Faszinierendes Masuren: Mit Hausboot und Rad über Höhen und Seen

[vc_row][vc_column width=”1/1″][vc_column_text]Die erste Überraschung ist die Größe. Masuren ist nur 10 000 Quadratkilometer groß. Bayern, um eine bekannte Region in Relation zu setzen, ist sieben Mal so groß. Doch wenn man im Hausboot über einen der großen Seen schippert, unter blauem Himmel und die waldbestandenen Ufer geben nicht zu erkennen, wo sich der nächste See anschließt, dann erscheint dieses Land im Nordosten Polens riesengroß. Dabei, wie so oft, ist es eine Frage der Definition, welchen Teil im ehemaligen Ostpreußen man als Masuren bezeichnen mag. Da einen dort die Geschichte aber ohnehin auf Schritt und Tritt verfolgt, soll künftig die Rede sein von der Masurischen Seenplatte (Pojezierze Mazurskie), einer Landschaft in der Woiwodschaft Ermland-Masuren.
Unsere Ziele
Wir verfolgten mit dieser Reise mehrere Ziele. Wir wollten, wie weiland Klaus Kinski als Abenteurer und Opernliebhaber Brian Sweeney Fitzgerald im Film Fitzcarraldo, mit einem Schiff über den Berg. Wir wollten erkunden, wie weit die touristischen Angebote für Liebhaber von Hausbooten und von Radwanderen sind, welche Möglichkeiten es für Familien gibt, und – da sich von der Geschichte keiner frei machen kann und soll – wollten wir natürlich erfahren, wie mit den Zeugnissen deutscher Kultur und Tradition, denen wir auf unserer Tour begegnen würden, umgegangen wird. Und zweite Überraschung: im Vergleich zu Vorbesuchen hat sich eine Menge getan, auch was die Einstellung zu den Heimat- und Sehnsucht-Touristen unter uns angeht. Wobei, wenn man den Zustand von Städten und Schlössern kritisch betrachtet, man nicht vergessen sollte, was die Polen (und andere Migranten) hier vorfanden, als sie in dieses fast leere und zerstörte Land kamen. Und dritte Überraschung allen Europa-Kritikern ins Notizbuch: Die Polen zeigen, was man mit den Geldern der EU, die für Projekte des regionalen Entwicklungsfonds ausgegeben werden, sinnvoll machen kann.
Da sich der deutsche Tourist in Masuren in einer Gegend bewegt, die ihm umso vertrauter wird, je länger er sich dort aufhält, deren geografischen Bezeichnungen er aber nicht versteht, kommt er sich manchmal vor, als hätte er eine, seine Wirklichkeit verhüllende Kapuze über den Augen. Wer weiß – beispielsweise – , dass er mit dem Boot durch Lötzen fährt, wenn überall nur Gizycko steht? Dass er in Angerburg anlegt, wenn er in Wegorzewo den Palstek um den Schiffspoller legt. Das könnte ja vielleicht egal sein. Aber wer die Festung Boyen sucht oder die Pflegerburg des Deutschen Ordens, die heute in modernes und attraktives Hotel beherbergt, der kann eben nichts mit Gizycko anfangen. Deswegen werden in diesem Text die Namen in beiden Schreibweisen hintereinander erwähnt. Das sehen heute auch die Polen deutlich lockerer als früher. Wie die Polen auch etwa mit den militärischen Resten der Hitlerzeit in einer Unbefangenheit umgehen, die sich für uns verbietet. An unserer Radstrecke lag Mamerki / Mauerwald mit den Resten des Hauptquartiers des Oberkommandos des Heeres, und junge polnische Besucher verhielten sich in einer Ambivalenz zwischen militaristischer Disney-World und eigener nationaler Gloria, wohlgemerkt für die “Wunderwaffen” des dritten Reiches, die bei uns Kopfschütteln verursachte. Aber das erlebten wir nicht nur hier. Kleinkinder in Uniform und mit Gewehr herumlaufen zu lassen, als wäre es ein Cowboy-Kostüm, ist nichts Überraschendes.
