Auch geistige Arbeiter müssen sich erholen

Tintenfassl wurde Altaussee in der Steiermark einst wegen der vielen zugezogenen Literaten genannt. Die  Tradition des feingeistigen Kultururlaubs lebt heute wieder auf.

 

Die akademische Art des Nichtstuns gehört zum Ausseerland wie die Plätten zum Altausseer See, die Lederhosen zum Ausseer Kirta und der Schnürlregen zum Salzkammergut. Das steirische Dolce Far Niente stand nie im Verdacht der profanen Faulheit. Dass Geistesgrößen wie Hugo von Hofmannsthal, Friedrich Torberg oder Jakob Wassermann hier bei Promenaden und Wirtshausabenden nachhaltig rekonvaleszierten, ist umfassend dokumentiert und auf den Themenwanderwegen Via Artis ausgiebig nachvollziehbar. Etliche von ihnen hatten ja ihre Villen rund um den Altausseer See wie Wassermann oder Torberg. Das hat dem Ausseerland einen beständigen Ruf einer ganz besonderen, offensichtlich nicht nur schönen sondern auch inspirierenden Gegend verschafft. Wer sich damit näher beschäftigt, findet nicht nur diese Geschichten, denen schon eine gewisse Exklusivität anhaftet. Es gab in den Jahren zwischen den Weltkriegen noch eine andere Geschichte, die etwas in Vergessenheit geraten ist. Am Nordufer des Grundlsees schuf die Reformpädagogin und Frauenrechtsaktivistin Eugenie Schwarzwald in der Villa Seeblick ein Refugium für Geistesmenschen und Jugendliche, die in den Schwarzwald`schen Schulen zugange waren.

1920 kaufte die im galizischen Polupanowka geborene Schwarzwald die stattliche Villa, die mit der großen Terrasse ihrem Namen mehr als gerecht wurde. Sie nannte es schlicht ein Erholungsheim für geistige Arbeiter. Die Besucher kamen aus Österreich und Deutschland, aus Dänemark, Schweden und England und es ergab sich ein buntes, gesellschaftliches Leben mit ausgeprägtem Müßiggang. „Unser Leben verfließt in paradiesischer Stille und einer Geschwindigkeit, die unheimlich ist“, schrieb der Stadtmensch Eugenie Schwarzwald 1927. „Das Heim ist mit modernsten Komfort ausgestattet. Es befindet sich hier ein erstklassiges Dominospiel. Besonders aber die prachtvollen Aborte, erbaut von Grazer, dem Sacher des Klosetts, sind eine Sehenswürdigkeit,“ begeisterte sich damals der Journalist und Schriftsteller Egon Friedell, der sich auch als Schauspieler und Kabarettist hervor tat. Zu den Gästen zählten Käthe Kollwitz, Carl Zuckmayer und Thomas Mann. Nach 1933 fanden hier viele deutschen Intellektuelle Zuflucht vor den Nazi-Repressalien. 1938 nach dem Anschluss erfuhr die Idylle ein schnelles Ende. Eugenie Schwarzwald emigrierte in die Schweiz. Ihr Vermögen wurde von den Nazis konfisziert und aus der Villa Seeblick nach Kriegsbeginn ein Lazarett. Heute ist die alte Villa das Kernstück einer opulenten Hotelanlage inklusive Haubenrestaurant. Die Terrasse mit dem fulminanten Seeblick gibt es glücklicherweise immer noch.

