„Das hier“, sagt Beat lächelnd und mit klarer Stimme, „das hier nennen wir Altweiberpass.“ Das hier, würde ich gerne antworten, reicht mir völlig, um mich so alt zu fühlen, wie ich wohl niemals werde.
Text und Foto: Jürgen Löhle
Aber ich kann nicht sprechen, zu wenig Luft. Also weiter atmen, weiter treten und weiter hoffen, dass der Altweiberpass tatsächlich so kurz ist, dass ihn auch ein mallorquinisches Mütterlein locker schafft. Deshalb heißt er ja auch so – inoffiziell natürlich. „Wir sind gleich da“ ruft Beat, der offenbar noch nicht einmal schwitzt. Und tatsächlich, ein Felsdurchlass und wir sind am höchsten Punkt des Son Rosc (so heißt er offiziell). Hinter uns liegt Es Capdella, acht Kilometer vor uns Andratx. Der Blick nach Süden geht über Mandelhaine zum Meer, der nach Norden auf die Höhen des Tramuntana Gebirges. Meiner geht aber eher auf Beats Waden und ich frage mich neidisch, wie ein Mann in den 60 so treten kann, als sei das hier alles eben.
Willkommen zum Frühjahrsradeln auf Mallorca.
Von Anfang Februar bis Mitte Mai ist die Insel fest in der Hand von Rennradlern. Genau gezählt werden die Speichenfreaks zwar nicht, Touristik-Experten auf der Insel sprechen aber von deutlich mehr als 100000 pro Frühjahr. Die Motivation ist dabei unterschiedlich. Da sind die Wochenendradler, die sonntags endlich einmal ihren Trainingspartner am Berg abhängen wollen. Solche Menschen stehlen sich heimlich von zu Hause weg, erzählen etwas von Fortbildung und härten eine Woche auf der Insel ihre Waden. Zurück zu Hause gibt es dann Saures für den Nachbarn. Die meisten sind freilich Menschen, die auch im Winter nicht auf ihr Hobby verzichten wollen und deren Ehrgeiz auch das Glas Wein zum Essen zulässt. Oder auch zwei. Für sie gibt es überall auf der Insel verteilt Hotels mit angeschlossener Radvermietung, geführte Touren, Massagen, Vorträge von ehemaligen Rennfahrern – und etwa 15 Reiseveranstalter, die ihrer Kundschaft alles rund ums Velo anbieten.
Gemeinsam ist den Radlern eine spezielle, mitunter unverständliche Sprache. Besonders bei Männern. „Locker“ heißt treten, bis die Herzklappe wummert, „kurz und flach“ meint 100 Kilometer mit mindestens vier langen Anstiegen, und so weiter. Die meisten fahren in organisierten Gruppen, die Idee ist dabei immer dieselbe: Der Kunde fährt mit Gleichstarken mit einem von ihm gewählten Tempo zwischen 40 und 170 Kilometer am Tag. Das geht von gemütlichem Radwandern mit 16 Kilometer pro Stunde im Schnitt, bis hin zu ambitioniertem Fahren mit ehemaligen Profis als Zugmaschinen vorne dran. Da geht es dann mit bis zu Tempo 30 im Schnitt über Berg und Tal. Und wer für eine Woche nicht sein Rennrad flugtauglich ab- und wieder aufbauen will, findet Mieträder in einer Qualität, wie man sie kaum zu Hause selbst fährt. Und das für zwischen 70 und 110 Euro pro Woche. Verteilt sind die Anbieter in der Nähe von Palma und über die ganze Insel.
