Von Elke Backert
Drei Kaiserbäder, ein Weinberg, ein Wasserschloss, Bäderarchitektur, Wald, Seen, Sandstrand und rundherum Meer – was will der Urlauber mehr
Ich halte es nicht mit den Journalisten, denen man witzelnd nachsagt, sie guckten eine Kirche nur von außen an. Ich gehe hinein. Das mache ich auch in Benz auf der pommerschen Insel Usedom und erlebe einen alten Herrn Pastor, der zu Erstklässlern spricht. Auf kindgerechte Weise will er ihnen die Geschichte des Ortes und ihrer berühmten Kirche nahebringen. Immerhin hat sie der weltbekannte deutsch-amerikanische Maler Lyonel Feininger (1871-1956) variationsreich, mal in Öl, mal in lichten Aquarellfarben, für die Nachwelt festgehalten.
Der Pastor erzählt sehr lebendig und endet mit einer tollen Geschichte, die die Zweitklässler aufhorchen lässt. Er habe eine alte Urkunde im Kirchturm gefunden, die merkwürdige, nicht entzifferbare Schriftzeichen enthält. Ein befreundeter Chinese aber habe eines der Zauberzeichen entschlüsseln können. Es stünden da drei große B, BBB, und der Chinese kannte auch ihre Bedeutung. Ein Benzer Brause-Baum wüchse im Kirchgarten.
„Habt ihr schon mal einen Brausebaum gesehen?“ – „Nein“, schreien die Kleinen. – „Doch“, entgegnet der Pastor, „den gucken wir uns jetzt mal an.“
Die Kinder stürmen hinaus. Tatsächlich hängen da an einem Baum gelbe Limonaden-Flaschen, und rote, die „reifen“, liegen schon im Gras. Jubelnde Kinder sind dem Pastor gewiss.
Der gebürtige Amerikaner Feininger hielt sich gern im beschaulichen Achterland, dem Hinterland, der Insel auf. Auf seinem Fahrrad Marke Cleveland-Ohio mit Holzfelgen und Gummibereifung fuhr er jedes Jahr Zigtausende Kilometer. Wo es ihm gefiel, warf er das Rad in den Graben und skizzierte die Landschaft, einen Weg, die Benzer Holländerwindmühle von 1830, die bis 1972 in Betrieb war, oder eben die Kirche St. Petri.
1912 schrieb Feininger aus Benz, übersetzt etwa: „Ich befinde mich inmitten der Motive, die ich mag und die mich inspirieren.“ Die Zeichnung des Benzer Erdholländers, die erste bildliche Darstellung des Kulturdenkmals, besitzt heute die Familie Rockefeller.
Das und noch viel mehr erfährt der Besucher in der schmucken Reet gedeckten Galerie gleich neben St. Petri. Für das Achterland sind Rohr- oder Schilfdächer, also Reet gedeckte Häuser, typisch, während in den drei „Kaiserbädern“ der Pommerschen Bucht, Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin, die Bäderarchitektur vorherrscht, eine gelungene Summierung aller Stilepochen von der Antike bis zum Jugendstil, die im 19. Jahrhundert und in der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg an der Küste entstand: Loggien, Brüstungen, Veranden, Erker, Türmchen oder Säulen.
Der Galerist Johannes Albers ist stolz auf sein kleines Feininger-Kabinett (www.kunstkabinett.de) mit Kunstdrucken und einem originalen Brief, den der in Deutschland verfemte Feininger 1937 aus der Emigration in den Vereinigten Staaten schreibt: „Was wird aus all’ unseren Künstlerfreunden im nunmehrigen ’Naziland’???“
Auch des Malers Rad von 1897 wird im Kunst-Kabinett aufbewahrt. Albers, der „unsere kleine Strohdach-Hütte“ seit 1955 betreibt, dem Jahr, in dem Feininger die Benzer Kirche malte, erklärt gern den Inhalt eines Bildes. Ein Kunstdruck vom „Rathaus in Swinemünde“ hängt gleich zweimal an der Wand, einmal mit polnischem Titel, einmal auf deutsch. In dem Gemälde gehe es, satirisch überhöht, um die feinen Damen, hochgewachsen und in schicker Garderobe, die im Kaiserbad Swinemünde promenieren und ihre kleinen rundlichen Männer dominieren. Die Herren haben das dicke Geld für den Schick ihrer Damen. „Das wirklich erste Kaiserbad“, ergänzt Albers, „war nämlich Swinemünde.“ Dessen Zeit als Seebad begann 1820. Die „3 Kaiserbäder“ der Insel Usedom, Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin, übernahmen den publikumswirksamen Namen. Nicht ohne Grund, denn Wilhelm II., der letzte deutsche Kaiser, wählte sie als Sommerfrische.
