Dr. Harald Schmidt
Untergetaucht im vorwiegend flachen Mittelmeerwasser wiegen sie, den Wasserströmungen angepasst ihre saftig grünen Blätter. Im Ensemble schwenken Posidonia-Gräser (dt. Neptungras) sanft ihre Blattarme wie ein Ballett: ein grünes Meer unter einem blauen. Die Tourismusmacher von Formentera, der kleinsten bewohnten Insel der Balearen, geben dem grünen Meeresgras Grün.
In untergetauchten Gras-Büscheln auf dem flachen sandigen mediterranen Meeresboden verwurzelt, brachten und bringen die Posidonia-Gräser Formentera ihre Vorzüge: sauber, klare Küstengewässer, weiße Sandstrände, Tierartenvielfalt und hypothetisch mehr. Das ‚Mehr‘ und das Meer müssen jedoch noch in dieser Hinsicht erforscht werden.
In den zurück liegenden Jahren wurde diese bemerkenswerte Pflanze zum Verlierer. Jetzt leisten die Tourismusmacher von Formentera, die lieblich, freundliche, im Vergleich mit den großen Nachbarn ruhige und ursprüngliche Balearen-Insel Erste Hilfe …Flach sind die Blätter, zwei bis drei Zentimeter breit und ähnlich einem Lineal. Großflächige Wiesen bilden sie vor einigen Küsten des Mittelmeeres, bevorzugt an den Inseln wie z. B. um Formentera.
Grüne Wiese schafft weißen Strand
Ein vielleicht zweijähriges Mädchen schaut vom weißen Sandstrand von Levante auf das kristallklare Wasser. „Iiiii!“ Ruft sie und zeigt in Richtung Meer, blickt zu seiner hinter ihr stehenden Mutter. „Was ist das für Dreck?“ Die junge Frau lächelt und zuckt mit den Schultern. „Da musst du nicht ‚Iiiii‘ sagen. Das ist eine Wiese im Meer.“
Das Posidonia-Gras ist ein ‚Siegel‘ der Natur für gute Wasserqualität. Diese Pflanze braucht selbst gute Wasserqualität und sorgt dafür. Ein Ökosystem mit ca. 400 Pflanzen- und 1000 Tierarten versorgen diese Posidonia-Wiesen mit Sauerstoff. Für den Touristen wird dies durch das kristallklare Wasser und die weißen Sandstrände sichtbar. Wo gibt es die sonst in Europa? Die Pflanze hält den weißen Sand auf dem Strand und unter Wasser fest. Sie hält das Küstenwasser sauber und schützt Tiere. Wissenschaftler wie der spanische Meeresbiologie Carlos Duarte stellten fest, dass Posidonia-Wiesen doppelt so viel CO2 speichern können wie eine gleich große Fläche im tropischen Regenwald. Das Gras ist nicht nur eine Attraktion der Natur, sondern eine Notwendigkeit für ein funktionierendes Ökosystem.
Die Insel ist klein, aber fein und hat für individuelle Touristen viel zu bieten: Der Gast erreicht sie mit Fähre von Ibiza oder mit einem Boot. Die kurzen Wege auf der Insel mit viel Ursprünglichkeit, die knapp 32 Straßenkilometer, empfehlen sich für Bein-Muskelkraft oder Elektrofahrzeuge. Sehenswert sind die alten knorrigen Feigenbäume, die durch Einfluss des Menschen zu Sonnen-Schutzschirmen für Ziegen geformt wurden. Sehenswert sind zudem die romantischen kleinen Orte mit ländlicher Ruhe, aber einer guten Infrastruktur. Eidechsen in fünf verschieden Farben – die Farbe angepasst an die unmittelbare Umwelt – huschen über Mauern, Felsen und Wege. Ausschließlich kleine zumeist von Familien geführte Hotels und Gastronomie aller Kategorien, lassen Formentera zum maritimen Magnet für anspruchsvolle Individualisten werden. Ruhe und Erholung sowie weiße Strände, wild und nicht getrübt mit Kiosken und Abfällen. 72 km Küste, 32 ‚Grüne Routen‘ mit insgesamt 130 km Länge wollen erwandert oder mit Bikes erfahren werden.
Doch nun – die gerufenen Geister sind der viele, zu viele.
Auf Formentera klingelten jahrelang die Tourismus-Kassen. „Formentera lebt heute zu hundert Prozent vom Tourismus. Selbst die Bankfiliale könnte hier ohne Tourismus nicht leben. Auf dem 82 km2 kleinen Eiland – etwa nur ein Drittel so groß wie Frankfurt – wohnen im Winter 10- bis 12-tausend Einwohner, das drei- bis vierfache im Sommer“, erklärt Alejandra Ferrer Kirschbaum, Tourismuschefin der Insel. „Doch wir haben die Kapazitätsgrenzen erreicht. Formentera will nicht mehr wachsen. Aber das müssen wir sehr laut herausrufen. Es wird sonst nicht gehört.“
Kurzum, es ist schwer und langwierig das Ziel der Reduzierung zu Gunsten von Natur und Tourismus durchzusetzen. Es ist allerdings nicht einfach. Yachten und Segler, die Mallorca, Ibiza und andere Marinas im West-Mittelmeer ansteuern, kommen auch zu uns. Also müssen wir qualitativ etwas zu Gunsten der Insel und ihrer Natur tun.“
Der Wissende (be-)achtet
Posidonia leidet unter dem Zustrom und der Unwissenheit vieler Touristen. Seit 2012 hat die Küstenregion der kleinen Insel 40% ihrer Unterwasserwiesen verloren. Jedes Jahr wurden bisher mehrere Fußballfelder große Flächen zerstört. Diese Pflanze wächst langsam; nur ein bis drei Zentimeter jährlich. Lücken lassen sich also schwer lösen.
