Spannende Erlebnisse zwischen Kastanienbaum und Klinge in der Manufaktur Böker
Zuweilen kann der Besuch einer traditionellen Manufaktur eine Reise in die Geschichte der Fertigung sein, mit Ausblick in die Zukunft. Und bei aller Technikorientierung lebt dabei der Rundgang durch die Produktionsstätte von der Vermittlung durch den Führenden. Eine Messerfabrik in der traditionsreichen Klingenstadt Solingen zu erkunden, ist ein spannendes Unterfangen. Um so mehr, wenn man mit der Manufaktur eine persönliche Familientradition verbindet. Die Messer Manufaktur Böker in Solingen blickt auf eine Jahrhunderte alte Tradition der Fertigung zurück.

Ich betrete an einem klaren Herbstnachmittag die Manufaktur der Marke Böker in Solingen – und schon beim Schritt durch die Eingangstür spüre ich eine besondere Stimmung: Die Luft ist leicht metallisch und warm, die Sonnenstrahlen fallen schräg durch die hohen Fenster und beleuchten Späne auf dem Boden. Ich fühle mich meiner Familientradition verbunden, denn bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs gehörte diese Messerfabrik meiner Familie – und heute ist es, als würde ich ein Kapitel dieser Geschichte erneut betreten.
In der Produktionshalle begleitet mich Herr Hajo Wilkes, ein erfahrener Mitarbeiter von Böker, der mich freundlich begrüßt. Im Gespräch wird schnell klar: Hier verbindet sich modernste Maschinentechnik mit traditioneller Handarbeit. Hajo erzählt, dass er seit vielen Jahren bei Böker tätig ist – er war ursprünglich im Außendienst unterwegs, wechselte früher in die Produktion und kennt die Prozesse wie kaum ein anderer.






Moderne Maschinen reichen nicht alleine
Wir beginnen unsere Führung im Bereich, in dem die Rohmaterialien ankommen: Stahlplatten verschiedener Sorten – Kohlenstoffstahl, Solinger Silberstahl, sogar Pulverstähle –, die später zu Klingen werden. Die Maschinen sind beeindruckend: Stanz- und Fräsmaschinen, einige sogar über 100 Jahre alt. Doch Hajo betont: „Maschine allein reicht nicht – in jedem Messer steckt Handarbeit.“ So wird etwa das Griffmaterial – Holz oder Horn – in einer eigenen Abteilung bearbeitet: Hirschhorn wird gekocht und gebogen, Holzblöcke werden strikt vorgearbeitet. Dabei kommen CNC‑Fräsmaschinen zum Einsatz, aber die feine Anpassung erfolgt stets von Hand.
Beim Rundgang zeigt Hajo eine alte Stanzmaschine – sie stanzt Klingen oder Unterlegscheiben, Mitarbeiter füttern sie per Hand mit Material. Die Kombination aus jahrhundertealten Werkzeugen und hochpräziser moderner Technik fasziniert mich: Die Fabrik wirkt trotz industrieller Ausstattung keineswegs kalt – im Gegenteil: Jeder Arbeitsplatz hat das Flair einer Manufaktur.





Messerproduktion weltweit – aber mit Tradition
Wir verweilen bei der Montage und des Finishs. Hier sitzen Mitarbeitende an Schleif‑ und Poliermaschinen, Hockern davor, und bearbeiten Oberflächen, setzen Logos ein, justieren Verriegelungsmechanismen oder Slipjoints – ein Schritt zu viel Ungenauigkeit, und das Messer wird aussortiert. Hajo erklärt: Genau in dieser Phase zeigt sich, dass jedes Messer eine individuelle Note trägt – das Baum‑Logo von Böker steht seit 1674 für Solinger Qualität.
Das Logo des Kastanienbaums geht auf einen einst vor dem Stammhaus in Remscheid stehenden und von einem Blitz vernichteten Kastanienbaum zurück, den man dann als Wahrzeichen gewählt hat.
Zwischendurch geht Hajo in Anekdoten auf die internationale Historie der Marke ein: Bereits im amerikanischen Bürgerkrieg lieferte das Schwesterwerk in den USA viele Messer beziehungsweise Waffen, Schwerter oder Säbel für die Unionstruppen. Ich spüre eine Verbindung – meine Familie war Teil dieser Region, Teil dieser Geschichte – und jetzt stehe ich mittendrin.
Auch auf weitere Werke wird eingegangen: In Argentinien existiert ein Zweig von Böker, das Werk in Buenos Aires stellt unter dem Label „Arbolito“ hochwertige Jagd‑ und Outdoormesser her.




Ohne den Spezialisten keine Messer
Die Maschinen surren, das Licht der Herbstnachmittags‑Sonne fällt golden durch hohe Fenster – ich gehe weiter und beobachte, wie eine Klinge per Hohlschliff bearbeitet wird: Ein hochpräziser Prozess, bei dem von Hand geschliffen wird, obwohl moderne Technik zur Verfügung steht. Hajo lächelt: „Wir könnten mehr automatisieren – aber wir wollen die Handschrift des Mitarbeiters sehen.“
Am Ende der Führung stehe ich vor einer Ausstellung von historischen Messern – unter anderem mit dem klassischen Baum‑Logo von Böker. Ich fühle eine Ehrfurcht: Hier verbindet sich meine Familiengeschichte mit über 150 Jahren solinger Messerkunst. Das Heimkommen für mich fühlt sich so an: Als würde ich nicht nur ein Werk besichtigen, sondern meine Wurzeln erinnern.
Ich verabschiede mich von Hajo, danke ihm für die Zeit und die offene Führung, atme noch einmal tief durch – die warme Luft, das leise Klirren von Werkzeugen, das ehrliche Handwerk. Dieser Herbstnachmittag klingt nach – eine Erinnerung daran, wie Technik und Tradition Hand in Hand gehen können.




Kurz notiert
Das Böker-Werk und der Messershop in Solingen
Werksführungen sind einmal im Monat möglich und können online gebucht werden:
Der Bsucher-Preis von 15 Euro wird nach der Besichtigung in einen Gutschein umgewandelt, der im Shop und Online eingelöst werden kann.
Dieser Besuch wurde in Eigeninitiative durchgeführt.
Weitere Informationen zu Böker sind der Website zu entnehmen



