Der Umsturz in Ägypten und die schrecklichen Nachrichten über den IS-Terror halten viele Deutsche fern von den Winterzielen am Roten Meer – was für die wenigen Gäste gar nicht so schlecht ist
Landeanflug auf den „International Airport Marsa Alam“. Rechts funkeln die bizarren Dächer der kilometerlangen Riffe im türkisblauen Wasser, links geht die flache Wüste in schuppige Hügel über und dazwischen zieht sich, wie eine Narbe, die schwarze Landebahn durch den hellen Sand. Neben dem Rollfeld parken ein einsamer Bus und zwei kleine Elektrokarren mit Gepäckanhängern. Flugzeuge stehen hier keine, nicht ein einziges. Außer unsere Maschine wird an diesem Tag Ende November auch nur noch ein Jet aus Amsterdam erwartet. Vielleicht.
Willkommen am Roten Meer.
Der Bus fährt die knapp 150 Touristen etwa 40 Meter vom Flieger bis zum Gate. Keine zehn Minuten später stehen die Menschen mit ihren Koffern und einem Visa im Pass auf dem Vorplatz und blinzeln in die warme Wintersonne. Für ägyptische Verhältnisse eine Highspeed-Abfertigung, schließlich ist die Zeit vor Weihnachten in der Wüste eigentlich Saison und die ägyptischen Bürokratie sonst eher zäh. Auf einem riesigen Plakat wirbt der Flughafen mit 100 Direktflügen pro Woche in die ganze Welt, aber der Slogan wirkt wie aus einer anderen Zeit. Eine Armada an Kleinbusen und Taxen buhlt um die wenigen Leute und 20 Minuten nach der Landung versinkt der „International Airport“ wieder in tiefe Ruhe. Nur das Rascheln hunderter, windzerzausten Plastiktüten in den Schutzzäunen ist noch zu hören. Diese Plage überlebt offenbar jede Krise.
Wir fahren ein Stück an der Küste entlang gen Norden – vier Passagiere in einem Kleinbus, der Platz für Zwölf hätte. Ein Straßenschild weist nach Port Ghalib, aber da will kaum noch einer hin. Ein paar Taucher, die donnerstags im Hafen für eine Woche auf den Safaribooten einchecken, sonst ist das touristische Prestigeobjekt des kuwaitischen Milliardärs Nasser al-Kharafi eine meist verlassene, halbfertige Baustelle. Nach dem Tod Al Kharafis 2011 und der Dauerkrise am Roten Meer wird die Hotelstadt wohl auch nie fertig werden.
Wir rollen weiter, alle paar Kilometer markieren scheinbar aus dem Nichts auftauchende Alleen aus Palmen den Weg zu einem Ressort am Meer, oft rauscht der Bus aber auch an verlassenen Baustellen vorbei, manche sind bereits wieder am Verfallen. Die Wüste fliegt vorbei und im Magen stellt sich dann doch ein leichter Druck ein. „Ägypten? Willst Du dir den Kopf abhacken lassen?“ Sprüche wie die gab es zu Hause genug, aber sie scheinen generell zu wirken. In diesem Jahr kamen etwas über 620 000 Deutsche nach Ägypten, vor der arabischen Revolution waren es mehr als doppelt so viele. Und wenn man dann fast alleine außerhalb der gesicherten Anlagen auf der Straße unterwegs ist, wird es einem anfangs doch ein bisschen mulmig.
Ohne realen Hintergrund freilich. Seit dem „arabischen Frühling“ 2011 sind an der Küste zwischen Hurghada und Marsa Alam keine Anschläge auf Touristen dokumentiert. Gefährlich für die Gesundheit ist eher die oft ruppige Fahrweise der Taxis oder ein tiefer Schluck aus dem Wasserhahn. Der Terror der Anhänger des gestürzten Präsidenten Mursi ist dagegen weit weg, ebenso die ägyptischen Extremistengruppen, die jüngst im Norden des Sinai der islamistischen Terrormiliz IS Treue geschworen haben. Aber Furcht ist eben nicht rational, da ändert auch der Hinweis des Auswärtigen Amtes nicht viel, dass die Urlaubsgebiete südlich von Hurghada sicher seien.
„Ich habe mich auch schon einmal ausfliegen lassen, aber nicht weil ich Angst hatte, sondern weil ich der Letzte im Hotel gewesen bin“, sagt Marc Hügi. Der Schweizer lebt seit neun Jahren am Roten Meer und leitet eine große Tauchbasis nördlich von El Quesir. Die Basis, angegliedert an ein Mövenpick Ressort, liegt an einem in der Tauchszene beliebtesten Hausriffe des Roten Meers. Ein paar Schritte über einen Steg und schon ist man drin in der Welt der bunten Fische und Korallen. Aber auch hier steht die Hälfte der Zimmer in den im nubischen Stilerbauten Bungalows leer. Für die wenigen Gäste ist das sicher kein Nachteil. Die Taucher gleiten ungestört in der Tiefe an den funkelnden Riffen der El Quadim Bucht entlang, am Strand ist Ruhe. Und wenn dann das Seeadler-Pärchen über der Bucht seine Kreise zieht oder nur ein paar Meter neben dem Hotelareal ein Fennek, ein scheuer Wüstenfuchs, in der Dämmerung neugierig herüberschaut, löst sich diese unbestimmte Skepsis einfach auf. Eine kuriose Situation – die Furcht vieler vor dem Land eröffnet denen, die trotzdem kommen, ein einmalig ruhiges Erlebnis.
Das sieht man auch offiziell so. Radtrips in die Wüste, Besuche auf dem belebten Markt in El Quesir, Jeep-Safaris weg vom gesicherten Hotelareal – alles im Programm. Nur der Kontrast bleibt, wenn man zurück kommt und der Wachmann vor dem schwer gesicherten Tor mit dem Spiegel unter das Auto schaut.
Zurück am Flughafen in Marsa Salam, heute gehen sogar drei Flüge nach Deutschland. Und da ist er dann, dieser seltsame Gedanke. Sollen sie ruhig noch ein bisschen Angst haben zu Hause, sonst ist es mit der himmlischen Ruhe hier bald vorbei.
Jürgen Löhle