
Amrum. Hier hat der Wind Vorfahrt und mit ihm der Sand, den er transportiert und einem entgegen bläst, wenn man in den Dünen sitzt oder am Meer spazieren geht. Hinter Muscheln und Unebenheiten im Boden baut er geschwind kleine und kleinste Anhäufungen auf. Dasselbe versucht er bei Augen, Nasen und Ohren. Bis zum nächsten Dusch- oder Tauchgang hat man davon reichlich im höchstpersönlichen Gepäck. Man könnte ja in der Nordsee Fluten den ganzen Sand abspülen. Man erhielte ein Danaer-Geschenk! Denn der Weg zurück aus dem Meer führt wieder durch den Sand, den man nach dem Abtrocknen dann dort hat, wo man ihn unbedingt nicht fühlen möchte. Aber zuvörderst achtet man darauf, dass Kamera und Handy die Strandpartie unbeschadet überstehen. Aber das hat man bei dieser Windstärke leider nicht in der eigenen Hand. Bei dem breiten Strand auf Amrum muss der Wind am Sand nicht sparen. Ein Kristall und der Verschluss klemmt, ein Korn und schwarz ist das Display.
Der Wind trägt auch das Gekreische der Möwen, und man möchte wissen, worüber diese so erbittert streiten, um dann abrupt den Schnabel zu halten. Hat die Klügere nachgegeben? Nicht unbedingt Möwen-Art. Am liebsten schiebt der Wind Wolken, vom Meer übers Land, dann einfach weiter, denn dort ist ja wieder Meer bis zur nordfriesischen Küste. Dann blitzt die Sonne auf. Schatten laufen über die Dünen und verschwinden wieder, der Strandhafer und die Gräser tanzen und reizen die vom Sand geplagten Nase und Ohren. Und da die Wolken gerne Regen übers Meer und übers Land tragen, kann man im Schutz der Dünen auch nass werden. Der Regen kommt und geht, was nass ist, wird auch wieder trocken. „Ist das alles, was du auf Amrum tun willst?“ So fragt das gerne nörgelnde Unterbewusstsein. „Dich dem Spiel des Windes zu überlassen?“ Ja. Reicht das nicht? Nun gut, mit dem Radl kann man die unterschiedlichsten Stellen zwischen dem Kniepsand und der Nordspitze aufsuchen, unser Hotel Südstrand hat das für uns organisiert. „Um sich erneut demselben Wind auszusetzen, toll!“ Ja. Zu besuchen gibt es ein Museum, einen Leuchtturm, eine Windmühle, einen Friedhof für unbekannte Opfer des Meeres, ein Tiergehege, ein Schwimmbad. Man kann hier gut essen, Pannfisch etwa im Strandhäuschen oder … „Ist ja gut.“ Ja, es ist gut hier. Und die Unbekannten vom Friedhof der Clemens-Kirche hat der Wind mit ihren Schiffen hier stranden lassen. Denn so ein Kahn aus grauer Vorzeit, sagen wir aus dem 18. Jahrhundert, hatte einen Windschutz nicht, den heutige Amrum-Besucher nutzen können: den Strandkorb. Man kann in ihm sogar schlafen, ohne dass es einer Sonderanfertigung bedarf. Man kann vieles, aber eine sehr sinnvolle Verwendung wird in der „Strandbar Seehund“ gepflegt: ihn ihm zu speisen, windgeschützt, Blickrichtung Meer, Wittdüner Bucht. Die Karte, vom Flammkuchen bis zur Schale mit Garnelen und Nordseekrabben kann mit der des „Gogärtchen“ auf Sylt mithalten. Und das Spektakel der Kyte-Surfer vor dem Strandkorb kann das Kampener Edellokal nicht bieten, dafür sind seine Preise haushoch überlegen. Und schon ist man bei der Lieblingsbeschäftigung der Amrumer: sich mit der nördlichen Nachbarinsel zu vergleichen.
An diesem Insider-Geplänkel muss man sich nicht beteiligen. Das ist im Grunde nur viel Wind um nichts. Und doch sei eine Anmerkung gemacht: Gefährlich ist‘s, nein nicht den Leu zu wecken. Gefährlich ist‘s das Glas zu leeren und nicht direkt wieder füllen zu lassen. Denn schon packt der Wind das leicht gewordene Gebilde, hebt und schleudert es zu Boden, wo es zerspringt. So zeigt sich der Blasewicht als Freund einer alten Volksweisheit: ist leer das Glas, ist das kein Spaß. Das gilt für beide Inseln in Deutschlands Nordwest-Ecke.
Die 16-teilige Serie findet Eingang in eine Foto-Text-Ausstellung „Gesichter Deutschlands“ im öffentlichen Raum in Gräfelfing und in einen Katalog mit gleichem Namen. Der Katalog „Gesichter Europas- eine Reiseliebe“ ist mit der ISBN 978-3-942138-67-3 über die Buchhandlungen oder direkt beim GRÄV-Verlag zum Preis von 15 Euro zu beziehen.
Nächste Folge: Plön