Unterwegs mit dem Hausboot
Aber nun zur Seenplatte. Sie besteht aus wohl 3000 Seen in einer eiszeitlichen Moränenlandschaft, die etwa eine Größe von etwa 1700 km² ausmachen, die größten sind der Jezioro Śniardwy / Spirdingsee und der Jezioro Mamry / Mauersee. Mit unseren Hausbooten waren auf dem Jezioro Niegocin / Löwentin See, dem Jezioro Kisajno / Kissain See, dem Jezioro Dargin / Dargainen See und dem Mauersee unterwegs. Marinas gibt es überall. Gebucht hatten wir die Boote bei Hendrick Fichtner, dem Eigentümer von “Polen Hausboote”, der zwar noch eine Adresse in Münster, aber sein Herz längst an Masuren verloren hat. Seine Frau stammt aus Olsztyn / Allenstein. Seit 2002 betreibt er eine Internet-Reiseagentur für Polen. Er öffnete uns mit dem Boot Mazury Cruiser 900 nicht nur den Zugang zu den unendlich vielen erreichbaren Seen, es gibt noch ebenso viele, die der Natur, den Kormoranen oder dem Wanderer vorbehalten sind, sondern auch die Erlaubnis, führerscheinfrei durch das zum Glück wellenfreie Wasser zu schippern. Die Regeln, dass etwa Segler immer Vorfahrt haben, wie bescheuert sie sich auch anstellen, zum Glück gab es nur wenige, und dass man zwischen den grünen und roten Tonnen hindurch muss, hatten wir schnell raus. Aber wer kein Draufgänger ist und Risiken vermeiden will, sollte es zunächst mit einem Boot probieren, die sich wirklich fast wie ein Kleinwagen steuern lassen, wenn man die längeren Bremswege berücksichtig. Hendrick Fichtner hat über seine Häfen eine ansehnliche Flotte verteilt, die man für Wochenhonorare zwischen 200 und 1200 Euro je nach Größe mieten und wie sein eigener Kapitän steuern kann. Nur für die Überquerung der Rollberge am Elbląg-Ostróda-Kanal / Oberlandkanal schickt Hendrick Lotsen an Bord.
Skowronneks Heimat
Jedenfalls hätte Fritz Skowronnek, der Schriftsteller und Seenvermesser, seine Freude an uns gehabt, wie begeistert wir seine Heimat durchquerten, um gegen seine Feststellung aus dem Jahre 1918 anzugehen, dass „Masuren leider vielen noch so unbekannt ist, dass selbst ein hervorragender Schriftsteller neuerdings erklärte, in den Augen der West- und Süddeutschen bestände zwischen Sibirien und Ostpreußen kein besonderer Unterschied.“
Auf dem Oberlandkanal
Dem Oberlandkanal, der jetzt nach Sanierung wieder mit Schiffen der weißen Flotte oder eigenem befahrbar ist, galt eine Exkursion mit dem Pkw nach Jelenie / Hirschfeld, um dort auf ein Boot zu gehen. Die Anreise mit dem Boot wäre möglich, aber zu aufwendig gewesen. Der verbindet mehrere Seen wie den Jeziorak / Geserichsee und Städte in Ostpreußen von Iława / Deutsch Eylau über Ostróda / Osterode bis Elbląg /Elbing zum Frischen Haff. Und damit zur Ostsee. Seine Länge beträgt 81 km, und die fünf Rollberge, auf denen die Schiffe zur Bewältigung des Höhenunterschieds von insgesamt 99 Metern auf Schienenwagen über Land transportiert werden, waren zur Zeit ihrer Entstehung waren die Helling genannten Vorrichtungen eine technische Sensation, und heute sind sie eine Touristen-Attraktion. Es sind, in einfachen Worten, Standseilbahnen, die von Wasserrädern angetrieben werden. Aber das Gefühl, das sie den Reisenden vermitteln, ist einzigartig. Man steht oben auf dem Bug des im Scharnier gehaltenen Schiffes und blickt hinab auf das die unter einem liegenden Schräge und das dahinter liegende ebene Land, das vom Kanal durchzogen ist. Man möchte die Arie „A te, o cara” aus der Oper I puritani singen, wie in der Schlussszene von Fitzcarraldo. Fitzgerald scheiterte noch in der gleichen Nacht nach der geglückten Landpartie am Glauben der Peruaner. Der Oberlandkanal funktionierte auch nur ein paar Jahre länger als Fahrrinne des Holztransportes. Die Eisenbahn grub dem Kanal alsbald das Wasser ab.
