Sie haben der Kultur eine Kathedrale gebaut. Einen gewaltigen Bau voll Klarheit, Liebe, Ruhe und Schönheit. Alle haben in ihm Platz, alle die ihn betreten wollen. Er hat zwei zum Himmel ragende Türme, einen in Halle, einen in Leipzig. Der in Halle sind die Händel-Festspiele, die am vergangenen Sonntagabend zuende gegangen sind. Der andere sind die Bachfestspiele in Leipzig, die am 23. Juni mit dem Abschlusskonzert in der Thomaskirche ihren Abschluss finden werden.
Bild oben: Auto Auto, wenn Bach crazy drives
Unter dem Dach der Kathedrale waren in Halle, Bad Lauchstädt und Bernburg mehr als 110 Veranstaltungen Händel, seinen Epigonen und Verehrern gewidmet. In Leipzig zählt man an die 160 Veranstaltungen für Johann Sebastian.
Und es ist so viel Platz, dass man die vielen kleineren Veranstaltungen getrost hinzunehmen kann, die in ihrem Schatten der Kultur, der Kunst und dem Geist huldigen, die den Sommer ausmachen, der nicht nur aus dem Besuch von Schwimmbädern besteht. In der Deutschen Nationalbibliothek, im Grassi-Museum, im Bauhaus-Museum, in den Kabaretts, in vielen anderen Museen, den Kunstsammlungen. Nicht zu zählen sind die Programme und Veranstaltungen, die Künstler und ihre Helfer. Und Händel und Bach, die Altmeister, begleiten das Geschehen durch die nächsten Wochen und Monate, so gibt es Bachwochen auch in Thüringen.
Und alle haben in der Kathedrale Platz. Traditionell am letzten Wochenende strömten tausende Besucher in die Galgenbergschlucht in Halle. In den mit 3400 Besuchern ausverkauften „Bridges to Classics“ erlebten sie den faszinierenden Brückenschlag zwischen klassisch-barocker und moderner Rock-Musik. Stargast war der ehemalige Deep-Purple-Sänger Joe Lynn Turner. Die musikalische Leitung hatte erneut Bernd Ruf. Er begrüßte seine Gemeinde, die jedes Jahr wieder kommt, fragte nach Einheimischen und nach Gästen, es teilte sich etwa hälftig. Eine Gemeinde, welche die Kultur liebt, eine einzige, friedliche Gemeinde auch die insgesamt 58000 Gäste, die in der Geburtsstadt von Georg Friedrich Händel gezählt wurden.
Natürlich kommt nicht jeder. Wer dem am Kfz-Schild erkennbar nicht ortskundigen Besucher das Befahren der rechten Spur, die allein nach Leipzig führt, aggressiv versperrt, der wird nicht mit ihm gemeinsam im Rausche des Musik schwelgen und mit bangem Blick in den Himmel hoffen, dass das Wetter hält. Denn das Dach der Kathedrale ist spirituell. Es hielt. Ebenso wenig ist damit zu rechnen, dass es durch Bemalung, Haarlosigkeit oder Körperfülle Auffällige zu Händel und Bach zieht. Aber auch sie könnten Platz finden, wenn sie wollten.
In der Thomaskirche gab es am Sonntag ein Konzert „Leipziger Disputation“. Disputiert, gestritten, wurde über Papst, und Luther, Reformation und katholische Kirche. Und die Disputanten waren unter uns, bewegten sich und sangen zwischen den Bänken der Kirche. Barockmusik mit deutschen und lateinischen Texten, so aktuell und zugleich so schön. Singen statt Brüllen, das wäre es doch. Dann könnte man aus seiner Wut und seiner Aggression etwas machen, das auch andere freut.
Wie es Christian von Richthofen mit seinem Programm AutoAuto-Bach driving crazy vorführte, der auf dem Leipziger Markt einen Fiat kunstvoll verschrottete, und die deutsche Autopolitik gleich mit. Denn Kunst ist zutiefst politisch, sie ist kein Rückzugs- und kein Aufbewahrungsraum für Grauköpfe, jedenfalls nicht nur und nicht einmal in erster Linie.
Diese Kathedrale ist nämlich zugleich ein Ort der Verehrung des Schönen und eine Bastion des Guten, die Besucher sind demütige Diener und mutige Soldaten zugleich.