„Magst an Blumenwasser?“ Der verschmitzte Blick aus runden Augen in einem kalbsköpfigen, roten Gesicht, der massige Oberkörper zusammengehalten mit Hosenträgern. Nein, keine Lederhose, eine voluminöse Jeans und ein buntes Polohemd. „Na, magst an Blumenwasser?“ Seine Freunde, Kumpels oder Spezl sitzen mit ihm am Stammtisch, warten neugierig auf unsere Reaktion. Sie scheinen zu wissen, dass wir keine Ahnung haben, was sie uns anbieten. Es scheint ein Schnaps zu sein, gerne würden wir auf das Spiel eingehen. „Ist das ein Obstler?“ Der Stammtisch amüsiert sich. Die Biergläser werden gehoben. „Das ist ein Enzian.“ Große Freude, als wir den Schnaps ausgeben. Die Stimmung ist gut hier im Alpengasthof zur Loisach in Großweil. Es ist ein Traditionslokal, schon 2003 erhielt Martin Obermüller von seiner Brauerei die Ehrenurkunde „in dankbarer Anerkennung zum 25 jährigen Bierbezug“. „Der Martin steht immer noch in der Küche“, verrät uns die Bedienung. Und was auf den Tisch kommt, trägt seine Handschrift, Saibling, Pilzpfannen, Salate, Wild. „Gutbürgerlich“ nennt sich die Küche selbst. Aber das stimmt so nicht, denn sie ist hervorragend. Vor allem aber ist die Stimmung gut. Im Biergarten, hoch über der Loisach und beschützt von der alten St. Georg-Kirche, deren Kirchturm Vorbilder im Trentino gehabt haben muss. Es gibt auch eine neue St. Georg-Kirche, weil nach dem 2. Weltkrieg ein größeres Gotteshaus immer dringender geworden ist. „Es wurde ein Bauwerk geschaffen, das sich in ein oberbayerisches Dorf einfügt und dennoch zeitgemäß ist und den liturgischen Forderungen der Gegenwart möglichst entspricht“, erfahren wir später. Und dass in der alten nur im Sommer und nur Werktags Gottesdienste stattfinden. Dabei ist sie viel schöner. In bunten Farben ziert sie am Turm ein Bild des Heiligen mit Lanze.
Foto oben: Die alte Kirche St. Georg in Großweil, gemalt von Eva Sophia Holzamer
„Wo kommt´s Ihr den her?“ ist die freundschaftliche Frage, als die Wirtin den Enzian verteilt. Wir sitzen am benachbarten Tisch der direkt auf die Straße, das Tal und die dahinter liegenden waldbewachsenen Berge blickt. Auf die Antwort „aus München“ kommt der Stammtisch in Fahrt. Kein Bedauern, dass das Oktoberfest heuer ausfällt, aber Stichwort für viele Geschichten, während hinter uns Traktoren die Straße auf und ab fahren. Wen unsere acht Freunde am Stammtisch dort alles getroffen haben, uns aus welchen Ländern! Selbst Russen waren dabei. Als wir sagen, dass es genauso schön sei, an der Loisach sein Bier zu trinken, wird die Stimmung gedrückt. „Wir machen zum Jahresende zu“, sagt die Bedienung zur Erklärung. Geht ein Stück bayrische Gemütlich- und Geselligkeit den Bach, die Loisach, hinunter? Unsere Freunde und auch die Wirtin sind stumm. Jedenfalls, so bringen wir in Erfahrung, wir wollen ja auch nicht lästig fallen, hält die Gemeinde Großweil die Hand drauf, dass kein Investor sich das Gebäude, das neben dem Gasthof noch ein Hotel beherbergt, auch keiner aus München, unter den Investment-Nagel reißt. „Es bleibt in der Gemeinde.“
Das muss auch so sein, denn ein Mädchen aus dem Haus, die „Wirts-Stasi“, hat das Dorf einmal vor den Schweden gerettet und diese Tat mit dem eigenem Leben bezahlt. In München ist sie hingerichtet worden. Die Geschichte muss erzählt werden. Wir schreiben das Jahr 1632, der Schwedenkönig Gustaf Adolf ist gefallen, Teile seines Heeres besetzten Bayern, kommen auch nach Großweil, um es zu plündern. Anastasia, Kurzform Stasi, stellt sich ihnen an der Brücke über die Loisach mutig entgegen, lädt sie zu Speis und Trank. Die Schweden sind´s zufrieden, akzeptieren, dass der reichste Bauer als Geisel gestellt wird. In der Nacht, die Schweden sind alle betrunken, flieht dieser, lässt Anastasia zurück. Und sie muss büßen, wegen „Fluchthilfe“ wird sie geköpft. Ihr Kopf (aus Stein) ist in der Frontseite in einer Mauernische zu bewundern.
Diese Geschichte erzählen nicht unsere Stammtischfreunde. Die sind inzwischen den Schweden ähnlicher, sondern eine schriftliche Information. Eine Frage – „und was macht Ihr hier?“ bringen sie noch heraus. Diese Frage hat etwas. Denn das Alpengasthaus zur Loisach liegt nicht an einem Brennpunkt, oder wie man heute sagt, Hotspot, touristischen Interesses. Da muss man zum Kochelsee oder zum Rieg-, Walchen- oder Staffelsee fahren. Sie liegen alle in der Nähe. Uns zog es, zum wiederholten Mal, an den Eichsee. Den kennt kein Navi, um ihn trotzdem zu finden, muss man die Koordinaten kennen. Die werden indes nicht verraten. Dort hat man die schönsten Ansichten von der bayerischen Alpenkulisse. Herzogstand, Heimgarten, Jochberg, alle liegen zum Greifen nah, hinter dem Walchensee-Wasserkraftwerk sind die stolzen Tiroler Berge zu erkennen. Und wenn man zu der Hütte am Westende des Eichsees geht, dann sieht man sein Wasser vor der sich darin spiegelnden, gewaltigen Kulisse und eines der spektakulärsten Bilder der Alpen.
Wir müssen verklärte Augen gehabt haben, als wir dies Hans, Sepp, Dieter, Basti, Xaver, Wiggerl, Hartl, Benny, unseren Freunden halt, erzählen. Denn einstimmig gaben sie uns die Erlaubnis, dass wir das nächste Mal uns an den Stammtisch setzen dürfen. Solange es den Alpengasthof und den Stammtisch noch gibt.