Andalusien – eine Begegnung in Zirkeln

Málagas Flughafen ist neu und funktional, wie der von Krakau oder Breslau. Vermutlich machte es die EU möglich. Und jedenfalls ist eine Reise nach Andalusien eine Reise im eigenen Land, das sich Europa nennt und durch die Europäische Union repräsentiert wird. Es funktioniert im hohen Maßstab, bis zur Art und Sauberkeit der Toiletten, die für Nordeuropäer – warum auch immer – eine wichtige Aussage über den zivilisatorischen Stand macht. „Kultursensible Toiletten“ mit Loch im Boden statt Sitzbecken gibt es schon lange nicht mehr. Man muss sich dessen bewusst werden, nicht nur wenn man vor Schildern steht „Finanziert durch die Europäische Union“ garniert mit der blauen Flagge. Jetzt, wo Reisen nach Russland oder in die Türkei uns zu Besuch bei Mördern schicken würden, sind alle Fahrten – auch solche zum Zwecke des Urlaubs – neu zu justieren. Andalusien, was bist Du für mich? Was offenbarst Du mir, was ich an anderen Stellen in meiner Heimat Europa nicht finde? Zunächst ist alles so wie zu Hause auch, Gepäck, Leihwagen, kein Pass wird verlangt, keiner fragt nach dem Flugticket zurück, oder was man im Lande wolle. Alles easy.
Wir haben uns zu einer Rundtour entschlossen, das erschien uns praktischer als jeden Morgen, wie wir es das letzte Mal auf einer von einer Firma organisierten Reise gemacht hatten, aufzubrechen und abends zurückzufahren. Das erschien uns als Kilometerfresserei und Zeitverschwendung. Die gewählten Stationen, Málaga, Granada, Cordoba, Sevilla, Cádiz, Algeciras und wieder Málaga ergaben einen flachen Kreis, der eine gute Relation von Fahrtaufwand und Besichtigungen versprach. Doch Kreise sind immer von ihrem Mittelpunkt abhängig. Wo steche ich die Zirkelspitze ein? Im Zentrum, dessen was „man gesehen haben muss“? Im geschichtlichen Interessengebiet? Im Kulturellen? Interessieren die Menschen? Es gibt vieles, was es zu sehen, zu erkunden gibt in diesem Land, das sich seine Identität hat wahren können – auch ohne sezessionistische Gelüste, wie Katalonien, vermutlich aus Dankbarkeit, dass die kastilischen Herrscher es vor den Arabern gerettet haben. Ein Andalusien, das zudem viele Gesichter hat. Das kubanisch lockere Cádiz hat –außer der Sprache – wenig gemein mit dem mondänen, oberflächlichen Marbella. Und selbst dieses begegnete uns möchte-gern-protzig in Puerto Banuz, ungelenk modern mit den Dali-Skulpturen in der Avenida del Mar, und gartenlauben-hübsch in der Altstadt unterhalb des Kastells.

Málaga liegt im Bereich vieler Zirkelschläge, ist es die Kultur mit Picasso ,Geburtshaus und Museum, moderne Kunst im Carmen Thyssen Museum, die maurische Kunst mit dem Alcazaba, das Judentum und seine Zerstörung 1492, die Inquisition, die mit ihrem Gerichtshof bis ins 19. Jahrhundert ihr Unwesen trieb, die Jugend mit ihrer Universität oder die Wirtschaft mit dem Hafen. Wer kein Wikipedia oder einen Tripadvisor schreiben will, der recherchiere, was ihn interessiert, registriere seine eigenen Eindrücke und Empfindungen und klopfe sie darauf ab, was an ihnen berichtenswert ist.
Der Parkplatz. Fast überall in Europa versucht man, sein Auto in irgendeiner vergessenen Nische unterzubringen und hofft, übersehen oder nur milde für das Falschparken bestraft zu werden. In Málaga ist es wie in Oslo: Keine Chance zum konsequenzlosen Fehlverhalten. Also begibt man sich ins Parkhaus und erlebt dort Wundersames: Das Nummernschild wird registriert, erscheint auf dem Parkschein mit dem Ergebnis, dass bei der Ausfahrt automatisch abgelesen wird, ob man korrekt bezahlt hat und ob das richtige Auto ausfährt. Und: Das eigene Hotel weiß es auch, wenn man den Zettel vorlegt, man bezahlt das Parkhaus mit der Hotelrechnung. So einfach, so sinnvoll. Und kein Bangen wie in Palermo, ob das Auto noch dort ist, wo man es nach langem Suchen geparkt hat.
Natürlich, es gibt auch in Málaga noch Häuser, deren trauriges Ruinengesicht Phosphor-gelb wie ein Clown angestrichen ist wie Straßenzüge in Neapel, und mit schwarzen wehenden, zerfetzten Tüchern verhängte Fassaden, die an Athen und das zerlumpte Kleid der einst stolzen Pallas Athene erinnern, die heute uns als eine alte verarmte Frau begegnet.

