Foto ganz oben: Bergwelt über Schwaz
Text und Fotos © Marion Vorbeck
Auf und um den Pillberg herum kann man was erleben: traumhafte Ausblicke, Fahrten mit der Dampflok, Kunst allerorten, Entspannung und Gaumenfreuden.
Ein Hoch auf die Lebensart auf dem Berg! Und weil hier während unserer Reise auf den Pillberg hoch über den Tiroler Ort Schwaz so manches ein wenig anders kommt als erwartet, bietet sich sogleich das passende außergewöhnliche Getränk an: ein Enzo Sprizz, biologischer Enziansirup mit Soda, und für den, der es noch ein wenig beschwingter mag, als Enzo Ferrari unter Zugabe von Gin. Die herbe Köstlichkeit wäre in unserem zwei Zugstunden entfernten Münchener Wohnort wahrscheinlich bald ein Renner zur gepflegten Happy Hour, hier im auf 1300 Meter Höhe gelegenen Hotel Grafenast wird das Gemisch gerade mal so nebenbei von unserer wohlmeinenden Bedienung erwähnt. Die Komposition schmeckt umso besser, als sich von der Terrasse aus ein grandioser Weitblick auf die Thuxer Alpen, das Karwendelgebirge und ins Tal bis hinein nach Wattens eröffnet.
Überhaupt herrscht hier in der Gegend wohltuendes Understatement vor, was die Lebensart betrifft, auch wenn man durchaus ein wenig vollmundiger tönen könnte. So hat sich vor Jahren Hotelier Hansjörg Unterlechner mit dem Tourismusverband der Silberregion Karwendel zusammengetan und einen Kunstwanderweg angelegt. Über zwanzig Stationen zählt der, eine erbauliche zweistündige Wanderung über angeblich 6220 Schritte, vorbei an einem Meditationslabyrinth, an einem Wasserschwall, der eine Skulptur erfrischt, oder Klangeisen, die die sechs verschiedenen Chakren berühren sollen. So harmonisch fügen sich die Arbeiten heimischer Künstler in die Natur ein, dass nicht jedes Kunstwerk gleich ins Auge fällt. Erwachsene wie Kinder haben daher gleichermaßen Spaß daran, sich auf dem Höhenweg über Blumenwiesen mit Sumpfdotterblumen, Disteln oder Schafgarbe und Waldwegen auf Entdeckungstour zu begeben. Unterwegs: ein Meer von Blaubeerpflanzen über dem Waldboden; offenbar gedeihen die wohlschmeckenden Bodendecker auf dem Urgesteinsboden besonders gut. Ein Einstieg in den Weg der Sinne ist direkt am Naturhotel Grafenast, das von der Familie Unterlechner geführt wird – inzwischen in vierter Generation von Sohn Peter. Ursprünglich um einiges kleiner, war das Haus einst eine Rodelhütte und wurde im Laufe der Jahrzehnte nach und nach erweitert. Die Hoteliersfamilie zählte schon damals so erfindungsreiche wie tatkräftige Mitglieder: So war der Urgroßvater Toni ein Technikfreak und hat schon 1925 mit eigenem Sägewerk Strom erzeugt, ließ sich einen Fernsprecher auf den Berg legen und wollte partout auch da oben begraben werden. Wo ein Wille ist, findet sich meist auch ein Weg: Um dafür die Erlaubnis zu erhalten, hat er kurzerhand eine Kapelle auf dem Grundstück bauen und sie als Kirche weihen lassen – die Voraussetzung für einen Friedhof war geschaffen.
