Seaside Rendevouz
Muskadet, Austern, Meer und Mehr: Die französischen Vendée ist eher unbekannt, aber nun startet die Tour der France genau hier und wird die Welt zu Gast haben
Im TV-Quiz „Wer weiß denn so was“, war sie kürzlich Thema. Was man kennen müsse auf der „Passage du Gois” war die Frage. Ratlosigkeit machte sich breit. Die Antwort: Kennen muss man die Uhr und den Tidenkalender, denn Le Gois ist eine Straße, die die Insel Noirmoutier mit dem Festland verbindet – und bei Flut ist sie weg! Immer wieder werden Autos überrascht, es gibt zwar Rettungsinseln mit hohen Türmen, die Leib und Leben retten, das Auto hingegen wird geflutet.
Noirmoutier, die Insel, auf der die besten Kartoffeln Frankreichs wachsen, ist einem Abschnitt der französischen Atlantikküste vorgelagert, der Vendée heißt. Ob man sich nun noch als Bretone fühlt, wo genau die Bretagne eigentlich endet, ist Gesinnungssache, aber sei es drum: Die Départements Loire-Atlantique und die Vendée liegen grob zwischen der Loire Mündung bei Saint Nazaire und La Rochelle. Ein Landstrich, wo es sich häufig um weißes Gold dreht, gewonnen in den Salzgärten wie in Guerande. Jean Christophe hat eine österreichische Mutter, sein Herz schlägt aber fürs Meer. Er ist Salzbauer, ein begehrter Beruf, die Wartezeit auf einen Ausbildungsplatz beträgt bis zu 10 Jahren. 210 Salzbauern gibt es in der Genossenschaft, die das weiße Gold der Küste abschöpfen. Das Fleur de Sel, ein IGT Produkt, wird von Hand geschöpft und Jean Christophe kann sich freuen: Die Preise steigen, eine Tour mit ihm gibt faszinierende Einblicke in ein salziges Geschäft.
Etwas südlich dann Stein gewordenen Filmgeschichte: „Die Ferien des Monsieur Hulot“ aus dem Jahr 1953 ist ein bezaubernder Film von Jacques Tati. Fast ein Stummfilm, der Protagonist Monsieur Hulot spricht nur ein Wort, nämlich „Hulot“. Der Film wurde in Farbe gedreht, Tati brachte ihn in Schwarzweiß in die Kinos. Nur in der letzten Szene wird das Bild für einen Moment farbig. Drehort war Saint-Marc-sur-Mer, der Strand trägt inzwischen den Namen „La Plage de Monsieur Hulot“, zur Statue erstarrt ist auch Monsieur Hulot vor Ort. Spazieren, baden, ein Glas Wein trinken: Das „Hôtel de la Plage“ existiert heute noch, nur etwas verändert. Dann schmiegt sich das schmucke Städtchen Pornic an die Küste, bevor ein topfebenes Land beginnt – mit Stränden so endlos, dass man Bilder von Handtuch an Handtuch sofort wieder vergessen kann. Einstöckige weiße Häuser mit blauen Läden prägen das Land, Salzsiedereien und glückliche Kühe, weitab von Massentierhaltung. Ein Stück Frankreich, das die Franzosen kennen – und nicht mal die alle.
Die schöne Stadt am Meer
Der einzige klingende Name an der Küste lautet Les Sables d´Olonne, eine Stadt am Meer, wo am Grande Plage das bunte Beachleben tobt. Surfer, Kiter, Badende, Muschelsucher, Business People in der Mittagpause, wuselnde Schulausflugskinder. Die Inhaberin der Crêperie la Pendule lächelt. Viel los heute, sie verleiht auf ihrer Terrasse sogar Strohhüte gegen die Sonne. Was heute ein wunderbares Seaside Rendevouz ist, war früher ein eher düsterer Platz, wo ertrunkene Seeleute angespült worden sind, wo eine Zementfabrik war und das Gefängnis – freiwillig ging hier keiner in die Dünen. Aber 1866 kam die Eisenbahn mit den „Vergnügungszügen“ aus Paris – Adel und Kunstschickeria endeckten das Seebad für sich. Im Jahre 1900 gab es schon mehr als 35 Hotels in Nähe der Strandpromenade. Dahinter die Villen, die in einer ganz eigenen Küstenarchitektur erdacht wurden: im Eklektizismus, im Chaletstil, häufig im Art Deco. Die Häuser haben keine Nummern, aber fantasievolle Hausnamen und wer genau hinsieht: Sie haben oft zwei Türen. Eine normalgroße und eine kleine, die hinunter in den Keller führte. Dort lebte dann die Familie eher dunkel und beengt über den Sommer, die Bel Etage hatte man gewinnbringend an Gäste vermietet.