Europas Widerschein ist bunt. Selbst seine Heiligen, die es im Glauben verbinden, haben ihre speziellen Aufgaben. Málagas Schutzpatrone sind Ciriaco und Paula, die am 18. Juni 303 als Märtyrer umgebracht worden sein sollen. Diese Geschichte ist so schön, dass es keine Rolle spielt, ob sie erfunden wurde. Jedenfalls waren beide Christen und wurden auf Befehl Kaiser Diokletians von einem Richter namens Silvano gesteinigt. Ein Regen verhinderte ihre Verbrennung, und Christen konnten die Körper versteckt beerdigen. Dann, jetzt kommt der Clou, erzählte während der Reconquista, dem Kampf gegen die Mauren, der Mönch Fray Juan de Carmona den Katholischen Königen von seiner Vision: Sie würden siegen, wenn sie Ciriaco und Paula eine Kirche bauen würden. Sie gelobten dies, siegten, und 1487 erlaubte Papst Innozenz der VIII. den Bau der Iglesia de los Mártires. Um jeden Zweifel am Wahrheitsgehalt der Geschichte zu nehmen: 1969 entdeckte der Archäologe Muñoz Gambero eine römische Nekropole – und fand die Knochen von zwei gewaltsam zu Tode gekommenen jungen Menschen. Die jährliche Prozession zu Ehren von Ciriaco und Paula gibt es noch heute.
Viele Geschichten gibt es über Málaga zu erzählen und viele Kreise finden hier ihren Mittelpunkt. An die deutsche Fregatte Gneisenau erinnert der Puente de los Alemanes, der englische Friedhof an die Protestanten im Lande, natürlich hinterließen die Römer ihre Spuren, etwa mit dem Amphitheater. Der wichtigste Zirkelschlag ist aber der um die maurische Vergangenheit. Sie trifft man in Málaga in der Alcazaba und dem Castillo de Gibralfaro mit Zeichen ihrer Herrschaft und des – vergeblichen – Willens, diese zu verteidigen. 800 Jahre waren die Araber in Spanien, und unsere Rundtour führte auch nach Cordoba zur Mezquita, der Moschee, in die als Zeichen des christlichen Triumphes eine Kathedrale gesetzt wurde, einer Frau (!), Santa María Madre de Dios, gewidmet und mit dem Bildnis eines Ritters auf einem weißen Pferd, Santiago Matamoros, versehen. Es ist Jakobus der Ältere, Spaniens Nationalpatron in der Schlacht von Clavijo. Matamoros heißt übersetzt: Mohrenschlächter. Historiker sind sich einig, dass es diese Schlacht nie gegeben hat. Aber fürs Nationalbewusstsein hat sie eine überragende Bedeutung.
Die Reise führt nach Granada zur Alhambra, nach Sevilla zum Alcázar, nach Ronda. Überall geht es um die arabische Vergangenheit und ob es tatsächlich Bilder gibt einer Versöhnung der Kulturen, wie sie die Reiseführer sehen wollen. In Sevilla war es wohl schlichterweise so, dass selbst als die Auftragsgeber bereits die katholischen Könige waren, die Bauarbeiter, Handwerker und Architekten alle noch Mauren waren, die natürlich ihre Kultur und Formensprache in das Werk einbrachten. Und so stehen christliche Bilder, Wappen und Symbole scheinbar friedlich neben arabischen Schrift- und Schmuckzeichen. Ein Eintauchen in den Kreis, Al-Andaluz hieß das Land einst, kann in viele Tiefen, historische, politische, kulturelle führen , dieser Kreis kann sogar zum Strudel werden.
Eine vergleichbar jahrhundertetiefe Durchdringung zweier unterschiedlicher Kulturen gibt es auch in anderen Teilen Europas, in Schlesien etwa oder in Nordirland. Stets ist die Beschäftigung damit nicht frei von Klippen, Vorsicht und Respekt sind geboten.
Andalusien – eine Begegnung in Zirkeln

