Unterwegs auf Studienreise in Uttar Pradesh und Rajasthan
Es ist noch dunkel, 5 Uhr 30. Doch Varanasi, das frühere Benares, ist schon hellwach. Verkäufer schreien, Hunde bellen, Baumaschinen rattern. Wendig umfährt die Autorikscha dauerhupend in rasanter Fahrt klapprige Fahrräder, Lasten schleppende Frauen, wiederkäuende Kühe. Es geht zum Ganges.
Das letzte Stück geht es zu Fuß durch enge Gassen, an Scharen von Bettlern vorbei, zu den Ghats. Jenen Stiegen, die von den Palästen und Tempeln hinabführen zum heiligen Fluss. Über achtzig davon gibt es hier. Am bekannten Dasashwamedh Ghat herrscht bereits Gedränge auf den noch im Halbdunkel liegenden Steinstufen. Wenn sich im Osten die Sonne andeutet, beginnen die Gläubigen im Morgendunst ihre rituellen Waschungen, um sich von den Sünden zu reinigen.
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Text und alle Fotos© Norbert Linz
Bild ganz oben: Sonnenaufgang am Ganges – der Souvenirhändler wartet auf Touristen
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Am besten lässt sich die Szenerie von einem gemieteten Holzboot aus verfolgen. Mit kräftigen Ruderzügen steuert der 25-jährige Amrit den Kahn seines Vaters gegen die träge Strömung am Ufer entlang. Mitgebracht hat er seine acht Jahre jüngere Schwester Lakshmi. Sie verkauft Öllämpchen auf Blättertellern, die mit roten Blüten verziert sind. Die meisten Pilger setzen sie als Dank an „Mutter Ganga“ auf die Wasseroberfläche. So treiben viele kleine Lichtpunkte auf dem dunkel trüben Ganges. Sie verblassen, als die Sonnenstrahlen die teilweise verwitterten Paläste in ein märchenhaft goldenes Licht tauchen.
Auf den Ufertreppen herrscht buntes Treiben: Pilger schleppen Messingbehälter mit heiligem Ganges-Wasser, im Gedränge zwischen lärmenden Kindern meditieren ungerührt asketische Männer, die mit grauer Asche überzogenen „Sadhus“ – wirr das Haar, gelb-rote Tagetes-Girlanden um den Hals. Unten am Wasser stehen Frauen in farbig leuchtenden Saris knietief im Fluss, die Männer daneben eher nackt im Lendenschurz. Alle benetzen ihren Körper mit dem heiligen Wasser oder tauchen ganz ein in die Fluten, waschen die Haare, spülen den Mund.
In trockenen Kleidern besuchen sie dann am oberen Stiegenende unter einem Holzschirm ihren „Panda“. Der Priester-Brahmane flüstert ihnen ein Mantra zu und setzt als Segenszeichen eine „Tika“ auf die Stirn: mit gelber Sandelholzpaste oder zinnoberrotem Pulver. Aus den Lautsprechern tönen religiöse Gesänge. Dazwischen weht Glockengeläut von den Tempeln herüber, hin und wieder der langgezogene Ton eines Muschelhorns. Von den Scheiterhaufen der beiden Verbrennungsghats steigt heller Rauch auf. An der Zeremonie der Totenverbrennung nehmen nur männliche Verwandte teil. In der Nähe spielen Kinder – für Indien völlig normal: Leben und Tod direkt nebeneinander.
Unbekümmerte Kinder auch in Dhrampura. Hier der unangekündigte Besuch in einer Dorfschule 300 Kilometer westlich, nicht weit entfernt von den prachtvollen Tempeln von Khajuraho. Indische Gastfreundschaft pur – nur die Ziegen im Schulhof schauen irritiert. Freudig unterbrechen Schulleiter Dr. Bhadoriya und seine Frau Anita den Unterricht auf der Terrasse des unscheinbaren, ärmlichen Flachbaus. Zusammen mit zwei Kollegen unter-richten sie 128 Kinder in der fünfjährigen Grundschule. Alle sitzen auf dem Fußboden, die kleinen Mädchen eher scheu im blitzsauber weiß-blauen Schuldress, die Jungen stolz ihre Schulhefte zeigend.
Zu Rundreisen durch Nordindien gehören sie fast immer: der weltberühmte Tadsch Mahal in Agra, die imposante Mogulkaiserstadt Fatehpur Sikri und Jaipur, die „rosa-rote Stadt“. Für Thomas Barkemeier, als Autor und Reiseleiter seit vielen Jahren durch das Land tourend, ist Jaipur eine der beeindruckendsten Städte Indiens. Die erst im 18. Jahrhundert auf dem Reißbrett entworfene malerische Altstadt steht unter Denkmalschutz. Spannend der Blick von oben, von einer Tempelplattform oder der Dachterrasse eines Geschäfts. An breiten Boulevards Häuserfassaden mit Erkern, geschwungenen Balkonen und Kuppeln – alles lachsfarben gestrichen. Die imposanten Paläste und die planvoll angelegten Bazare strahlen orientalisch pulsierende Lebensfülle aus.
