Glück auf. Ein Bergmann steigt in den Förderkorb, hält sich am Eisengestell fest und rauscht abwärts ins Dunkel, dann ein behutsames Abbremsen. In 793 Metern Tiefe empfängt ihn ein Kumpel: Glück auf! Im sächsischen Erzgebirge muss man nicht unter Tage sein, um mit „Glück auf“ begrüßt zu werden, es ist das Willkommen des Alltags, so wie in Hamburg das „Moin“. Das Erzgebirge ist Bergmanns-Land, eindeutiger als der Ruhrpott oder das Land an der Saar, die auch über Kumpel und Zechen verfügen. Aber das Wissen über diese Gegend zwischen Plauen und Dresden ist gering, so dass jeder Besuch eine Expedition ins Unbekannte und ins eigene Nichtwissen ist. Die Serie des ZDF „Erzgebirgskrimi“ sucht in den Flözen alter Sagen und Mythen Stoffe zur Fesselung der Zuschauer, aber Stollen in das Unwissen können die Kommissare Winkler und Szabo auch nicht treiben. Wir haben es versucht, wenigstens für uns etwas Licht in den dunklen Schacht zu bringen.
Jakobswege
Also, Glück auf. Das gibt es den Jakobsweg-Silberberg und den Sächsischen Jakobsweg. Ersterer führt als Teilstrecke von Annaberg über Schlettau, Elterlein, Grünhain, Lößnitz, Aue, Bad Schlema, Schneeberg nach Kirchberg. Der gesamte sächsische Jakobsweg führt von Bautzen nach Hof in Bayern. Das ultimative Ziel bleibt indes Santiago de Compostela, aber das ist 2500 Kilometer weit weg.
Einen weiteren Stollen in die Unwissenheit bohrt die grenzüberschreitende Montanregion Erzgebirge/Krušnohoř, die, ein UNESCO-Welterbe, das „montanhistorischen Erbe“ der Region vermitteln will.
Ihre Highlights sind der Besuch des KohleWelt – Museums Steinkohlenbergbau Sachsen, der Deutschlandschachthalde, und das Projekt ArchaeoTin. Die Zinnlagerstätte bei Ehrenfriedersdorf wurde bis 1990 abgebaut. Wann es begann, möchte das Forschungsprojekt ArchaeoTin herausfinden.
Einfahrt in die Tiefe
Wir wollen nur herausfinden, wie der Zinnbergbau in der Praxis funktionierte und fahren im Besucherbergwerk Ehrenfriedersdorf in die Tiefe. Ausgerüstet mit Schutzhelm, Geleucht und Overall geht es mit dem Fahrstuhl, nicht gleich in die Römerzeit, aber 100 Meter in die Tiefe und dann mit einem Lorenzug in die Stollen. Gezeigt wird, wie der Abbau und der Abtransport des Erzes funktionierte. Und als Zugabe: Gut verschlossen reifen hier in einem Lager Christ-Stollen, es soll sich, wie der uns begleitende Steiger versichert, nicht nur um einen Marketing Gag handeln.
Wieder im Freien stoßen wir auf einen höchst aktuellen Stollen in die Unwissenheit, auf den Purple Path, der anlässlich der Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 angelegt wurde. Er durchzieht die ganze teilnehmende Region und zeigt sich vor der Grube, am Sauberg, in Form von Wildschwein-Skulpturen von Carl Emanuel Wolff.
Dem mineralogischen Museum von Ehrenfriedersdorf, direkt neben dem Bergwerk, statten wir einen Besuch ab und treffen auf die bergmännische Volkskunst des Erzgebirges, Schnitz – und Klöppelexponate, Schwibbögen, mit denen Eingänge und vor allem Weihnachtsdekorationen zusätzlich verschönt werden. Pyramiden, Weihnachtskrippen, mechanischen Schachtanlagen, szenische Miniaturen und Buckelbergwerke kommen hinzu. Da es untertage dunkel ist, hat das Licht für den Bergmann eine besondere Bedeutung und findet in den erzgebirgischen Lichtträgern seine Verehrung.
