von Udo Haafke
Die Wikinger teilten einstmals die dänische Insel Samsø in zwei flächenmäßig ungleiche Teile. Mittels einer selbst geschaffenen Kanalquerung an der schmalsten Stelle der Insel gelangten die umtriebigen Nordmänner nämlich schnell und effektiv mit ihren Galeeren in den geschützten Bereich der Stavns Bucht, welche Samsø vom jütländischen Festland trennt. „Einige der älteren Insulaner weigern sich noch heute beharrlich in den jeweils anderen Inselteil zu gehen“, lacht Jacques Rehr Knudsen vom örtlichen Tourismusverband beim Rundgang durch das beschauliche Dörfchen Nordby im Inselnorden. „Da gibt es eine Art mentaler Sperre eben jenen Kanal zu überqueren. Und trotz der vergleichsweise geringen Einwohnerzahl verfügen wir hier tatsächlich über drei eigenständige Sprachdialekte, die sich regional entwickeln konnten – wohl auch, weil man stets unter sich blieb.“
Marup und Nordby sind die einzigen verbliebenen Ortschaften im recht hügeligen Nordteil Samsøs. Mit 64 Metern markiert ein niedlicher kleiner, achteckiger Aussichtsturm den Inselhöhepunkt Ballebjerg. Von hier aus bieten sich tolle Ausblicke übers Meer nach Jütland, sogar bis Aarhus, der zweitgrößten Stadt des Landes und Europäischen Kulturhauptstadt 2017. Aber auch die überwiegend agrarwirtschaftlich kultivierte Landschaft der Insel liegt jedem zu Füßen, der es wagt die 17 Stufen der stählernen Stiege des weiß getünchten Türmchens, das ein rotes Ziegeldach und eine Wetterfahne eines pflügenden Landmanns krönt, zu erklimmen. Insbesondere gegen Abend, wenn die Sonne sich langsam Jütland am Horizont entgegen neigt, treffen sich romantische Geister in seinem Schatten und genießen das mitgebrachte Picknick mit Sekt, Kaffee, Kuchen und Wienerbrød. Auch Hochzeitsgesellschaften finden sich hier gerne zu unvergesslichen Stunden auf der – nach eigenem Bekunden – sonnenreichsten Insel Dänemarks ein.
Der dänische Literat und Schriftsteller Holger Drachmann besuchte Samsø gegen Ende des 19. Jahrhunderts und begründete damit einen aufkeimenden Tourismus, dem speziell bis in die 1930er Jahre viele folgten. Samsø lag voll im Trend. Wer etwas auf sich hielt, vor allem in der mondänen Kopenhagener Gesellschaft, kam zur Sommerfrische hierher und genoss die entspannte Ruhe, so etwa am sieben Kilometer langen Sandstrand der Sælvigbucht, aber auch das ehedem pulsierende Leben im südöstlich gelegenen Hafenort Ballen. Obwohl Tranebjerg zur Inselhauptstadt wurde, war und ist in Ballen schon immer sehr viel mehr los.
„Holger Drachmann wohnte unweit des Hafens und des traditionsreichen Kaufmannsladens (Købmandsgård). Und der Maler Asger Jörn, Mitbegründer der renommierten Künstlergruppe CoBRA, war zuvor schon Vorreiter für Scharen von Künstlern, die ihrer Kreativität auf Samsø freien Lauf ließen.“ Das Potenzial großartiger Schaffenskraft wirkt noch heute nach. Galerien und Werkstätten unterschiedlichster künstlerischer Genres sind entsprechend überall zu finden. Selbst der angesichts der urdänischen Lieblichkeit Samsøs höchst befremdlich erscheinende Werkstoff Beton rückt seit 2010 in Form einer Triennale in den Fokus der internationalen Bildhauerszene. Initiiert von Rie Toft, die im urigen Gasthaus und Hotel Vadstrup 1771 ihre Galerie betreibt, wurde gar ein Betonpfad über die Insel angelegt auf welchem die verschiedenartigen Objekte in freier Natur erwandert und begutachtet werden können.
