Irland im Winter ist eine Entdeckung. Traditionelle Werte wie Geschichtenerzählen und Zeit für den anderen geben Raum für Erholung und Entschleunigung. Eine Reise entlang des Shannon von der Quelle bis zur Mündung stellt das eindrucksvoll unter Beweis.
„Halte inne und öffne dich für die Schönheit des Augenblicks. Es wird keinen zweiten wie diesen geben … der flüchtige Moment ist der Edelstein aus den alten Legenden, nachdem alle suchen“ sagt eine keltische Weisheit, die uns daran erinnert, dass es noch andere Dinge gibt als immer mehr, immer schneller, immer höher und weiter. Das sich dem Ende zuneigende Jahr, der Jahreswechsel und der Beginn eines neuen Jahres bis zum Frühling, der alles neu zu erschaffen scheint, ist die geeignete Zeit für eine Reise zu traditionellen Werten wie Aufmerksamkeit, Gastfreundschaft und Muße, die gerade in dieser Jahreszeit in Irland besonders hervortreten.
Es gibt eine breite Palette an Winter- und Silvesterreisen, die nach bewährtem Muster konzipiert sind: charmantes Hotel, gute Küche, Besichtigung der ein oder anderen Sehenswürdigkeit in der Umgebung, Gala-Abend und nicht allzu weite An- und Abreise. Wer in dieser Jahreszeit einmal etwas anderes erleben will, findet in der Mitte Irlands eine Alternative, die im Winterhalbjahr ideal zum Thema Entschleunigung, Entspannung und Durchatmen passt. In den Grafschaften Cavan, Longford, Westmeath, Offaly, Roscommon Galway, Tipperary, Clare und Limerick, die das Herz der irischen Mitte darstellen, findet man dazu ausreichend Gelegenheit und erfährt dabei viel über Traditionen im Gestern und im Heute. Im Zentrum steht dabei Irlands mit 386 Kilometern längster und wasserreichster Fluss, der Shannon.
Auf der Suche nach der Quelle
Das Abenteuer beginnt bereits mit der Suche nach der Quelle des Flusses. Was zum Teufel hat das Navigationsgerät jetzt wieder vor? Das Handy zeigt einen anderen Routenvorschlag, von der guten alten Karte ganz zu schweigen. Den Shannon Pot zu finden, jene Quelle, an der der Shannon das Licht der Welt erblickt, ist gar nicht so einfach. Der Shannon Pot, Log na Sionainne sein gälischer Name, ist ein kleiner Tümpel in der Karstlandschaft nördlich von Glengevlin in der Nähe des Cuilcagh Mountain in der Grafschaft Cavan. So unscheinbar er etwas versteckt in der hügeligen Landschaft auch liegt, umso beeindruckender ist die nahezu magische Atmosphäre, die diesen Ort umgibt. Es ist still hier draußen, absolut still. Selbst vom hübsch hergerichteten Besucherparkplatz drängt kein Laut herüber, man fühlt sich in eine andere Welt hineinversetzt. Man setzt sich auf die Bank an der Quelle und denkt daran, was dem kleinen Bach noch so alles auf dem Weg in den Atlantik begegnen wird. Und man freut sich, die Quelle dieses später so majestätischen Flusses gefunden zu haben, somewhere in the nowhere.
Ein Drink in Drumshanbo und Dromod
An der Südspitze des Lough Allen gelegen, ist das 900-Einwohner-Städtchen Drumshanbo in der Grafschaft Leitrim schon wesentlich leichter zu finden. Der Fluss nimmt hier Kurs auf Carrick-on-Shannon, den ersten größeren Tourismus-Hotspot entlang seiner Route. Drumshanbo lohnt sich nicht nur als Zwischenstopp, weil Van Morrison den Ort in seinem Song „Drumshanbo Hustle“ verewigt hat. Die bunten Häuser, der aufgeräumte Ortskern und eine inzwischen weithin bekannte Brennerei verleihen Drumshanbo einen nahezu internationalen Charakter. Eine Führung in der „The Shed Distilley Drumshanbo“ sollte man sich nicht entgehen lassen, nicht nur wegen der Kostprobe des großartigen Single Pot Still Irish Whiskey und des Gunpowder Irish Gin, der einem wahren Geschmackserlebnis gleichkommt.
Wer das Glück hat, von Roisin Rigney, Tochter des Gründers und Inhabers, durch die Destillerie geführt zu den, spürt die besondere Kombination von Familientradition, Brennerei-Kunst und Kreativität, die hier in besondere Kostbarkeiten einfließen. Nur halb so groß wie Drumshanbo ist der kleine Ort Dromd, weiter südlich am Lough Bofin gelegen. Mancher rauscht auf der N 4 hier einfach vorbei auf dem Weg nach Longford, dabei ist Dromod eine kleine Perle am Shannon. Beliebt ist der Ort vor allem bei Anglern, denn Dromod Harbour liegt idyllisch am See und bietet Ruhezonen und geschützte Plätze für ein Picknick im Freien am Wasser. Auch das Cavan and Leitrim Railway Museum verdient einen Besuch.
