Reiseimpressionen aus Marokko
Von Norbert Linz ///
Bild oben: Golden leuchtet die Sandwüste Erg Chebbi in der Abendsonne
© für Text und alle Fotos: Norbert Linz
In der Altstadt von Fes kennt fast jeder Jalil El Hayar. Mit einem beschwingten „Salam Aleikum“ bahnt sich der gläubige Moslem in seiner braunen Kapuzen-Dschellaba einen Weg durch das Gassen-Labyrinth der Medina. Fast täglich hat der akzentfrei Deutsch sprechende pensionierte Lehrer Touristen im Schlepptau.
Fes – Leben im Gassenlabyrinth der Souks
Von den vier marokkanischen Königsstädten – alle gehören sie zum UNESCO-Welterbe – ist Fes die älteste, besonders reich an Baudenkmälern. Die meisten Kunsthandwerker arbeiten hier, auch die Familie Guernani. Sie führt seit Generationen die bekannteste Ziselierwerkstatt der Stadt.
Durch das Wirrwarr der Souks weist Jalil den Weg dorthin. Mit Hammer, Meißel und Stichel werden hier kunstvolle Muster in Messingteller eingraviert. An den Wänden funkeln die polierten Unikate. Ein Foto zeigt: Auch Hillary Clinton war da. Familienmitglied Mohammed versichert: Für einen großen Zierteller brauche man sechs Tage zehn Stunden lang. So verwundert der Preis nicht: bis zu 500 €.
Wieder auf der dunklen Gasse kommt von hinten der energische Ruf „Balak! Balak!“ – „Vorsicht, Vorsicht!“. Rumpelnd rollt ein Eselskarren durch die Menge, voll beladen mit Fellen.
In den Souks herrscht eine farbenprächtige, chaotische Welt: wild gestikulierende Händler, von Waren überquellende Läden, nervös gackernde Hühner, Düfte von Koriander und Safran, Eßstände mit lauwarmem Auberginen-Zaalouk oder Blätterteig-Pastilla mit Taubenfleisch.
Nahe dem Souk der Schreiner, die an silberverzierten Hochzeitssänften werkeln, steuert Jalil eine Handweberei an. In einem ehemaligen kleinen Stall hat Jena Mohammed zwei traditionelle Handwebstühle stehen. Zwischen den Regalen mit leuchtenden Stoffen erzählt er: Wie schon der Urgroßvater webe auch er täglich über 12 Stunden. Finanziell sei es knapp – mit sechs Kindern! Allein für den Raum zahle er monatlich etwa 750 € Miete.
Als Nächstes führt Jalil auf eine Dachterrasse im Gerberviertel. Der Blick fällt auf ein Gelände mit zahlreichen farbigen Lehmbottichen. Minzbüschel sind gefragt – des penetranten Geruchs wegen! Nach archaischen Methoden werden enthaarte Häute mit Kalk und Taubenkot gewässert, von den Arbeitern mit nackten Füßen weich getreten, in weiteren Behältern gefärbt. Rundum an den Hauswänden trocknet das Leder in der Sonne. Zahlreiche Gerberfamilien arbeiten hier in einer gut verdienenden Kooperative. Manche schon in der 10. Generation, fügt Jalil bewundernd hinzu.
Sonnenuntergang in den Dünen
Von Fes schraubt sich der Bus hinauf in den Mittleren Atlas mit seinen dunklen Zedernwäldern. Weiter über den Hohen Atlas, dann hinab ins saftig grüne Tafilalet, das größte Oasengebiet Marokkos. Am östlichen Rand liegt der Erg Chebbi, ein riesiges Sandwüstengebiet mit bis zu 150 Meter hohen Dünen. Ein Ausflug in die Stille der Sahara-Wüste gehört zu den Highlights einer Marokko-Reise, besonders auf dem Rücken eines Kamels.
