Feurige Kunst

Lange fristete Valencia, die drittgrößte Stadt Spaniens, ein eher tristes Mauerblümchendasein im Schatten Madrids und Barcelonas. Doch mittlerweile mutiert die Stadt an der spanischen Ostküste zu einer regelrechten Boomtown. Nicht zuletzt durch das architektonisch ausgesprochen faszinierende und ungewöhnliche Kunst- und Wissenschaftszentrum, durch Americas Cup und Formel 1 sowie andere ehrgeizige Projekte. Dennoch werden die guten alten Traditionen bewahrt und gepflegt.
Text und Fotos: Udo Haafke
SpanienNun, es ist wie eine Befreiung, ein Neuanfang, wir verspüren keine Trauer über den Verlust, wie es andere Künstler wohl tun würden, wenn ihr Gemälde, ihre Skulptur, ihr Werk zerstört wird.“ So wie Jordi Palanca, der 41-jährige Fallas-Künstler, denken die meisten seiner Kollegen. „Es ist eher ein Moment voller Stolz und Freude darüber, dass das Objekt, für das man so viel Zeit, Energie und Kreativität aufgebracht hat, pünktlich fertig wurde und vom Publikum die entsprechende, meist sehr euphorische Anerkennung erfährt.“ Dieser Augenblick, den Jordi beschreibt, ist das grandiose Finale der Fallas von Valencia, wenn in der Nacht vom 19. auf den 20.März knapp 400 kunstvoll gestaltete, bunte und opulente Objekte und Figuren, die Monumente, auf Plätzen und Straßenkreuzungen in Flammen aufgehen.
Die Legende, auf welche der Ursprung der Fallas beruht, berichtet von der Schreinerinnung, die bereits im 15. Jahrhundert eine Art Kehraus zum Ende der kalten Winterzeit und zur Huldigung ihres Schutzpatrons St.Joseph betrieb. Die Werkstätten wurden von allem Unrat, Holzresten und dergleichen gesäubert. All dies stapelte man auf großen Scheiterhaufen und entzündete es. Auch die galgenähnlichen Öllampen, die Parots, die zur funzeligen Beleuchtung der Werkstätten dienten, ereilte dies Schicksal. Ein Lehrling soll, so heißt es, beim Meister in Ungnade gefallen sein und bekam demzufolge seinen Lohn nicht. Erzürnt hängte der junge Mann daraufhin ein Schild an eine dieser Lampen, auf dem er in übelster Weise seinen Chef beschimpfte. Die Mitteilung verbreitete sich bevor alles in Flammen aufging, der Ruf des Meisters war nachhaltig geschädigt. Im Folgejahr beschimpften die Tischler auf gleiche Weise den Bürgermeister, mit dem gewünschten Effekt. Fortan gerieten die Scheiterhaufen zum Frühlingsbeginn immer mehr zur populären Kritikbörse in Form von Figuren und Theaterdarstellungen. Zum 18.Jahrhundert lässt sich dann das Brauchtum als Vorläufer der jetzigen Fallas erkennen.
Heute kritisieren und karikieren die Fallasfiguren und -monumente Staat und Gesellschaft, lokale und überregionale Persönlichkeiten, nehmen skurrile Begebenheiten oder populäre wie unpopuläre Geschehnisse messerscharf auf die Schippe. Jetzt allerdings gut verpackt, sorgfältig moduliert und detailverliebt bemalt in bis über 20 Meter hohen Kunstwerken. Während früher alle Objekte mehr oder weniger ausschließlich aus Holz und Pappmaché gefertigt waren, werden seit etwa 20 Jahren Kunststoffe wie Polyester und Styropor eingesetzt. Diese sind wesentlich leichter und erlauben damit noch kunstvollere, noch üppiger ausstaffierte Monumente. Zudem reduzieren sie den Aufwand beträchtlich, der zum Bau der Figuren notwendig ist. „Der traditionelle Aufbau mit Holzkorpus, Spantenverklebung und Pappmaché ließ es nicht zu mehr als eine Falla pro Saison zu fabrizieren. Derzeit schaffe ich mit meinen 8 Mitarbeitern, wenn die Auftragslage gut ist, durchaus 10-12 Fallas pro Jahr.“ Stolz zeigt Jordi den Skizzenblock mit den einzelnen Modellen, die er sich für seine Auftraggeber ausgedacht hat und die nun schon in verschiedenen Fertigungsstadien in seiner Werkstatt ihrer Vollendung entgegen harren.
Spanien
Hightech hat bei Jordi Einzug gehalten. Das kleine Modell der Falla aus Ton wird dreidimensional gescannt, auf die Endgröße umgerechnet und mittels Computerprogramm wie ein Schichtkuchen aufgeschnitten. Ein Laserstrahl schneidet anschließend die einzelnen Schichten millimetergenau aus großen Styroporplatten heraus, die dann zur gewünschten Endform zusammengeklebt, geschliffen, grundiert und bemalt werden. Arbeitsgänge, die früher mehrere Wochen dauerten, führt er nun in wenigen Tagen durch. Holz wird in erster Linie noch für die Unterkonstruktion eingesetzt, die eine gewisse Stabilität erfordert, damit grazile wie üppige Figuren in Form bleiben und keinen Schaden durch Wind und Wetter nehmen. Hier liegt ein weiterer Vorteil gegenüber der Pappmaché, die bei Feuchtigkeit aufweicht und schnell unansehnlich wird.
Die WerkstäSpanientten der Fallas-Künstler liegen größtenteils im Norden der Stadt, früher ein Außenbezirk, nun aufgesogen vom stetigen Wachstum Valencias. Das treibt die Mietpreise in die Höhe und die Künstler in Existenznöte, denn Bauspekulanten haben längst den steigenden Wert des Gebietes rund um das Museum der Innung der Fallaskünstler erkannt. Eine Verlagerung der Arbeitsplätze und Werkstätten ins Umland scheint in Zukunft unausweichlich. Doch diese Gedanken schieben Jordi und seine Kollegen weit von sich. Die künstlerische Arbeit steht für sie im Vordergrund. Beim Spaziergang durch die Straßen und beim Blick durch die offenen Tore bieten sich atemberaubende Einsichten, stehen dort doch monumentale Skulpturen, oft strahlend weiß, gegenständlicher Art, Tiere und Menschen, vom Zufall arrangiert wie im Fundus eines Museums für Bildhauerei. So auch bei Frederico Ferrer, der das geschickt konstruierte Innenleben der Styropormonster präsentiert. „Ein Teil des Korpus bleibt offen, damit die Unterkonstruktion exakt ausgerichtet werden kann. Später helfen Heftklammern vom Schreibtisch Goliaths beim Zusammenfügen der Teile.“ In schwindelnder Höhe eines Baugerüstes schleift einer der vier Mitarbeiter Fredericos an den Wangenknochen eines Fallas-Fürsten. „Das Glätten der Kanten nimmt immer noch viel Zeit in Anspruch – aber es muss sein,“ lächelt er. „Denn schließlich soll es perfekt werden!“
Gut eine Woche vor dem großen Tag stellen die Künstler ihre Werke an den verschiedenen Standorten in der Stadt auf. Die Monumente können dann auch endlich von der schon ungeduldigen Bevölkerung besichtigt werden. Eine Einstimmung auf die Crema, auf die große feierliche Verbrennung, erfährt die Stadt bereits seit Anfang des Monats März mit den mittäglichen mascletàs, einer Art Kanonenschlag-Konzert, auf dem Platz vor dem Rathaus. Vereinzelte Böller zu Beginn steigern sich in eine gigantische Ekstase, in eine lärmende, ohrenbetäubende Kaskade aus Explosionen, aus der nur noch schwer ihr kompositorischer Ursprung erkennbar wird. Was die johlende Menge jedoch nicht zu stören scheint, die sich jeden Tag hier versammelt, um das spektakuläre Lärminferno zu erleben. Eingefleischte Fans wollen gar symphonische Züge erkennen, besondere Empfindungen dabei verspüren.
SpanienEtwas weniger laut, dafür umso schöner anzusehen, sind die festlichen Umzüge der Fallasgruppen. Falleras und Falleros der diversen Vereinigungen, gekleidet in traditionellen Trachten, ziehen, angeführt von ihrer jeweiligen Fallas-Königin und deren Hofstaat, stolz und voller Würde, Groß und Klein, durch die Straßen, um auf dem Platz vor der Kathedrale Blumen der Schutzpatronin, der Virgen de los Desamparados (Jungfrau der Schutzlosen), zu kredenzen. Diese Blumen werden von behenden Kletterern in ein überdimensionales Raster eingefügt, aus dem nach und nach ein riesiges Blütenmosaik entsteht. Andere Umzüge sind bestimmten Themengebieten gewidmet, die ebenso durch kunstvolle Kostümierungen brillieren. Gegen Abend gibt es kleinere Feuerwerke in der ganzen Stadt, während das erwartungsvolle Fieber ganz auf Mitternacht und den großen, den besonderen Moment ausgerichtet ist.