Was Identität stiftet
Der Gegensatz zwischen hell und dunkel, oberirdisch und untertage könnte nicht größer sein. Aber das empfinden wohl nur Fremde, für den Einheimischen ist es identitätsstiftend. Das Erzgebirge ist „oben“ eines der schönsten Mittelgebirge in Deutschland, geprägt von sanften Hügeln, Wäldern, aber auch von Felsklippen, Tälern und ruhigen Dörfern und natürlich den Bergstädten, den einstigen Boomtowns, die Sachsen reich und seine Fürsten mächtig machte.
Patrizierhäuser, hohe Kirchen, Marktplätze wie in Italien, Schlösser und Burgen. Annaberg-Buchholz, Freiberg, Marienberg und Schneeberg , Städte, die sich stolz „Bergstadt“ nennen, eine Hanse der Erze.
Das Erzgebirge befindet sich im Süden des Freistaates Sachsen an der Grenze zu Tschechien und Bayern. Das etwa 130 km lange und 30 bis 70 km breite Mittelgebirge erstreckt sich von Südwest nach Nordost. Von Norden her steigt es auf 800-900 m an zum Keilberg mit 1.244 Metern Höhe und dem, Fichtelberg mit 1.214 Metern. Auf böhmischer Seite fällt es schroff ab.
Mutung, Neufang, Schlagschatz
Und „unten“: Jahrhundertelang prägte der Bergbau das Gebirge und gab ihm seinen Namen. Er wurde seit den ersten Silberfunden 1168 in Freiberg von landesherrschaftlicher Seite gefördert. Abweichend von dem damals andernorts noch üblichen feudalen Lehnsystem galt in Sachsen die sogenannte Bergbaufreiheit. Jedermann durfte, unabhängig von Eigentum an Grund und Boden, an jedem Ort nach Erz schürfen. Wurde er fündig, meldete er den Fund beim Bergmeister und beantragte das Abbaurecht in einer sogenannten Mutung. Ihm wurde daraufhin ein Neufang verliehen. Wenn sich die Abbauwürdigkeit bestätigte, verlieh man dem Bergmann eine Fundgrube von zunächst 7 Lehen (ca. 83 x 12 m) in Erstreckung des Erzganges. Das Monopol für den Ankauf des gewonnenen Bergsilbers und das Münzmonopol lagen beim Landesherren. Zudem legte dieser das Verhältnis des Nominalwertes der geprägten Münzen zum Metallwert fest, und sicherte sich so weitere Einnahmen aus der verbleibenden Differenz, dem Schlagschatz.
Die Blütezeit des erzgebirgischen Silberbergbaus erstreckte sich vom Ende des 12. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. Mitte des 16. Jh. war der Höhepunkt überschritten. Die oberflächennahen Erze waren erschöpft und die Erzgewinnung in tieferen Teufen verursachte enorme Kosten und hohen Aufwand.
Der Bergbau im Erzgebirge war Vorbild für den Bergbau in ganz Europa. So ist die Bezeichnung „Taler“ für die berühmten Silbermünzen aus dem Erzgebirge ein Vorläufer des Dollar. Die blaue Farbe der Gläser und Keramikprodukte, das Kobaltblau, der Rohstoff für das erste europäische Porzellan und das Metall für die Lettern im Buchdruck stammen hierher. Nach dem Rückgang des Bergbaus entwickelte sich eine namhafte Hausindustrie, vor allem die Spitzenklöppelei und die Herstellung von Posamenten.
“Rummelplatz”
Im 18. und 19. Jahrhundert entstanden neben der Bürstenmacherei Textilindustrie und Maschinenbau. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bekam der Bergbau vor allem durch die Uranerzförderung im Westerzgebirge einen überraschenden Schub. Unter dem Tarnnamen „Wismut“ förderte die Sowjetunion im Erzgebirge tonnenweise Uran. Mit dem Ende der DDR wurde 1990 auch die Beendigung des Uranerzbergbaus beschlossen. Es war die Geburtsstunde der Wismut GmbH, eines staatlichen Sanierungsunternehmens, beauftragt mit der Sanierung der großflächig radioaktiv kontaminierten Wismut-Altlasten. „Die Wismut ist ein Staat im Staate, und der Wodka ist ihr Nationalgetränk“, heißt es in Werner Bräunigs Wismut-Roman „Rummelplatz“, der in der DDR verboten war. Aber Bräunig als Ex-Bergmann wusste, wovon er schrieb.
