Altes aufbrechen für neue Illusionen

Eine Reise zum Kunstfest in Weimar  | 21. August 2015

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Ob in der New Yorker Carnegie Hall oder auf den schneebedeckten Berggipfeln der Dolomiten, die Experimentierfreude und Vielseitigkeit des SIGNUM saxophone quartet spiegeln sich nicht nur in seinen originellen Programmen wider, sondern auch in der Lust, das klassische Konzertformat aufzubrechen. Aufbrechen, klassische Formate infrage stellen, neu erfinden.

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Weimar 2015,  Eröffnung  (c) Candy Welz

Das ist Weimar, das ist sein Kunstfest 2015. SIGNUM interpretieren Edvard Griegs Suite “Aus Holbergs Zeit”, Dimitri Schostakowitschs “Elegie” und “Polka” und Samuel Barbers “Adagio for Strings”, somit Stücke, die ursprünglich für Streicherbesetzungen geschrieben wurden, und erzeugen so neue Klangillusionen. Wenn die Dokumenta in Kassel darstellende Kunst neu interpretiert, dann gilt das für das Kunstfest Weimar in Bezug auf die Musik..
Oder: “Spirit”, das Choreografien zweier Weltstars des zeitgenössischen Tanzes, Sidi Larbi Cherkaoui und Saburo Teshigawara, vereint. Geist und Spiritualität sind die verbindenden Themen eines Ballettabends für die Göteborgs Operans Danskompani, eine der größten und wichtigsten zeitgenössischen Tanzkompanien im nördlichen Europa.
Ganz anders kommen die Traktoren daher.  “Famulus”, “Pionier”, “Zetor” und “Belarus” sind sowohl die Musen als auch die Stars dieses ungewöhnlichen Konzerts. Ihre Motoren erzeugen einen einzigartigen rhythmischen Kolbenschlag. Eigens für diese Traktoren aus den 1950er und 1960er Jahren schrieb Sven-Åke Johansson ein Konzert, das erstmals in Thüringen aufgeführt wird. Auf der Suche nach geeigneten Maschinen wurde der Komponist im Weimarer Umland fündig. Zwölf Traktoristen entlocken ihren Schleppern unter seiner Leitung ein faszinierendes Klangspektrum, und das  im Innenhof des Stadtschlosses. Wenn Ernst August das erlebt hätte!

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Weimar 2015, Testament (c) Doro Tuch

Das Kunstfest ist auch in diesem Jahr der ultimative Grund,  in diesem Sommer nach Weimar zu fahren. Es beginnt am 21. August und dauert 17 lange, schöne Tage. Weimar, das ist die kulturelle Heimat eines jeden Deutschen, weil Weimar der Mittelpunkt des deutschen Geisteslebens ist. Goethe, Schiller, Liszt, Nietzsche, Herder, Wieland. Weil Weimar Mittelpunkt der deutschen Staatlichkeit ist. Geburtsort der Verfassung, die den Namen der Stadt trägt. Weil Weimar die Janusköpfigkeit des Deutschen zeigt. Höhe Klassik, Abgrund Buchenwald. Und seiner Heimat muss man gelegentlich einen Besuch abstatten, um den Kontakt, die Beziehung nicht zu verlieren.
Aber wenn man Weimar gar nicht kennt? Dann muss man sich mit der Stadt befassen, sie erwerben, um sie zu besitzen, als Heimat. Diese Tage bieten sich dazu gute Gelegenheiten. Natürlich stehen Goethe- und Schillerhaus auf dem Besuchsprogramm, die Schlösser, die Plätze, die Altstadt, der Park an der Ilm.
Es ist leicht, sich seiner Heimatstadt Weimar zu nähern. Dieses Weimar, das es zu erwerben gilt, ist nicht statisch, ist nicht nur die deutsche Klassik. Ist modern, Avantgarde und widersprüchlich, führt in eine unbekannte Zukunft des Darstellens und des Empfindens. Das ist elementar wichtig, um Heimat zu sein und kein Museum, und für die Kulturschaffenden der Stadt, vor allem die der Klassik-Stiftung und das Nationaltheater, eine gigantische Aufgabe.
Kunstfest Weimar 2015 – das sind 17 Tage mit wegweisenden künstlerischen Arbeiten, mit Aufführungen zwischen Konzert und Tanz, bildender Kunst und Theater, mit internationalen Gastspielen und einheimischen Entdeckungen, das sind Experiment und Wagnis, Auseinandersetzung und Begegnung, das sind die vielen Gespräche bei Live-Musik in unserem Festivalzentrum, das ist ein zweieinhalb Wochen währendes Fest.

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Weimar 2015, Riding on a cloud (c) Joe Namy

Das Programm besteht zu einem großen Teil aus Neuproduktionen, die eigens für das Kunstfest in Auftrag gegeben wurden. Die Kunst vergangener Epochen mag in Weimar eine große Rolle spielen – das Kunstfest tritt den Beweis an, dass auch die Kunst der Gegenwart in Thüringen ihren festen Platz hat. Siebzig Jahre nach Kriegsende setzen sich in diesem Jahr zwei neue Inszenierungen mit dem Nationalsozialismus auseinander. Das bekannte Theaterkollektiv Rimini Protokoll begibt sich auf eine Spurensuche nach Hitlers “Mein Kampf”, während der Komponist Frederic Rzewski für sein Musiktheaterwerk “Der Triumph des Todes” den unter dem Eindruck der Auschwitz-Prozesse entstandenen Text “Die Ermittlung” von Peter Weiss als Ausgangspunkt wählt. Beide Aufführungen entstehen in enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Nationaltheater und der Staatskapelle Weimar.
Mit ausgewählten internationalen Gastspielen bringt das Kunstfest zudem ein Stück Welt nach Weimar: Neben dem Balletabend “Spirit” zeigt der libanesische Künstler Rabih Mroué seine berührende Theaterarbeit “Riding on a Cloud”. Und mit Jan Martens kommt ein Shooting Star der europäischen Tanzszene nach Thüringen.
Das Kunstfest 2015 ermöglicht auch ein Wiedersehen mit guten Bekannten: She Pop kehren mit ihrem gefeierten Generationen-Stück “Testament” zurück. Mats Staub stellt sein Langzeitprojekt “Zehn wichtigste Ereignisse meines Lebens” vor. Konstantin Bayer und die Galerie Eigenheim verwandeln nach der Tiefgarage der Weimarhalle nun die ehemalige Justizvollzugsanstalt Weimar in einen temporären Ausstellungsort.
Christian Holtzhauer, der künstlerischer Leiter des Kunstfestes hat in den zwei Jahren, seitdem er die Nachfolge von Nike Wagner angetreten hat, die befürchtete orientierungslose Pilgerreise nicht wahrwerden lassen. Der Theaterwissenschaftler und Dramaturg macht aus seiner Rolle als Abteilungsleiter des Theaters mehr als Wagner aus ihrer Intendanz. Theater-Chef Hasko Weber hat Holtzhauser etabliert, mit dem er seine Vorstellungen von diesem Kunstfest realisieren will. Dass diese Konstruktion nur funktioniert, solange sich die beiden Herren verstehen, ist klar.

Information:
www.kunstfest-weimar.de

Fotos & Text:
Hans-Herbert Holzamer

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Autor Kurzvorstellung:

Freier Journalist und Autor

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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