Das Meer, das gar keines ist

Mein Name ist mir, wenn ich ganz ehrlich sein soll, manchmal peinlich. Klar, da wollten sie witzig sein die beiden Zweibeiner und mir einen ungewöhnlichen Namen geben, der absichtlich gar nicht zu mir passt. Weil ich kein Riese bin. Aber was kann ich dafür, dass ich nur ein Dackel bin und keine dänische Dogge. Aber darüber muss man doch keine Witze machen. Ich mach mich ja auch nicht lustig darüber, dass sie eine Nase haben, aber nichts riechen können. Nun ja, meistens jedenfalls. Aber wo war ich? Ach ja. In der Stadt war das fast egal. Dort hört eh keiner dem anderen zu und einen kleinen Hund nehmen sie gar nicht wahr. Außer wenn du auf den Bürgersteig kackst. Aber hier bei den Bayern ist das anders. Hier sind viel weniger Leute unterwegs, die sich offenbar ziemlich genau beobachten, und da fällt jedes ungewöhnliche Wort auf. Wenn mein Zweibeiner Rambo ruft, weil ich grad einen interessant riechenden Baum entdeckt habe, der nach einer jungen Jack Russell Tante duftet, dann drehen sich jedes mal Leute um, schauen ganz komisch zu mir und grinsen blöd. Haben die Bayern nichts anderes zu tun? Sollen sie es doch wie ihre Kinder machen, die immer nur in ihre Handys rein glotzen.

Der erste Sonntag. In unserem Haus stehen immer noch viele Pappkartons rum, hängen dicke Bündel von Klamotten über den Möbeln, die auch noch orientierungslos die Räume füllen. Menschen müssen immer Ordnung haben. Das unterscheidet sie ja auch von uns Hunden. Nicht dass wir Schlamper wären, aber diese komische Angewohnheit, große Kisten aufzustellen und alle Dinge irgendwo fein säuberlich zu deponieren, ist uns Hunden fremd. Wir haben auch nicht diese Sammelsucht. Kleidung ist uns eh fremd. Und dann noch diese vielen Dinge, die sie irgendwo verstecken und nie, wirklich nie verwenden. Das ist so, als ob ich eine besonders feine Wurst irgendwo im Garten vergrabe und sie dann einfach liegen lasse. Vielleicht mal ausgrabe, sie anschaue, aber dann doch nicht esse.  Wie blöd ist das denn.

Morgens war es an diesem Sonntag wie immer. Mein Zweibeiner ist mit mir raus um die Ecke zur Wiese. Er sieht echt noch gestresst aus. „Heute brauch ich mal ne Auszeit“, brabbelt er noch ziemlich verschlafen und gräbt seine Hände tief in die Trainingsjacke, die er sich schnell übergezogen hat. „Liebling, der Kaffee ist fertig“, ruft die Zweibeinerin aus der Küche und er bewegt sich ganz monoton in Richtung Küche. Menschen haben ein ganz merkwürdiges Verhalten, wenn es nach Kaffee riecht. Nicht dass das unangenehm wäre, aber ich mach mir nichts daraus. Aber die Leute sind direkt süchtig danach. Vor allem morgens riecht es überall nach der braunen Brühe.

Der (wahre) Chef bin ich!: Hundegeschichten vom anderen Ende der Leine | Kapitel 3
Der (wahre) Chef bin ich!: Hundegeschichten vom anderen Ende der Leine | Kapitel 3

Nachdem ich mein Geschäft gemacht hatte, gab es Frolic Geflügel Sticks zur Belohnung. Sind ja ganz okay, aber eine richtige Mahlzeit sieht anders aus. Und seit der Hundeschule immer die gleichen Kekse und Sticks. Neuerdings sogar als Bio Kekse. Aber er meint es ja gut. Die beiden Zweibeiner sind vom Umzug, vom Kistenschleppen und vom endlosen Einräumen immer noch ziemlich gestresst und haben auch schlecht geschlafen. Ein Erholungstag ist angesagt. „Wir machen einen Ausflug“, ruft sie entzückt und so laut, dass mir die Schlappohren gleich glühen, grinst und fährt mir mit ihren rotlackierten Fingernägeln, die wie eine Parfümerie am Kudamm riechen, durch den Pelz. „Da müssen wir zum Chiemsee, zum bayerischen Meer, wo doch das Wetter heute so toll ist“, retourniert er und strahlt mich am. „Das wird dir gefallen!“  Gute Idee, auch wenn dieses Meer doch nur ein See ist. Zuhause hocken und den anderen beim Möbelpacken zuschauen, das ist mir schon fad. Rumziehen und kucken, wer noch so unterwegs ist und wie hier das Leben ausschaut, das interessiert mich jetzt schon. Wozu der ganze Stress mit dem Umzug auch gut sein soll.

