Eine Reise nach Westkanada ist sicher ein unvergessliches Erlebnis. Für Erstbesucher bieten sich die bekannten Strecken zwischen Calgary und Vancouver an. Hier geht es auf Nebenstrecken zu den “Locals”, die spannende Geschichten zu erzählen haben.
Irgendetwas bewegt sich auf der Böschung vor dem Waldrand. Zwei kleine Schwarzbären grasen neben ihrer Mutter zwischen dem Straßenrand und angrenzenden Bäumen. Genüsslich suchen sie sich abgeblühte Löwenzahnhalme heraus. In den Stängeln ist eine für Bären süßlich schmeckende Milch, das gibt hervorragend Kalorien. Eines der beiden ist braun, das andere schwarz wie die Mutter. Diese kümmert sich nicht weiter um ihren Nachwuchs oder um Fotografen und ist eben auch nur hungrig. Solange wir genügend Abstand halten ist alles in Ordnung. Das Fell von Schwarzbären in Nordamerika kann von hellem Braun bis zu dunklem Schwarz variieren, je nach Region. Wir beobachten die Bärenfamilie fast eine halbe Stunde. Allmählich entfernen sie sich Richtung Waldrand. Für uns ein Zeichen weiter zu fahren. So verlockend es wäre, auszusteigen und sich den Kleinen zu nähern, die Bärenmutter würde dies nie tolerieren.
Zedern, Seen und Schluchten
Wir erreichen unser erstes Ziel: die Kleinstadt Hope im Tal des mächtigen Fraser River. Mitten im Ort liegt ein Park mit riesigen Zedern. An seinem Rand sind bunte Totempfähle aufgestellt. In Geschäften gibt es indianisches Kunsthandwerk und andere typisch kanadische Souvenirs. Letzte Nacht hatte es geregnet. An dicht bewaldeten Steilhängen ziehen Wolkenfetzen entlang. Auf dem breiten Strom schwimmen hin und wieder Treibholzstämme vorbei, die sich flussaufwärts vom Ufer gelöst hatten. Dann öffnet sich das Tal unweit des bekannten und fast 80 Kilometer langen Harrisson Lake. Wie an vielen Stellen zwischen den Rocky Mountains und Coast Mountains nutzt man auch hier heißes, mineralhaltiges Quellwasser für therapeutische Zwecke. So entstand an seinem Südufer ein beliebtes Resorthotel. Firmen aus dem Großraum Vancouver kommen gerne für ihre Veranstaltungen hierher, wie auch Touristen. Boote bieten ihre Dienste für Ausflüge über den fjordartigen See an, Antiquitätenläden, gemütliche Restaurants und Wanderwege entlang der Ufer zwischen riesigen Zedern sorgen für kurzweilige Urlaubstage.
Mit knapp 4000 m ist der Mount Robson höchster Berg der kanadischen Rockies
Kein Wunder, dass sich zwischen Hope und dem langgezogenen See nicht nur die allseits hier beliebten Golfplätze, sondern dazu auch für anspruchsvolle Gäste entsprechende Hotels etablieren konnten, denn die Millionenstadt Vancouver ist nur wenige Fahrtstunden entfernt. Die Region um Harrison ist ein beliebtes Naherholungsziel am Ostende des „Lower Main Land“, wie die breite Flußebene entlang des Fraser zwischen der Küste und Hope genannt wird. Das milde Klima und die regelmäßigen Niederschläge durch die Nähe des Pazifik ermöglichen eine fruchtbare Gartenlandschaft. Gemüsefelder und Obstkulturen reihen sich aneinander. Grundstücke werden knapper, da die Vororte Vancouvers sich immer weiter ins Tal hinein ausbreiten.