Kaffeelust in Lanesborough
Der nächste Halt auf der Route zur Shannon-Mündung kommt eher zufällig daher, denn in Lanesborough im County Longford wird der Kaffeedurst so groß, dass man einem kleinen grün angestrichenen Häuschen mit der Aufschrift „Lanesbrew“ nicht widerstehen kann. Eine gute Entscheidung, denn in der ehemaligen Metzgerei, die sich in ein kleines Kaffeehaus verwandelt hat, gibt es nicht nur frisch geröstete Bohnen, sondern auch leckere hausgemachte Kuchen und Kekse. Außerdem erfährtan einmal wieder, wie international es in der „irischen Provinz“ zugeht: äußerst zuvorkommend bedient wird man hier von Andrea Rudolf, die aus der schweiz stammt, von Bartira Augelli aus Brasilien und von Marie Dennigan, die Irin ist für die süßen Köstlichkeiten zuständig.
Aufstrebendes Athlone Town
Die rund 15.000 Einwohner zählende Kleinstadt Athlone liegt am südlichen Ende des Lough Ree, etwa 130 km westlich von Dublin entfernt. Athlone ist ein Verkehrsknotenpunkt und seit vielen Jahrhunderten der wichtigste Übergang über den Fluss Shannon. Die Stadt hat heute besondere Bedeutung für die touristische Shannon-Schifffahrt, der westliche Teil liegt im County Roscommon, der größere östliche Teil im County Westmeath. Athlone ist darüber hinaus der geografischen Mittelpunkt Irlands und das Hodson Bay Hotel ein wunderbares Refugium auf einer Halbinsel am Lough Ree, der in dieser Jahreszeit so ruhig und majestätisch daliegt. In Athlone lohnt sich ein Rundgang auf den Spuren des berühmten Sohnes der Stadt John Count McCormack (1884-1945), der Tenor war nicht nur in Amerika, sondern auch auf den Opernbühnen Europas ein gefeierter Star. Auch Athlone Castle sollte man besichtigen, die normannische Burg wurde 2013 in ein erlebenswertes Museums- und Besucherzentrum verwandelt, das mit moderner Präsentation die bewegte Geschichte der Stadt lebendig werden lässt. Besonders der Ausstellungsbereich über die große Belagerung Athlones von 1690 als Teil des Europäischen Krieges zwischen den Anhängern des protestantischen Königs Wilhelm von Oranien und den Jakobiten, den Unterstützern des entthronten König James von England, wird hier audiovisuell ergreifend dargestellt.
Traditionelles Shannonbridge
Auf dem Weg zum geistlichen und geistigen Zentrum Irlands, der beinahe märchenhaft an einer Shannon-Biegung gelegenen Klostersiedlung Clonmacnoise, sollte man einen Halt in dem kleinen 350-Seelenort Shannonbridge einlegen. Hier befand sich mit Killeen´s Bar der wohl legendärste und traditionellste Pub des Landes. Denn hier gab es weit mehr als Getränke, Pub-Snacks, Pool-Billard, Geschichtenerzähler und abends Live-Musik. Über einen Durchgang erreichte man den zweiten Teil des Gebäudes, ein wahrer Gemischtwarenladen, wie man ihn nur noch selten findet. Von der Angelrute über Lebensmittel und Haushaltswaren bis zum Totenhemd konnte man hier alles einkaufen, was man im Leben und später so braucht. Dazu gab es den neuesten Dorfklatsch und die besten Tipps wo, wann und wie die Fische im Shannon am besten zu fangen sind. Wenn abends am Torffeuer dann zur Gitarre gegriffen wurde das „Everywhere out there“ erklang, blieb kein Auge und keine Kehle trocken. Am Ende griff fast jeder zu einem Stück Papier, schrieb einen Wunsch, eine Widmung oder einfach seinen Namen darauf und pinnte es irgendwo an die Decke dieses wunderbaren Ortes, an dem die Begegnung, das Miteinander und das traditionelle Irland weiterlebten. Zum Glück haben Einheimische das Heft in die Hand genommen, renovieren den seit einigen Jahren geschlossenen Pub und wollen ihn im traditionellen Stil im Jahr 2022 wieder eröffnen. Wen es weiterzieht entlang des Flusses Richtung Limerick, den verabschieden die Raben auf der Brüstung der mit ihren 16 Bögen imposanten Brücke über den Shannon, indem sie ein melancholisches Kreischen anstimmen, als seien sie verwundert, dass man diesen magischen Ort freiwillig verlässt.