Als geografisches Zentrum Dänemarks hatte Samsø schon von alters her eine große strategische Bedeutung. Es gab allein fünf große Burganlagen, die größte davon bei Vesborg im Inselsüden, entstanden auf Geheiß des legendären Dänenkönigs Valdemar Atterdag. Dort steht am Klippenrand heute der weiße Leuchtturm Vesborg Fyr. Die exakten Standorte und Ausmaße der historischen Festungen lassen sich nur ansatzweise erahnen und harren derzeit noch ihrer archäologischen Aufarbeitung entgegen. „Wir haben zudem mehr als 300 Grabhügel, die mehr oder weniger markant aus der Landschaft herausragen. Einige sind jedoch nicht echt: die hatte der Pächter von Schloss Brattingsborg, Kruse, zu Zeiten der dänischen Romantik noch zusätzlich schaffen lassen, um das Landschaftsbild noch poetisch verklärter erscheinen zu lassen.“
Ökologie spielt auf Samsø eine ganz herausragende Rolle und hat bereits erreicht, wonach andere noch streben: sie ist hinsichtlich ihrer Energieversorgung komplett autark, kann den selbst aus Wind, Sonne, Stroh und Holz erzeugten Strom sogar exportieren und verbessert damit die ökonomische Situation der gut 4.000 Inselbewohner. Selbstverständlich gibt es ein Økomuseum, das in verschiedenen, auf der Insel verteilten Dependancen über die zukunftsweisenden Projekte und Ideen informiert. Und genauso selbstverständlich ist Jacques auf der Insel mit einem Elektroflitzer unterwegs. Aber das große dänische Ø steht darüber hinaus auch für vorbildlichen ökologischen Landbau.
So finden sich allein elf kleine, ökologisch ausgerichtete Weingüter auf der Insel – ja, Dänemark gehört offiziell zu den Wein produzierenden Ländern – sowie eine ausgezeichnete Mikrobrauerei. Deren Erzeugnisse findet man, wie das gesamte versammelte, höchst facettenreiche Angebot an Erzeugnissen der weiteren Nahrungs- und Genussmittelproduzenten Samsøs, in »Den Gamle Butik« in Ballen. Erst jüngst gesellten sich Mette und Martin Levisen mit ihrer Cidre-Produktion hinzu. Im ehemaligen Schweinestall ihres Hofes im Weiler Haarmark reift nun vorzüglicher Apfelmost heran, dessen Herstellungsverfahren erstaunliche Parallelen zur Produktion von Champagner aufweist. Denn die Flaschen befinden sich während der Gärungsphase im typischen Rüttelgestell und müssen von Hand bewegt werden. „Der Obstreichtum Samsøs hat mich auf die Idee gebracht,“ erklärt Martin beim Spaziergang durch seine Streuobstwiese. Die teils tiefroten Äpfel hängen schwer in Trauben an den Ästen der kleinen Bäume. „Und mit einem Ferguson-Traktor von 1956 hole ich zusätzliches Obst von den Wiesen.“
Sterne hingegen lassen sich auch bei den Dänen nicht vom Himmel holen, aber zumindest bietet Samsø mit einem Observatorium in der Nähe des Fähranlegers nach Kalundborg die Möglichkeit zum unverstellten Blick auf Milchstraße und Großen Wagen. Jens Øster Mortensen öffnet nach Vereinbarung bei geeignetem Wetter, vor allem jedoch nach Einbruch der Dunkelheit eine Lamelle der großen, silbern glänzenden Kuppel über dem roten Backsteintürmchen und erläutert ebenso enthusiastisch wie wortreich, was am Firmament so alles geschieht. „Dadurch, dass wir nur wenig Einflüsse durch künstliche Lichtquellen in der Umgebung haben, können wir besonders gut Sterne sehen,“ schmunzelt Jens Jørgen bei einer Tasse starken, wärmenden Kaffees im Anschluss an seinen astronomischen Exkurs.
