Mit dem Schiff an Grönlands Westküste rund um die Diskobucht
Die Ankunft auf dem kleinen Flughafen Kangerlussuaq ist ernüchternd: rundum Baracken des verlassenen US-Militärcamps; keine Eisberge, aber zur Begrüßung jede Menge Mücken. Doch alles wird gut. Mit dem Bus erreichen wir nach 12 Kilometern – es ist die längste Straße Grönlands – am Fjordende das Expeditionsschiff „Fram“: keine Mücken, herrlich prickelnd die frische Polarluft…
Foto oben: Fangboote am fischreichen Ilulissat-Eisfjord (c) N.Linz
Text: Norbert Linz
Das Schiff nimmt Kurs Richtung Norden und kreuzt – haben wir richtig gehört? – den „Hundeäquator“. Wie der Expeditionsleiter, der baumlange Arne, erklärt, dürfen hier nördlich des Polarkreises nur einheimische Schlittenhunde gehalten werden, um eine Einkreuzung mit weniger robusten Rassen zu verhindern.
Die bildhafte Sprache der Inuits nennt unseren ersten Stopp die „Siedlung an den Fuchslöchern“: Sisimiut, mit 6100 Einwohnern zweitgrößte Stadt und nördlichster eisfreier Hafen. Wirtschaftliches Rückgrat ist die große Garnelenfabrik Royal Greenland. Es regnet – die vielen kleinen Holzhäuschen wirken gar nicht bunt! Wehe, wer den vielen vor den Häusern angeketteten Schlittenhunden zu nahe kommt. Bedrohliches Knurren und lautes wolfsähnliches Heulen schaffen Distanz. Aus allen Ecken des Ortes antworten Artgenossen im Chor.
Weiter mit ihren 250 Passagieren auf Kurs nach Norden steuert die „Fram“ die Diskobucht an. Es hat aufgeklart. Die See ist ruhig. Noch gegen Mitternacht stehen viele Passagiere auf dem Oberdeck. Das sanfte warme Licht der Mitternachtssonne versetzt in einen fast magischen, zeitlosen Zustand. Plötzlich an Backbord der erste Eisberg! Beeindruckend, wie der von der Sonne vergoldete Koloss mit seinen scharfkantigen Steilwänden vorbeigleitet: lautlos, fast majestätisch. Doch dies war nur die Vorhut. Bald kommen die Eisberge fast wie im Gänsemarsch, in allen Größen und Formen. Es wird eine lange Nacht des Schauens!
Auf der vulkanischen Diskoinsel, dem nächsten Ziel, liegt die ehemalige Walfangstation Qeqertarsuaq. Heute leben die tausend Einwohner hauptsächlich vom Fischfang. Ein markanter Blickpunkt in Qeqertarsuaq ist das „Tintenfass Gottes“. Das rote achteckige Kirchlein wird seiner Form wegen von den Einheimischen so genannt. Wir stehen am dunklen Sandstrand und bestaunen den riesigen „Eisberg-Friedhof“. Es hat sieben Grad. Von den Eiskolossen weht es kalt herüber. Durch Strömung und Wind haben sie sich in der Bucht verfangen. So dümpeln und schmelzen sie vor sich hin. Abwechslungsreich dann die Wanderung durch die Tundra über den Roten Fluss Røde elv ins Blæsedalen, das Tal der Winde, bis hin zum Wasserfall, der sich aus der Gletscherschmelze speist. Überall Moose und Flechten. Schwefelgelb blüht der Arktische Mohn und purpurrot das Weidenröschen, die Nationalblume Grönlands.
Eine Nachtfahrt weiter: In der klaren Morgensonne taucht das kleine Städtchen Uummannaq auf. Malerisch breitet es sich am Fuß des 1175 Meter hohen Herzberges aus. Die Bucht ist übersät mit Eisschollen, sie rumpeln an die Schiffswand. Die Anlandung geschieht, wie fast immer, mit den schiffseigenen motorisierten Schlauchbooten. Ryon, der philippinische Steuermann, grinst genüsslich, wenn er in scharfem Slalom die Schollen umfährt. An den steilen rötlich schimmernden Granitwänden kleben die Bilderbuch-Häuschen – leuchtend bunt in allen Farben. Oft sind sie nur über Holzstiegen erreichbar. Uummannaq gilt als einer der hübschesten Orte Grönlands.
Am Abend sind wir nach kurzer Fahrt am nördlichsten Punkt der Reise: Ukkusissat – von schneebedeckten Granitwänden umrahmt, 500 Kilometer nördlich des Polarkreises. Beim traditionellen Kaffemik mit Kaffee und Kuchen erzählt Lehrerin Bulatta: in ihrem Dorf gäbe es nur 160 Einwohner, aber gut 300 Schlittenhunde – die seien im Winter wichtig. Neben dem Fischfang betreiben die Männer die traditionelle Robben- und Waljagd. Das Versorgungsschiff kommt alle zwei Wochen, häufiger der Helikopter mit der Frischware. Zum Abschluss tanzen Jugendliche eine grönländische Polka und winken am Ufer unserem abfahrenden Schiff nach. Touristen sind hier noch nicht selbstverständlich.
