Kroatische Karnevalsbräuche
Auf den Spuren der Glockenträger in Rijeka
von Udo Haafke
„Der Pust ist an allem schuld“ erklärt Marina Jurić, Leiterin des kleinen Tourismusbüros von Viškovo, und deutet lächelnd auf die bunt gekleidete Strohpuppe, die an einem hohen Pfahl unmittelbar am Dorfplatz hängt und sanft im Wind schwingt. „Traditionell am St. Antons Tag, dem 17. Januar, wird er hier aufgeknüpft. Der Pust steht symbolisch für all das Böse und Schlechte, was uns hier in der Gegend während des vergangenen Jahres widerfahren ist.“ Die Figur beschreibt niemanden persönlich, bekommt höchstens einmal einen Spitznamen verpasst, und hat erst ganz am Ende der Feierlichkeiten einen flammenden Auftritt. „Gerade in den letzten Tagen vor Faschingsdienstag, dem letzten Tag unseres Karnevals, herrscht hier bei uns eine sehr intensive, festliche Stimmung. Ganz im Sinne unseres Mottos: Zivio Pust! Es lebe der Fasching!“
In der Region Kvarner nordwestlich von Rijeka, der europäischen Kulturhauptstadt 2020, bestimmen die Glockenträger, die Zvončari, den karnevalistischen Takt. Diese besondere Tradition, die noch heute in acht Dörfern und bereits seit mehr als 500 Jahren gepflegt wird, gehört seit 2009 zum immateriellen Weltkulturerbe der UNESCO. Organisierte Umzüge in heutiger Form gibt es erst seit 1949. Dabei hat jedes Dorf zwar seine eigene, unverwechselbare Kostümierung, der eigentliche Brauch selbst jedoch bleibt immer gleich. Beginnend zum 1. Faschingssonntag machen sich die Zvončari, übrigens sind dies immer nur Männer aus dem jeweiligen Ort, auf den Weg, folgen einer bestimmten Route durch die Dörfer und zelebrieren dort ihr Ritual, dessen heidnischer Sinn darin besteht, die Geister der Kälte und Finsternis des Winters zu vertreiben.
Gekleidet in weißen Hosen und blau-weiß gestreiften Hemden, wie man sie von Matrosen kennt, wärmt sie darüber ein dickes, zotteliges Schaffell. Unterschiedlich sind die Kopfbedeckungen. „Während unsere Zvončari eine mächtige, oft gruselig-groteske und mit Hörnern versehene Tiermaske tragen, ziert andere ein Blumen besetzter Hut, von dem lange, farbige Bänder bis zum Boden herunterflattern“. Und jede Gruppe der Halubajski Zvončari trägt auch voneinander verschiedene Glocken auf dem verlängerten Rücken. „So kannst Du gleich erkennen, welche Glockenträger sich dem Dorf nähern.“ Der Legende nach sollen einstmals maskentragende, unmäßig lärmende Schafhirten einen Überfall der Tataren vereitelt und damit die Grundlage für die heutigen Karnevalsriten gelegt haben.
In langer Reihe geht es für die Zvončari an den letzten drei Karnevalstagen in aller Frühe los. Ihre Masken tragen sie zunächst unter dem Arm, einige führen Knochen und Hörner als rustikale Schlagwerkzeuge mit sich. Scheinbar querfeldein führt die Route dann zum nächsten Dorf. Das Geläut der Glocken hallt wie beim Almabtrieb durch die hügelige Mittelgebirgslandschaft bis das erste Ziel erreicht ist. Kurz vor der ersten Station ihres Weges auf dem Dorfplatz setzen sie die Masken auf und zelebrieren ihren Einmarsch im Rhythmus der Glocken, deren Lärmpegel stetig anschwillt. Ihr Gang wirkt durch das Gewicht der urtümlichen Klangkörper ausgesprochen staksig, die Bewegungen tollpatschig und unbändig. Takt und Bewegungen werden nun immer schneller, intensiver, eindringlicher.
Die Reihe der Zvončari, angeführt von einem Fahnenträger, der auch das organisatorische Kommando hat, verdichtet sich zu einem enger werdenden Kreis um ihn herum. Während das innere Rund ihn abschirmt, drängen die nachfolgenden Glockenträger von außen heftig nach, wobei sie der Mitte den Rücken zuwenden. Der Geräuschkulisse wird durch die rituellen Tanzbewegungen immer stärker, selbst der Untergrund scheint zu vibrieren. Schließlich ertönt eine Trillerpfeife und der lärmende Spuk findet ein Ende. Erleichtert nehmen die Zvončari nach der schweißtreibenden Angelegenheit ihre schweren Masken wieder ab und wenden sich der körperlichen Stärkung zu. In den Häusern des Dorfes haben fleißige Helfer mit viel Liebe wunderbare Büffets mit traditionellen Gerichten vorbereitet, von denen man sich nun nach Lust und Laune bedient. Dazu zählen Erbsensuppe, grobe Würste und Sauerkraut, Kartoffeln oder Kasseler, Wein wird gereicht, der berühmte Presnac-Kuchen, zubereitet u.a. aus Zimt, Gries, Äpfeln und Milch, sowie himmlische, frittierte Krapfen, die Fritole.
So geht es denn ausgeruht und gestärkt weiter ins nächste Dorf. Gut und gerne 40 Kilometer anstrengenden Marsches kommen da täglich zusammen. Vor allem im Bergdorf Kastav gleicht das Eintreffen der etwa 120 Glockenträger dem Einmarsch von Gladiatoren. Am Abend des Faschingsdienstags wird die Rückkehr der Zvončari nach Viškovo zu einem fulminanten, infernalischen Fest. In dem Moment, in welchem ihr Tanz seinen Höhepunkt erreicht, verwandeln bengalische Feuer das Szenario in ein rotes, mystisches Farbspektakel, das dem Pust letztlich den feurigen Garaus bereitet. Vom Sündenbock bleibt nur ein Häuflein Asche, die Dämonen sind vertrieben, der Frühling kann kommen.