Silberglanz und Kumpeltod
Zahlreiche Bergbauanlagen sind heute als technische Denkmale und Schaubergwerke für Besucher erschlossen. Seinen sehr guten Überblick lieferte uns die Ausstellung „SILBERGLANZ & KUMPELTOD“, die bis zum 29.06.2025 im Rahmen der Kulturhauptstadt im Chemnitzer smac gezeigt wird. Die Ausstellung beleuchtet den Erzbergbau sowohl von seiner glänzenden als auch von seiner dunklen Seite. Objekte von der Bronzezeit bis ins 21. Jahrhundert fördern das zu Tage, was unter Tage vor sich ging.
Gedacht. gemacht.
Die Traditionen, die handwerklichen Fähigkeiten, der Ideenreichtum, aber auch das Know-how aus den Bergbau-Folgeindustrien prägen die Region bis heute. So war und ist „Gedacht. Gemacht.“ das Motto der Erzgebirger. Die Menschen haben über Jahrhunderte ihre Kraft aus dem Bergbau entwickelt und gelernt, trotz knapper Mitteln flexible Lösungen für Probleme zu finden: Aus der Region kamen Anfang des 20. Jahrhunderts die ersten serienmäßig gefertigten Metallkarosserien für Pkw, Maschinen zur Konservendosenherstellung, Teile für das größte Passagierflugzeug der Welt, die nachhaltige Forstwirtschaft, der FCKW-freie Kühlschrank. Einer der europäischen Marktführer zur Leiterplattenproduktion haben im Erzgebirge ihren Ursprung. Innovation hat hier Tradition.
Die Makerhubs
Dies wird im Programm der Kulturhauptstadt in den sogenannten „Makerhubs“ aufgenommen. Das sind Orte, an denen Unternehmer, Handwerker und „Macher“ zusammentreffen, um gemeinsam aus den Anregungen der Vergangenheit, die oft in Museen aber auch in Handwerksbetrieben gefunden werden, Neues zu erschaffen. Acht Standorte wurden für die Makerhubs ausgewählt.
Im Alten Lehngericht in Augustusburg entsteht ein Makerspace zur Digitalisierung im ländlichen Raum.
In Neukirchen interpretieren in einem leer stehenden Autohaus Bürger gemeinsam mit europäischen Spitzenköchen regionale Spezialitäten neu.
In Limbach-Oberfrohna wird im Esche-Museum ein Kompetenzzentrum „Textil“ mit Schwerpunkt auf Strickerei und Konfektion entstehen und damit eine Schnittstelle zwischen Forschung, Entwicklung, Industrie, Design und Produktion.
Der Makerhub in Lößnitz will den Nachwuchs im Bereich der Zukunftstechnologien und der Medienkompetenz fördern.
In Mittweida entsteht im Innovationsquartier Werkbank 32 ein Ort für Cross Innovation, in dem Unternehmen, Kreative und die Makerszene gemeinsam an neuen Ideen und Produkten arbeiten.
In Schneeberg entsteht ein Makerhouse als Schnittstelle zwischen Kreativszene und der Hochschule.
Im ehemaligen Umspannwerk Etzdorf in Striegistal schafft der Makerhub eine touristische und künstlerische Perspektive für das 3000 Quadratmeter große Objekt.
Zwönitz verwandelt die 4500 Quadratmeter große ehemalige Weberei in einen Hub für Coworkingplätze und eine Makerwerkstatt.
Die Makerhubs tragen Offenheit, Vielfalt, Gemeinsinn und „Macher:innengeist“ ins Erzgebirge, und graben einen zukunftsweisenden Stollen in die noch bestehende Unwissenheit und Antriebslosigkeit. Na dann, Glück auf!