Und es gibt wieder ein Erholungsheim für geistige Arbeiter oder zumindest einen Gastbetrieb, der an die Tradition der Eugenie Schwarzwald anknüpft. Die Wasnerin ist ein traditionsreiches Hotel der Kategorie Viersterne Superior mit Historie bis ins 15. Jahrhundert, postkartengerecht gelegen auf den sanften Hügeln oberhalb von Bad Aussee und privilegiert mit einem 360 Grad Panorama inklusive Loser und Hohem Sarstein. Literaturhotel nennt sich das Haus und knüpft mit zahlreichen Veranstaltungen und stilgerechten Einrichtungen im Haus an die künstlerische Tradition des Ausseerlands an. Herausragendes Detail ist dabei das Wortfestival Literasee, das in diesem Frühsommer zum vierten Mal statt fand und bei dem renommierte Autoren mit Lesungen gastierten. Literarische Wochenende, eine hoteleigene Bibliothek mit mehr als 1000 Titel begleiten das Thema. Desweiteren gibt es auch einen Alpen-Worte-Garten auf der Rückseite des Hotels von der Straße angewandt in Richtung Loser. Dazu pflegt man einen innigen Kontakt mit dem Literaturmuseum in Altaussee im ehemaligen Kur- und Amtshaus und der verantwortlichen Obfrau, der Autorin Barbara Frischmuth.

Literatur und See ergibt Literasee

Für die Hotelchefin Petra Barta war das Thema Literatur ein allzu logischer Schritt. „Als wir vor sechs Jahren das Hotel übernommen hatten, galt es, einen besonderen USP zu finden. Wellnesshotels gibt es ja genügend, und die sind meist austauschbar.“ Also besann sich Petra Barta auf die Historie, fing an mit ersten Lesungen einmal pro Monat, was sich auch als Erfolg erwies. „Wir wollten damit auch das Hotel für die Bevölkerung der Region öffnen.“ Auch bei den Autoren kam es gut an, stiegen die Gästezahlen beim neuen Wortfestival Literasee kontinuierlich und gingen bald an die Kapazitätsgrenze. Die war nun relativ klein, denn man wollte die Veranstaltungen überschaubar halten, Autoren und Besuchern die Möglichkeit geben, sich auch bei Gesprächen an der Hotelbar auszutauschen. Zudem offeriert das Hotel vier mal pro Jahr Schreibstipendien für junge Autoren, die für zwei Wochen Gast im Haus sind. Heuer kam der Niederösterreicher Mario Schlembach in den Genuss des Stipendiats. Der in einem Hof nahe der Grenze zum Burgenland aufgewachsene Bauernsohn, der im Nebenerwerb auch als Totengräber arbeitete, musste sich erst in die hohen Berge gewöhnen. „Bei uns ist der höchste Berg ein Mauwurfshügel. Da kommt es dir hier vor, wie wenn du eine Wand vor dir hast,“ beschreibt er seine ersten Eindrücke. Landschaftliche Impressionen sieht Schlembach dann auch locker. „Man beschäftigt man sich an einem Ort meistens mit anderen Themen. Wahrscheinlich werde ich das Erlebte hier erst in einigen Jahren verarbeiten“, lautet seine Prognose. Wie Schlembach war auch Ferdinand Schmalz einer der Autoren beim heurigen Literasee. Schmalz tat sich mit der alpinen Umgebung schon leichter, stammt er doch aus dem obersteirischen Admont. Seine Eindrücke, die das Ausseerland bei ihm hinterließt, beschrieb er dann so: „Es gibt eine Härte im Gemüt, das Sturkopfige, aber auch was Liebliches. Das bildet sich auch in der Sprache ab. Wenn ich das hör, geht mir das Herz auf.“

Das Thema Literatur setzt sich bei der Wasnerin fort. Es gab im Mai eine literarisch, kulinarisch und kontroversielle Auseinandersetzung mit Bestsellerautorin Eva Rossmann und Georg Thiel mit dem inspirierenden Titel „Tu felix Lederhose“. Im Herbst gastieren der Bachmann-Preisträger Christian Ankowitsch und der Autor der Vorstadtweiber Uli Brée. Für die ganz normalen Tage bringt eine Buchhandlung in Altaussee den Gästen die gewünschte Lektüre ins Hotel.

Ferdinand Schmalz, der in Wien lebt, gibt zu, dass er schon hie und da mit dem Gedanken spielt, ins Landleben zu wechseln. „Aber meine Freundin sagt dann immer, das schaffst du eh net.“

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Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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