Armenien steht nicht gerade an vorderster Stelle der beliebtesten Reiseziele der Westeuropäer. Meist erntet man nur einen ungläubigen Gesichtsausdruck, wenn es heißt: Wir machen Urlaub in Armenien. Doch ist man erst einmal vor Ort und bereist das bergige Land im Kaukasus, erkennt man schnell, dass der erste christliche Staat der Welt und seine aufgeschlossenen Menschen auf jeden Fall eine Reise wert sind.
Jerewan – Armeniens Hauptstadt
Die Atmosphäre ist gelöst und entspannt, ein lauer Sommerabend löst die Hitze des Tages ab, Liebespaare sitzen am Brunnen an der National Gallery of Armenia und warten darauf, dass dieser zu klassischer Musik tanzende Wasserfontänen in den Himmel schickt.
Familien mit Kindern warten freudig am nahegelegenen Stand, um ein erfrischendes Eis zu erstehen und ein paar Ecken weiter in der Tumanyan Straße genießen die Menschen im Biergarten bei typisch armenischen Köstlichkeiten ihre freie Zeit.
Wir sind in Jerewan, der Hauptstadt Armeniens, eine der ältesten Städte der Welt. Hier leben wie im ganzen Land vornehmlich Christen. Das Christentum wurde in Armenien schon im Jahr 301 zur Staatsreligion erhoben. Weit über 90 % der insgesamt rund 3 Millionen Einwohner bekennen sich zur Armenischen Apostolischen Kirche.
Jahrtausende alte Schriften und Kunstschätze
In der Hauptstadt mit ihren rund einer Million Einwohner beginnt üblicherweise eine Tour durch Armenien. Ein Ort, der einiges zu bieten hat und für den man mehrere Tage einplanen sollte. Zunächst wäre da einmal das Handschriften-Museum Matenadaran. Eine heilige Stätte für jeden Armenier. Denn in dem eindrucksvollen 1957 erbauten Bauwerk oberhalb der Stadt sind rund 15.000 armenische Handschriften und mehr als 5000 ausländische Schriften untergebracht. Nur ein Bruchteil findet sich in den Vitrinen in den zahlreichen Ausstellungsräumen wieder. Viele der kunstvoll verzierten und oft mit Blattgold bestückten Exponate sind einzigartig und hunderte oder tausende Jahre alt wie das Sanasarjan Evangelium aus dem Jahr 986 oder die armenische Weltkarte aus dem 12. Jahrhundert, die die Erde als Scheibe zeigt.
Matenadaran ist das altarmenische Wort für Bibliothek, das Museum ist jedoch nicht nur eine Heimstätte für diese historischen Schätze, sondern auch die wichtigste Forschungsstätte für alte Schriften in Armenien.
Völkermord an den Armeniern
Eine weitere sehr beeindruckende Sehenswürdigkeit und unbedingt einen Besuch wert, ist das auf einem Hügel westlich des Zentrums gelegene Museum des Völkermords. Der sogenannte „Tsitsernakaberd Memorial Complex” besteht aus einem modernen mit ergreifenden und erschütternden Fotografien, filmischen Dokumenten und weitreichenden Informationen ausgestatteten Museum, das den Völkermord an den Armeniern im Jahre 1915 anschaulich präsentiert. Auf dem Areal erheben sich außerdem meterhohe Basaltpylone, die sich kreisförmig um eine ewige Flamme gruppieren und an andere Stelle pflanzten zahlreiche Politikerinnen und Politiker aus aller Welt zur Erinnerung an die rund 1,5 Millionen Ermordeten junge Bäume, die im Laufe der Jahre zu stattlichen Exemplaren heranwuchsen und das Leben symbolisieren.
Blaue Perle Armeniens
Es ist sonnig, der Himmel herrlich blau und wolkenfrei. Der Dieselmotor tuckert gemütlich vor sich hin und der wortkarge Kapitän steuert erfahren das Boot durch die leichten Wogen des größten kaukasischen Sees. Dieses von den Einheimischen liebevoll als “blaue Perle Armeniens“ bezeichnetes Gewässer breitet sich rund 60 km vor den Toren der Hauptstadt aus. Ein wahres Schmuckstück der Natur. Der in eine herrliche Landschaft eingebettete Sewan-See präsentiert sich mit einer stolzen Größe von 1272 km² und ist damit mehr als doppelt so groß wie der Bodensee. Das Ufer des beliebten und auf einer Höhe von 1900 m liegenden Ausflugsziels teilen sich einige idyllische kleine Sandstrände, verträumte einfache Herbergen und jahrtausendealte Kirchen. Die berühmteste Sehenswürdigkeit stellt das Sewankloster oberhalb des Nordwestufers dar. Schon allein die grandiose Aussicht über den gesamten See lohnt den Aufstieg zum Klosterareal. Es besteht aus der aus dem Jahr 874 stammenden Apostelkirche St. Arakelots, der größeren und etwas später erbauten Muttergotteskirche St. Astvatsatsin und den Resten der St. Harutuin Kirche, die Grigor Lusavorich, der erste Katholikos bzw. das erste Oberhaupt der Armenischen Apostolischen Kirche im Jahr 305 nach Christus errichten ließ.