Unten in Schwaz hat Feingeist Hansjörg Unterlechner eine ehemalige Spenglerei zu einer Galerie mit zeitgenössischer Kunst aufleben lassen. Hier gibt es immer wieder Spannendes wie Hochkarätiges zu sehen, Daniel Spoerri hat er schon gezeigt oder Arbeiten von Alfred Hrdlicka, Arnulf Rainer. Draußen stehen verwitterte Metallskulpturen von Venedig-Biennale-Teilnehmer Alois Schild, drinnen sind gerade unter dem Titel „Mut-willig – Der aufrechte Gang“ die Arbeiten des Kunstkollektivs Wildwuchs arrangiert, eine abwechslungsreiche Schau zum Thema „Haltung zeigen“ von der Camera-Obscura-Fotografie naturhistorischer Objekte und Objekten aus fein poliertem Labradorstein, kombiniert mit Metallbehältnissen bis hin zu Pseudo-Sushi. Der Clou ist die kleine Bar; sie ließ der Galerist von einem ansässigen Multitalent auskleiden: Güni Noggler ist Aphoristiker („Für meine innere Einkehr hat mir noch immer ein Wirtshaus genügt“), Maler, Schreiber, Philosoph und Kunstlehrer. Die Kopien eines seiner eng beschriebenen Manuskripte kleiden nun den Barraum vom Boden bis zur Decke aus – ein wahrlich anregender Rahmen zum geistigen, manchmal hochprozentigen Austausch und zum Sinnieren. Mit dem Künstler gestaltet Unterlechner auch die kommende Schau: „Animalismus“ war das Stichwort, vom dem sich Schüler von Noggler zu Wandmalereien inspirieren ließen.
Glitzer-Kunst in Wattens
Einige Kilometer weiter lohnt ein weithin bekanntes Spektakel einen Besuch. In Wattens zeugen zahlreiche Reisebusse von der Kommunikationskraft eines Konzerns, der mit geschliffenen Kristallen die Mode- und Designwelt aufpoliert: Im Kristallmuseum Wattens hat Universalkünstler André Heller im Auftrag von Swarovski ein ganzes Universum aus Glitzer und Imagination choreografiert. Hier gibt es etwa den mit 26 Kilogramm schwersten Kristall der Welt zu bestaunen, wandert man durch den Kristallwald des italienischen Videokünstlers Fabrizio Plessi oder bestaunt an riesenhafte Quallen erinnernde Leuchtwesen oder wird in „55 Million Crystals“ von Kompositionen Brian Enos betört. Und nicht zuletzt an den Einsatz durch berühmte Couturiers wie Karl Lagerfeld wird in einer eigenen Abteilung erinnert, während der Besucher durch die dunklen Labyrinth wandert. Im Freien dann wirkt eine Installation geradezu grazil: Über einem Teich des Gartens schwebt eine riesige, über und über glitzernde Wolke aus über 600.000 Kristallen, die von sphärischen Klängen getragen zu werden scheinen. Ein betörender Abschluss des Besuchs bei jedem Wetter, den so mancher als Highlight der Schau empfindet.
Mit der Nostalgie-Bahn durchs Tiroler Land
Nach dieser Glamour der Glitzerwelt tut ein „Downgrade“ gut – mit einem Ausflug in Altbewährtem: Rund 125 Dienstjahre hat die Achenseebahn schon hinter sich – und ist seit jeher eine Attraktion bei Urlaubern und Eisenbahnfans. Los geht es am Bahnhof Jenbach, wo ein eigenes Gleis für den historischen rot-schwarz lackierten Zug reserviert ist. Gemächlich zieht die Dampflokomotive die Waggons – eine der ältesten weltweit, die noch im Einsatz sind. Und schnauft auch heute noch die 16 Prozent Anstieg zum 930 Meter gelegenen Achensee hoch. Eine gute Dreiviertelstunde fährt man durch die idyllische Bergwelt bis zur Schifflandebrücke in Seespitz am Achensee. Wer mag, kann dort von der Schiene zum Wasser wechseln und den Tag mit einer Rundfahrt auf dem See abrunden.