Ich habe mich in eine ambitionierte Roller-Gruppe eingeteilt, aber leider nicht zugehört, als Gruppenchef Beat am Start in Santa Ponca gesagt hat, man müsse von den Schnitten, die man zu Hause fahre, „zwei, drei Stundenkilometer abziehen“. Das hätte ich mal besser getan, der Südwesten der Insel ist früh im Jahr ein Traum aus blühenden Mandelhainen und Orangenbäumen aber eben auch uneben – sehr uneben. Entweder geht es rauf oder runter und so wird der 24erSchnitt für mich zur Qual. In meiner Gruppe fahren noch zwei Schweizer Jungmänner auf deren Trikot d’Länkerbiiser steht, was bedeutet, dass die Herren eher an ihren Alulenkern kauen, als sich abhängen zu lassen. Dazu noch ein Pärchen aus Düsseldorf, das vom Ironman auf Hawaii träumt. Und ich, dummerweise. „Von jetzt bis Port Andratx geht es bergab“, ruft Beat, „und da trinken wir Kaffee.“
Dafür könnte ich ihn knuddeln und ein halbes Stündchen später strecken wir die Beine unten der Tisch eines Hafencafés und beobachten schwarz gekleidete Männer mit schicken Damen, die Financial Times oder die FAZ lesen. In Port Andratx residiert gerne der deutsche Geldadel und liest umgeben von edlen Yachten und kreischenden Möwen, das neueste aus dem Big Business. Kaffee geht bei mir nach der Schinderei gar nicht, also lasse ich mir bei einem alkoholfreien Cerveza von Beat, Nachnahme Gfeller, erklären, warum er so gut ist. Der Mann hat mehr als eine Million Kilometer auf dem Rennrad in den Beinen, er hat mehrfach am „Race Across America“ teilgenommen, bei dem, sorry, eine Gruppe Verrückter so schnell wie möglich von der West- an die Ostküste der USA radeln. Und das als Mann in den 50. „Aber ich bin ruhiger geworden“, sagt der Schweizer, „ein bisschen.“ Trotzdem würde der mittlerweile 64jährige wenn es pressiert die Lenkerbeißer immer noch zum Weinen bringen – und für mich reicht es schon lange. Für die 25 Kilometer, bis wir wieder zurück in Santa Ponca sind, wechsle ich die Gruppe.
Kurz nach uns kommen die „Genießer“ im Kaffee an. Klingt vernünftig. 20er Schnitt, keine Lenkerbeißer, man sieht unterm Trikot das eine oder andere Bäuchlein und Markus aus Stuttgart bestellt sich einen Brandy zum Kaffee. Das sieht gut aus.
Weiter geht es über Camp der Mar (hier wohnte einst Frau Schiffer) nach Peguera, wo sich samstags deutsche Wintertouristen zum Bundesligagucken in Sky-Bars treffen. Von da wieder weg vom Meer hinauf nach Es Capdella. Ruhige Straßen, kaum Verkehr, lockeres Rollen, es hat knapp 20 Grad, die Gruppe schnurrt, man kann man kann sich sogar unterhalten. Eine große Gruppe Radprofis beim Training rollt plötzlich vorbei. Keiner von uns will hinterher, bei Beat wäre das anders. Markus fällt plötzlich ein wenig zurück, dann noch einige. Ich genieße das ungewohnte Hecheln der anderen und fahre meinen Rhythmus. Man muss nur die richtige Gruppe erwischen, dann geht das schon.
Oben in Es Capdella noch ein kurzer Halt in der Bar Nou. Typisch Insel, hier isst der Mallorquiner am Wochenende bis Sonnenuntergang stundenlang zu Mittag, hier regieren frischer Fisch, knollenweise Knoblauch und Hauswein. „Das alles reinigt die Gefäße“, sagt Bumi, der die Genießergruppe leitet und zum Glück nie das Race Across America gefahren ist. Zurück zum Hotel in Santa Ponca rollt es abwärts. Wir sind fast da, Markus ruft plötzlich „Locker“. Ich nehme das wörtlich und reduziere den Pedaldruck. Ein Fehler, wie gesagt, Radler sprechen seltsam. Markus fährt eine Attacke und ist als Erster im Radkeller des Hotels. „Lieber tot als Zweiter“, schnauft er. Radfahrer sind so. Bumi schüttelt nur amüsiert den Kopf. Meine Bilanz des Tages: 52 Kilometer, 21er Schnitt.
Auf der Terrasse treffe ich Beat. „Morgen“, sagt er, „fahren wir richtig. Orient etwas über 100 Kilometer.“ Ich ganz sicher nicht. Zur Belohnung gibt es ein Hefe hell in der Sonne. Mit Alkohol. Mal sehen, was die Genießer morgen machen.
Kontakt mit dem Autor: jloehle@t-online.de