Journalisten können nerven, weil sie gerne die falschen Fragen stellen. Sandro Lazzari ist Präsident von Dolomiti Superski, des weltgrößten Skipisten und Skianlagen-Verbundes. Er ist 78 Jahre alt und kann auch mit der Frage, ob es sich überhaupt noch lohne, in den Wintersport zu investieren, wenn es in 50 Jahren klimawandelbedingt keinen Schnee mehr gebe, nicht aus der Ruhe gebracht werden. Wir treffen ihn, Ende März, in einem verschneiten Edelrestaurant, der „Ütia de Bioch“, das seine Vergangenheit als ladinische Berghütte mit Liebe und der überwiegenden Verwendung von Holz pflegt. „Die Ütia war, als sie der Vater aufgebaut hatte,“ sagt der Hüttenwirt Markus Valentini , „nicht viel größer als sechs mal sechs Meter.“ Inzwischen sind Gasträume, eine große Terrasse und zuletzt ein hochmoderner Weinkeller dazugekommen, aber das Schönste bleibt der Blick über den Piz La Ila, die Berge von Alta Badia, bis hin zur Königin der Dolomiten, der Marmolada. Und während Markus Valentini Linguine mit Zitrone, Bottarga und Miesmuscheln serviert, erklärt Sandro Lazzari in aller Ruhe und zwischen köstlichen Bissen, warum ihn die unsichere Zukunft nicht schrecken kann.
Bild ganz oben: Abendstimmung in Südtirols Alpen, aufgenommen von der Lagazuoi Hütte
Dr. Sandro Lazzari, ein Mailänder, der vor 60 Jahren bei einem Kumpel ins Seilbahngeschäft eingestiegen, dort geblieben und inzwischen Präsident der ANEF, Verband der Seilbahnbetreiber Italiens, ist seit 9 Jahren Dolomiti-Superski-Präsident. „Wissen Sie, ich kann nicht in die Zukunft blicken, ich habe es aber gelernt, auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren. Dabei bin ich weit davon entfernt, den Klimawandel zu leugnen.“ Seilbahnen gebe es seit vielen Jahren, man denke nun an den Wassertonnenaufzug in Ridnaun, die Menschen hingen damals zwischen den Bergen fest, darum sei das heimische Ladinisch auch bis auf den heutigen Tag eine Sprache mit dem sprachlichen Flair der Täler. Seilbahnen halfen, die Berge zu überwinden – und damit die Armut. Und als der Tourismus die Alpen entdeckte, begann der Boom, der bis auf den heutigen Tag anhalte.
Die erste für den öffentlichen Personenverkehr zugelassene Bergschwebebahn der Welt wurde 1908 in Kohlern eröffnet. „Angefangen haben die meisten Skigebiete mit einer schrägen Wiese und einem Schlepplift.“ Heute würden endlose Verbindungen verlangt. „Doch es hat sich etwas geändert“, sagt der Präsident. „Jetzt schaffen Seilbahnen Infrastrukturen für ganze Täler – auch abseits der Pisten. Sie sorgen für die Vermeidung von Autoverkehr im Hochgebirge.“ Im Fassatal im Trentino verbinde bei Alba eine Seilbahn beide Talseiten miteinander. „Das bringt einen komplett neuen Einstieg zur Sella Ronda und vermeidet viele Bus- und Pkw-Bewegungen im Tal.“ Im Pustertal habe das Land Südtirol die Eisenbahn übernommen und modernisiert, die Liftbetreiber am Kronplatz und an den Drei Zinnen haben die Knotenpunkte gebaut. Skifahrer steigen aus der Eisenbahn in den Lift steigen und umgekehrt. Gitschberg/Jochtal und Plose planen ähnliche Projekte – sie wären dann auch über die vergleichsweise kurze Pustertalerbahn miteinander verbunden. „Optimisten sprechen vom Neubau der Dolomitenbahn zwischen Toblach in Südtirol und Cortina d’Ampezzo in Venetien“, sagt Sandro Lazzari, „und von Verbindungen für die Seiser Alm, das Tierser Tal und Cortina d’Ampezzo.“ Er selbst hat zwischen Wolkenstein und Plan de Gralba eine Engstelle mit einer neuen Umlaufkabinenbahn entschärft.