Kunst im Hotel
Zurück auf dem Berg, im Hotel Grafenast, fällt uns auf: Auch hier fügt sich kreatives Schaffen dezent ins Haus ein – wechselnde Ausstellungen sind ins gemütliche Lesezimmer, ins Foyer und ins Stiegenhaus integriert. Bis November ist dies Bodo W. Klös, ein Kreativer, dem es der Rabe in seinen verschiedensten menschlichen Daseinsformen angetan hat. Für den Winter 2017/2018 ist bereits die nächste Schau geplant, eine Gips-Wand-Ausstellung der Schauspielerin Isabella Hübner-Wiedl. „Die Kunst ist die eine Säule, auf die wir setzen“, erklärt Peter Unterlechner das Erfolgsprinzip seines Hauses, das er nur allzu gerne vom Vater übernommen hat. Nie drängt sie sich in den Vordergrund und lässt so dem Natur- und Gesundheitsgedanken noch genügend Raum, der hier mit der Umstellung auf Biokost bereits Mitte der 80er Jahre Einzug hielt. Der Chef, selbst gelernter Koch, achtet streng darauf, dass alle Zutaten ökologisch sind, und wer einen Kochkurs bei ihm mitmacht, kann sich davon überzeugen: Vom Chia-Samen über die Datteln bis hin zur Süße für einen Pudding, den Eiern und der Milch im Palatschinken – alles bio. Wer will, und das sind rund die Hälfte der Gäste, kommt hier bestens versorgt vegan oder vegetarisch durch den Tag – aber auch Hirsch oder Kotelett aus der Region stehen auf dem Menüplan.
Regional und naturgut genießen
Hier in der Region ist man erfindungsreich und hat wahrscheinlich längst schon genetzwerkt, bevor das Wort in Mode kam. So hat sich der mobile medizinische Masseur Ronni Knebel gemeinsam mit seinem Kumpel, dem Tontechniker Dieter Kurz, im Nebenerwerb Hochprozentigem verschrieben: Ein Stück den Pillberg hinab, rund 300 Meter Luftlinie vom Grafenast entfernt, hat er rund 1,4 Hektar Land mit dem zugehörigen Brennrecht gepachtet und erzeugt hier Fruchtweine, -brände und –liköre. Dabei kooperiert er mit der Höheren Bundeslehranstalt und Bundesamt für Wein- und Obstbau Klosterneuburg, einem österreichischen Lehr- und Forschungszentrum und hat seinen Obstgarten als Versuchsgarten angelegt. Wilde Hagebutte, Paprika, Walnuss, Fichtenwipfel, Holunder, Apfel, Birnen, Pflaumen, Vogelbeeren, aus all diesen Naturprodukten weiß er Hochprozentiges zu machen, für seinen Likör verwendet er nur Honig und Naturzucker. Die Wildheidelbeere, die hier Moosbeere genannt wird, ist das Premiumprodukt des Fruchtweinwinzers. Von diesem Erzeugnis wiederum füllt er für den Hotelbetrieb eine kleine Menge Wein mit eigenem „Grafenast“-Label ab – und verwöhnt so die Hotelgäste inwendig und mit Wohlbefinden. Aber auch mit handgreiflicher Wohltat – denn als Masseur kommt Ronni auf Abruf ebenfalls ins Hotel.
Gemütliche Stuben, uraltes Holz, behutsam renoviert – hier kommen die Sinne zur Ruhe, öffnet sich der Geist, was auch zahlreiche Anbieter von Workshops und Kursen von Meditation und Achtsamkeit über Bildhauern und Malen bis hin zum Fasten schätzen. Letzteres wäre unsereins dann hier schon wieder fast zu schade bei der bodenständigen Stärkungen aus der Küche. Über seine Bestellungen von der täglich wechselnden Menükarte hinaus kann der Gast sein Wohlbefinden noch weiter steigern – etwa in der zweistöckigen Holzturmsauna, die alleine schon das Auge erfreut und vor allem: guten Schlaf. Dafür sind die Betten zahlreicher Zimmer mit speziellen Matratzen aus Latex und Schafwolle ausgestattet – alles selbstredend auch aus Biomaterial bis hin zum Dinkelkissen für Zwei. Das scheint so gut zu wirken, dass es der Superseller im kleinen Hotelladen ist – was wiederum den Bergfrische-Effekt Daheim noch länger nachwirken lässt.
Infos
Hinkommen mit öffentlichen Verkehrsmitteln: Mit der Bahn bis über Kufstein nach Jenbach; von dort weiter nach Schwaz, Wattens (Kristallwelten) oder Berghotel mit dem Regiobus oder Taxi.
Adressen:
www.fremdenverkehrsamt.com/touristeninformation/reiseziel/tirol
www.swarovski.com/kristallwelten