Auf den Spuren der Goldsucher
Es müssen wahrhaft mörderische Umstände gewesen sein, als Simon Fraser 1808 als erster erfolgreich den Fraser River flussaufwärts bezwang. Senkrechte Felswände entlang der Strudel, Wasserfälle, Grizzlybären und widrige Witterung konnten den Erfolg schließlich nicht verhindern. Teilweise mussten die Holzschiffe durch die Stromschnellen getreidelt werden, während sich die wagemutigen Eroberer an den Steilwänden entlang hangelten. Über die Anzahl der damit verbundenen tödlichen Unfälle ist nichts bekannt. Fünfzig Jahre später begannen Goldsucher dieser Route zu folgen. Jedoch wählten die meisten den Landweg, der auch eng, steil und beschwerlich war. So kamen bis etwa 1900 Hunderttausende meist mit Planwagen durch den Fraser Canyon, um dem Lockruf des Goldes nach Barkerville weiter im Norden zu folgen. Entlang der Strecke, die heute Teil des legendären Transcanada Highway ist, laden zahlreiche kleine Museen und alte Handelsstationen zum Verweilen. Dabei wurde die Entfernung zum „Eldorado“ Barkerville in runden Meilenzahlen angegeben, die schließlich zu Ortsnamen wurden: Hundred Mile House; Hundredfifty Mile House usw.
Echo Valley Guest Ranch – wo fast alle Straßen enden
Tief eingegraben hat sich der Fraser in das Hochplateau. Etwa 1000 Meter tief ist die Schlucht und meist sind die Hänge gelb wegen des Wassermangels. Dazwischen stechen dunkelgrüne, saftige Viehweiden heraus, begünstigt von künstlicher Bewässerung. Unser Guide Norm Dove schaltet die Geländeuntersetzung in seinem Pickup ein, denn es geht auf unbefestigter Straße steil bergab. Er ist zusammen mit seiner aus Thailand stammenden Frau Nan Inhaber der Echo Valley Guest Ranch oben in den Bergen. Heute Vormittag macht er mit uns eine Exkursion zu seinen Nachbarn. Allerdings sind diese fast eine Fahrtstunde entfernt, tief unten im Frasertal. Als der Truck sich nähert, öffnet sich die Tür eines bescheidenen Holzhauses. Es ist wie oft hier im Wilden Westen umgeben von einem Ersatzteillager für Farmfahrzeuge und allerlei sonstigem Hab und Gut.
Heraus kommt Roy, ein fast zahnloser, schlanker Mann im Western Outfit, Cowboystiefel, Jeans, kariertes Hemd, er ist Häuptling des ansässigen Indianerstammes und erzählt spannende Geschichten am laufenden Band. Sein Nachbar Tom bekam Führerscheinentzug für 64 Jahre, vier sind schon vorbei verbleiben noch 60. Bis dahin ist Tom 135 Jahre alt. Ob er dann nach der medizinischen Untersuchung nochmals den Führerschein bekommt bezweifelt Roy. Wenn die Hühner versuchen sollten seine Kartoffeln zu klauen landen sie im Brattopf. Außerdem hat er 7 Hühner und nur 5 Hähne, das geht wohl auch nicht gut! Dann erzählt Roy mit trockenem Humor von seinen Abenteuern als bekannter Rodeoreiter: zahlreich waren seine Knochenbrüche, im Hospital gab es kein Bier für ihn. Warum er immer wieder in den Sattel stieg? „It was fun“, sagt er schmunzelnd und spuckt Kautabak ins Gras. Steil geht es bergauf zurück zwischen blühenden Kakteen und langnadeligen Kiefern. Wir kommen gerade noch rechtzeitig vor einem Gewitter zurück auf die Echo Valley Guest Ranch. Nach dem Mittagessen klart es auf und wir machen uns bereit zum Ausritt auf verwunschenen Trails durch das mit Urwald bewachsene Gelände. Die sich anschließende Massage im traditionellen thailändischen Spa ist besonders wohltuend. Abends sitzen wir mit Gästen aus der Schweiz, Irland, den USA und aus Dänemark bei anregenden Gesprächen am Kaminfeuer.