Die Faktoren für den Rückgang der Unterwasser-Wiesen sind vielfältig und längst noch nicht vollständig wissenschaftlich unterlegt. „Es sind nicht allein die vielen Boote, die mit ihren Ankern den Meeresboden auf- und die Pflanzen ausreißen. Es wirkt negativ das Entleeren der Schiffe und Boote von ihren Abwässern. Der Vormarsch invasiver Pflanzenarten beginnt die Posidonia zu verdrängen. Sicher haben die Erhöhung der Wassertemperatur, die
Verschmutzung des Meeres vom Land, das Ausbaggern von Häfen oder
bestimmte Arten des Fischfangs, die den Meeresboden zerstören, ihre aggressiven Wirkungen auf die Wiesen der Küsten“, erklärt die dynamische Tourismuschefin.
Gold und Silber für grünes Gras
Ursprünglich als lästiges Beiwerk bekannt, rückt Posidonia in den Mittelpunkt des Interesses, der touristischen Attraktion. Veranstaltungen jeder Art und Genres gibt es mit und für diese Pflanze. Es darf für Schutz und Forschung gespendet werden – indirekt beim Kauf bestimmter Produkte oder bei Veranstaltungseintrittskarten.
„Schau mal was ich hier habe.“ Wie auf ein Stichwort spricht Reiseexpertin Maria ihren Nachbarn an. Sie schwenkt den Kopf, lächelt und zeigt auf ihre Ohrringe und einen Armreif. „Habe ich mir heute extra zur Posidonia-Veranstaltung angelegt.“ Der auf Formentera ansässige Künstler und Juwelier Enric Majoral orientiert sich voll auf Posidonia. Er verwandelt die Gestalt vom grünen Meeresgras zu Silber- oder Gold-Schmuck (https://www.majoral.com/en/). Diese kreative und von vielen Besuchern Formenteras angenommene Kunst nützt der Natur durch indirekte Spende.
Ein lebendiges Fossil
Alvaro Blanco, seit vielen Jahren wiederholt als Direktor des Spanischen Fremden-verkehrsamtes in Berlin, München und Frankfurt tätig, begeistert sich für Pflanze und Projekte zur Erhaltung ihrer Wiesen. „Diese Pflanze ist eine der langlebigsten, sofern der Mensch und der Rest der Natur nicht hart eingreifen. „Die älteste Pflanze hat vor Formentera 100tausend Jahre erreicht, eine wahre Methusalem-Pflanze. Das habe ich selbst jetzt erst erfahren. Oder hast du das gewusst?“ Natürlich nicht – schüttelt der Autor den Kopf.
„Übrigens, die längste Posidonia-Pflanze, die gemessen wurde, ist 8 km lang“, weiß Alvaro Blanco. Kilometer? Wirklich? Ist doch Wahnsinn. Man stelle sich vor, so ein lebendiges Fossil wird durch einen Bootsanker aus dem Boden gerissen. Die krautige, bisher vom Tourismus stiefmütterlich behandelte Pflanze, wird von einem Aschenputtel zu einer bewunderten Prinzessin. Die Pflanze ist zwar schon steinalt, aber doch jung in punkto unser Wissen über sie.
„Wichtig wird heute und morgen das wissenschaftliche Erforschen von Posidonia, z.B. ihrer Anforderungen an die Natur und an den Menschen, ihr Wert für ein intaktes Ökosystem im Meer und die Ursachen für ihren Rückgang. Wenn wir exakt die Ursachen kennen, dann können wir mehr tun. Erste Hilfe leisten wir bereits mit der Aufklärung der Insulaner und Gäste, durch Regulieren des Ankerns von Booten, durch das Markieren der Ankerplätze außerhalb der Meeresgraswiesen mit Öko-Bojen. Das richtige Ankern und die Abwasserentleerung werden überwacht“, resümiert Alejandra Ferrer Kirschbaum. Diese alte, in der mediterranen Region endemische Pflanze und ihre Wiesen werden eine touristische Attraktion, ein weiteres Angebot für interessierte Touristen, einer wachsende Klientel. Übrigens, die Natur bietet durch die Posidonia für Touristen und Tourismusmacher ein Angebot für die Vorsaison.
Information
Bildtexte und -quellen
1 Weißer Strand, kristallklares Wasser am Strand Llevant
© FV Formentera, Jorge Jiménez)
2 Abgetauchtes Posidonia © FV Formentera, Sergio Arribas
3 Silbernes und goldenes Posidonia-Gras © LEIF, Harald Schmidt
4 Posidonia schützt Artenvielfalt © FV Formentera, Juan Cuetos