Gerade nimmt Mary Poppins Wien im Sturm. Erstmals ist das Musical dabei in deutscher Sprache zu sehen. Die Inszenierung stellt durch ihre Effekte alles bisher auf der Bühne des berühmten Ronacher-Theaters Aufgeführte in den Schatten. Ein Blick hinter die Kulissen und ins Wien zu Zeiten der Mary Poppins zwischen Spittelberg und Zuckerbäckerei.
Es ist Nachmittag im Ronacher. Das 1872 erbaute und 2008 wieder eröffnete Theater, das bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs Europas größte Varietébühne war, ist heute unter dem Dach der Vereinigten Bühnen Wien das Gastspielhaus für internationale Tournee-Produktionen und eigene Inszenierungen. Mary Poppins steht seit 1. Oktober auf dem Spielplan. Die Geschichte des zauberhaften Kindermädchens, das mit magischen Fähigkeiten nicht nur ein schwer zu bändigendes Geschwisterpaar zähmt. Auch den in gesellschaftlichen Zwängen gefangenen Eltern zeigt es eine neue Perspektive auf.
Von bunten Fahnen scheint diese Mary Poppins mit ihrem Regenschirm direkt in den Wiener Himmel zu schweben. Darunter wartet am Seiteneingang ein Grüppchen Urlauber auf Einlass. Denn nicht nur auf der Bühne gibt es Spannendes. Regelmäßig gewährt das Haus auch einen Blick hinter die Kulissen.
Schauspieler in Jogginghosen und Strumpfsocken huschen durch die Gänge. Kopfhörer auf den Ohren und leise vor sich hin summend. Aus der Maske kommen Stimmen. Hier wird noch ein Pony gekürzt, dort eine Perücke angepasst. An der Wand hängen die Headsets für alle Schauspieler. Ein kleiner Junge mit strubbelig verwuschelten Haaren strahlt übers ganze Gesicht. Er wird heute Abend die erste Wahl des Michael sein. Vier Besetzungen gibt es für das Geschwisterpaar im Grundschulalter und jedes von ihnen begeisterte bisher das Publikum.
Von der Garderobe geht es in den Probenraum, einen schmucklosen Saal, in dem zehn Wochen vor einem neuen Stück mit dem Üben begonnen wird. Ganz oben die Kantine mit atemberaubendem Blick über die Stadt und “Schnitzerln”, die kaum auf dem Teller Platz finden. Auf Monitoren über der Geschirrrückgabe verfolgen die Schauspieler das Geschehen auf der Bühne.
Jetzt herrscht Hochbetrieb hinter dem Vorhang. Techniker schieben Requisiten. Das Stück Dachfirst ist dabei, aus dessen Kaminen später Rauch aufsteigen wird. “Gleichzeitig muss es so stabil sein, dass die Schornsteinfeger darauf einen Stepptanz aufführen können”, erzählt Friedemann Klappert, der Technische Direktor, und dass sie bei Mary Poppins “dramatisch viele Tricks und mehr technischen Aufwand, als bei jedem anderen Stück” haben.
Mehr als 700 Lichtnummern und etwa 350 besondere Effekte machen Mary Poppins so außergewöhnlich. Am liebsten würde er nichts verraten, um die spätere Freude beim Musical nicht zu schmälern. Doch das ein oder andere Geheimnis gibt er preis. Alte Bühnentricks, wie Ablenkung oder mit modernster Technik inszenierte Effekte, zu denen die Schlussszene gehört, wenn die Hauptdarstellerin mit ihrem Regenschirm über die Köpfe des Publikums schwebt.
Später, wenn sich der Vorhang zur Vorstellung hebt, muss das alles ganz selbstverständlich scheinen. “Wenn sie sehen, wie kompliziert die Arbeit ist, haben wir etwas falsch gemacht” gibt Friedemann Klappert lächelnd zu bedenken und schickt noch nach dem Abschiedsgruß hinterher: “Denken sie daran, Magie und Zauberei ist das, was unser Leben verändert.”