Wer sich für Kanäle interessiert, der sei an dieser Stelle auf den Kanał Mazurski / masurischen Kanal hingewiesen. Das ist eine 50,4 Kilometer lange, allerdings nicht fertiggestellte Wasserstraße, die in Ostpreußen eine schiffbare Verbindung zwischen der Masurischen Seenplatte über die Pregel in die Ostsee bei Königsberg herstellen sollte. In Masuren kann der polnische Teil besichtigt werden.
Die Hausboot-Tour kann mit Hendricks Hilfe auch um eine Rad-Tour erweitert werden. Das macht auch Sinn, weil man mit dem Rad mehr erkunden und entdecken kann. Wenn man das will und bereit ist die Bequemlichkeit des Bootes mit einem harten Sattel zu tauschen. So gelangten wir an das schon beschriebene Mamerki / Mauerwald, wo nicht nur die Einmündung des Masurenkanals in den Mauersee, Betonreste des OKH und einige Wunderwaffen auf uns warteten, sondern auch ein U-Boot. Dieses hätte auf dem leider unvollendet gebliebenen Kanal über den Rehsauersee aus der Ostsee hierher befördert werden sollen – oder umgekehrt. Vermutlich kommt nächstes Jahr der geheimnisvolle Panzerzug dazu.
Unterwegs mit dem Fahrrad
Die Fahrradtour führte uns von Sztynort / Steinort, wo wir das leider immer noch nicht restaurierte Schloss Steinort, den Stammsitz der Herren von Lehndorff, besichtigten, über Mauerwald auf den Radweg “Green Velo”. Über das Schloss, auf dem auch Gräfin Dönhoff in ihren Erinnerungen erzählt, könnte man eine eigene Geschichte schreiben, aber wir müssen mit dem Rad weiter. Daher nur ein Zitat aus dem Tagebuch des Grafen Ernst Ahasverus Heinrich von Lehndorff (1727 – 1811): “Mit süßem Behagen genieße ich das Landleben, das ich tausendmal angenehmer find, als ich es mir gedacht hätte. Ich lasse im Garten einige Veränderungen vornehmen, lasse Alleen aushauen und bin so mit Leib und Seele bei diesen Arbeiten, dass ich mit Josua ausrufen möchte: Sonne, bleibe stehen!”
Aber die Sonne bleibt, wie man weiß, nicht stehen. Und wir auch nicht. Denn der “Green-Velo-Radweg” wartete auf uns. Dieser 2000 Kilometer lange Radweg ist gerade in seinem Abschnitt im Norden des Landes fertig gestellt worden. Einmal fertig soll er durch fünf ostpolnische Woiwodschaften und unberührte Landschaften mit fünf Nationalparks und zahlreichen anderen Schutzgebieten am Ostrand der EU führen. Die Strecke beginnt bei Sielpia in der Woiwodschaft Świętokrzyskie / Heiligkreuz und führt über Podkarpackie (Karpatenvorland), Lubelskie (Lubliner Land) sowie Podlaskie /Podlachien bis zum Frischen Haff in der Woiwodschaft Warmińsko-Mazurskie /Ermland-Masuren.
Von unserm Einstiegspunkt bei der Marina von Sztynort / Steinort hätten wir uns auch auf den Masuren-Radweg begeben können, den ersten offiziellen Radwanderweg der Region , der zum Teil bereits existierende Radstrecken verbindet und so auf eine Länge von rund 400 km kommt. Er führt zu vielen Sehenswürdigkeiten der Region. Unterwegs gibt es Hotels und Pensionen, die sich auf diesen für Polen noch relativ neuen Touristenstrom eingestellt haben. Auch hier lohnt es sich, mit Hendrick Fichtner Verbindung aufzunehmen. Und es empfiehlt sich die Kombination von Hausboot und Fahrrad.