Nicht ganz so hoch hinaus streben die faszinierenden Greifvögel des Samsø Falkecenter, das seit 2009 zahlreiche Besucher in seinen Bann zieht und in diesem Jahr seinen 10. Geburtstag feiert. Louise Vedel, die Leiterin der Falknerei, hat ein ganz inniges Verhältnis zu ihren 20 Tieren (Eulen, Raben, Geier, Falken und Adler) entwickelt. Teilweise wuchsen die Vögel sogar vor Ort in der Hofanlage Permelille heran. „Das Naturschutzrecht gestattet in einer Falknerei nur exotische Vögel und keine heimischen Arten,“ plaudert Louise, während der kleine Falke auf ihrem Lederhandschuh aufmerksam den Kopf schief legt und auf einen neuen Einsatz und die damit verbundene Belohnung spekuliert. Im Anschluss an die eindrucksvollen Flugshows dürfen Mutige aus dem Publikum dann selbst einen Vogel auf den Arm nehmen. Da strahlen dann Groß und Klein nach anfänglicher Vorsicht stolz mit Eule und Greif um die Wette.
Information:
Visit Denmark, www.visitdenmark.com
Samsø, Anton Rosens Plads 3, Tranebjerg, DK-8305 Samsø, Tel. +45/8659 0005, www.visitsamsoe.dk/de/
Anreise:
Fähren der Reederei Færgen verkehren bis zu viermal täglich in knapp 90 Minuten von Kalundborg auf Seeland nach Ballen (www.faergen.de).
Vom jütländischen Hou aus bestehen bis zu sieben Fährverbindungen täglich nach Sælvig im Westen Samsøs, neu ist die Verbindung aus dem Zentrum von Aarhus mit einer reinen Passagierfähre (www.tilsamsoe.dk).
Unterkunft:
Vadstrup 1771, romantisches Fachwerkgasthaus mit tollem Restaurant und kleiner Kunstgalerie, zwischen Onsbjerg und Torup, geöffnet zwischen April und Oktober. En-suite Doppelzimmer inkl. Frühstück ab EUR 155, www.vadstrup1771.dk.
Hübsch gelegen Sælvigbugtens Camping im Norden der Insel. Die Übernachtung kostet pro Person EUR 12, das Doppelzimmer pro Tag EUR 67, eine Campinghütte pro Tag ab EUR 80, www.saelvigbugtens-camping.dk.
Essen und Trinken:
Die Gastronomie Samsøs hat sich dem Öko-Trend verschrieben und setzt entsprechend vornehmlich auf frische Produkte der Insel, wobei gerade die jungen, sehr schmackhaften Samsø-Kartoffeln alljährlich den Sommer einläuten. In den Restaurants gibt man sich teilweise traditionsverbunden, aber gerne auch modern und kreativ. Zu empfehlen sind als Vertreter dieser Genres das Restaurant Skipperly am Hafen von Ballen (www.skipperly.dk) sowie das Restaurant SAK ebenfalls in Ballen (www.saksamsoe.dk).
Erlebnisse:
Den Gamle Butik, traditionelles Einkaufserlebnis im alten Dorfladen, www.kobmandsgarden.dk
Samsø Cider, Produktion von exquisitem Apfelmost, www.samsocider.dk
Falkecenter Samsø, Vorführungen mit Greifvögeln und tolle Flugshows, www.falkecenter-samso.com
Samso Vin Syndikat, Vereinigung der Samsinger Weinerzeuger, www.samsovin.com
Samsø Bryghus, feine Bierspezialitäten aus der Mikrobrauerei In Nordby, www.samsoe-bryghus.dk
Sigrid Hovmand, hochwertiges Kunsthandwerk aus der Töpferei in Nordby, www.sigridhovmand.dk
Beton Ruten Samsø, spannender Kulturpfad mit zahlreichen Betonskulpturen, www.betonlaboratoriet.dk
Samsø Observatorium, in die Sterne schauen nach Vereinbarung, www.facebook.com/groups/171473635576/about/
Samsø Rundfarten, urige Sightseeing-Ausflüge mit nostalgischem Bus, www.balliwood.dk
Samsø Labyrinten, der größte Irrgarten der Welt im Inselnorden, geöffnet von April bis Oktober, www.samsolabyrinten.com
Samsø Festival, gemütliche Feiertage für die ganze Familie in der Kalenderwoche 29, www.samfest.dk