Das Kunstmuseum der Stadt, ein großartiges bedeutungsvolles Museum in einer eher kleinen Stadt, hat erste Plakate vom Badeleben in der Bel Epoque und unter anderem eine beeindruckende Sammlung von Bildern von Gaston Chaissac. Er war ein kränkelndes Kind, konnte von der Malerei nicht leben, arbeitete auch als Schuhmacher und malte auf allen Untergründe, denen er habhaft werden konnte. Berührende Bilder, die von prähistorischer Höhlenmalerei ebenso inspiriert sind wie von den Zeitgenossen Klee und Picasso. Er starb mit nur 54 und liegt ganz bescheiden auf dem Friedhof der Heimatgemeinde Vix.
Strände ohne Ende
Chaissac ist ein wenig ein Symbol für eine Understatement Region, die wenig Aufhebens macht, die aber doch in den Fokus der Welt geraten wird: Vom 7. bis 29. Juli 2018 ist wieder Tour de France und sie startet erstmals auf der Insel Noirmoutier, touchiert Les Sables – auch durch La Tranche sur Mer geht die Tour. Der Badeort hat 13 Kilometer Strand, knallbunte Eisdielen, eine Markthalle, das kleine Hotel Atlantique, Strandresidenzen und Campingplätzen und ein Gewirr von Sträßchen im Kiefern – und Pinienhainen, die von Ferienhäusern gesäumt sind: protzige, individuelle, traditionelle, ganz bescheidene. Vor einem steht ein Auto mit Züricher Kennzeichen. Lange schon hat Familie Kälin hier ein Haus und Urs Kälin weiß auch, dass viele der Häuser „A Vendre“ sind. Die nachfolgende Generation hat keine Lust mehr auf ein Haus in der Vendée, wenn doch die ganze Welt lockt. Unweit von Kälins Häuschen steht das „Centre Mer Bellevue“, wo französische Schüler in einer Art Schullandheim alles über das Meer, seine Bewohner über Ebbe und Flut lernen.
Auch über Tragik: Ab 1980 wurde in La Faute sur Mer in eine unter dem Meeresspiegel liegende Senke gebaut, die sträfliche Vernachlässigung der Gefahren rächte sich im Februar mit Orkan „Xyntia“. Der Damm des Lay brach, 29 Menschen kamen ums Leben. Heute ist das Gelände ein Golfplatz und doch ist es tief verankert im Bewusstsein der Bewohner: Die Natur kann man nichtüberlisten.
Zu Austern passt Muskadet
Das wissen auch die Austernbauern in der Mündung des Lay. Beim Studium alter Seekarten lernt man, dass La Tranche und La Faute einst Insel waren, die Küstenlinie verlief ganz anders, aber immer mehr Verlandung setzte ein. Das Segelschiff für eine Austerntour ist eher eine Nussschale, „aber damit kann man nicht kentern“, beruhigt der Kaptain Pattrick und erklärt. „Hier wird die Pazifische Auster kultiviert, sie ist anpassungsfähig, robust und wachstumsfreudig und mag es, dass das Süßwasser des Flusses Lay sich hier mit dem Meerwasser der Gezeiten mischt. In den Vendée haben sich seit den 1950er Jahren drei große Zuchtgebiete entwickelt: die Bucht von Bourgneuf, die Insel Noirmoutier und eben hier in der Bucht von L’Aiguillon.“ Es ist ein mühsames Geschäft von der Babyauster zu jenen Austern, die in Käfigen im offenen Meer hängen, dann gewässert werden, damit sie nicht zu stark versalzen und die dann in der Laymündung an Pfosten (Pfostenkultivierung) im Gezeitenbereich erst im dritten Jahr geerntet werden.