Denn mit dem Rad kommt man nicht in die Sauna, die ein Ehepaar aus Warschau auf dem Jezioro Niegocin / Löwentin See unweit des Ortes Bogaczewo / Reichensee betreibt. Wegen der Lage auf dem See und den Aufgüssen ist die Sauna Kult. Wir erreichten sie spätabends, nachdem wir in dem Gasthaus Rybaczówka uns an frischem Zander, Wels und andern Leckereien aus dem Jezioro Boczne / Saitensee mehr als satt gegessen hatten. Der Saitensee stellt, neben anderen, die Verbindung zwischen Gizycko / Angerburg und Mikołajki / Nikolaiken dar. In der Sauna herrschte noch Betrieb, “wir schließen, wenn der letzte unser Boot verlässt”, sagte die Chefin, Monika Winnicka.
Ist man mit dem Rad auf dem Green Velo, lohnt sich ein Abstecher, wenn man das Nordufer des Jezioro Mamry / Mauersees erreicht, nach Trygort / Thiergarten. Dort gibt es nicht nur einen malerischen Hafen, wo in diesem Jahr die Teilnehmer der größten Hausboot-Regatta der Masuren, des Mamert Cups, anlegen, sondern auch ein Familiendorf mit acht Häusern in skandinavischem Stil, das von den Partnern Michael Böhmer und Fabian Früh betrieben wird, die für ein Leben im masurischen Paradies den Job in einer Beraterfirma an den Nagel gehängt haben.
Bei all dem Eintauchen in die Sphären und Elemente der masurischen Natur, kommt man an den Spuren einer großen und auch dramatischen Geschichte nicht vorbei. Man sollte sich dem auch nicht entziehen. Vielleicht braucht man die Beton-Produkte des 1000 jährigen Reiches nicht, um zu einer persönlichen Beziehung zu kommen.
Im Banne der Geschichte
Aber Robert Kempa, Fremdenverkehrschef von Gizycko / Lötzen, der auch ein Buch über die Festung Boyen geschrieben hat, konnte so viel über seine Stadt erzählen, dass die Zeit nicht lang wurde. Wer Barbara Tuchmans Buch ” August 1914″ gelesen hat, und dann an der Stelle steht, an der der Vormarsch der zaristischen Armee scheiterte, der glaubt den Hauch der Geschichte zu spüren. Und nicht nur davon konnte Robert Kempa erzählen. Gerne hätten wir ihn auch im Kloster Święta Lipka / Heiligelinde und Reszel / Rößel dabei gehabt. Aber andere übernahmen dies gekonnt. In der Burg Reszel sind heute ein Museum und ein Hotel untergebracht, das Hotel Zamek Reszel, in dem wir gerne übernachtet hätten, hat mit Bartek Marschall einen Chef, der sich nicht nur angelehnt an den Verbund der “Città Slow”-Gemeinden lokaler und natürlicher Kost, verschrieben hat, sondern auch nebenan als Museumsführer seinen Mann stehen würde. Aber ein längerer Aufenthalt entsprach weder der Zielsetzung noch der Zeitplanung. Daher die letzte Überraschung (oder auch nicht): Allen Teilnehmern gingen Pläne durch den Kopf, eine erneute Masuren-Reise zu unternehmen. Und die Entfernung München – Angerburg 1392,4 km oder auch von Berlin 843,1 km sind bald kein Hinderungsgrund mehr, denn der Flughafen Masuren steht vor seiner Eröffnung. Und heute schon kann, wer die Autofahrt scheut, sich per Flug (Gdansk / Danzig oder Warschau) und Bahn dem Ziele nähern. Die Saison hat mit den Feiertagen Anfang Mai einen Frühstart, Juni- August sind die Haupt-Monate . Aber wir fanden, letzte Überraschung, den – zudem mückenfreien – September als eine geniale Reisezeit.
Information:
www.: www.polen.travel oder www.polen.travel/de
www.welcome2poland.com (Hendrick Fichtner)
www.polen-hausboote.de
www.gdansk.rgzw.gov.pl (Oberlandkanal)
www.vistulacruises.eu (Hausboote Weichseldelta)
www.gizycko.turystyka.pl (Lötzen, Dr. Robert Kempa)
www.mazury.travel.pl, www.wmrot.org (Radtouren)
www.sealand-travel.com u.a. (Feriendorf Mamry)[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]

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Hans-Herbert Holzamer

Autor Kurzvorstellung:

Freier Journalist und Autor

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

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