„Um das System von Dolomiti Superski zu verstehen, müssen Sie wissen, dass wir den Service liefern, den Kontakt zu unseren Gästen, denen wir jährlich 10 Millionen Skitage und 280 000 Übernachtungen anbieten, vor allem stellen wir die Tickets und die sozialen Netzwerke, die Investitionen übernehmen die 130 Gesellschafter, vor allem Seilbahn-Betreiber. Und hier belebt Konkurrenz das Geschäft, wir haben 2018 gut 90 Millionen Euro investiert.“
Eine Zeitenwende sei erreicht: „Die Skiregion Dolomiti Superski ist an dem Punkt angelangt, wo es nicht mehr nötig und sinnvoll ist, neue Skigebiete zu erschließen.“ Es gehe jetzt darum, das Angebot so gut wie möglich einer doppelten Verwendung anzupassen, dem Sommer und dem Winter, und die Verbindungen zwischen den einzelnen Gebieten zu optimieren. So rückten neben den Urlaubern auch die Bewohner der oft engen und verkehrsgeplagten Alpentäler in den Focus. Der Lückenschluss „Helm-Rotwand“ sei für die Menschen im Hochpustertal eine Frage der Zukunft der gesamten Region gewesen.
„Aber dem Sommer ein stärkeres Gewicht zu geben, sagt sich einfacher, als es getan ist“, sagt Lazzari. „War es im Winter nicht leicht, Snowboarder und Skifahrer zu versöhnen, stehen uns auf den Wegen Probleme zwischen Radlern und Wanderern in einer neuen Dimension bevor. Unsere Devise: Jeder bekommt seine Piste, und was beide verbindet, ist der Respekt voreinander und vor der Natur.“
Nein, natürlich würde die Wintersaison ihre Bedeutung nicht verlieren, und er wisse auch, dass der Gast von weißen Streifen in brauner Natur nicht begeistert sei, daher, so Sandro Lazzari: „Schneesicherheit hat Vorrang. Rund ein Drittel der Gesamtinvestitionen für die Wintersaison 2018-19 haben die Mitgliedsgesellschaften von Dolomiti Superski dem Bereich technische Beschneiung gewidmet. In Zahlen: Mehr als 25 Millionen Euro wurden für neue Beschneiungsanlagen ausgegeben. Und es kommen ausschließlich reines Quellwasser, Druckluft und elektrische Energie zum Einsatz.“ Man habe es geschafft, dass ein „Kältefenster von 60 Stunden“ ausreichend sei, die Skiregion Dolomiti Superski, ein 3000 Quadratkilometer großes Gebiet, bestehend aus zwölf Tälern mit 450 Liften und 1200 Pistenkilometern, wobei die Hälfte des Angebotes zusammenhängend ist, zu 97 Prozent zu beschneien.“
Von dieser Garantie lebten 400 000 Familien. „Diese Menschen wären nicht in den Bergen geblieben, wenn der Wintertourismus nicht seit dem Krieg ihre wirtschaftliche Ressource gewesen wäre.“ Ohne Jobs keine Zukunft, das sei die Aufgabe, und da gelte Bangemachen nicht. Und mit den Aufstiegssystemen würden nicht nur Urlauber auf die Berge transportiert, sondern auch die Lebensmittel auf die Hütten. „Markus Valentinis Weinkeller bliebe leer“, sagt der Präsident. „Die ganze Struktur mit Schulen, Wohnen und Arbeit wäre nicht denkbar.“ Früher seien alle Produkte auf dem Rücken auf gefährlichen Pfaden über die Berge getragen worden.
Das Ziel sei, die Qualität ständig zu steigern, nicht nur bei den Pisten und ihrer Beschneiung. „Nehmen Sie die Qualität in den Hütten, hier bei Markus Valentini, zum Beispiel. Es gibt viele wie ihn: Fabio Targhetta in der Baita Relax auf dem Col Alt, Ulli Crazzolara in der Las-Vegas-Hütte, Guido und Alma Pompanin in der Lagazuoi-Hütte, denen der Sturm am 31. Oktober die Sauna weggeblasen hat, natürlich das „Moritzino”, die Berghütte Scoiattoli der Familie Lorenzi. Die ganze Berg-Welt des Skifahrens mit Genuss, des sciare con gusto, basiert auf unseren Aufstiegsanlagen.“
Und in 50 Jahren? „Was weiß denn ich? Aber um Ihre Frage zu beantworten: Wir kalkulieren bei unseren Investitionen mit 20 Jahren, in denen sie sich amortisiert haben müssen. Das schaffen wir, denn wir haben gelernt, mit Problemen zu leben, wie jetzt mit dem Sturm, der viele Wälder flachlegte und große Schäden anrichtete, nicht nur an der Sauna der Lagazuoi- Hütte. Wir haben die Liebe zu den Bergen und das Vertrauen in unsere Jugend. Uns ist kein bisschen bang.“