Natürlich requiriert jede Region die besten Austern für sich. Und jedes Restaurant hat seine eigene Meinung, welches Getränk dazu passe. Eher ein moussierender Cremant oder doch der heimischen Muskadet? Der stammt aus dem Hinterland, aus einer sanftwelligen Landschaft, wo sich die kleinen Chateaus nur so reihen, wo der Ort Clisson altstadtromantisch am Weidenbewachsenen Flüsschen liegt. Man wäre versucht einen Rosamunde Pilcher Schinken hier zu drehen. Das Chateau de Coing in Saint Fiacre jedenfalls wäre eine perfekte Kulisse. 1832 von zwei italophilen Brüdern erbaut, kommt überall der italienische Stil durch. Winzerin Aurore ist gerade mal 35, aber sie ist in die Fußstapfen der Mama getreten und lebt für ihren Wein. 45 Hektar am Schloss, 75 insgesamt erheben rund 40000 Flaschen im Jahr und das Terroir gilt ihr alles. Der Muskadet mag den Gneis, die zweite Sorte ist der Folle Blanche, eine Sorte, die man vor allem für Cognac und Armagnac genutzt hatte. Als Gros Plant ist er ein säurebetonter Weißwein. Ein paar Kellner eilen vorbei, im Schloss kann man auch feiern. Das Catering kommt von außerhalb: „Ich bin eine schlechte Köchin“, lächelt Aurore.
Aber eine umso bessere Winzerin und mit ihrem Wein im Gepäck geht zurück an die Küste, wo es wahrlich genug schöne Picknickplätze gibt. Ein Baguette gehört dazu, das hat Laetitia in La Tranche in der Eisdiele L´Amandine. Sie hat einen kleinen Zettel, auf dem sie Begrüßungen und „Danke“ in vielen Sprachen notiert hat. Deutsch kommt ihr nicht so oft unter. Aber die Vendee ist längst bereit für die Welt!
Extratipp: Les Machines in Nantes
Quiecken und Kreischen hört sich in allen Weltsprachen etwa gleich an. Und soeben hat sich der Große Elefant in Bewegung gesetzt. Und er sprüht Wasser auf die staunenden und flüchtenden Zuseher. Da haben es jene besser, die oben auf seinem Rücken mitschaukeln dürfen. Le Grand Elephant ist die größte Attraktion von „Les Machines de l’Ile de Nantes“ – 12 Meter hoch, 40 Tonnen schwer bewegt er sich behäbig und kann sogar mit dem Wimpern klimpern. Alles begann als Ausstellungs-Projekt, das die mechanischen Objekte der Performance-Gruppe „La Machine“ in einer der alten Lagerhallen im Hafen von Nantes zeigte. Seit 2007 bauen die Objektkünstler weiter und längst sind Les Machines zu einer der Hauptattraktionen in Frankreich geworden. Die imaginären Welten greifen Ideen von Jules Verne, Leonardo da Vinci und aus der industriellen Geschichte von Nantes auf. Die 13 Meter lange und 37 Tonnen schwere mechanische Spinne La Princesse wurde während der Feierlichkeiten zur europäischen Kulturhauptstadt 2008 erstmals im englischen Liverpool präsentiert. www.lesmachines-nantes.fr
Reise Info
Anreise: der Flughafen Nantes wird von München, Düsseldorf und Hamburg nonstop angeflogen, von weiteren deutschen Flughäfen mit einem Stopp; es verkehrt ein Zug über Paris, Eurolines Busse fahren ebenfalls nach Nantes
Wohntipp:
Hinterland: Villa Saint Antoine, www.hotel-villa-saint-antoine.com, schönes Hotel im romantischen Clisson; am Meer: Residence Belle Plage, www.residencebelle.com, neue super ausgestattetet
Ferienwohnungen direkt am Strand; im Norden: Pornic; Beau Soleil
cnettes modernes Hotel am Hafen; Hotel Plage Hulot
www.restaurant-plagehulot.com
Salz:
Saline a Mouzac, Guerande, Tel. 0033/695073582
www.selguerande.com
Essen:
Pornic: La poissonerie du Mole, feines intimes Restaurant; Les Sables: La Suite svp, die junge Köchin Melanie Site ist Mitglied einer Vereinigung, die nur regionale Produkte verwenden, Convenience Pommes sind tabu! La Tranche: L´Eqinoxe: Restaurant, Bar, Pizzeria, wo auch die Einheimischen hingegen; La Faute: Cul de Poule, nettes unverkrampftes Restaurant
Wein:
www.vgc.fr
das Gut von Veronique und Aurore
Auskunft:
www.loireatlantique-developpement.fr
www.vendee-tourismus.de