Friedlicher Klosterort am Fluss
Nur ein paar Meilen weiter südlich liegt das zu den am besten erhaltenen Klöstern Irlands gehörende Clonmacnoise, im Jahre 548 vom Heiligen Ciarán am Ufer des River Shannon gegründet. Seine exponierte Lage war zugleich auch seine Achillesferse, doch trotz zahlreicher Überfälle spielte es für über Tausend Jahre eine entscheidende Rolle im christlichen Irland. Seine Hochkreuze sind wichtige Zeugnisse des Glaubens und der hohen Handwerkskunst des 8. und 9. Jahrhunderts. Sanfte Hügel, kleine Inseln im Fluss, Wiesen mit blühenden Blumen und großen Granitsteinen, die an vielen Stellen die Grasnarbe durchbrechen. Fische, die in der Abendsonne nach Mücken springen und ein leichter Wind, der die Blätter der Laubbäume zum Rascheln bringt: Wohl keine andere Landschaft hat dem Heiligen Ciarán so gefallen und seine Seele berührt wie die sanften Hügel rund um Clonmacnoise im County Offaly. Und noch heute wird man hier von der Schönheit der Natur, den Wiesen, den Mooren und dem ruhig dahin gleitenden River Shannon überwältig. Clonmacnoise geht einem nahe, ob man als Pilger oder einfacher Besucher hierher kommt, man verlässt den zauberhaften Ort verändert.
Portumna Castle
Der etwas verträumt daherkommende Ort Portumna am Nordende des Lough Dergh besitzt mit dem westlich gelegenen Portumna Castle eine kulturhistorisch bedeutende Anlage, die sich heute im Besitz des irischen Staates befindet und an der weiter fleißig renoviert wird. Im frühen 17. Jahrhundert vom 4. Earl of Clanrickard erbaut, sind Schloss und Gärten ein wichtiges Zeugnis für den Übergang einer mittelalterlichen Burg zum Herrenhaus der Neuzeit. Besonders die Gartenanlage und der ummauerte Küchengarten sind sehenswert. Auch das Teehaus, in dem im Obergeschoß häufig Kunstausstellungen stattfinden, sollte man nicht versäumen.
Limerick – Liebe auf den zweiten Blick
Hand aufs Herz: Limerick genießt nicht gerade den Ruf, ein Top-Städteziel zu sein. Das ändert sich gerade und das völlig zu Recht. Die Sanierung des Stadtzentrums schreitet voran, an der Shannon-Mündung gibt es inzwischen schöne Wege zum Flanieren, und die vielen Studenten verleihen Limerick einen jugendlichen Charakter. King John´s castle, St Mary´s Cathedral, das Limerick City Museum und vor allem das Hunt Museum gehören zu den Attraktionen eines Stadtbummels durch Limerick. Selbst die etwas grau und melancholisch daherkommenden Viertel gehören dazu, zusammen entsteht ein bleibender Eindruck einer Stadt im Wandel, die besonders an Wochenenden ihre gälischen Sportarten feiert. Freitagabend ein Rugby-Match, Samstag zum Hurling und Camogie und Sonntag noch ein Gaelic Football Spiel oben drauf – was für ein Traum. Abschied vom Shannon nimmt man dann aber wieder in Sean´s Bar in der Main Street in Athlone. Den ältesten Pub Irlands mit seiner wunderbarer Atmosphäre gibt es hier schon seit dem Jahre 900: Irland, ein Wintermärchen.
Informationen
Die Irland Information www.ireland.com hält umfangreiche Broschüren zu ganz Irland und der Shannon-Region bereit. Aer Lingus bietet Direktflüge von Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt oder München nach Irland an. www.aerlingus.com
Übernachten
The Landmark Hotel, Carrick-on-Shannon www.thelandmarkhotel.com
The Hodson Bay Hotel www.hodsonbayhotel.com
Clayton Hotel Limerick, www.claytonhotellimerick.com
Essen und Trinken
The Shed Distillery, Drumshanbo www.thesheddistillery.com
Lanesbrew Coffee Shop, Main Street, Lanesborough, County Longford, N39 P3K4
Sehenswürdigkeiten
Clonmacnoise, https://heritageireland.ie/places-to-visit/clonmacnoise/
Portumna Castle & Gardens, https://heritageireland.ie/places-to-visit/portumna-castle-and-gardens/
The Hunt Museum, Limerick, www.huntmuseum.com
King John´s Castle, Limerick, www.kingjohnscastle.com