Der Satz bleibt hängen. Wie auch der Trick mit dem Geheimfach im Leierkasten und der Mary-Poppins-Ohrwurm vom Teelöffel Zucker, der alles angenehm macht. Wo läge er näher, als in einer Hofzuckerbäckerei? Das Demel am Kohlmarkt ist eine Institution. Kaum ein Wiener Kind, dem nicht der erste Schultag hier mit Torte und heißer Schokolade versüßt worden ist. An Weihnachten regeln Türsteher den Einlass zum Laden, in dem sich Köstlichkeiten aus Schokolade und Konfekt stapeln. Weiter hinten kann man in der gläsernen Backstube zuschauen, wie Strudel gerollt, Torten geschichtet und Teegebäck ausgestochen werden. Im zweiten Stock, wo einst die Demels wohnten, duftet es nach Schokolade. Heute werden in ehemaligen Salons und Kinderzimmern Pralinen geformt, zeigt Chef-Zuckerbäcker Dietmar Muthenthaler. Per Hand, wie alles im Traditionshaus, in dem es bis heute nur weibliches Servicepersonal gibt und wo die Kunden von diesen Demelinerinnen respektvoll in der dritten Person angesprochen werden.
Spannend ist der Abstieg in den Keller. Nicht nur wegen der Schau besonderer Kunstwerke aus Zucker vom überdimensionalen Faberge-Ei über die Kaiser-Krone bis zum Konterfei von Tennis-Star Roger Federer. Auf Schwarz-Weiß-Bildern, in Vitrinen und Regalen macht der Betrachter einen Abstecher in die Vergangenheit mit Bestellbüchern, Knallbonbons und speziellen Trägern aus Metall, mit denen man einst dem Theaterpublikum in der Pause frisches Eis servierte.
Gestärkt mit Strudel, Sacher- oder Demeltorte geht es an den Spittelberg gleich hinter dem Museumsquartier. “Wäre Mary Poppins in Wien gewesen, sie hätte sicher hier ein Zinspalais angeflogen” glaubt Beatrice Aumayr und führt ihre Gäste in eine der charmantesten Gegenden der Stadt. Straßencafés, kleine, individuelle Läden und ein besonders stimmungsvoller Weihnachtsmarkt ziehen die Menschen an. Was nur die Einheimischen kennen, sind die typischen Durchgänge und Durchgassen, in denen sich meist mehrere Hinterhöfe aneinander reihen. Einer dieser Durchgänge führt an den Weghuberpark. An dessen Rand erhebt sich das 25hours Hotel. Ein modernes Stadthotel mit einer der angesagtesten Bars über den Dächern der Stadt. Drinnen spielt das Design mit Prater und Zirkus. Eine inspirierende Umgebung. So, wie sie es für etliche der Mary-Poppins-Darsteller während der Probenzeit war, wie Marketing-Manager Roland Eggenhofer erzählt. Damals war es auch hier ein alltägliches Bild, leger gekleideten Schauspielern mit Kopfhörern zu begegnen, die leide ihre Texte vor sich hin murmelten.
Informationen:
25hours Hotel Wien, Lerchenfelder Straße 1 – 3, A – 1070 Wien, Tel. 0043/1/521510, www.25hours-hotels.com
Ronacher Backstage-Führungen, jeweils donnerstags um 16,15 Uhr, sowie am Wochenende in Abhängigkeit von den Spielterminen, Treffpunkt Seiteneingang Himmelpfortgasse 25, A – 1010 Wien, Eintrittskarten zum Preis von 7 € (5€ ermäßigt) an der Theaterkasse (Mo-Sa und an Spieltagen 14 – 18 Uhr), im Internet (www.musicalvienna.at) oder bei Wien-Ticket 01/58885
Hofzuckerbäckerei Demel, Kohlmarkt 14/1. Bezirk, Führungen im Museum jeweils freitags
Reiseführer: Chantal de Hommel, 100 % Wien – Auf 6 Spaziergängen 100 % Wien erleben, no media, 12,99 € inkl. App