Sidi Hamid ist ein Berber vom Stamm der Ait-Khabasch. Schon seit 17 Jahren ist er „Meister der Kamele“, berichtet er. Einige Familien haben ihm ihre Tiere anvertraut, um Reitangebote zu organisieren. Am frühen Abend stellt Sidi mit seinen Treibern eine Karawane zusammen, mit gut einem Dutzend Kamelen. Treiber Omar hilft beim Aufsteigen. Langsam setzt sich der Zug in Bewegung. Helfer Ibrahim zieht das Leitkamel ein ansteigendes Dünental entlang. Und in weiten Schleifen immer höher, vorbei an eleganten Sicheldünen mit scharfen Kämmen. Nirgends Palmen, nur einzelne Grasbüschel. Die Oase im Dunst verschwindet hinter einem Sandrücken.
In einer Mulde gibt Omar das Kommando zum Absteigen. Die steile Leeseite der Riesendüne muss jeder zu Fuß bewältigen. Es ist mühsam – der weiche Sand rutscht immer wieder zurück. Die Sonne steht schon tief, die Dünenschatten werden länger. Der Grat ist erreicht. In der Ferne zieht noch eine Karawane. Im Farbenspiel des Sonnenuntergangs changieren die Dünenketten von Bernsteinfarben hin zu Zinnoberrot. Keiner spricht. Langsam versinkt die Sonnenscheibe hinter einer Düne. Es wird kühl und schnell dunkel. Alle laufen bergab zu den Kamelen. Gelassen haben sie gewartet. Unter einem prächtig klaren Sternenhimmel finden die Tiere zurück in die Oase.
Die Lehmburgen in den Oasen südlich des Hohen Atlas
Weiter geht es am südlichen Rand des Hohen Atlas entlang zu den imposanten Flussschluchten von Todra und Dadès. Ein Höhepunkt ist die „Straße der Kasbahs“. Diese quadratischen Wohnburgen sind der Blickfang in vielen Oasen, die sich perlenartig zwischen den Geröllwüsten aufreihen.
Meterdick die erdfarbenen Mauern, aus Stampflehm und Stroh, mit Zinnen und Schmuckornamenten. Bedingt durch die Witterung sind die fragilen Gebäude dem Untergang geweiht.
Gebremst ist der Verfall in einem der schönsten Wehrdörfer der Berber: Ait Benhaddou. Seit der über 400 Jahre alte Ortskern zum Weltkulturerbe gehört, gibt es Gelder zur Restaurierung der zahlreichen Kasbahs. Malerisch die labyrinthartig ineinander verschachtelten Wohnburgen mit ihren markanten Ecktürmen, die sich vom fast trockenen Flussbett des Asif Mellah den Berghang hinaufziehen.
Der pfiffige Abdou, genannt der Schakal, führt seit Jahrzehnten durch die traditionelle Lehmbau-Architektur. Stolz verkündet er: Über zwanzig Hollywood-Filme wurden schon in dieser Kulisse gedreht.
Marrakesch – zauberhafter Orient
Über den Atlas-Pass Tizin-Tichka erreicht der Bus nach 200 Kilometern Marrakesch. Von Weitem sieht man hinter der gewaltigen Stadtmauer das Wahrzeichen: das alles überragende elegante Minarett der Koutoubia-Moschee – über 600 Jahre alt.
Die Stadt mit ihren märchenhaften Palästen, andalusischen Gärten und exotischen Basaren sowie den gastfreundlichen Marrakchis erscheint wie ein orientalischer Traum. Der zentrale Anziehungspunkt bleibt der sagenumwobene Gauklerplatz Djemaa el-Fna.
Der weite Platz, gesäumt von Terrassencafés, wirkt mittags noch ganz unaufgeregt: zahlreiche Orangensaft- und Gewürzstände, einige Schuhputzer, viele Henna-Tätowiererinnen.
Zu hören sind bimmelnde Wasserverkäufer und monoton flötende Schlangenbeschwörer.
Akustisch bedrängt von den Fasstrommeln der leuchtend rot gewandeten Gnaou-Musiker.
Vor Sonnenuntergang setzt dann das große Spektakel ein, wenn viele Einheimische auf den Platz strömen. Über den mobilen Grillständen mit ihren Lichterketten steigen würzige Rauchwolken auf,
Wunderdoktoren und Zahnzieher halten nach Patienten Ausschau, Geschichtenerzähler versammeln ihre Fans, Akrobaten und Feuerschlucker ziehen ihre Show ab. Erinnerungen an die Märchen von 1001 Nacht werden wach, wenn sich der Gauklerplatz jeden Abend neu inszeniert.
Infos:
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