SpanienSchließlich ist es soweit. Atemlose Stille, die Atmosphäre zum Zerreißen gespannt. Welch Gegensatz zum infernalischen Getöse des Mittags. Alle Fallas werden, mit Ausnahme des zum 1.Preis gekürten Motivs, welches ins Staatsmuseum überführt wird, nahezu zeitgleich entzündet. Erst langsam und zäh, dann mit unbarmherziger Macht frisst sich die Feuersbrunst durch die kunstvollen Kreationen, erzeugt eine immense, kaum erträgliche Hitzeentwicklung. Schwarzer Rauch steigt rasend schnell in die Höhe. Nur wenige Minuten dauert es und die mühevolle Arbeit von knapp einem Jahr, die Arbeit der zahllosen Künstler und Handwerker liegt in Schutt und Asche. Ergriffen beobachtet die Zuschauermenge dieses ungewöhnliche Schauspiel, wenn lachende Gesichter, üppig gebaute Blondinen, fantasievolle Kunstfiguren ein Raub der Flammen werden. Beifall brandet auf und hält noch lange an, während die emsigen Feuerwehrleute bemüht sind mögliche Übergriffe der Flammen auf umstehende Gebäude zu vermeiden. Der berauschende Ausnahmezustand hat im grandiosen Finale sein Ende gefunden, doch Jordi und Frederico planen bereits für den nächsten Rausch.
Information:
Spanisches Fremdenverkehrsamt Turespaña Frankfurt, Myliusstraße 14, 60323 Frankfurt/Main, Tel: 069/7725033
infofrankfurt@tourspain.es,
spain.info
turisvalencia.es/de/home
Termine:
Ab 1. März Mascletas auf dem Rathausplatz um 14.00 Uhr, 15. März Aufbau der Fallas-Monumente, ab 16. März Blumenumzüge, 19. März Crema – Verbrennung der Kinder-Fallas um 22.00 Uhr, 20. März 1.00 Uhr Crema – großes Finale
fallasfromvalencia.com
Kontakt Udo Haafke:
die-fotos.de
 

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Udo Haafke

Autor Kurzvorstellung:

freiberuflicher Foto-Designer und Bildjournalist, Autor diverser Bildbände, Kalender und Reiseführer, Ausstellungen im In-und Ausland, freie Mitarbeit bei verschiedenen Tageszeitungen im Bundesgebiet.

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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