oben angesiedelte Hotel „Le Mirador“, seit längerem in deutscher, nämlich Kempinski Hand, trägt seinen Namen nicht ohne Grund. Denn erst von seiner Aussichtsterrasse genießt man diesen grandiosen Panoramablick. Schiffsfahrten, teils auf nostalgischen Raddampfern, führen quer über den See und sind ein Muss. Vorbei an Rebhängen und dem Nobelort Montreux schippert man bis zum Schloss von Chillon, das Lord Byron 1816 mit seiner Ballade „Der Gefangene von Chillon“ weltbekannt gemacht hat. Sie war Franςois Bonivard (1493-1570) gewidmet, Prior von Saint-Victor in Genf, der als Gefangener des Herzogs von Savoyen im Kerker des Schlosses sechs Jahre lang angekettet war, bis er von den Bernern befreit wurde. Das Château de Chillon liegt auf einer Felseninsel im See und ist die besterhaltene Burg der Schweiz aus dem 12. bis 14. Jahrhundert. Erklimmt man die 76 engen Holzstufen des Wehrturms, hat man einen herrlichen Blick über den Genfer See auf Montreux. Ein Besuch des exklusiven Ortes ist nicht nur für alle Queen-Fans ein Muss. Dort ist im Casino das Studio zu besichtigen, in dem die Rock-Band sieben Alben aufgenommen hat. Das kleine Museum birgt reiche Schätze, und mit der Statue des 1991 an Aids gestorbenen Freddie Mercury am Genfer See lassen sich Rockmusik-Freunde aus aller Welt ablichten.
Info: Der Genfer See ist der größte Alpenrand-See. Er ist etwa 70 Kilometer lang, bis 14 Kilometer breit und bis 310 Meter tief und liegt zwischen den Schweizer Kantonen Waadt und Genf und der Haute-Savoie auf französischer Seite. Von den 581 Quadratkilometer Fläche gehören 234 zu Frankreich. Die mittlere Höhe des Wasserspiegels beträgt 372 Meter über Normal. Hauptzufluss ist von Osten her die Rhône, die zwischen Villeneuve und Saint-Gingolph mündet und bei Genf wieder austritt.
Anreise: Per Flugzeug nach Genf-Cointrin, Pkw oder Bahn. Der Swiss Pass gewährt freie Fahrt auf dem gesamten Schweizer Bahn-, Postauto- und Schiffahrt-Netz, Straßenbahnen, Busse und Panoramastrecken inbegriffen.
Währung: Ein Schweizer Franken (sfr) (gleich 100 Rappen) entspricht derzeit etwa einem Euro.
Auskunft:
www.lake-geneva-region.ch
www.montreuxriviera.com
Fotos Elke Backert