VON JUPP SUTTNER /// Jeden Freitagabend das gleiche: Die Fernbeziehungs-Liebenden stürzen sich in ihre Autos, hasten zu Zügen oder klettern in Flugzeuge – um ihre(n) Liebste(n) zu besuchen und gemeinsam das Wochenende zu verbringen.
Am morgigen Freitag auch? Schwer abzuschätzen. Denn zwei Fragen sind damit verbunden:
Erstens:
SOLL
man das überhaupt machen? Denn vielleicht bringt man ja der/dem Liebsten das Virus aus der Ferne mjt. Oder sie/er ist bereits damit befallen – und überträgt es nun auf die/den Ankommende(n).
Zweitens:
DARF
man das überhaupt, aus der Ferne anreisen und die/den Liebste(n) besuchen? Zumindest im Saarland und in Bayern herrscht in weiten Fernbeziehungs-Kreisen ziemliche Unsicherheit darüber. Zumindest den Anfragen zufolge, die uns aus Leserkreisen erreichten.
Um Klarheit zu erhalten, mailten wir deshalb am letzten Montagvormittag, 30. März, an die Pressestelle des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
wir – also www.Reise-Stories.de – sind zwar ein überregionales Magazin, dennoch haben wir in der letzten Woche etwa ein halbes Dutzend Leser(innen)-Anfragen speziell aus Bayern bekommen. Zusammengefasst lauten die Anfragen in etwa so:
„Ich lebe und arbeite in Würzburg, habe dort eine Wohnung und bin dort auch beim Einwohnermeldeamt angemeldet.
Meine Freundin lebt und arbeitet in Nürnberg, hat dort eine Wohnung und ist dort beim Einwohnermeldeamt angemeldet.
Wir führen eine sogenannte Fernbeziehung. Dürfen wir uns gegenseitig besuchen oder ist das verboten? Falls wir uns besuchen dürfen: Wie können, falls man auf dem Weg im Auto oder auf der Straße kontrolliert wird, beweisen, dass wir eine Fernbeziehung (also Lebensbeziehung) führen?“
Warum Anfragen dieser Art ausgerechnet an uns gerichtet werden, erscheint uns auf dem ersten Blick etwas schleierhaft. Aber es ist halt so. Vielleicht, weil wir ein REISE-Magazin sind…
Jedenfalls würde ich mich sehr freuen, wenn Sie unserer Leserschaft eine Antwort geben könnten und bedanke mich bereits im Vorhinein für Ihre Mühewaltung.
Mit freundlichen Grüßen
Jupp Suttner“
Einige Stunden später traf die Antwort ein:
„Sehr geehrter Herr Suttner,
unter den FAQs https://www.stmi.bayern.de/miniwebs/coronavirus/faq/index.php, die das Staatsministerium des Innern eingestellt hat, können Sie nachlesen:
Ja, Lebenspartner dürfen sich besuchen. Eine spezielle Ausweispflicht oder ein Passierschein sind nicht verpflichtend. Aber auch hierbei sollte darauf geachtet werden, dass jeder angehalten ist, die Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstandes auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. Wo immer möglich, ist ein Mindestabstand zwischen zwei Personen von 1,5 m einzuhalten.
Das Verlassen der eigenen Wohnung ist nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt. U.a. ist ein triftiger Grund auch:
der Besuch bei Lebenspartnern, Alten, Kranken oder Menschen mit Einschränkungen (außerhalb von Einrichtungen) und die Wahrnehmung des Sorgerechts im jeweiligen privaten Bereich
Nachzulesen unter: https://www.verkuendung-bayern.de/files/baymbl/2020/130/baymbl-2020-130.pdf
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Grüneberg
Stellv. Pressesprecherin“
Soweit die Theorie. Ob die Polizei jedoch in manchen Fällen eine Praxis anderer Art anwendet? Nach dem rigorosen Durchgreifen am letzten Wochenende – als in München etwa einzeln auf einer Parkbank sitzende Rentner von dort vertrieben wurden, weil Rasten beim Spazierengehen verboten sei – ist dies durchaus zu befürchten. Fiktives Szenarium:
Ein auf dem Weg zu seiner Fernbeziehungsfreundin Reisender wird von der Polizei kontrolliert.
Er: „Ich fahre zu meiner Freundin – wir führen eine Fernbeziehung.“
Fiktiver Polizist: „Aus welchem Grund?“
Der Fernbeziehungsreisende: „Liebe. Sehnsucht. Libido.“
Wird der fiktive Polizist diese Argumente als „triftigen Grund“ anerkennen?
Oder wird er sagen: „Das könnte ja jeder sagen, dass er zu seiner Fernbeziehung fährt! Obwohl er in Wirklichkeit zu seinem Kumpel zum gemeinsamen Biertrinken unterwegs ist!“
Oder wird er gar eine Anzeige in den Weg leiten?
Niemand kann es prophezeien nach dem, was am letzten Wochenende in München und den Voralpen (wo man mit Hubschraubern „Gruppen“ aufzuspüren versuchte und man Autos mit Münchner Kennzeichen nicht von den Autobahnabfahrten Holzkirchen und Weyarn ins Oberland mit dem Tegernsee und dem Schliersee abfahren ließ) geschah. Als die Polizei das Kind gewissermaßen mit dem Bade ausschüttete und keinen Unterschied mehr vollzog zwischen Corona-Partys und einsamen Rentnern. Kommentar der Münchner Abendzeitung dazu am Montag:
„Es droht ein Wirrwarr mit bizarren Auswüchsen. Zeit, die Polizei ein bisserl einzubremsen.“
Aber vielleicht hat man ja bei den Behörden aus den Vorgängen des vergangenen Wochenendes und den darauffolgenden empörten und kopfschüttelnden Bevölkerungs-Reaktionen die entsprechenden Konsequenzen gezogen und konzentriert sich wieder auf das sozusagen Kerngeschäft der Corona-Sünder-Aufspürung.
Wir empfehlen auf alle Fälle allen Fernbeziehungs-Reisenden die ausgedruckte Mitnahme obiger Antwort-Mail des Ministeriums, um sie misstrauischen Polizisten vorweisen zu können. Oder man lässt – falls keine Ausdruckmöglichkeit – den Beamten diese Story hier auf dem Handy lesen.
Bleibt noch die Frage mit dem Mindestabstand von 1,5 Meter. Muss jener dann in der besuchten Fernbeziehungswohnung eingehalten werden? Dann hätte sich das Thema Liebe und Libido natürlich erledigt. Doch wer kontrolliert dies vor Ort? Vielleicht ein Big Brother – 1984 scheint vielen momentan näher als 36 Jahre.
Wobei man bezüglich dieser 1,5-Meter-Distanz natürlich auch auf Radio Eriwan hören könnte – jenen fiktiven sowjetischen Sender während der sozialistischen Zeit, für den sich Witzbolde Höreranfragen ersannen, auch diese:
„Frage an Radio Eriwan: Ist es sich määäglich, zu vööögeln auf Distaaanz?“
Radio Eriwan antwortet: „Ist sich im Prinziiiip määääglich – wenn Schwanz lääänger als Distaaaanz.“
Zurück nach Bayern:
Wer ganz auf Nummer Sicher gehen will, auch was die Verbreitung des Virus‘ betrifft, wartet mit einem Fernbeziehungsbesuch noch ab, bleibt lieber zu Hause und liest ein gutes Buch. Der absolut bestpassendste Roman momentan ist das Meisterwerk von Gabriel Gárcia Marquez:
„Die Liebe in den Zeiten der Cholera“.
Jupp Suttner