Wie ein Traum aus Tausendundeiner Nacht: Am Eingang zum prachtvollen Stadtpalast des Maharadschas sitzt in orangefarbenem Hemd mit wuchtigem Turban ein Schlangenbeschwörer. Die indische Kobra im Weidenkörbchen wiegt sich zu seinen Flötenklängen. In einer Pause verrät Karan, der schon zwanzig Jahre lang Schlangen beschwört, schmunzelnd das Geheimnis: diese Tiere sind taub, reagieren nur auf die Bewegungen des Instruments.
Im zweiten Innenhof der weitläufigen Palastanlage die nächste Überraschung: In der offenen Empfangshalle tanzt zwischen prächtig verzierten Säulen eine Männergruppe vom Land. Ganz in Weiß, die kragenlose Kurta mit einem roten Band umgürtet, gleichfarbig der Turban und in den Händen eine riesige bunt bemalte Bendir. Diese Rahmentrommel schwingen die Männer ausgelassen beim Kreistanz. Begleitet von Bansuri-Bambusflöten, Manjira-Zimbeln und einer dumpf tönenden Dholak-Quertrommel drehen sich die Bauernsöhne ausgelassen zur stark rhythmischen Musik. Wieso sie hier tanzen? Einfach zur Freude; der Maharadscha habe sie eingeladen, sagt Tanzführer Devdan. Der Fürst ist im Hause: Auf dem Dach der siebenstöckigen Residenz nebenan weht seine Fahne. Im Vorhof parkt sein luxuriöser Tata-Van mit Stander: leuchtend rot mit goldenem Ehrenschirm in der Mitte.
Weiterhin fürstliches Flair erwartet uns auf dem Weg zum romantischen Udaipur in der Kleinstadt Deogarh, die etwas abseits in einer Hügel- und Seenlandschaft liegt. Oberhalb des Ortes thront in strahlendem Ockergelb der 1670 erbaute Maharadscha-Palast Deogarh Mahal. Malerisch verschachtelt, mit schmalen Durchgängen und weiten Dachterrassen, mit unzähligen Kuppeln, Erkern und weiß abgesetzten Balust-raden. Der jetzige adelige Besitzer Rawat Nahar Singh hat das riesige Schloss in ein Hotel umgewandelt und die 50 Räume und Suiten mit viel Liebe zum Detail restaurieren lassen. Berühmt sind die wertvollen alten Miniaturmalereien mit Hindu-Motiven an Decken und Wänden.
Wegen der Enge der Altstadt holt ein großer offener Jeep die Gäste vom Busparkplatz am Stadtrand ab, natürlich vorn am Kotflügel der gelbe Stander mit dem Wappen des Schlossherrn. Am Eingangstor Trommelwirbel zum Empfang. Dann das festliche Abendessen auf der Dachterrasse vis-a-vis der erleuchteten Hauptfassade des Palastes: Blau livriert mit weinrotem Turban die Dienerschaft, am Tandoor-Ofen weiß bemützt die Köche. Daneben an den Herdplatten zwei Inderinnen in leuchtenden Saris, gegenüber das von einem Baldachin beschützte Buffet. Etwas abseits drei Musiker. Unterm indischen Sternenhimmel schweben ihre weichen Rhythmen durch die laue Nacht – ein fürstlicher Abend!
Info:
Beste Reisezeit für Nordindien sind die Monate Oktober bis März. Empfehlenswert: Malariaprophylaxe, Impfschutz gegen Hepatitis und Typhus. Das Visum besorgen die zahlreichen Reiseveranstalter. Ein besonders breites Angebot mit 10 verschiedenen Nordindien-Studienreisen findet sich bei Studio-sus (www.studiosus.com/ Indien, Tel.: 00800 2402 2402) ab 2620 € für 14 Tage mit HP.
Reiseführer:
Übersichtlich mit Themenkarten und detaillierter Extrakarte DuMont Reise-Handbuch Indien. Der Norden. 488 Seiten, € 24,99. Sehr ausführlich und kompetent Thomas und Martin Barkemeier „Indien, der Norden mit Mumbai und Goa“ bei Reise Know-How 996 Seiten, € 24,90 . Gut und knapp mit zahlreichen Insider-Tipps und Schwerpunkt Norden der Marco Polo-Reiseführer „Indien“, 204 Seiten, € 15,99.