Ohne die Glockenträger wäre der farbenprächtige Karneval von Rijeka wohl lange nicht so populär, wie er es heute ist. Schaulustige aus aller Welt folgen seit 1982 dem endlosen, bunten Zug am Karnevalssonntag mit zahlreichen ausgelassen feiernden und liebevoll wie einfallsreich kostümierten Gruppen, die sich immer wieder mit den Zvončari, den regionalen Glockenträgergruppen, abwechseln. Schon mittags setzt sich der Zug in Bewegung, der sich von der Hafenpromenade gemächlich durch die Stadt schlängelt und vor dem Rathaus endet. Der Bürgermeister übergibt zu Anfang der tollen Tage, der fünften Jahreszeit für Rijeka, symbolisch den Schlüssel der Stadt an den Faschingsbürgermeister, den Maestro Meštar Toni. Gemeinsam mit ihm und der Karnevalskönigin führt er den großen Umzug an und stellt an verschiedenen Stationen auf dem Zugweg die einzelnen Gruppen, üblicherweise sind gut 110 beteiligt, für das Publikum vor. Lange nach Einbruch der Dunkelheit beenden die Halubajski Zvončari als traditioneller Schlusspunkt des Umzugs die tolle Show, während in den umliegenden Lokalen Rijekas noch lange und ausgelassen gefeiert und der Pust Rijekas am Hafen würdevoll in Flammen aufgeht.
Information:
Auf den Spuren der Glockenträger in Rijeka
Kroatische Zentrale für Tourismus, Stephanstrasse 13, 60313 Frankfurt/Main, Tel. 069/238 5350, www.croatia.hr/de-DE
Tourismusverband Kvarner HR, N.Tesle 2, 51410 Opatija, Tel. +385 (0)51 / 272 988, www.kvarner.hr
Tourismusverband der Stadt Rijeka – Tourismusbüro, Užarska 14, 51000 Rijeka, Tel. +385 51 315 710
Karneval von Rijeka, www.rijecki-karneval.hr
Halubajski Zvončari, www.halubajski-zvoncari.com
Regionale Tourismusverbände:
Kastav, www.kastav-touristinfo.hr
Matulji, www.tzmatulji.hr
Viškovo, www.tz-viskovo.hr
Termine:
Der Karnevalssaison 2020 in der Kulturhauptstadt 2020 Rijeka beginnt am 15. Januar und endet am 26. Februar. Bis zum großen Umzug am Karnevalssonntag (23.2.) finden zahlreiche weitere Veranstaltungen, wie Maskenbälle, Theateraufführungen und Konzerte statt.
Die Gemeinde Viškovo einen Wanderpfad ausgearbeitet, der den Spuren der Glockenträger folgt. Es sind drei verschiedene Strecken, die die Glockenträger an den drei tollen Tagen von Sonntag bis Dienstag von morgens früh bis in die Abenddämmerung hinein absolvieren und denen man nun auch folgen kann, wenn gerade nicht Karneval ist. Infotafeln mit QR-Code informieren in den Dörfern und an wichtigen Punkten der Strecke über die Zvončari, ihre Geschichte, Kostüme und allerlei wissenswerte Hintergründe. Ein in den Touristenbüros erhältliches Faltblatt zeigt auf einer Karte die jeweilige Routenführung.
Anreise:
Auf den Spuren der Glockenträger in Rijeka
Die schnellste Anreise in den Norden Kroatiens erfolgt während des ganzen Jahres mit Eurowings von Düsseldorf mehrmals in der Woche direkt nach Rijeka (www.eurowings.com), Croatia Airlines fliegt die Route von München aus. Der Flughafen ist 30 km von der Stadtmitte entfernt und liegt auf der Insel Krk. Lufthansa/Austrian Airlines/StarAlliance fliegt von vielen deutschen Städten nach Zagreb, von hier aus sind es etwa zwei Stunden Fahrt bis Rijeka (www.lufthansa.com).
Mietwagen:
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Alle großen internationalen Anbieter sind mit Büros am Flughafen Zagreb vertreten, günstiger lokaler Anbieter ist UniRent (www.uni-rent.net).
ÖPNV: Ein Bus-Shuttle verbindet den Flughafen mit den größeren Orten der Region.
Unterkunft:
Komfortabel und zentral gelegen ist das Grand Hotel Bonavia, das auch über ein ausgezeichnetes Restaurant verfügt. Preise für das Doppelzimmer ab EUR 124. www.bonavia.hr
Essen und Trinken:
Nettes Fischlokal direkt am Fischmarkt ist die Konoba Fiume, Ul. Vatroslava Lisinskog 12, 51000 Rijeka, www.facebook.com/pages/Konoba-Fiume/1463348327096429.
Tolle Atmosphäre in den rustikalen Räumlichkeiten der Taverne Konoba Maretina in Viškovo, täglich frische Fischgerichte zu moderaten Preisen, www.maretina.com
In Kroatien bezahlt man übrigens mit der Kuna, 1 HRK entspricht ca. 0,13 EUR bzw. 1 EUR gleich 7,43 HRK (Stand Januar 2019).
Aktivitäten:
Unbedingt empfehlenswert ist ein Ausflug an die »österreichische Riviera« in den ehemaligen k+k-Kurort Opatija mit seiner beeindruckenden Bäderarchitektur und der gut 12 km langen Uferpromenade Lungomare.
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