Die Autofahrt war kurz und überraschend angenehm. Nicht so wie in der Stadt, wo das ewige Bremsen und Losfahren nervt, wo mir auch mal richtig schlecht geworden ist, wenn ich mir vorher den Bauch bis zum Anschlag vollgehauen hab. Wir haben dann geparkt an einer Wiese bei dem großen See, wo eine Horde dieser nervtötenden quäkenden Enten unterwegs waren. Enten mag ich nicht, das aber vor allem daran liegt, dass ich ein lausiger Schwimmer bin. Meine Vorfahren waren ja keine Seeleute sondern eher im Wald und unter Tage unterwegs. Aber das interessiert die Menschen heute eh nicht. Und Füchse und Dachse jagt heute auch fast keiner mehr. Wir steigen also aus dem Auto und ich lauf noch schnell rüber zu einer schönen breiten Pfütze, bevor sie mich wieder an die blöde Leine hängen. Das Gras ist voller Hundedüfte. Herrlich. Drüben am Strand bellt schon irgendeiner. Das könnte ein guter Ausflug werden. „Raaambo, bei Fuß!“ Oh Mann. Hier ist kein Autoverkehr, sind kaum Menschen unterwegs und dann soll ich wieder an die Leine. Menschen haben wirklich keine Ahnung, was Hunde wollen. Zuerst machen sie dich heiß, schwärmen vom schönen Ausflug und dann gibts wieder Beugehaft. Und rechts und links riecht und bellt so so verführerisch. Ich versuch es mal bei ihr mit dem Dackelblick. „Nein Rambo. Du musst an die Leine. Hier sind zu viele Radfahrer.“ Gut. Die Radfahrer sind hier wirklich nervig. Vor allem die mit den dicken Mountainbikes, die glauben, sie müssten hier am See ein Rennen fahren. Aber zum Glück kann ich ihren Schweiß schon aus 500 Metern Entfernung riechen. Ein süßer, klebriger und aufdringlicher Duft. So wie manche Menschen eben sind. Andere riechen wieder ganz anders. So wie der Dicke mit dem Stock. „Ja mei, schau moi, a echter Dackel“, grunzt es hinter mir laut und aufdringlich. Ich dreh mich um und sehe einen Koloss in einem grünen Trachtenanzug mit einem Bauch so groß wie eine Hundehütte und einer Bierschwade, die mich leicht benebelt. Mit leuchtenden Augen tappst er auf mich zu. „Ja, is der nett. So oan hat mei Oma a ghabt.“, quillt es aus einem breiten Mund. Ich gehe vorsichtshalber in Deckung. Ich will nicht auf seinen Armen landen und vollends betrunken werden. Dackel, das hab ich schon verstanden, die mögen die Bayern hier anscheinend recht gern. Der Dicke grunzt noch etwas, dann stapft er gemächlich weg von uns.

Langsam beginne ich mich hier wohl zu fühlen. An die Leute werde ich mich wohl noch etwas gewöhnen müssen, aber das Freizeitangebot scheint hier ganz in Ordnung zu sein. Vor allem ist es hier nicht so stressig und laut wie in der Stadt. Schließlich sind wir Dackel echte Naturburschen und das Leben in der Wildnis gewöhnt. Was mir nun noch fehlt, das ist die passende Gesellschaft. Unten am Strand haben sie mich frei laufen lassen. Dort riecht es überall ziemlich interessant, liegen Muscheln am Ufer und dann finde ich allerhand Spuren von Hündinnen bei den Sträuchern. Eine Labradordame treffe ich. Wir schnüffeln ein wenig, dann haue ich sie an, ob sie mit mir am Wasser spielen will. Sie dreht den Kopf weg, geht einen Schritt zurück und knurrt.  So wie sie mich von oben anschaut, bin ich ihr wohl zu klein. Dann trabt sie gelangweilt zum nächsten Baum, schnüffelt am Stamm und verschwindet . Eigentlich mag ich Labrador. Die meisten von ihnen sind recht verspielt und geben sich auch mit kleineren Hunden ab. Vor allem mögen sie Wasser total gerne. Die war wohl etwas verzogen.