Anders auf der Rückfahrt: wir steuern Ilulissat an, die Touristenhochburg Grönlands. „Jetzt kommt mein Lieblingsort“, sagt Kapitän Tront Holten, ein Norweger, als wir vor dem Landgang warten, bis seine Polar Circle Boote die Eisschollen beiseite geschoben haben. Der Ortsname bedeutet bei den Inuits „Eisberge“. Die kommen in Scharen vom Sermeq Kujalleq Gletscher, dem produktivsten und schnellsten der nördlichen Hemisphäre, erläutert die Polargeografin Friederike auf dem Schiff. Im Sommer hat er eine Fließgeschwindigkeit von täglich 40 Metern. Die abbrechenden Eisberge ergießen sich in den Kangia-Eisfjord. Gletscher und Fjord wurden 2004 wegen ihrer Einmaligkeit von der Unesco in das Weltnaturerbe aufgenommen. Die Eiskolosse stauen sich mit ihrem Tiefgang von bis zu 400 Metern am Ende des Eisfjords an einer niedrigen Gesteinsschwelle. Erst wenn sie schmelzen oder, angeschoben von den nachrückenden Eismassen, brechen, können sie die 200-Meter-Schwelle überwinden.
Genau vor dem Eisfjord liegt die 5000-Einwohner-Gemeinde Ilulissat. Der Hafen ist berstend voll mit Fischkuttern und Trawlern. Man lebt vor allem von der Krabben- und der Heilbuttfischerei – und von den Touristen. Nicht das Ortsbild ist die Attraktion – durch starken Zuzug sind viele nüchterne Wohnblöcke entstanden, sondern die einzigartige Eislandschaft rundum. Beim Stadtbummel entdecken wir ein unbekanntes Verkehrszeichen: im roten Dreieck ein Hundeschlitten – hat also Vorfahrt. Schmunzelnd stellen wir uns den Bremsweg vor, wenn ein Hundegespann so richtig in Fahrt ist…
Vom kleinen Flughafen am Rand von Ilulissat fliegen wir mit einer „Bell 222“ in 15 Minuten fast bis zur Abbruchkante des Sermeq Kujalleq Gletschers. Hoch über dem Fjord landen wir auf einem Felsvorsprung. Kalt windet es herüber vom riesigen Schild des Inlandeises. Unter uns, dicht gedrängt, die Eisberge. Ein grandioses Panorama! Pilot Mikkel bleibt unbeeindruckt, runzelt die Stirn und deutet auf die Gletscherzunge am Rand des Eisschildes: Sie habe sich nach 50 Jahren Stillstand im letzten Jahrzehnt über zehn Kilometer zurückgezogen. Beim Rückflug geht es tief hinunter in den Fjord. Dort umrunden wir in steiler Schräglage die Eiskolosse. Atemberaubend, in greifbarer Nähe die kalten Kathedralen des Eises!
Ganz anders dann die Fahrt mit dem kleinen Küstenboot Najaaraq Ittuk von Ilulissat zur Mündung des Eisfjords. Kapitän Hans Broberg tuckert unerschrocken auf den Eisfjord zu und mitten hinein in das Labyrinth der schimmernden Eisriesen. Vom Bootsdeck schauen wir staunend hinauf auf die bis zu sechzig Meter hohen Gebirge aus Eis und erleben unser sechs Meter breites Boot als winzige Nussschale. Als erfahrener Seemann hält Broberg respektvoll Distanz zu den hohen Gletscherblöcken. Plötzlich schaltet er den Schiffsdiesel aus. In völliger Stille gleiten wir bei ruhiger See durch die Eisberg-Kulissen. Fast andächtig wird die Stimmung unter den Passagieren. Wir hören die Eisberge „flüstern“ – ein leises Knistern, wenn aus dem schmelzenden Eis die Jahrtausende alte Luft entweicht. In uns kommt der Wunsch auf: möge sich dieses faszinierende Naturschauspiel noch lange dem Klimawandel widersetzen!
Info:
visitgreenland.de
Flüge über Kopenhagen mit Air Greenland. Währung: Dänische Krone. Zeitunterschied zu Mitteleuropa: minus vier Stunden. Beste Reisezeit: Juni – August (Mitternachtssonne). Durchschnittl. Temp.: Juni 4° – 9°, Juli 5° – 11°, Aug. 4° – 10°, Sept. 0° – 5°.
Reiseführer: Dumont Reise-Taschenbuch Grönland. Kompetent mit vielen Tipps, City-Plänen und einem Porträt des Inselstaates sowie separater Karte, aktuelle Online-Updates im Internet, 300 Seiten, 3. vollständig aktualisierte Auflage 2015, 17,99 €.
Reisen in die Diskobucht z.B. mit der MS Fram (für Entdeckerreisen in Polargebiete, Eisklasse 1b) von Hurtigruten.
hurtigruten.de
Copyright für Text und alle Fotos:: Norbert Linz