Städte können für Epochen stehen wie Rom für das Römische Reich, Potsdam für oder Aachen für Karl den Großen und sein Reich. Magdeburg steht für ein Reich, das ebenso interessant ist wie das der Karolinger. Denn es blickt nicht zurück auf die Römer wie dieses, sondern nach vorne, in das ungewisse und unruhige Mittelalter. Die Rede ist von Otto I, den sie auch den Großen nennen. Aber während jeder halbwegs Gebildete eine halbwegs fundierte Vorstellung von Karl dem Großen hat, sind Otto und seine Frau Editha Unbekannte in einer unbekannten Welt. Ja, wenn man das Spiel spielen würde: Platziere eine der Großstädte auf einer Deutschlandkarte, und wer dies mit der geringsten Abweichung vom wirklichen Standort schafft, ist der Gewinner; wer Magdeburg irgendwo im Ungefähren zwischen Hamburg und Berlin, Leipzig und Hannover verorten wollte, wäre vermutlich der Verlierer.
Die Hauptstadt des Bundeslandes Sachsen-Anhalt, zusammen mit Halle, Stadt der Frühaufsteher, Otto Guerickes, des Entdecker des Vakuums, und seit dieser Saison Teilnehmer der 2. Fußball-Bundesliga, im Handball dagegen längst arriviert- sie hat dies nachhaltig jetzt geändert: mit einem Museum. Das soeben eröffnete Ottonianum auf dem Domplatz schafft Magdeburg den angemessenen Anker in der Geschichte und eröffnet zusammen mit der gegenüber liegenden Kathedrale St. Mauritius und Katharina die Basis, die Ottonen und ihre Zeit der Vergangenheit zu entreißen und ihnen einen angemessenen Platz in der deutschen Geschichte zuzuweisen. Denn mit Otto ist mehr zu verbinden als die Schlacht auf dem Lechfeld, und in kaum eine anderen Stadt in Deutschland kann man so intensiv auf die Spurensuche des frühen Mittelalters gehen wie in Magdeburg.
Dazu bedarf es jetzt nur eines Schritts in das ehemalige Gebäude der Reichsbank, seit dem 4. November 2018 ein einzigartige Tageslichtmuseum, das Ottonianum. Tristan Kobler, ein Zürcher Architekt, verwandelte die imposante Schalterhalle aus dem Jahre 1923 in ein modernes Museum mittelalterlicher Kunst- und Kulturgeschichte. Offene, lichtdurchflutete Ausstellungsräume beziehen den Magdeburger Dom in das Raumkonzept ein, die 650 Quadratmeter große Ausstellungsfläche folgt der Achse des gotischen Sakralbaus. Dazu in Wechselwirkung die beiden Schatzkammern, in denen prachtvolle, antike Goldbrokatstoffe und Beigaben aus den Erzbischofsgräbern effektvoll inszeniert werden. Es geht vor allem um drei Themenkomplexe des europäischen Mittelalters: Kaiser Otto der Große und die Königin Editha, das Erzbistum Magdeburg und drittens die archäologischen Forschungen in und am Dom. Das Ottonianum ist ein Kooperationsprojekt der Landeshauptstadt Magdeburg, des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt/Landesmuseum für Vorgeschichte und der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt.
Zu den wichtigsten Ausstellungsobjekten gehören die Funde der Dom- und Domplatzgrabungen, der Bleisarg der Königin Editha, mittelmeerische Stoffe aus ihrer Bestattung, Beigaben aus den Gräbern der Erzbischöfe Wichmann von Seeburg und Otto von Hessen. Neben dem Ottonianum nimmt das Kulturhistorische Museum die Aufgabe war, die Bedeutung des ersten Kaisers des Heiligen Römischen Reiches und seiner Stadt aufzuarbeiten. Dazu einen Beitrag leisten soll eine „große Sonderausstellung“ mit dem Thema „Die Urbanisierung Europas im Mittelalter und das Magdeburger Recht“ in Vorbereitung. Auf mehr als 1200 m² werden Exponate aus den Metropolen Europas zu sehen sein, viele davon zum ersten Mal in Deutschland.
Einen großen Wurf plant die Stadt für das Jahr 2025. Dann möchte Magdeburg mit dem Leitgedanken „Wie wollen wir miteinander leben und auf welcher Grundlage schaffen wir unsere Kultur?“ Kulturhauptstadt Europas werden. Schon heute findet zur Vorbereitung ein intensiver Gedankenaustausch zur der Frage “Verantwortung” – aber wofür?“ statt. Dabei geht es genauso um religiöse Weltanschauungen wie um humanistische Werte oder ein Bekenntnis zu Toleranz, Solidarität und einen friedlichen Umgang miteinander. Natürlich gibt es einige Mitbewerber um den Titel Europäische Kulturhauptstadt, aber die eingeleitete Debatte befruchtet schon heute positiv das Klima in der Stadt. Am Wallonerberg soll dies in einem ökumenischen Zentrum seinen Ausdruck finden. Da Kultur hat „immer mit Weltanschauung zu tun habe“, sei die Wertediskussion zentrales Thema in vielen Seminaren über Kultur und Philosophie“, betonte Prof. Dr. Eva Schürmann von der Otto-von-Guericke-Universität in einer Veranstaltung.
Wie die Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2025 für Magdeburg ausgehen wird, ist schwer zu sagen. Als gewiss kann gelten, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung jeder besser und genauer als heute wird sagen können, wo genau auf der deutschen und europäischen Landkarte Magdeburg zu verorten ist. Ein Tipp jetzt schon: Der Elberadweg führt in unmittelbarer Nähe des Doms vorbei.