Chatschkaren – Die heilige Kreuzsteine von Armenien
Richtung Süden sorgt ein weiteres geschichtsträchtiges Monument für einen interessanten Zwischenstopp. Auf einer weiten Ebene breitet sich der riesige Noratus-Friedhof aus, einer der größten seiner Art in Armenien. Besonders interessant sind die aus vielen Jahrhunderten stammenden, typisch armenischen Kreuzsteine, Chatschkaren genannt. Man könnte stundenlang zwischen diesen eindrucksvollen, mit teils grob in den Stein gehauenen christlichen Symbolen, teils mit fein geschnitzter Ornamentik versehenen Denkmälern und Grabsteinen umher wandeln. Manche dieser Kunstwerke stammen aus dem 9. Jahrhundert, andere wie die fünf Kreuzsteine der einst wohlhabenden Familie Atipek aus dem 16. Jahrhundert. Im Meer dieser steinernen Zeitzeugen erhebt sich eine kleine Kapelle aus dem Jahr 1714, wie eine Inschrift verrät. Ein paar ältere Frauen des nahen Dorfes führen die wenigen Touristen gerne über das Gelände und weisen auf manch religiöse Besonderheit hin. Sie versuchen damit ein paar armenische Dram dazu zu verdienen, denn die armenische
Bevölkerung, besonders auf dem Land, ist teilweise von existentieller Armut betroffen. Vom Wirtschaftswachstum, vor allem im IT-Sektor und der Textilindustrie, auch wenn es gering ausfällt, profitiert hauptsächlich die städtische Bevölkerung. Die jungen Menschen wandern wegen fehlender Perspektiven in den ländlichen Regionen in die wenigen urbanen Zentren ab oder versuchen ihr Glück im Ausland.
Der Berg Ararat, Noahs Arche und das Kloster Chor Virap
Er ist 5137 m hoch, sein Gipfel meist schneebedeckt, steht auf türkischem Territorium und dominiert die Silhouette von Jerewan. Der Ararat ist das Nationalsymbol der Armenier. Vor dem Völkermord im Jahr 1915 war die Region um den Berg eine von den Armeniern besiedelte Region. Hier im Ararat-Gebirge soll nach der biblischen Sintflut Noahs Arche gestrandet sein. Immer wieder wollen Wissenschaftler und Amateurforscher Überreste der Arche, in Form von Holzstücken und Seilresten entdeckt haben, eine fundierte und unumstößliche Beweislage konnte jedoch noch nie präsentiert werden. Wer den imposanten Ararat aus nächster Nähe sehen möchte, kombiniert den Abstecher mit einem Besuch des Klosters Chor Virap direkt an der mit Zaun und Wachtürmen abgeriegelten türkischen Grenze. Diese religiöse Stätte ist einer der wichtigsten Wallfahrtsorte Armeniens, denn an dieser Stelle soll der christliche Grigor Lusavorich, eingesperrt von einem heidnischen König, in einem üblen Kerker viele Jahre verbracht haben. In Erinnerung an Grigor erbaute man einige Jahrhunderte später zunächst eine Kapelle und erst im 17. Jahrhundert kamen die heute noch existierenden Gebäude, wie die Muttergotteskirche hinzu. Ein Ort zum Innehalten und Verweilen. Eine wunderbare Symbiose aus grandioser Naturlandschlaft und spannender Kulturgeschichte. Keine Seltenheit in Armenien.
Infos:
Weitere offizielle Informationen für die Planung und über das Land erhält man unter www.armenia.travel und www.erlebe-armenien.de. Für die Reise nach Armenien benötigen EU-Staatsangehörige kein Visum, ein Reisepass genügt.
Organisierte Reisen nach Armenien bietet z.B. das Stuttgarter Unternehmen „Biblische Reisen“ an. Eine 9-tägige Studienreise inkl. Flug kostet aktuell 1.750 € pro Person / DZ. www.biblische-reisen.de
Flug: Nach Jerewan fliegt u.a. die polnische Fluggesellschaft LOT ab einigen deutschen Flughäfen via Warschau, ab rund 300 € für den Hin- und Rückflug. www.lot.com
Reisezeit: Aufgrund der moderaten Temperaturen empfiehlt sich eine Reise im April/Mai oder im September/Oktober. Im Sommer können in tiefer gelegenen Regionen leicht Temperaturen über 30°C erreicht werden. Die Winter sind kalt, die Durchschnittstemperatur liegt bei -5°C.