Bei soviel Feininger ist es kein Wunder, dass die Insel dem Promi einen Rad-Rundweg widmet, 56 Kilometer lang und gekennzeichnet durch Weg-Beschilderung, aber auch durch Bronzeplatten im Erdboden vor den jeweiligen Objekten. 40 Orte, an denen man über 80 seiner Gemälde nachvollziehen kann.
Der Kunstdruck der Benzer Kirche mit den Maßen 31 x 42 cm auf einem Bogen im Format von 40 x 50 cm Größe kostet in der Galerie 36 Euro, im Versand (mit einer Rolle) 45 Euro. Da sich die Galerie durch hervorragende Akustik auszeichnet, darf das Usedomer Musikfestival jedes Jahr im September die Räume für Konzerte nutzen.
1924 spazierte aber auch kein Geringerer als Thomas Mann gemeinsam mit seiner Ehefrau Katia und den Kindern über die Promenade und feilte im Bansiner „Haus Seeblick“ am letzten Kapitel seines Jahrhundertromans „Der Zauberberg“.
Mellenthin ist der Ort, wo das gleichnamige Wasserschloss aus dem Jahre 1575 als Hotel und Restaurant dient und immer ausgebucht scheint. Weil die Portionen für Riesen gemacht sind? Inzwischen hat es eine Brauerei und eine Kaffeerösterei eröffnet. Zwei Euro „Brückenzoll“ kostet es, sich dem Schloss zu nähern. Die werden aber beim Verzehr angerechnet.
Einen Tisch vorbestellen sollten Fischfreunde, wollen sie im „Waterblick“ in Loddin essen. Hier haben sie einen schönen Blick über das Achterwasser auf die Halbinsel Görmitz, und sie treffen bei Peter Noack auf den nördlichsten Weinberg Deutschlands mit 99 Rebstöcken. Die Pflege des zwölf Jahre alten pommerschen Weingartens und Erzeugung des tiefroten Cabernet-Sauvignon „Loddiner Abendrot“ überlässt Herr Noack lieber einem Winzer von der Nahe, denn „wir Pommern sollten Kartoffeln buddeln, von Wein haben wir keine Ahnung, das ist zu komplex.“
Das Achterwasser, das zusammen mit dem Peenestrom die eigenwillig geformte Insel vom Festland trennt, lernt man bestens bei einem Segeltörn mit der „Weißen Düne“ kennen. Auf der Fahrt von Neppermin nach Karlshagen muss der Segelschoner die Wolgaster Klappbrücke durchqueren, die sich nur zu festen Zeiten öffnet. Ein aufregendes Erlebnis, zumal bei einem Abendtörn und glutrotem Sonnenuntergang.
Der größte Teil der Insel ist zusammen mit der nahen polnischen Insel Wollin seit 1966 Landschaftsschutzgebiet und als Naturpark mit einer Eule beschildert, ein Refugium für Fauna und Flora. Hier zählt man die größte Seeadler-Population Deutschlands. Am besten seien sie von der Zecheriner Brücke aus, möglichst am frühen Morgen, zu sichten. Fernglas vorausgesetzt, damit man sie nicht etwa mit der Lachmöwe verwechsele. Der lärmende Autoverkehr Richtung Anklam störe sie nicht.
Dort, im Usedomer Winkel, kann man sich auch gleich die zum technischen Denkmal erklärte Eisenbahn-Hubbrücke von Karnin ansehen. Ein Meisterwerk, 1876 als 360 Meter lange Fünfbogenbrücke für die Eisenbahnstrecke Ducherow-Swinemünde erbaut. Für Schiffsdurchfahrten gab es eine Drehbrücke. Steigende Zugzahlen erforderten einen Neubau der Brückenöffnung. Dabei entschied man sich für eine Hubbrücke, die nach dem Fahrstuhlprinzip des Schiffshebewerks Niederfinow arbeitet. Ende 1933 nahm man die Brücke in Betrieb, die eine Geschwindigkeit von 100 Stundenkilometern zuließ. Am 23. April 1945 sprengte die Wehrmacht die Pfeiler der Überbauten und fuhr die „Tröge“ nach oben, um die vorrückende Rote Armee aufzuhalten.
Eine der schönsten Lindenalleen – es sollen 337 achtzig- bis 100jährige Bäume sein – führt ins 130-Seelen-Dorf Krummin, das sich wegen seines winzigen Jachthafens in der Krumminer Wiek „Klein Nizza“ nennt. Von dort blickt man zur Halbinsel Gnitz. Das Mittelstück der gotischen 750 Jahre alten Backsteinkirche, der ältesten Usedoms, ist der letzte erhaltene Teil eines Zisterzienserinnen-Klosters. Ausruhen bei hausgemachtem Kuchen und Hausmannskost lässt sich in der „Naschkatze“, dem ersten und einzigen Sitz-, Steh- und Liegecafé Usedoms. Gesine, Peter und die Katze bieten mit ihren Ferienwohnungen auch Platz zum Schlafen.
Info: www.usedom.de
Fotos Elke Backert