Hier am See sind ziemlich viele Hunde unterwegs. Einen gute Gegend zum Gassi gehen. Weiter hinten ist da dieser dicke sabbernde Mops, dem sie einen Strickpulli übergezogen haben. Weichei! Seine Zweibeinerin ist eine große Blondine mit einer knallblauen Steppweste, einer riesigen Sonnenbrille und einer Stimme wie eine Feuerwehrsirene. Wie der Herr so das Gscherr, sagen sie hier in Bayern. Ich kenne diese Tussis aus der Stadt. Sie machen auf oberwichtig und reden mit ihren Hunden wie mit Kleinkindern, die sogar für die Sonderschule zu blöd sind. Was ein Hund wirklich will, davon haben sie keine  Ahnung. Ich hab den Mops mal kurz angebellt. Wollte sehen, wie er reagiert. Er hat kurz zu mir rüber geschaut, dann zu ihr hoch und hat dann seinen dicken Kopf wieder auf den Boden gelegt. Ich glaube, er ist frustiert. Hat keinen zum Spielen, darf nicht rumlaufen, nur dasitzen und ein wenig Gassi gehen. Im Strickpulli. Das einzige Vergnügen in seinem Leben ist Essen. Und so sieht er aus.

Meine Zweibeinerin hat Hunger und wir landen in einem Lokal am Ufer. Beim Seehaus sind alle Tische voll, liegen die Leute auf Hängematten und trinken irgendeine rote Flüssigkeit mit dem komischen Namen Hugo. Wir finden einen freien Tisch und ich lande wie immer unter dem selbigen. Schräg gegenüber sitzt die Blondine mit ihrem Mops. Der hockt aber auf ihrem Schoß und zupft gelangweilt an seiner Wollweste rum. In Lokalen zu sitzen, turnt mich nicht gerade an. Ich muss still unterm Tisch bleiben. Oben haben sie volle Teller mit Fleisch und fetten Würsten, lachen und schmatzen und ich krieg nichts. Sie nennen das Hundeerziehung. Am Tisch zu betteln, soll unanständig sein. Diesmal ist es aber etwas lustiger, weil der Kellner ganz merkwürdig redet. „Woswoinsn“, sagt er mit einer tiefen knarzenden Stimme zu meiner Zweibeinerin, die nur schluckt und verlegen ist, weil sie nichts verstanden hat, sich aber nicht blamieren will. Sie bekommt einen roten Kopf und sagt schüchtern: „Haben Sie Kaiserschmarrn.“  „Hama“, entfährt es dem Kellner und dann ein knappes „Nowos“. „Einen Cappuccino bitte“, flötet sie schüchtern und leicht verwirrt.  „Oiskloar“, raunt der Kellner und schlürft zum Nachbartisch. „Hoffentlich sind die hier nicht alle so“, sagt sie zu meinem Zweibeiner in einem Ton, der von leichtem Entsetzen getragen wird. „Beruhig dich Schatz“, entgegnet der mit tiefer Stimme, noch tiefer als sonst, um sie auch wirklich zu beruhigen und zu zeigen, dass er alles im Griff hat. „Das meint der nicht so. Die Bayern sind nun ein wenig rustikaler als die Leute in Berlin“. Wenigstens sind die Hunde hier irgendwie entspannter. Wahrscheinlich weil sie hier mehr Platz haben. Und die Leute sehen auch nicht so aus, als ob sie sich kein Hundefutter leisten können. Andererseits hab ich schon etwas Mitleid mit ihr. Für mich wärs ja auch nicht lustig, wenn ich plötzlich wo hinziehe, wo nur nur Chowchows und Pekinesen sind. Menschen sind schon viel  komplizierter als wir Hunde. Was kümmern uns fremde Rassen, wenn die Größe passt und einen der Duft anmacht.
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Kapitel 3 aus dem Buch von Erwin Leinemann – das Pseudonym eines bekannten bayerischen Autors, der seinen wahren Namen, dieses Geheimnis, jedoch nicht lüften möchte. Wir nehmen an: Weil seine Freundin eine Katze besitzt…
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Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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