Über Hundred Mile House gelangen wir nach Clearwater, dem „Einfallstor“ zum Wells Gray Provincial Park. Wasserfälle, Seen und Aussichtspunkte wechseln einander ab. Aufgrund der landschaftlichen Gegebenheiten konzentriert sich das menschliche Leben entlang des Flusstales. Schon seit einiger Zeit werden am Straßenrand River Safaris angekündigt. Tatsächlich kommt kurz darauf eine Abzweigung zu einer seeartigen Erweiterung des North Thompson River weit in die Berge hinein. Man wird auf einem schwimmenden Dock empfangen, von dem aus Motorboote in abgelegene Buchten fahren und sich dort nach Abschaltung des Motors treiben lassen, denn Bären sind sehr geräuschempfindlich.
Sie kommen an das Seeufer um zu fischen und fressen Schnecken und Frösche in der Nähe des Wassers. Wieder können wir hier einen Schwarzbär bei wählerischer Futtersuche beobachten. Er hebt und räumt mit Leichtigkeit Holzbrocken und Steine zur Seite, denn seine gute Nase hat ihm Nahrung verraten.
Bergseen, heiße Quellen und viel Sonne
Nur ein bis zwei Stunden dauert die Uferwanderung um den Emerald Lake im Yoho National Park. Die nach ihm benannte Lodge bringt etwas Leben in dieses Naturparadies am Ende eines verwunschenen Tales. Kanus und Kajaks werden ausgeliehen, Motorboote sind verboten, Autos der Gäste parken einige Kilometer entfernt. Ein Shuttlebus holt uns ab. Entlang der Ufer blühen Frauenschuh und wilde Lilien, die Berge spiegeln sich im glasklaren Wasser und nur aus der Ferne ist das Rauschen eines Wasserfalles zu hören. Hier ist das Klischee perfekt. Die oberflächliche Ruhe trügt, denn unter der Küstenkordilliere gärt es. Wie bei Harrisson und andernorts gibt es auch entlang der Rocky Mountains heiße Quellen. Einige sind gefasst und benachbarte Hotels ermöglichen Wellnessaufenthalte. Gerade im Winter ist es beliebt inmitten dick beschneiter Umgebung im dampfenden Wasser zu liegen. In den Rockies erfreuen sich vor allem die Orte Radium Hot Springs und Fairmont Hot Springs vieler Besucher. Entlang der unter dem Namen „Mountains and Vinyards“ bekannten Streckenführung reisen wir schließlich im großen Bogen über die Kootenays bei Nelson zurück Richtung Vancouver. Durch fruchtbares Farmland gelangen wir wieder weiter im Westen zurück in die Trockenzone. Kurz vor dem indianisch klingenden Osoyoos führt die Passstraße fast 1000 m hinab ins südliche Okanagantal. Nur aufgrund künstlicher Bewässerung gedeihen hier zahlreiche Obstsorten und vor allem Wein. Der Blick ins Tal erinnert eher an eine Landschaft in Südeuropa. In den vielen Seen wird Wassersport betrieben, am Straßenrand Obst verkauft und allerorten zu Weinproben eingeladen. Fast ein Stück Südeuropa im Westen Kanadas.
Informationen:
verschiedene Fluglinien bieten Nonstopp Flüge von Deutschland nach Vancouver. Reiseinformationen über Westkanada finden sich unter
www.hellobc.de
in besonderer Lage liegt auf einer Hochebene die Echo Valley Guest Ranch und Spa
www.evranch.com
Reiseangebote: CRD International hat sich auf Kanadareisen spezialisiert und bietet von Flügen über Mietwagen bis zu Unterkünften alles Notwendige; gerade in Britisch Kolumbia gibt es hier zahlreiche Lodges und Ranches; alles zu finden unter www.crd.de;
Reiseliteratur: im Kunth Verlag ist ein spektakulärer Bildband erschienen „Into the Wild – Nationalparks in Kanada und den USA“ mit praktischen Reiseinformationen, für € 39,95
https://www.kunth-verlag.de/into-the-wild-nationalparks-in-kanada-und-den-usa
Text: Monika Hamberger, Fotos: Rainer Hamberger