 

Ein Kreis, der erst jüngst von der andalusischen Regierung für den Besucher aufbereitet wurde, weist weit zurück in die Vergangenheit und ist heute problemlos zu betreten, die Dolmen. Die Hünengräber von Menga bei Antequera gehören zusammen mit denen von Viera und dem Tholos de El Romeral zu den bedeutendsten Megalithbauten Europas und wurden als „Antequera Dolmen Sites“ 2016 in die Liste des Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen, was einen Schub an Interesse und Besuchern mit sich brachte. Die Erbauer der Dolmen vor gut 6 000 Jahren könnten die ersten Europäer gewesen sein, man findet derartige Stein-Werke auch in England, der Bretagne, und jedenfalls sollten die Megalithen im Salento auch von der UNESCO registriert werden, der Antrag der italienischen Regierung liegt seit 2006 in New York vor.
Von den Dolmen von Menga weist der Weg in die nahen Höhlen Cueva de los Murciélagos, die seit dem mittleren Paläolithikum bis zur Römerzeit bewohnt waren. Unweit Córdoba sind sie ein Ziel für Liebhaber von Gesteinsformationen in den Bergen der Sierras Subbéticas und für Freunde der europäischen Frühgeschichte.
Man kann all die Zirkel und Kreise, in denen man sich aufhalten will, nicht in einen einzigen touristischen Aufenthalt packen, ohne sich zu überfordern, und nähme man sich auch zwei Wochen Zeit. Die Kunst liegt in der Beschränkung, wenn auch noch für das Leben, die Gastronomie, die Weine und das Meer Zeit bleiben soll.

Dann ist da ja auch noch Huelva, Cádiz, Jerez de la Frontera, das Capo Trafalgar, Algeciras und viele Orte mehr. Wieder besteht die Gefahr, sich in Aufzählungen zu verlieren. Daher nur ein Wort zu Cádiz. Die Stadt liegt auf einer Halbinsel ohne echtes urbanes Zentrum, überall ist Treiben unter einem blassen blauen Himmel, die Straßen sind offenen Endes nach allen Seiten, und gelegentlich schaut man hin, ob nicht der Atlantik in die Stadt dränge. Cádiz ähnelt keiner der mir bekannten Hafenstädte, keine hat die Weite des Meeres und seine Gelassenheit so in sich auf genommen wie diese. Am ehesten noch fühlt man sich an Lissabon erinnert, an die Straßenzüge zwischen dem Barrio Alto und dem Tejo. Aber nicht so pulsierend wir diese ist Cádiz, eher im Bewusstsein lebend, weniger der europäischen, als der karibischen Welt anzugehören. Wer dieses vertiefen will, betritt einen neuen Kreis: den der spanischen Entdeckungen und Eroberungen. Sie gingen von Andalusien aus, in Sevilla wurden sie aus dem Alcázar gesteuert, als dieser eine königliche Residenz war.

In Málaga schließt sich der Kreis, nach einem kurzen Besuch im britischen Gibraltar. Was wird aus dem „rock“, der hoch aus dem dunstigen Meer aufragt und den die Andalusier wie alle Spanier als Stachel im eigenen Fleisch empfinden? Es gibt auch Zirkelschläge, die in die Zukunft weisen.

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Hans-Herbert Holzamer

Autor Kurzvorstellung:

Freier Journalist und Autor

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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